Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 12.07.1999)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluß des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Juli 1999 wird verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten, die sie für eine ambulante interdisziplinäre Adipositas-Behandlung bestehend aus ärztlicher und psychologischer Untersuchung und Betreuung, Ernährungsberatung und diätbegleitender Bewegungstherapie, aufgewendet hat. Ihre Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat einen Anspruch aus § 13 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) verneint, weil es sich weder um Krankenbehandlung noch um eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme gehandelt habe und eine vorbeugende Gewichtsreduktion nicht zu den Leistungen der Krankenversicherung gehöre. Insbesondere stelle die bei der Klägerin diagnostizierte Adipositas permagna dritten Grades (96 kg Körpergewicht bei einer Körpergröße von 1,53 m) für sich genommen keine Krankheit dar, solange sie nicht zu erheblichen funktionellen Einbußen führe.

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Krankheitsbegriff. Darüber hinaus sei die grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage zu entscheiden, ob eine Adipositas permagna dritten Grades eine Krankheit im Sinne der Krankenversicherung sei.

Die Beschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Wegen Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) ist die Revision nur zuzulassen, wenn das Berufungsgericht mit einer seine Entscheidung tragenden Rechtsaussage von einem Rechtssatz in einer höchstrichterlichen Entscheidung abgewichen ist. Es bedarf deshalb in der Beschwerdebegründung einer exakten Herausarbeitung und Gegenüberstellung der divergierenden Rechtsaussagen. Daran fehlt es, denn die Klägerin zitiert zwar die vom BSG entwickelten Rechtsgrundsätze zum Krankheitsbegriff, zeigt aber keinen im Beschluß des LSG enthaltenen Rechtssatz auf, der davon abweichen würde. Sie räumt im Gegenteil ausdrücklich ein, daß sich das Berufungsgericht mit den Grundaussagen des BSG zum Krankheitsbegriff in Einklang befinde, und beanstandet lediglich, daß es bei der Adipositas eine Normabweichung mit Krankheitswert erst dann bejahe, wenn durch die Körperfülle die Beweglichkeit eingeschränkt sei. Daß sich das BSG zum Krankheitswert einer Adipositas geäußert habe, ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen; gerügt wird vielmehr, das LSG habe bei der Anwendung des Krankheitsbegriffs die im Urteil des Senats vom 10. Februar 1993 (BSGE 72, 96 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14) entwickelten rechtlichen Maßstäbe nicht beachtet und deshalb die Adipositas fälschlich nicht als Krankheit gewertet. Eine Abweichung im Sinne der Vorschriften über die Revisionszulassung liegt aber nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügt, sondern erst, wenn das Berufungsgericht diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Die unrichtige oder unterbliebene Anwendung eines vom Revisionsgericht aufgestellten und im angefochtenen Urteil nicht in Frage gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden Einzelfall bildet deshalb keinen Grund für eine Revisionszulassung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sind ebenfalls nicht hinreichend dargetan. Wird dieser Zulassungsgrund geltend gemacht, muß der Beschwerdebegründung zu entnehmen sein, daß eine bestimmte Rechtsfrage klärungsbedürftig, in dem anhängigen Prozeß klärungsfähig sowie über den Einzelfall hinaus von Interesse ist. Hier fehlt es bereits an der Bezeichnung einer im Revisionsverfahren klärungsfähigen Rechtsfrage. Die im Schriftsatz vom 19. Oktober 1999 aufgeworfene Frage, ob eine Adipositas permagna dritten Grades eine Krankheit im Sinne der Krankenversicherung ist, ist keine Rechts-, sondern eine Tatfrage, die das Revisionsgericht nicht zu entscheiden hat. Ihre Beantwortung hängt davon ab, ob bei dem jeweils betroffenen Patienten die Voraussetzungen des vom BSG entwickelten Krankheitsbegriffs zu bejahen sind. Dies kann nur im konkreten Einzelfall entschieden werden. Die Einordnung unter den Krankheitsbegriff bleibt auch dann Tatfrage, wenn wie hier das Bestehen eines medizinischen Erfahrungssatzes behauptet und geltend gemacht wird, daß einem bestimmten Körperzustand regelmäßig Krankheitswert zukomme (BSG SozR 1500 § 162 Nr 7; BVerwG MDR 1974, 957).

Abgesehen davon läßt die Beschwerdebegründung Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit der gestellten Frage vermissen. Das Sozialgericht hatte ausweislich des angefochtenen Urteils einen Kostenerstattungsanspruch auch deshalb verneint, weil die Klägerin sich die streitige Adipositasbehandlung bei einer nicht zur Behandlung von Kassenpatienten zugelassenen Einrichtung beschafft habe. Darauf geht die Beschwerde nicht ein, so daß allein anhand der Beschwerdebegründung nicht beurteilt werden kann, ob das Klagebegehren nicht schon hieran scheitert und es in einem etwaigen Revisionsverfahren der Beantwortung der gestellten Frage gar nicht bedarf.

Mangels ausreichender Begründung war die Beschwerde analog § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175381

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