Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob der Kläger Arbeitslosenbeihilfe (Alb) nach § 86a des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) für die Zeit vom 1. Juni bis 30. September 1987 beanspruchen kann.

Der Kläger hatte in der Zeit vom 1. Oktober 1984 bis 1. Juli 1985 den Grundwehrdienst geleistet. Anschließend war er Soldat auf Zeit bis zum 31. Mai 1987. Nach Abschluß des Wehrdienstes erhielt er eine Übergangsbeihilfe (§ 12 SVG), jedoch keine Übergangsgebührnisse (§ 11 SVG).

Am 1. Juni 1987 meldete er sich im Arbeitsamt (ArbA) Neunkirchen (Saar) arbeitslos. Zum 1. Oktober 1987 nahm er ein rechtswissenschaftliches Studium auf. Am 17. Juli 1989 stellte er bei der Beklagten einen förmlichen Leistungsantrag. Im Antragsformular verneinte er, schon früher Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe (Alhi) oder Alb beantragt oder bezogen zu haben. Wegen seines Studiums stehe er für eine Vermittlung in Teilzeitarbeit von maximal 20 Stunden wöchentlich zur Verfügung.

Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 29. September 1989, Widerspruchsbescheid vom 14. März 1990). Im anschließenden Klageverfahren machte der Kläger erstmals geltend, bei seiner Arbeitslosmeldung am 1. Juni 1987 danach gefragt zu haben, ob ihm irgendwelche Leistungsansprüche zustünden. Dies habe der Sachbearbeiter des ArbA verneint. Die Beratung sei fehlerhaft gewesen, so daß ihm nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auch für die Zeit ab 1. Juni 1987 Leistungen zustünden. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 21. Februar 1991). Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) sah die Klage für die Zeit vom 1. Juni 1987 bis 16. Juli 1989 als unzulässig an, weil für diesen Zeitraum keine Verwaltungsentscheidung der Beklagten vorliege. Für die Zeit ab 17. Juli 1989 sei die Klage wegen fehlender Verfügbarkeit des Klägers unbegründet (rechtskräftiges Urteil vom 29. Oktober 1991).

Daraufhin beantragte der Kläger am 10. Dezember 1991, über die Gewährung von Alb ab 1. Juni 1987 zu entscheiden. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Alb sei erst durch das Achte Gesetz zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes (8. SVG-ÄndG) eingeführt worden. Nach Art 2 des 8. SVG-ÄndG bewirkten nur Anträge, die innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten der Neuregelung gestellt worden seien, daß Leistungen auch für die Zeit vor Inkrafttreten gezahlt würden. Der Kläger habe seinen Antrag jedoch erst am 17. Juli 1989 gestellt (Bescheid vom 14. Januar 1992, Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 1992).

Das SG hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juni bis 30. September 1987 Alb zu zahlen und die Leistungen ab 1. April 1990 mit 4 v.H. zu verzinsen (Urteil vom 18. Februar 1993). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. Juni 1994). Zur Begründung ist ausgeführt worden, der Kläger habe am 1. Juni 1987 weder ausdrücklich noch konkludent Leistungen beantragt. Aber selbst wenn man einen solchen konkludent gestellten Antrag annehme, könne er sich nicht mehr darauf berufen; denn dies wäre wegen des langen Zeitraums (bis Juli 1989), in dem sich der Kläger nicht um seine Angelegenheit gekümmert habe, als unzulässige Rechtsausübung zu werten. Der fehlende Antrag könne auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 100 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und des § 16 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) sowie einen Verstoß gegen die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Zur Begründung trägt er vor, das LSG gehe zu Unrecht davon aus, daß er am 1. Juni 1987 keinen Leistungsantrag gestellt habe. Selbst wenn man sein Verhalten bei der Arbeitslosmeldung an jenem Tag nicht als konkludente Antragstellung werte, sei das Antragserfordernis im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu ersetzen. Die Beklagte habe ihre Antragshinwirkungspflicht aus § 16 Abs. 3 SGB I verletzt. Die Frage, ob er Leistungen beanspruchen wolle, sei ihm seinerzeit nicht gestellt worden. Im übrigen habe die Beklagte ihre Beratungspflicht verletzt. Zwar sei die Alb erst durch das am 16. August 1987 in Kraft getretene 8. SVG-ÄndG geschaffen worden, die Gesetzesvorlage habe sich jedoch schon am 1. Juni 1987 in der 1. Beratung vor dem Bundestag befunden. Die Beklagte hätte die ihr nachgeordneten Behörden hierüber informieren müssen, damit diese die beabsichtigte Änderung bei ihren zukünftigen Tätigkeiten hätten berücksichtigen können. Darüber hinaus sei mit seiner Vorsprache im ArbA Neunkirchen zwischen ihm und der Beklagten ein "Sozialversicherungsverhältnis" entstanden, woraus sich für die Beklagte die Verpflichtung ergeben habe, ihn mindestens im August 1987 auf das Inkrafttreten der Neuregelung hinzuweisen.

Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat der Kläger ferner vorgetragen, das Revisionsgericht sei nicht an die Feststellungen des LSG gebunden, nach denen ein Antrag auf Gewährung von Alb am 1. Juni 1987 nicht gestellt worden sei. Das LSG habe die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Antrages falsch gewürdigt bzw. die seinerzeit unstreitig erfolgte Willenserklärung im Hinblick auf den Leistungsbezug falsch ausgelegt. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei ihm die Rechtslage nicht zutreffend erläutert worden. Bis heute sei nicht sicher geklärt, ob zum damaligen Zeitpunkt nicht ein Anspruch auf Alhi bestanden habe, der im Rahmen der Antragshinwirkungspflicht hätte erörtert und festgestellt werden müssen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des LSG für das Saarland aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG für das Saarland zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie macht geltend, das Revisionsgericht sei an die tatsächlichen Feststellungen des LSG gebunden, wonach der Kläger am 1. Juni 1987 keinen Leistungsantrag gestellt habe. Ein Beratungsfehler der Beklagten, dessen Verletzung Grundlage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sein könne, liege nicht vor. Auch bei Kenntnis über den Stand des Gesetzgebungsverfahrens wäre das ArbA an jenem Tage nicht in der Lage gewesen, auf die vom 8. SVG-ÄndG eingeräumte Möglichkeit einer rückwirkenden Antragstellung hinzuweisen. Ihre Beratungspflicht würde überspannt, würde man sie verpflichten, nach Inkrafttreten der Neuregelung ohne konkreten Anlaß alle bei ihr gemeldeten ehemaligen Soldaten zur Antragstellung aufzufordern.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

Streitgegenstand ist sein Begehren, ihm Alb für die Zeit vom 1. Juni bis 30. September 1987 zu gewähren. Gegen das insoweit stattgebende Urteil des SG hat allein die Beklagte, nicht aber der Kläger Berufung eingelegt. Schon aus prozessualen Gründen beschränkt sich damit der Streitgegenstand auf die benannte Leistungsart und den genannten Zeitraum. Im übrigen hat der Kläger mit seinem Sachantrag im Schriftsatz vom 11. Juli 1994, mit dem er Revision eingelegt hat, ausdrücklich bestätigt, daß er im Revisionsverfahren die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils und die Gewährung von Alb für jenen begrenzten Zeitraum begehrt, wobei im übrigen der Zinsanspruch als Nebenanspruch nicht weiter begründet worden ist.

Verfahrenshindernisse stehen einer Sachprüfung nicht entgegen. Die Klage ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger die ablehnenden Bescheide zutreffend mit der richtigen Klageart angefochten (kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, § 54 Abs. 1 und 4 SGG). Die Berufung der Beklagten war nach dem hier anzuwendenden § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der bis zum 28. Februar 1993 geltenden Fassung zulässig. Zwischen den Beteiligten sind wiederkehrende Leistungen für mehr als 13 Wochen bzw. drei Monate im Streit. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des LSG Bezug genommen.

In der Sache hat das LSG zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Alb für die Zeit vom 1. Juni bis 30. September 1987 verneint.

Anspruchsgrundlage ist der durch Art 1 Nr. 10 des 8. SVG-ÄndG vom 6. August 1987 (BGBl. I 2078) eingefügte § 86a SVG. Danach erhalten ehemalige Soldaten auf Zeit, die nach Beendigung einer Wehrdienstzeit von mindestens zwei Jahren arbeitslos sind, eine Alb (Abs 1 Satz 1). Auf die Alb sind u.a. die Vorschriften des AFG mit weiteren hier nicht relevanten Maßgaben anzuwenden (Abs 1 Satz 2). Ein Anspruch des Klägers entfällt für die vorgenannte Zeit schon deshalb, weil er den nach § 86a Abs. 1 Satz 2 SVG i.V.m. § 100 Abs. 1 AFG, § 16 Abs. 1 SGB I erforderlichen Antrag nicht rechtzeitig gestellt hat.

Gemäß Art 3 Abs. 2 des 8. SVG-ÄndG trat u.a. Art 1 Nr. 10 und damit § 86a SVG rückwirkend zum 1. Januar 1987 in Kraft. Eine rückwirkende Leistungsgewährung erfolgte nach der Übergangsvorschrift des Art 2 Halbsatz 1 des 8. SVG-ÄndG jedoch nur, wenn sich der ehemalige Soldat auf Zeit innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes gemäß Art 3 Abs. 1 beim zuständigen ArbA persönlich für eine Zeit nach dem 31. Dezember 1986 arbeitslos gemeldet und Leistung nach § 86a SVG beantragt hat. Abgesehen von der Ausnahmeregelung in Art 3 Abs. 2 des 8. SVG-ÄndG trat gemäß Abs. 1 dieser Norm das Gesetz am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. Das 8. SVG-ÄndG ist am 15. August 1987 im Bundesgesetzblatt (BGBl) Teil I verkündet worden und damit am 16. dieses Monats in Kraft getreten. Bis zum Ablauf des 16. November 1987 hatte der Kläger keinen entsprechenden Antrag gestellt.

Das LSG hat unter Würdigung des Vorbringens und Verhaltens des Klägers sowie des Akteninhalts festgestellt, daß der Kläger bei seiner ersten Vorsprache und Arbeitslosmeldung im ArbA Neunkirchen am 1. Juni 1987 weder ausdrücklich noch konkludent Leistungen begehrt hat. Einen solchen Antrag hat das LSG erstmals für den 17. Juli 1989 festgestellt, also gut zwei Jahre nach jener Meldung. Auch wenn dieser Antrag die Zeit ab 1. Juni 1987 mit umfaßt hat, ist er verspätet gestellt worden.

An die getroffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist der Senat gebunden; denn hiergegen hat der Kläger keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht (§ 163 SGG). Er beanstandet lediglich das Ergebnis der vom LSG vorgenommenen Tatsachenwürdigung und meint, das LSG habe sein eindeutig zum Ausdruck gebrachtes Leistungsbegehren falsch ausgelegt. Es reicht jedoch nicht aus, die Beweiswürdigung des LSG als unrichtig und die eigene Würdigung als richtig zu bezeichnen, um die Voraussetzungen der "zulässigen und begründeten Revisionsgründe" i.S. des § 163 SGG darzutun (BSG, Urteil vom 6. September 1989 - 5 RJ 38/88 - SozSich 1990, 192). Der Senat muß deshalb mit dem LSG davon ausgehen, daß ein Antrag auf Gewährung von Alb bis zum Ablauf von drei Monaten nach Inkrafttreten des 8. SVG-ÄndG, also bis zum 16. November 1987, nicht gestellt worden ist.

Wegen der versäumten Frist kann dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, und zwar auch dann nicht, wenn sein am 17. Juli 1989 gestellter Antrag zugleich als Antrag nach § 27 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) angesehen würde. Denn gemäß § 27 Abs. 3 SGB X kann nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende der versäumten Frist (hier ab 17. November 1987) die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden oder die versäumte Handlung - hier Antrag auf Alb - nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Durch höhere Gewalt war der Kläger bis zum Ablauf des 16. November 1988 nicht an der rechtzeitigen Antragstellung gehindert. Wegen Nichteinhaltung der Jahresfrist konnte ein allenfalls erstmalig für den 17. Juli 1989 anzunehmender Antrag nicht zur Wiedereinsetzung führen. Der Senat kann daher offenlassen, ob die Wiedereinsetzung nach § 27 Abs. 5 SGB X von vornherein unzulässig wäre, weil Art 2 des 8. SVG-ÄndG eine solche ohnehin ausschließen könnte.

Entgegen der Auffassung des Klägers läßt sich der nicht rechtzeitig gestellte Antrag auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzen. Ein solcher Herstellungsanspruch, der nur subsidiär in Betracht kommt, hat folgende Voraussetzungen: (1.) Der Sozialleistungsträger muß eine gesetzliche oder eine aus einem bestehenden Sozialrechtsverhältnis resultierende Verpflichtung verletzt haben, die ihm gerade gegenüber dem Anspruchsteller oblag. (2.) Die Pflichtverletzung muß als nicht hinwegdenkbare Bedingung - zumindest gleichwertig neben anderen Bedingungen - "ursächlich" einen Nachteil des Betroffenen bewirkt haben. (3.) Die verletzte Pflicht muß darauf gerichtet gewesen sein, den Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren; es muß also ein Schutzzweckzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Nachteil i.S. eines inneren Zusammenhanges bestehen (vgl. hierzu im einzelnen BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 2). Als weitere Einschränkung ist zu beachten, daß der Herstellungsanspruch nur in Fällen zum Tragen kommt, in denen der Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann, also die Korrektur mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in Einklang steht (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 30. März 1995 - 7 RAr 22/94 -, mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Anders als eine verspätete Arbeitslosmeldung, die nicht "ersetzbar" ist (vgl. BSGE 60, 43 = SozR 4100 § 105 Nr. 2; BSG, Urteile vom 11. Januar 1989 - 7/11b RAr 16/87 - und 8. Juli 1993 - 7 RAr 80/92 -, beide unveröffentlicht), könnte zwar ein Leistungsantrag, der nicht innerhalb einer gesetzlichen Frist (hier des Art 2 Halbsatz 1 des 8. SVG-ÄndG) gestellt worden ist, als rechtzeitig gestellt zu behandeln sein, sofern der Arbeitslose wegen eines pflichtwidrigen Verhaltens des Leistungsträgers die fristgerechte Antragstellung unterlassen hat (Gedanke des § 27 SGB X). Dies kann im vorliegenden Fall jedoch offenbleiben, weil sich bereits eine Pflichtverletzung der Beklagten nicht feststellen läßt.

Bei der ersten Arbeitslosmeldung des Klägers am 1. Juni 1987 hat die Beklagte weder ihre Beratungs- und/oder Auskunftspflicht noch ihre Pflicht, auf sachgerechte Anträge hinzuwirken (Antragshinwirkungspflicht), verletzt (§§ 14, 15, 16 Abs. 3 SGB I). Ob und in welchem Umfang diese Pflichten von der Beklagten zu beachten waren, beurteilt sich allein nach dem Streitgegenstand im anhängigen Verfahren, also danach, ob und inwieweit eine nicht ordnungsgemäße Beratung und Aufklärung den Kläger von der rechtzeitigen Beantragung der Alb abgehalten haben. Im Hinblick auf diese Leistungsart oblag der Beklagten am 1. Juni 1987 keine Beratungspflicht und schon gar keine Antragshinwirkungspflicht. Denn zu jenem Zeitpunkt bestand kein entsprechender gesetzlicher Anspruch. Wie dargelegt, ist § 86a SVG erst am 16. August 1987, wenn auch rückwirkend, in Kraft getreten, so daß die Beklagte den Kläger am 1. Juni 1987 nicht auf einen solchen Anspruch hinweisen und eine entsprechende Antragstellung empfehlen konnte.

Auch aus dem Stand des Gesetzgebungsverfahrens am 1. Juni 1987 folgte keine besondere Beratungs-, Auskunfts- und Antragshinwirkungspflicht der Beklagten. Die Bundesregierung hatte ihren Gesetzesentwurf eines 8. SVG-ÄndG am 9. April 1987 dem Bundesrat gemäß Art 76 Abs. 2 Grundgesetz zur Stellungnahme zugesandt (BR-Drucks 135/87). Der Bundesrat hat am 15. Mai 1987 entsprechend der Empfehlung seiner Ausschüsse (BR-Drucks 135/1/87) zu dem Entwurf Stellung genommen (vgl. den stenographischen Bericht über die 576. Sitzung des Bundesrats, Plenarprotokoll 576 TOP 17). Ebenfalls noch am 15. Mai 1987 hat die Bundesregierung den Gesetzesentwurf an den Bundestag übersandt (BT-Drucks 11/286). Der Bundestag hat nach erster Lesung bzw. Beratung am 21. Mai 1987 (vgl. den stenographischen Bericht über die 13. Sitzung des Bundestages, Plenarprotokoll 11/13 TOP 6) die Vorlage an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.

Insbesondere bestand am 1. Juni 1987 für die Beklagte keine Veranlassung, dem Kläger eine vorsorgliche Beantragung von Alb zu empfehlen. Nach der bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Fassung des Regierungsentwurfs war nicht zu erwarten, daß eine rückwirkende Leistungsgewährung in Betracht kommen würde. Art 2 des Regierungsentwurfs (entspricht nunmehr - wenn auch in geänderter Fassung - dem Art 3 des 8. SVG-ÄndG) bestimmte sowohl in seiner dem Bundesrat zugeleiteten Fassung vom 9. April 1987 als auch in der dem Bundestag zugegangenen Fassung vom 15. Mai 1987, daß das Gesetz am Tage nach seiner Verkündung in Kraft trete. Eine rückwirkende Leistungsgewährung war nicht vorgesehen. Am 1. Juni 1987 konnte somit nicht davon ausgegangen werden, daß eine an diesem Tage erfolgte vorsorgliche Antragstellung dem Kläger einen rückwirkenden Leistungsanspruch gesichert hätte.

Erst bei der Beratung im federführenden Verteidigungsausschuß am 3. Juni 1987 wurde Einvernehmen darüber erzielt, § 86a SVG nicht erst am Tage nach der Verkündung, sondern bereits am 1. Januar 1987 in Kraft treten zu lassen. Alle Soldaten auf Zeit, die innerhalb von drei Monaten nach Verkündung des Gesetzes einen Antrag stellten, sollten in den Genuß der rückwirkenden Leistungsgewährung kommen können. Nachdem die Fraktionen der CDU/CSU und FDP einen entsprechenden Änderungsantrag im Ausschuß eingebracht hatten, beschloß dieser am 24. Juni 1987, eine entsprechende Änderung des Regierungsentwurfs durch Einfügung eines Art 1a (= Art 2 des 8. SVG-ÄndG) und Neufassung des Art 2 (= Art 3 des 8. SVG-ÄndG) dem Bundestag zu empfehlen (BT-Drucks 11/538). Der Bundestag hat nach zweiter und dritter Beratung dem geänderten Gesetzesentwurf am 25. Juni 1987 zugestimmt (vgl. den stenographischen Bericht über die 20. Sitzung des Bundestages, Plenarprotokoll 11/20 TOP 25). Das am 6. August 1987 ausgefertigte Gesetz ist am 15. August 1987 im BGBl. veröffentlicht worden (BGBl. I 2078). Ob bei diesem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die Beklagte bzw. ihre Hauptverwaltung überhaupt verpflichtet war, ihre nachgeordneten Behörden vor dem 15. August 1987 über den jeweiligen Stand des Verfahrens zu unterrichten, bedarf vorliegend keiner Erörterung. Jedenfalls war am 1. Juni 1987 für die Beklagte noch nicht abzusehen, daß für den Kläger eine (rückwirkende) Leistungsgewährung in Betracht kommen könnte.

Entgegen der Auffassung des Klägers war die Beklagte aber auch nicht verpflichtet, ihn nach Verkündung der Neuregelung auf eine mögliche Antragstellung hinzuweisen. Auf eine Verletzung der allgemeinen Aufklärungspflicht gemäß § 13 SGB I läßt sich ein Herstellungsanspruch des Klägers von vornherein nicht stützen. Diese Norm begründet grundsätzlich kein subjektives Recht des Versicherten gegenüber dem Versicherungsträger (BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 12). Auch die nach den §§ 14, 15 SGB I bestehende Pflicht zur Beratung und/oder Auskunft und eine damit verbundene Antragshinwirkungspflicht (§ 16 Abs. 3 SGB I) hat die Beklagte nicht dadurch verletzt, daß sie den Fall des Klägers nicht erneut aufgegriffen und ihn auf die relevante Gesetzesänderung aufmerksam gemacht hat.

In der Regel wird eine solche Pflicht erst durch ein entsprechendes Begehren ausgelöst. Ein solches hat der Kläger bis zum Ablauf der hier maßgeblichen Dreimonatsfrist nicht geäußert. Allerdings ist der Versicherungsträger auch ohne ein Beratungsbegehren gehalten, die Versicherten bei Vorliegen eines konkreten Anlasses von sich aus "spontan" auf klar zu Tage liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, deren Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig ist, daß sie ein verständiger Versicherter mutmaßlich nützen würde (BSG SozR 3-1200 § 14 Nrn 12, 16). Eine derartige Verpflichtung zur "Spontanberatung" trifft den Versicherungsträger insbesondere im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens (BSGE 60, 79, 85f. = SozR 4100 § 100 Nr. 11). Nach den Feststellungen des LSG hatte der Kläger am 1. Juni 1987 keinen Leistungsantrag gestellt, so daß in der Folgezeit, insbesondere in der Zeit ab 16. August 1987, kein Leistungsverfahren anhängig war, innerhalb dessen Veranlassung bestanden haben könnte, auf die geänderte Rechtslage hinzuweisen.

Ob in den Fällen, in denen zwar nicht ein Leistungs-, jedoch noch ein Vermittlungsverfahren weitergeführt wurde, etwas anderes gelten könnte, kann der Senat offenlassen. Anhaltspunkte für ein nach dem 1. Juni 1987 fortbestehendes Vermittlungsverfahren sind nicht ersichtlich. Ohne konkretes Beratungsersuchen wäre daher im vorliegenden Fall eine Beratungspflicht der Beklagten allenfalls in Betracht gekommen, wenn ihr in einem früheren Verfahren - hier bei der Beratung am 1. Juni 1987 - oder in anderem Zusammenhang (z.B. in Informationsmitteilungen) ein Fehler unterlaufen wäre und dieser sich nachteilig auf den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ausgewirkt hätte (vgl. hierzu grundsätzlich BSG SozR 3-1200 § 14 Nrn 6 und 12 m.w.N.). Wie dargelegt, läßt sich ein solcher Fehler im Hinblick auf die Rechtslage, wie sie am 1. Juni 1987 bestand, nicht feststellen. Ist im Rahmen dieses einmaligen, in sich abgeschlossenen Vorgangs eine zutreffende Rechtsauskunft erteilt worden, kann von einem Leistungsträger nicht erwartet werden, daß er bei Inkrafttreten einer späteren Gesetzesänderung überprüft, gegenüber welchen in der Vergangenheit in Übereinstimmung mit der Gesetzeslage zu Recht "negativ" beratenen Versicherten sich diese Änderung vorteilhaft auswirken könnte. Eine abrufbare Speicherung solcher - häufig nur mündlich erfolgten - einmaligen Beratungsvorgänge wäre von einer Massenverwaltung kaum leistbar und würde zu einer Überspannung ihrer Beratungspflicht führen.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß zum einen wegen der verspäteten Antragstellung eine der notwendigen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt ist und zum anderen eine Pflichtverletzung der Beklagten nicht vorliegt, die eine Ersetzung des nicht rechtzeitig gestellten Antrags im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ermöglichen könnte. Die Revision des Klägers konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1997, 60

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