Verfahrensgang

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 19.07.2021; Aktenzeichen S 13 R 1735/20)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 05.05.2022; Aktenzeichen L 7 R 2630/21)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 5. Mai 2022 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt eine höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Bei dem am 23.2.1957 geborenen Kläger ist seit Februar 2007 die Schwerbehinderteneigenschaft anerkannt. Er erfüllt zudem die Wartezeit von 45 Jahren. Eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen konnte er ab dem 1.2.2018 (vorzeitig) in Anspruch nehmen. Eine abschlagsfreie Altersrente für schwerbehinderte Menschen hätte er ab dem 1.2.2021 beanspruchen können, eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 1.1.2021. Am 5.11.2019 beantragte der Kläger zum 1.2.2020 sowohl eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen als auch eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Er sah eine Verletzung der Grundrechte von schwerbehinderten Menschen darin, dass für seinen Jahrgang die Altersgrenze für eine Altersrente wegen Schwerbehinderung bei 63 Jahren und 11 Monaten liege, diejenige für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte aber bereits bei 63 Jahren und 10 Monaten. Bis zur höchstrichterlichen Klärung solle die für ihn günstigere Rentenart gewährt werden. Die Beklagte bewilligte ihm Altersrente für schwerbehinderte Menschen und berücksichtigte dabei einen um 0,036 verminderten Zugangsfaktor wegen vorzeitiger Inanspruchnahme (Bescheid vom 20.2.2020; Neufeststellungsbescheid vom 6.4.2020; Widerspruchsbescheid vom 10.6.2020).

Das SG hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 19.7.2021), das LSG die Berufung des Klägers mit Urteil vom 5.5.2022 zurückgewiesen. Der Kläger habe zum beantragten Rentenbeginn am 1.2.2020 nur eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit vermindertem Zugangsfaktor beanspruchen können. Der Rentenabschlag verstoße auch bei behinderten Menschen, die wie der Kläger die Wartezeit von 45 Jahren erfüllten, weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG noch gegen Art 3 Abs 3 Satz 2 GG.

Der Kläger hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 11.7.2022 begründet hat.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet wird. Sie ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Der Kläger legt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht hinreichend dar.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund gestützt, muss in der Beschwerdebegründung dargetan werden, dass die Rechtssache eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss zur ordnungsgemäßen Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN). Die Beschwerdebegründung wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

Der Kläger formuliert darin die Rechtsfragen:

"Stellt es eine verfassungswidrige Gleichbehandlung von ungleichen Sachverhalten dar, wenn

- Rentnern, die die Voraussetzungen der Altersrente für besonders langjährig Versicherte gem. § 236b SGB VI erfüllen und schwerbehindert sind, keine Möglichkeit eingeräumt wird, ohne Abschläge früher in Rente zu gehen als Rentner ohne Schwerbehinderung, die die Voraussetzungen der Altersrente für besonders langjährig Versicherte gem. § 236b SGB VI erfüllen?

- Rentnern, die die Voraussetzungen der Altersrente für besonders langjährig Versicherte gem. § 236b SGB VI erfüllen und schwerbehindert sind, keine Möglichkeit eingeräumt wird, ohne Abschläge früher in Rente zu gehen als Rentner, die zwar schwerbehindert sind, aber nicht die Voraussetzungen der Altersrente für besonders langjährig Versicherte gem. § 236b SGB VI erfüllen?"

Der Kläger legt jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen nicht anforderungsgerecht dar.

Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort nicht außer Zweifel steht, sich zB nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nicht bereits höchstrichterlich entschieden ist (BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung getroffen wurde oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die nunmehr maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl zB BSG Beschluss vom 6.4.2021 - B 5 RE 16/20 B - juris RdNr 6 mwN). Leitet eine Beschwerde einen Revisionszulassungsgrund aus einer Verletzung von Normen des GG ab, muss sie zudem unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu den (konkret) gerügten Verfassungsnormen bzw -prinzipien in substanzieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (stRspr; zB bereits BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; aus jüngerer Zeit zB BSG Beschluss vom 11.2.2020 - B 10 EG 14/19 B - juris RdNr 11 mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht in jeder Hinsicht gerecht.

Der Kläger bringt vor, die Altersgrenze der Altersrente für schwerbehinderte Menschen sei stets niedriger gewesen als diejenige der Altersrenten, die keine Schwerbehinderung voraussetzten. Entsprechendes habe für die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente gegolten. Diese dem SGB VI "immanente Privilegierung von Schwerbehinderten" habe der Gesetzgeber - wohl unbeabsichtigt - bei der Einführung von § 236b SGB VI zum 1.7.2014 aufgegeben. Zum konkret geltend gemachten Verfassungsverstoß trägt der Kläger vor, der Gesetzgeber habe mit der Regelung in § 236b SGB VI gegen das allgemeine Gleichheitsgebot (Art 3 Abs 1 GG) verstoßen, das eine Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte verbiete. Bei langjährigen Versicherten mit Schwerbehinderung und solchen ohne Schwerbehinderung handle es sich um zwei so unterschiedliche Gruppen, dass verfassungsrechtlich eine Differenzierung geboten sei. Zugleich sei gegen Art 3 Abs 3 Satz 2 GG verstoßen worden, der eine Privilegierung von Schwerbehinderten mit einer Wartezeit von 45 Jahren gegenüber nichtbehinderten Menschen mit gleicher Wartezeit gebiete. Dass nur die Altersrente für Schwerbehinderte, nicht aber die Altersrente für besonders langjährig Versicherte vorzeitig in Anspruch genommen werden könne, stelle keine ausreichende Privilegierung dar. Diese Möglichkeit habe bereits vor Einführung von § 236b SGB VI bestanden, sodass sich hierdurch die zuvor bestehende Privilegierung von Schwerbehinderten in erheblichem Umfang verringert habe und "der gebotene Mindestabstand" nicht mehr gewahrt werde. Damit stellt der Kläger in erster Linie seinen Rechtsstandpunkt dar. Auf die darin zugleich liegende Rüge, die angegriffene Entscheidung sei inhaltlich falsch, kann eine Revisionszulassung nicht gestützt werden (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 24.3.2021 - B 13 R 14/20 B - juris RdNr 13 mwN). Die Beschwerde zeigt hingegen nicht ausreichend auf, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen nach einer (weiteren) Begünstigung von schwerbehinderten Menschen bei der Inanspruchnahme von Altersrente höchstrichterlicher Klärung bedürfen.

Der Kläger nennt zwar die Entscheidungen des BSG vom 10.4.2019 (B 5 R 311/18 B) und 17.6.2020 (B 5 R 2/19 R) sowie die Entscheidung des BVerfG vom 11.11.2008 (1 BvL 3/05). Hierzu bringt er vor, den Entscheidungen habe jeweils kein Sachverhalt zugrunde gelegen, in dem der betroffene Versicherte schwerbehindert gewesen sei und die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt habe. Der Kläger geht jedoch nicht näher darauf ein, ob sich diesen oder weiteren Entscheidungen gleichwohl Hinweise zur Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfragen entnehmen lassen könnten. Das BSG hat sich im Zusammenhang mit der Einführung von § 236b SGB VI bereits unter verschiedenen Aspekten mit der Frage befasst, ob angesichts der nochmals abgesenkten Altersgrenze der Altersrente für besonders langjährig Versicherte die Ausgestaltung anderer Rentenarten gleichheitswidrig sein könnte. Es hat diese Frage verneint und dabei herausgestellt - wenn auch im Zusammenhang mit einer geltend gemachten Ungleichbehandlung -, dass Bezieher einer dauerhaft gekürzten, vorzeitigen Altersrente wie der Kläger auch die Vorteile eines frühen Ruhestandes für sich in Anspruch genommen haben (BSG Urteil vom 17.6.2020 - B 5 R 2/19 R - juris RdNr 36). Sowohl das BVerfG als auch das BSG haben betont, dass Versicherte es grundsätzlich selbst in der Hand haben, ab wann sie eine Altersrente in Anspruch nehmen wollen (BVerfG Beschluss vom 11.11.2018 - 1 BvL 3/05 ua - BVerfGE 122, 151, 186 = SozR 4-2600 § 237 Nr 16 RdNr 88 - Rentenkürzung für Frührentner, Pflichtbeitragszeit -; BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/19 R - SozR 4-2600 § 77 Nr 12 RdNr 45; BSG Urteil vom 17.6.2020 - B 5 R 2/19 R - juris RdNr 35). Hiermit setzt der Kläger sich nicht auseinander. Er befasst sich auch nicht näher mit der Rechtsprechung des BVerfG, die zum allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) ergangen ist (vgl zB BVerfG Beschluss vom 8.7.2021 - 1 BvR 2237/14 - juris RdNr 110 mwN). Auf die verfassungsrechtliche Rechtsprechung zu Art 3 Abs 3 Satz 2 GG geht er ebenfalls nicht ein (vgl hierzu zB jüngst BVerfG Beschluss vom 16.12.2021 - 1 BvR 1541/20 - juris RdNr 89 ff). Der Kläger zeigt deswegen auch nicht in der gebotenen Weise auf, inwiefern Art 3 Abs 3 Satz 2 GG über den Wortlaut hinaus, der eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderung verbietet, ein Bevorzugungsgebot zu entnehmen sein könnte.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Düring

Körner

Hannes

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15414118

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