Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. haftungsbegründende Kausalität. Infektionskrankheit. Hepatitis-C. Nachweis. keine entsprechende Anwendung: Beweiserleichterung. Berufskrankheit gem BKV Anl Nr 3101
Orientierungssatz
Zur Nichtanerkennung einer Hepatitis-C-Erkrankung eines Versicherten, der sich im Krankenhaus beim Abräumen eines Essenstabletts eines Patienten an der dort abgelegten und gebrauchten Spritzenkanüle verletzte, als Folge eines Arbeitsunfalls, wenn nicht festgestellt wurde, dass die Kanüle mit dem HCV infiziert gewesen ist oder einem HCV-infizierten Patienten appliziert worden war.
2. Eine Unfallfolge aus einem Arbeitsunfall liegt nur dann vor, wenn die beim Unfallereignis erfolgte Einwirkung auf den Körper nicht nur die Gefahr einer Infektion geschaffen, sondern die Infektionskrankheit wirklich verursacht hat. Die vom Verordnungsgeber geschaffenen Beweiserleichterungen für die Anerkennung von Infektionskrankheiten bei bestimmten versicherten Tätigkeiten mit besonders erhöhter Gefährdungslage als Berufskrankheit (BKV Anl Nr 3101) können mangels planwidriger Lücke nicht auf den Versicherungsfall des Arbeitsunfalls entsprechend angewandt werden.
Normenkette
SGB 7 § 8 Abs. 1 S. 1; BKV Anl 1 Nr. 3101
Verfahrensgang
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Infektion des Klägers mit dem Hepatitis C-Virus (HCV) als Folge eines Arbeitsunfalls am 8.6.1999 streitig.
Der im Jahr 1970 geborene Kläger war seit 15.10.1998 bei einer Catering-Firma beschäftigt. Seine Tätigkeit im Verbundkrankenhaus D./F. umfasste den Transport und das Ausräumen von Essenswaren sowie das Abräumen von Essenstabletts.
Am 30.11.2000 wurde bei dem Kläger im Rahmen einer betriebsmedizinischen Untersuchung eine aktive HCV-Infektion festgestellt. Er stellte sich am 25.4.2001 bei dem Durchgangsarzt vor und gab an, etwa im Juni 1999 beim Abräumen von Essenstabletts im Verbundkrankenhaus D./F. in eine gebrauchte Kanüle gegriffen und sich dabei an der linken Hand verletzt zu haben.
Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines Ereignisses am 8.6.1999 ab (Bescheid vom 14.3.2002, Widerspruchsbescheid vom 1.8.2002). Eine HCV-Infektion infolge eines Arbeitsunfalls könne nicht anerkannt werden, da der erforderliche Nachweis der Infektionsquelle und des Infektionszeitpunktes nicht habe erbracht werden können.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, ihm unter Aufhebung der streitigen Bescheide Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der infolge des Arbeitsunfalls vom 8.6.1999 erlittenen HCV-Infektion zu gewähren. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.3.2004) und dabei einen Anspruch des Klägers sowohl unter dem Gesichtspunkt einer Berufskrankheit (BK) als auch eines Arbeitsunfalls geprüft und verneint.
Auf die Berufung des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) den Bescheid der Beklagten vom 14.3.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1.8.2002 sowie das Urteil des SG Nürnberg vom 9.3.2004 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, beim Kläger eine HCV-Erkrankung als Folge eines Arbeitsunfalls festzustellen und entsprechende Leistungen zu gewähren. Der Kläger habe sich am 8.6.1999 durch einen Spritzenaufsatz, der auf einem von ihm abzuräumenden Tablett gelegen habe, eine Stichverletzung zugezogen. Hierbei handele es sich um einem Arbeitsunfall; von einer BK sei nicht auszugehen. Die HCV-Infektion des Klägers stehe mit dieser Stichverletzung in einem ursächlichen Zusammenhang. Die erforderliche Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und einer Infektionskrankheit sei im Fall einer BK gegeben, wenn nachgewiesen sei, dass der Versicherte bei der Berufstätigkeit einer besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen sei. Für die Prüfung der Kausalität bei einer Infektionskrankheit aufgrund eines Arbeitsunfalls könne nichts anderes gelten; auch insoweit sei auf die Beweiserleichterungen des Merkblatts zur BK nach Nr 3101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zurückzugreifen. Unter Berücksichtigung der anzunehmenden Durchseuchung der Patienten im Verbundkrankenhaus D./F. mit HCV sowie der Art und der Häufigkeit der Ausübung seiner Tätigkeit, sei der Kläger einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen.
Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 8 Abs 1 Satz 1 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII). Das LSG habe verkannt, dass für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls das Unfallereignis im Vollbeweis nachzuweisen sei. Beweiserleichterungen, die für den Bereich der BKen entwickelt worden seien, könnten nicht auf Arbeitsunfälle übertragen werden. Da der Nachweis eines konkreten Infektionsereignisses nicht erbracht worden sei, seien die Voraussetzungen für die Feststellung der HCV-Infektion als Folge eines Arbeitsunfalls nicht gegeben. Die Beklagte rügt auch das Vorliegen von Verfahrensmängeln.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. November 2006 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 9. März 2004 zurückzuweisen.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.
1. Gegenstand der Revision ist das angefochtene Urteil des LSG, das lediglich über einen Anspruch des Klägers auf Anerkennung seiner HCV-Infektion als Folge eines Arbeitsunfalls, also als Unfallfolge, entschieden hat. Zwar hat das SG in seinem Urteil auch Ausführungen zu der Frage des Vorliegens einer BK gemacht, obwohl die Beklagte in ihren Bescheiden nur über das Nichtvorliegen einer Unfallfolge entschieden hatte. Der Kläger hat aber mit seiner Berufung den Antrag auf die Feststellung seiner HCV-Infektion als Folge eines Arbeitsunfalls beschränkt.
Soweit die Beklagte durch das Urteil des LSG verurteilt worden ist, "die entsprechenden gesetzlichen Leistungen zu gewähren", handelt es sich um ein unzulässiges Grundurteil ohne einen hinsichtlich der Versicherungsleistungen vollstreckbaren Inhalt, dem neben dem Ausspruch zur Feststellung der Folgen eines Arbeitsunfalls keine eigenständige Bedeutung zukommt (vgl BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 6/06 R - mwN; zur Differenzierung zwischen der Anerkennung einer BK und der Feststellung des Rechtsanspruchs auf Versicherungsleistungen auch: BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, mwN) .
2. Der Kläger kann seinen geltend gemachten Anspruch auf Feststellung einer HCV-Infektion als Unfallfolge statthaft mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage iS des § 55 Abs 1 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verfolgen (vgl BSG vom 27.7.1989 - 2 RU 54/88 - SozR 2200 § 551 Nr 35 S 67 f; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 45/03 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 2 RdNr 4; er ist nicht auf eine Verpflichtungsklage begrenzt) . Entgegen der Ansicht des LSG ist die HCV-Infektion des Klägers keine Folge eines Arbeitsunfalls, denn sie wurde durch keinen Arbeitsunfall wesentlich verursacht.
Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (vgl BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 10; BSG vom 4.9.2007 - B 2 U 24/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 24). Jedoch kann auch eigenständig begehrt werden, einen Gesundheitsschaden gerichtlich als Folge eines Arbeitsunfalls festzustellen, wenn aufgrund der Unfallfolge Versicherungsansprüche in Betracht kommen können.
Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl BSG vom2.4.2009- B 2 U 30/07 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) .
Ob der Gesundheitsschaden eines Versicherten durch einen Arbeitsunfall (wesentlich) verursacht wurde, entscheidet sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - danach, ob das Unfallereignis selbst - und nicht eine andere, unfallunabhängige Ursache - die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens war (stRspr BSG vom 9.12.2003 - B 2 U 8/03 R - SozR 4-2200 § 589 Nr 1 mwN) . Welcher Umstand den Schaden, nämlich die HCV-Infektion des Klägers, wesentlich verursacht hat, ergibt sich durch eine Bewertung aller als Ursachen in Frage kommenden Umstände (BSG vom 9.12.2003, aaO) .
Zwar hat der Kläger nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) sich am 8.6.1999 durch eine auf einem vom ihm abzuräumenden Essenstablett liegende Spritzenkanüle eine Stichverletzung zugezogen. Diese hat aber die HCV-Infektion nicht verursacht. Dass die die Verletzung verursachende Kanüle mit dem HCV infiziert gewesen ist oder einem HCV-infizierten Patienten appliziert worden war, hat das LSG nicht festgestellt. Ausgehend von diesem Sachverhalt kann offen bleiben, ob der Stich mit der Spritzenkanüle ein Arbeitsunfall war. Jedenfalls hatte dieses Unfallereignis als Gesundheitsschaden nur eine Stichverletzung, nicht aber als Unfallfolge eine HCV-Infektion verursacht.
Die HCV-Infektion ist nach den Feststellungen des LSG auch kein Gesundheitsfolgeschaden des Ereignisses vom 8.9.1999. Der Stich mit der Kanüle hat, wie gesagt, selbst die Infektion nicht verursacht. Nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt gab es aber auch danach keine bestimmte anderweitige Einwirkung auf den Körper, die als solche zur Infektion geführt hat oder die diese infolge der Stichverletzung hervorgerufen hat. Das Ereignis vom 8.6.1999 hat die HCV-Infektionskrankheit des Klägers also nicht verursacht, so dass sie keine Unfallfolge ist.
Zu Unrecht hat das LSG angenommen, dass eine wesentliche Verursachung der Infektionskrankheit durch einen Arbeitsunfall schon dann vorliege, wenn der Versicherte einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt war. Eine Unfallfolge aus einem Arbeitsunfall liegt aber nur dann vor, wenn die beim Unfallereignis erfolgte Einwirkung auf den Körper nicht nur die Gefahr einer Infektion geschaffen, sondern die Infektionskrankheit wirklich verursacht hat. Die sich bei Infektionskrankheiten stellende Schwierigkeit, dass für die Infektion meistens verschiedene Infektionsquellen und Übertragungswege in Betracht kommen, ohne dass sich feststellen lässt, bei welcher Gelegenheit es tatsächlich zu der Ansteckung gekommen ist, hat der Verordnungsgeber dadurch Rechnung getragen, dass er Infektionskrankheiten in bestimmten versicherten Tätigkeiten mit besonders erhöhter Gefährdungslage als BK (BK 3101 der Anlage zur BKV) bezeichnet hat (vgl BSG vom 21.3.2006 - B 2 U 19/05 R) . Insoweit gelten für die hier nicht in Streit stehende Anerkennung einer BK Beweiserleichterungen (dazu BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Eine entsprechende Anwendung dieser für eine andere Art von Versicherungsfällen entwickelte Regelung, bei der die erhöhte Gefahr einer Einwirkung auf den Körper ausreicht, ohne dass eine konkrete Einwirkung festgestellt werden muss, auf den Versicherungsfall des Arbeitsunfalls ist schon mangels einer planwidrigen Regelungslücke nicht erlaubt. Vor diesem Hintergrund ist es ferner nicht geboten, für die Feststellung von Infektionskrankheiten als Folge eines Arbeitsunfalls Abweichungen von den allgemeinen Beweisregeln zuzulassen.
Da das Urteil des LSG schon wegen Verletzung des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen ist, bedarf es keiner Entscheidung über die von der Beklagten gerügten Verfahrensfehler.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2180167 |
NZA 2010, 84 |
SGb 2009, 355 |