Entscheidungsstichwort (Thema)

Kassenzulassung als Arzt durch Vorspiegelung falscher Tatsachen. keine Bewirkung oder Erbringung von kassenärztlichen Leistungen. Schadenersatzanspruch. Krankenkasse. Vorteilsausgleichung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllender Arzt, der sich die Kassenzulassung durch Vorspiegelung falscher Tatsachen verschafft, kann nicht unter Berufung auf den dadurch erlangten formalrechtlichen Status kassenärztliche Leistungen erbringen oder bewirken.

2. Gegenüber dem Schadenersatzanspruch der Krankenkasse wegen unzulässiger Arzneiverordnungen kann sich der Arzt nicht auf den Grundsatz der Vorteilsausgleichung berufen.

 

Normenkette

SGB V § 95 Abs. 3 Fassung: 1992-12-21; BGB § 249

 

Verfahrensgang

SG Kiel (Entscheidung vom 12.05.1993; Aktenzeichen S 8 Ka 111/91)

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 30.08.1994; Aktenzeichen L 6 Ka 43/93)

 

Tatbestand

Der Beklagte wurde zum 1. Juli 1987 als praktischer Arzt zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen, obwohl er - was er dem Zulassungsausschuß verschwieg - zu diesem Zeitpunkt noch in einem Beschäftigungsverhältnis am Kreiskrankenhaus B. stand. Der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) teilte er mit, er sei vorübergehend wegen Fortbildung an der Praxisausübung gehindert und werde von seinem Praxisvorgänger Dr. B. vertreten. Nachdem der Sachverhalt bekannt geworden war, nahm er ab 15. August 1987 die kassenärztliche Tätigkeit persönlich auf; gleichzeitig erklärte er rückwirkend für die Zeit vom 1. Juli bis 14. August 1987 den Verzicht auf die Kassenzulassung.

Die klagenden Krankenkassen nehmen den Beklagten auf Ersatz der Aufwendungen in Anspruch, die ihnen durch die in der genannten Zeit von Dr. B. ausgestellten Arzneiverordnungen entstanden sind. Als Nichtkassenarzt habe der Beklagte weder selbst noch durch seinen Vertreter Medikamente zu Lasten der Kassen verschreiben können.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klagen abgewiesen. Der geltend gemachte Schadenersatzanspruch stehe den Klägerinnen nicht zu, weil ihnen im Ergebnis kein Schaden entstanden sei. Ohne die Tätigkeit des Beklagten bzw seines Vertreters hätten dieselben Arzneimittel durch einen zugelassenen Kassenarzt verordnet werden müssen. Den Krankenkassen seien somit Aufwendungen in entsprechender Höhe erspart worden (Urteil vom 12. Mai 1993). Auf die Berufungen der Klägerinnen hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil aufgehoben und den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 1.194,95 DM nebst 4 % Zinsen seit 20. Juli 1991 an die Klägerin zu 1 sowie 12.659,34 DM nebst 4 % Zinsen seit 16. Februar 1989 an die Klägerin zu 2 verurteilt. Die Kosten für außerhalb der kassenärztlichen Versorgung verordnete Arzneimittel seien von den Krankenkassen nicht zu tragen. Da kassenärztliche und nichtkassenärztliche Leistungen wesensverschieden seien, könne sich der Arzt gegenüber einem aus der unzulässigen Verordnung resultierenden Schadenersatzanspruch entgegen der Ansicht des SG nicht auf einen Vorteilsausgleich berufen (Urteil vom 30. August 1994).

Mit der Revision rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Die Feststellung eines Schadens habe auf der Grundlage des § 249 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durch einen Vergleich der durch das schadenstiftende Verhalten geschaffenen und der ohne dieses Verhalten gedachten Vermögenslage zu erfolgen. Dieser Vergleich zeige, daß den durch unzulässige Verschreibungen verursachten Aufwendungen Ersparnisse in gleicher Höhe gegenüberstünden. Ein Schaden könne unter diesen Umständen auch nicht mit der Wesensverschiedenheit kassenärztlicher und nichtkassenärztlicher Leistungen begründet werden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 30. August 1994 aufzuheben und die Berufungen gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 12. Mai 1993 zurückzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet.

Die in der Form der allgemeinen Leistungsklage nach § 54 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhobenen Schadenersatzklagen sind zulässig. Daß für sie der Rechtsweg zu den SGen gegeben ist, hat bereits das SG - für die Rechtsmittelgerichte gemäß § 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz bindend - entschieden, so daß auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht mehr einzugehen ist. Mit Recht hat das LSG angenommen, daß die erhobenen Ansprüche nicht durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden konnten. Zwischen dem Beklagten und den klagenden Krankenkassen bestanden und bestehen keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen öffentlich-rechtlicher Natur, insbesondere kein Über-Unterordnungsverhältnis, aus dem sich eine einseitige Regelungsbefugnis der Kassen in bezug auf Schadenersatzansprüche wegen unzulässiger Arzneiverordnungen ergeben könnte (BSGE 64, 209, 211 = SozR 5550 § 18 Nr 1). Für die Klägerinnen bestand auch keine Möglichkeit, ihre Forderungen unter Einschaltung der beigeladenen KÄV, etwa im Wege eines Antrags auf Feststellung eines sonstigen Schadens, geltend zu machen. Das folgt daraus, daß der Beklagte für die Zeit, in der die umstrittenen Verordnungskosten angefallen sind, rückwirkend auf seine Zulassung als Kassenarzt verzichtet hat und demzufolge insoweit nicht der Regelungsgewalt der Beigeladenen unterliegt.

Auch in der Sache selbst hält das Berufungsurteil den rechtlichen Angriffen der Revision im Ergebnis stand.

Der Beklagte war in der Zeit vom 1. Juli bis 14. August 1987, wiewohl seinerzeit formal als Kassenarzt zugelassen, nicht befugt, selbst oder durch einen Vertreter Arzneimittel zu Lasten der Klägerinnen zu verordnen. Der Senat hat bereits entschieden, daß ein die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllender oder für die Ausübung der kassenärztlichen Tätigkeit nicht geeigneter Arzt, der sich die Kassenzulassung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen verschafft, nicht unter Berufung auf den dadurch erworbenen formalrechtlichen Status kassenärztliche Leistungen erbringen oder bewirken kann (Urteil vom 13. November 1974 - SozR 2200 § 368f Nr 1). Für die den Klägerinnen durch unzulässige Arzneiverordnungen entstandenen Aufwendungen hat der Beklagte Ersatz zu leisten, wobei sich der Ersatzanspruch, wie das LSG zutreffend angenommen hat, aus einer Verletzung der durch den Antrag auf Kassenzulassung bzw die erfolgte Formalzulassung gemäß § 368a Abs 4 Reichsversicherungsordnung (jetzt: § 95 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch) begründeten öffentlich-rechtlichen Pflichten ergibt (vgl dazu auch BSGE 64, 209, 211 ff = SozR 5550 § 18 Nr 1).

Zu Unrecht wendet der Beklagte gegen das Bestehen eines Ersatzanspruchs ein, den Krankenkassen sei durch sein Verhalten kein Schaden entstanden, weil die von seinem Praxisvorgänger ausgestellten Verordnungen in jedem Fall notwendig gewesen seien und entsprechende Kosten auch dann angefallen wären, wenn ein anderer Arzt die Medikamente verschrieben hätte. Er macht damit geltend, daß die Klägerinnen sich entsprechend den Grundsätzen des zivilrechtlichen Schadenersatzrechts den Vorteil anrechnen lassen müßten, der sich aus der Einsparung anderweitiger Aufwendungen ergebe. Gegen eine Anwendung der zu § 249 BGB entwickelten Regeln über die Vorteilsausgleichung auf Schadenersatzansprüche aus dem Bereich des öffentlichen Rechts bestehen im Grundsatz keine Bedenken. Im vorliegenden Fall läßt sich indessen schon nicht feststellen, daß und ggf in welcher Höhe die behaupteten Ersparnisse tatsächlich eingetreten sind. Daß ein anderer Arzt in den zur Diskussion stehenden Einzelfällen tatsächlich dieselben oder vergleichbare Medikamente verschrieben hätte, kann im Hinblick auf die ärztliche Therapiefreiheit und die unterschiedlichen Behandlungsweisen der einzelnen Ärzte keineswegs unterstellt werden. Ebensowenig läßt sich eine Vorteilsanrechnung - wie das SG gemeint hat - ohne weiteres mit der Erwägung rechtfertigen, daß Dr. B. gemessen am Arzneikostendurchschnitt der Gebietsgruppe besonders zurückhaltend und kostengünstig verordnet habe. Ob und in welcher Höhe den Klägerinnen anderweitige Aufwendungen entstanden wären, bedarf aber letztlich keiner Entscheidung, weil eine Anrechnung der dadurch bewirkten Vorteile wegen der Eigenart des in Rede stehenden Schadenersatzanspruchs generell nicht in Betracht kommt.

Schadensmindernde Vorteile muß sich der Geschädigte bei der Ermittlung des eingetretenen Vermögensschadens grundsätzlich nur entgegenhalten lassen, wenn die Anrechnung dem Zweck des Schadenersatzes entspricht (normativer Schadensbegriff; vgl Palandt, BGB-Kommentar, 54. Aufl, Vorbem 13 vor § 249 mwN). Ob das der Fall ist, ist unter Berücksichtigung rechtlicher Wertungen außerhalb des Schadenersatzrechts zu bestimmen. Der Senat hat zu dem mit dem Problem der Vorteilsausgleichung beim Ersatz eines durch unzulässige Verordnungen entstandenen Schadens eng zusammenhängenden Einwand der ungerechtfertigten Bereicherung bei der Versagung eines Vergütungsanspruchs für gesetz- oder vertragswidrig erbrachte Leistungen im Urteil vom 4. Mai 1994 (BSGE 74, 154, 158 = SozR 3-2500 § 85 Nr 6) ausgeführt, daß die für die Ausübung der kassenärztlichen Tätigkeit maßgebenden Rechtsvorschriften (auch) dazu bestimmt sind, die Funktionsfähigkeit des kassenärztlichen Systems als Ganzes zu sichern, und daß dieser Zweck nicht durch die Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze unterlaufen werden darf. Diese Rechtsprechung ist auf Fälle des Schadenersatzes wegen unrechtmäßig veranlaßter Leistungen zu übertragen. Eine andere Bewertung würde es ermöglichen, daß nicht zugelassene Ärzte Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen veranlassen, ohne hierzu berechtigt und ohne an die für zugelassene Kassenärzte geltenden gesetzlichen und vertraglichen Einschränkungen gebunden zu sein. Dem Schadenersatzanspruch der Klägerinnen kann deshalb der Einwand ersparter Aufwendungen im Ergebnis nicht entgegengehalten werden.

Nach allem war die Revision mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 518832

BSGE, 153

NJW 1996, 3102

SozSi 1997, 238

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