Beteiligte

…, Kläger und Revisionsbeklagter, Bevollmächtigter: …

…, Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht die Bewilligung von Kindergeld aufgehoben hat und erbrachte Leistungen zurückfordert.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er hat 7 Kinder, die zusammen mit seiner Ehefrau in der Türkei leben. Auf seinen Antrag vom 27. März 1981 bewilligte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 20. August 1981 für seine Kinder Kindergeld in Höhe von monatlich 365,-- DM rückwirkend ab September 1980. Mit Schreiben vom 7. Juni 1982 teilte sie ihm mit, daß sie aufgrund interner Weisung Kindergeld nur noch an solche türkischen Häftlinge zahlen könne, die sich vor Haftbeginn mit gültiger Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hätten. Am 4. August 1982 hob die Beklagte die Bewilligung des Kindergeldes für die Zukunft auf und führte zur Begründung ua aus, dem Kläger stünde das Kindergeld nicht mehr zu, weil er sich in Haft befinde und in der Zeit davor nicht als Arbeitnehmer tätig gewesen sei und auch keine Aufenthaltserlaubnis besessen habe. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. März 1983).

Der Kläger hat am 20. April 1983 Klage erhoben. Durch Beschluß des Landessozialgerichts (LSG) vom 14. Dezember 1983 ist die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt worden. Die Beklagte zahlte daraufhin bis Januar 1984 weiter Kindergeld, forderte aber - nach Abweisung der Klage durch das Sozialgericht (SG) - mit Bescheid vom 18. April 1984 die gewährten Leistungen zurück.

Auf die Berufung des Klägers hat das LSG die erstinstanzliche Entscheidung sowie die Bescheide der Beklagten vom 4. August 1982, 21. März 1983 und vom 18. April 1934 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen wird dazu ua ausgeführt, zwar sei die Leistung rechtswidrig bewilligt worden. Voraussetzung für den Anspruch auf Kindergeld sei nach den §§ 1 und 2 Abs 5 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG), daß sich der Berechtigte und seine Kinder im Bundesgebiet aufhielten. Diese Voraussetzung sei aber nicht erfüllt. Auch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. Juni 1984 (BGBl II 65, 1170) könne nicht zugunsten des Klägers angewendet werden. Denn er sei nicht im Sinne von Art 33 Abs 1 Satz 1 des Abkommens im Bundesgebiet "beschäftigt". Bei der von ihm im Strafvollzug ausgeübten Tätigkeit handele es sich - trotz der Entlohnung - nicht um eine Beschäftigung. Es fehle dieser Tätigkeit das Merkmal der Freiwilligkeit. Die Beklagte habe auch zu Recht das Vorliegen eines schutzwürdigen Vertrauens in die Weitergewährung des Kindergelds für die Zukunft verneint. Dem Vertrauen des Klägers sei kein größeres Gewicht beizumessen als dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes. Die Beklagte habe aber ermessensfehlerhaft gehandelt. Sie hätte nicht allein aus der Tatsache, daß ein schutzwürdiges Vertrauen zu verneinen sei, den Schluß ziehen dürfen, der begünstigende Verwaltungsakt sei für die Zukunft aufzuheben. Zusätzlich sei nach § 45 des 10. Buchs des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - (SGB X) zu prüfen gewesen, ob unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles von einer Aufhebung der Bewilligungsbescheide abzusehen sei. Es liege nämlich kein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vor Der Kläger habe geltend gemacht, daß seine Frau als Mutter von 7 Kindern keiner Arbeit mehr nachgehen könne und daß seine Familie dringend auf das Kindergeld angewiesen sei. Zwar habe der Kläger durch die zur Haft führende Straftat die Notlage seiner Familie selbst herbeigeführt. Dagegen lasse sich aber einwenden, daß für die Straftaten nur er nicht aber seine Familie bestraft werden solle. Es bleibe daher unter diesem Gesichtspunkt abzuwägen, ob bei ausreichender Glaubhaftmachung einer besonderen Härtelage die Beklagte wenigstens bis zur Entlassung des Klägers - voraussichtlich im Februar 1987 - die Kindergeldbewilligung teilweise aufrechterhalten sollte. Diese Abwägung könne das Gericht der Beklagten nicht abnehmen. Auch ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung sei nicht geeignet, die fehlende Ermessensausübung zu ersetzen. Ein Nachschieben von Ermessensgründen sei allenfalls dann möglich, wenn zuvor schon im Verwaltungsverfahren die Behörde ihr Ermessen ausgeübt habe. das sei hier aber nicht der Fall. Da die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsakts durch die Beklagte vorläufig noch keinen Bestand habe und darüber noch nicht rechtskräftig entschieden worden sei, fehle auch dem gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mitangefochtenen Rückforderungsbescheid vom W April 1984 die Rechtsgrundlage (vgl § 50 Abs 2 SGB X).'

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht die Beklagte geltend, das LSG habe im Ergebnis zu Recht angenommen, daß der Kläger keinen Anspruch auf Kindergeld für seine in der Türkei lebenden Kinder habe. Denn er sei im Bundesgebiet nicht im Sinne des deutsch-türkischen Abkommens über Soziale Sicherheit beschäftigt. Entgegen der Auffassung des LSG sei die Rücknahme der rechtswidrigen Kindergeldbewilligung nicht wegen unterlassener Ermessensausübung rechtsfehlerhaft. Der Ermessensspielraum sei nämlich auf Null reduziert. Auch die behauptete Notlage der Familie könne nicht als Grundlage für eine Ermessensentscheidung herangezogen werden. Als Leistungsberechtigter komme allein der Kläger in Betracht. Nur wenn die Rücknahme der Bewilligung für ihn eine Härte darstelle, würde diese durch eine Ermessensentscheidung abgemildert werden.

Die Beklagte beantragtdas Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 1986 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 12. März 1984 zurückzuweisen.

Der Kläger ist nicht durch einen iS des § 166 Abs 2 SGG postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten vertreten und hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind, weil bei der Entscheidung über die Aufhebung der Kindergeldbewilligung nicht von dem im Gesetz eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht worden ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat sich das Ermessen nicht auf Null reduziert.

Zutreffend geht die Beklagte allerdings davon aus, daß die Grundvoraussetzungen des § 45 Abs 1 SGB X für die Rücknahme der Kindergeldbewilligung erfüllt sind. Denn dieser dem Kläger erteilte begünstigende Verwaltungsakt war schon bei seinem Erlaß rechtswidrig. Der Kläger hat nämlich von Anfang an (September 1980) keinen Anspruch auf Kindergeld.

Es kann offenbleiben, ob dem Kläger schon deshalb kein Kindergeld zusteht, weil er - trotz seiner langjährigen Inhaftierung im Bundesgebiet - möglicherweise seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich des BKGG hat (vgl § 1 Nr 1 BKGG idF der Bekanntmachung vom 21. Januar 1982 - BGBl I, 13 - und § 30 Abs 3 des 1. Buchs des Sozialgesetzbuchs - SGB I -). Für das Fehlen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Geltungsbereich des BKGG könnte sprechen, daß der Kläger nach den Tatsachenfeststellungen des LSG seit dem 21. September 1978 nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist (vgl insoweit die Rechtsprechung für Asylbewerber, BSG in SozR 5870 § 1 Nr 10; siehe aber auch BSGE 27, 88, 89; 57, 93, 95 und BSG SozR 1200 § 30 Nr 10).

Dem Kläger war für seine in der Türkei lebenden Kinder in der hier fraglichen Zeit aber im Hinblick auf die Regelung des § 2 Abs 5 Satz 1 BKGG kein Kindergeld zu gewähren. Danach werden Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben, nicht berücksichtigt. Ausnahmen hiervon gelten nur, soweit dies durch das Recht der Europäischen Gemeinschaft oder durch zwischenstaatliche Abkommen bestimmt ist (Käss/Schroeter, BKGG, Kommentar, § 2 Anm 20). Zwar sieht auch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl 1965 II, 1170) Ausnahmen vom Territorialitätsgrundsatz des § 2 Abs 5 Satz 1 BKGG vor. Die Voraussetzungen sind aber nicht gegeben.

Nach Art 33 Abs 1 des Abkommens hat eine Person, die im Gebiet der einen Vertragspartei beschäftigt ist, nach deren Rechtsvorschriften für Kinder, die sich im Gebiet der anderen Vertragspartei gewöhnlich aufhalten, Anspruch auf Kindergeld, als hielten sich die Kinder gewöhnlich im Gebiet der ersten Vertragspartei auf. Diese Vorschrift kann nicht zugunsten des Klägers angewendet werden, denn er ist nicht in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Unter Beschäftigung ist nach Art 1 Nr 9 des Abkommens eine Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne der anzuwendenden Rechtsvorschriften zu verstehen. Auch wenn das BKGG die Leistungen generell nicht davon abhängig macht, daß der Leistungsberechtigte in einem Beschäftigungsverhältnis steht, gilt Art 1 Nr 9 auch bei der Anwendung des Art 33 Abs 1 des Abkommens. Das bedeutet: Der Kindergeldanspruch setzt voraus, daß der türkische Staatsangehörige einer Beschäftigung im Sinne des deutschen Sozialversicherungsrechts nachgeht, das insoweit mangels einer Definition des Beschäftigungsverhältnisses im BKGG entsprechend anzuwenden ist. Gemäß § 7 Abs 1 des 4. Buchs des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung -(SGB IV) ist Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Die einem Strafgefangenen nach § 37 Abs 2 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) zugewiesene Tätigkeit ist zwar keine selbständige Arbeit, denn nach § 41 Abs 1 StVollzG ist der Gefangene verpflichtet, eine ihm zugewiesene, seinen körperlichen Fähigkeiten angemessene Arbeit, arbeitstherapeutische oder sonstige Beschäftigung auszuüben, zu deren Verrichtung er aufgrund seines körperlichen Zustandes in der Lage ist (Satz 1). Die Tätigkeit wird also aufgrund einer für Gefangene bestehenden gesetzlichen Arbeitspflicht ausgeübt. Es handelt sich gleichwohl nicht um eine nicht selbständige Arbeit iS des § 7 Abs 1 SGB IV. Die zugewiesene Arbeit wird nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses verrichtet. Denn dies würde voraussetzen, daß zwischen dem Strafgefangenen und einem Arbeitgeber eine Vereinbarung über das Tätigwerden zustandekommt. Für die Übernahme der Arbeit ist im vorliegenden Falle nicht eine vertragliche Beziehung die Grundlage, sondern die aufgrund des Strafvollzugsgesetzes ergehende Arbeitszuweisung, also ein einseitiger Akt des Staates. Selbst wenn man davon ausgeht, daß der Strafgefangene im Hinblick auf die Weisungsgebundenheit, der er unterliegt, eine nicht selbständige Arbeit verrichtet, steht er gleichwohl nicht in einem Beschäftigungsverhältnis. Dieser Begriff (vgl dazu BSGE 20, 6, 8; 38, 53, 57; 51, 164, 167 und BSG SozR 2200 § 7 Nr 7) stammt nämlich aus dem Arbeitsleben. Er kennzeichnet die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nicht aber das gesetzlich geregelte Verhältnis der Strafvollzugsorgane zu Strafgefangenen, auch wenn diese im Rahmen des Strafvollzuges Arbeiten nach Weisung verrichten müssen. Hiervon geht auch der Gesetzgeber aus. Nach § 168 Abs 31 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) sind ua Gefangene beitragspflichtig, die für eine zugewiesene Arbeit ein Arbeitsentgelt erhalten (§ 43 StVollzG). Gemäß § 168 Abs 3a Satz 2 AFG gelten die beitragspflichtigen Gefangenen als Arbeitnehmer im Sinne der Vorschriften dieses Abschnitts; das für die Vollzugsanstalt zuständige Land gilt insoweit als Arbeitgeber. Hieraus wird deutlich, daß Gefangene, die zugewiesene Arbeiten (§ 37 Abs 2 und § 41 Abs 1 StVollzG) ausüben, vom Gesetzgeber nicht als Arbeitnehmer angesehen werden, sondern nur ausnahmsweise im beschränkten Umfang im Wege der Fiktion Arbeitnehmern gleichgestellt werden. Zwar ist der Kläger aufgrund des durch § 194 Nr 5 StVollzG mit Wirkung vom 1. Januar 1977 in § 168 AFG eingefügten Absatzes 3a (geändert mit Wirkung vom 1. August 1979 durch Art 1 Nr 65 5. AFG-ÄndG - BGBl I 1189 -) schon jetzt beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit. Für die Anwendung des Art 33 Abs 1 iVm Art 1 Nr 9 des deutsch-türkischen Abkommens über Soziale Sicherheit hat das jedoch keine rechtliche Bedeutung. In dem angefochtenen Urteil wird § 168 Abs 3a AFG zutreffend als Ausnahmeregelung angesehen, die lediglich die Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit begründen soll. Die beabsichtigte generelle sozialversicherungsrechtliche Gleichstellung der Ausübung einer zugewiesenen Arbeit im Strafvollzug mit einer Tätigkeit in einem freien Beschäftigungsverhältnis auf dem normalen Arbeitsmarkt (vgl dazu 5 39 Abs 1 StVollzG) ist aber bisher nicht erfolgt. Der Umstand, daß der Gesetzgeber in § 168 Abs 3a AFG eine Fiktion für notwendig hielt, zeigt deutlich, daß er von dem Nichtbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeht. Ob § 190 StVollzG, durch den zB § 165c in die RVO eingefügt werden soll, wonach als entgeltlich Beschäftigter im Sinne des § 165 Abs 1 und 2 auch Gefangene gelten, die Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung erhalten, insoweit zu einem anderen Ergebnis führt, kann dahingestellt bleiben. Diese Vorschrift des StVollzG ist noch nicht geltendes Recht, sondern wird erst durch ein besonderes Bundesgesetz in Kraft gesetzt - vgl § 198 Abs 3 StVollzG -).

Da die Beklagte dem Kläger somit durch den Bescheid vom 20. August 1981 Kindergeld bewilligt hat, ohne daß hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen vorgelegen haben, ist sie grundsätzlich berechtigt, diesen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt zurückzunehmen. Dem steht auch nicht - wie das LSG ebenfalls zutreffend angenommen hat - § 45 Abs 2 SGB X entgegen. Der Kläger konnte nämlich für die hier streitige Zeit nicht mehr auf den Bestand der Kindergeldbewilligung von August 1981 vertrauen, weil die Beklagte ihn bereits mit Schreiben vom 7. Juni 1982 auf die Rechtslage hingewiesen hatte, so daß er also die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kennen mußte (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X).

Die angefochtenen Bescheide sind gleichwohl fehlerhaft. Die Beklagte hat versäumt, das ihr bei der Entscheidung über die Rücknahme der Kindergeldbewilligung eingeräumte Ermessen (§ 45 Abs 1 SGB X: "darf"; vgl BSGE 55, 250, 251 und BSG SozR 1300 § 45 Nr 19) auszuüben. Selbst wenn man mit dem 9a-Senat des Bundessozialgerichts -BSG- (BSG SozR 1300 § 45 Nr 24) davon ausgeht, daß in den typischen Fällen nur eine Entscheidung richtig sei, nämlich den rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt zurückzunehmen, weil der Ermessensspielraum auf Null geschrumpft sei, vermag dies die Auffassung der Beklagten nicht zu stützen. Der Fall des Klägers weist Besonderheiten auf, die es nicht ganz ausschließen, von dem in § 45 Abs 1 SGB X eingeräumten Ermessen zu seinen Gunsten Gebrauch zu machen. Wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, hat der Kläger geltend gemacht, daß seine Frau als Mutter von sieben Kindern keiner Arbeit mehr nachgehen könne und seine Familie dringend auf das Kindergeld angewiesen sei. Der Wegfall des Kindergeldes führt möglicherweise zu einer Notlage der Familie des Klägers oder einer Verschärfung einer bereits schon bestehenden Notsituation. Ferner müßte im Rahmen der Ermessensentscheidung geprüft und gewürdigt werden, ob der Kläger aufgrund des im Strafvollzug erzielten Arbeitsentgelts zum Unterhalt seiner Familie in der Türkei beitragen konnte oder ob dieser Unterhalt auf andere Weise hätte gesichert werden können. Jedenfalls sind mehrere Umstände denkbar, die zusammengenommen auch eine andere Entscheidung als die von der Beklagten getroffene richtig erscheinen lassen könnten. Deshalb besteht gemäß § 39 Abs 1 Satz 2 SGB I ein Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens.

Das LSG hat auch zu Recht angenommen, daß der erst nach Abschluß des erstinstanzlichen Verfahrens ergangene Bescheid vom 13. April 1984 gemäß § 96 iVm § 153 Abs 1 SGG Gegenstand des Verfahrens vor dem LSG geworden ist. Denn die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides ist von dem Ergebnis des bereits anhängigen Rechtsstreits abhängig. Außerdem gebietet eine sinnvolle Prozeßökonomie die Einbeziehung des genannten Bescheides. Denn dadurch wird der Kläger vor möglichen Rechtsnachteilen geschützt, die ihm dadurch entstehen könnten, daß er im Vertrauen auf den schon eingelegten Rechtsbehelf weitere Schritte gegen den neuen Bescheid unterlassen hat (vgl dazu BSGE 47, 168, 170 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Die mit dem Bescheid vom 18. April 1984 verfügte Rückforderung der gewährten Leistungen ist ebenfalls rechtswidrig. Denn als Rechtsgrundlage kommt allein § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X in Betracht. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Da das LSG den Bescheid vom 4. August 1982 idF des Widerspruchsbescheides vom 21. März 1983 zutreffend aufgehoben hat, gilt die Kindergeldbewilligung vom August 1981 weiter, so daß die Voraussetzungen für eine Rückforderung nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X noch fehlen.

Allerdings wird ein Bescheid, der nach Verkündung des erstinstanzlichen Entscheidung erlassen wird, nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand der Berufung, sondern das LSG muß insoweit erstinstanzlich über eine Klage entscheiden (vgl BSG SozR § 96 SGG Nr 23). Das Berufungsgericht hat dies verkannt. Es hätte im Urteilstenor zum Ausdruck bringen müssen, daß der Bescheid vom 18. April 1984 nicht auf die Berufung, sondern auf die Klage des Klägers aufgehoben wird. Der Senat hält diesen Hinweis für ausreichend und sieht von einer Neufassung des Tenors der zweitinstanzlichen Entscheidung ab.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518021

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