Rn 1

Ebenso wie die Vorschriften über die Beratungs- und Unterrichtungsrechte des Betriebsrats nach § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und über das Interessenausgleichsverfahren nach § 112 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 3 BetrVG finden auch die Vorschriften über die Sozialplanpflicht nach § 111 Abs. 1 Satz 2 bis Abs. 5, § 112a BetrVG in der Insolvenz grundsätzlich Anwendung. An die Stelle des Arbeitgebers tritt der Insolvenzverwalter, der den Sozialplan mit dem Betriebsrat aushandelt. Kommt keine Einigung zustande, wird der Sozialplan durch Spruch der Einigungsstelle aufgestellt.

 

Rn 2

Das betriebsverfassungsrechtliche Regelwerk wird in der Insolvenz jedoch durch die §§ 123, 124 durchbrochen. Diese Vorschriften sind an die Stelle des Sozialplankonkursgesetzes getreten und lösen die dortigen Regelungen vollständig ab.[1] Ähnlich wie die §§ 2, 3 SozplKonkG differenzieren auch die §§ 123, 124 zwischen Sozialplänen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27) aufgestellt wurden, und solchen, die innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor Insolvenzantragstellung aufgestellt wurden.

 

Rn 3

Unter den Anwendungsbereich der §§ 123, 124 fallen jedoch nur solche Sozialpläne, die die wirtschaftlichen Nachteile von Entlassungen ausgleichen oder mildern. Sozialpläne oder Sozialplanregelungen für andere als entlassene Arbeitnehmer werden von den Einschränkungen der §§ 123, 124 nicht erfasst, da der Gesetzgeber andere Sozialplanleistungen als Abfindungen faktisch nicht ins Gewicht fallend und daher nicht als Regelungsgegenstand in Betracht gezogen hat.[2]

 

Rn 4

Abgesehen von diesen Besonderheiten gelten die allgemeinen Grundsätze für die Aufstellung eines Sozialplans auch in der Insolvenz:

[1] Heinze, NZA 1999, 57, 62.
[2] Schwerdtner, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, S. 1137 Rn. 28; Kübler/Prütting-Moll, §§ 123, 124 Rn. 32.

1. Zweck des Sozialplans

 

Rn 5

Während der Interessenausgleich verhindern soll, dass wirtschaftliche Nachteile für die Arbeitnehmer entstehen, ist es Aufgabe des Sozialplans, durch die Betriebsänderung gleichwohl entstehende wirtschaftliche Nachteile auszugleichen oder zumindest zu mildern. Ob der Sozialplan eine reine Entschädigungsfunktion[3] oder nur eine Überbrückungs- und Vorsorgefunktion hat,[4] ist streitig.

Von dem Unterschied ist abhängig, ob der Verlust des Arbeitsplatzes als solcher bereits einen wirtschaftlichen Nachteil darstellt (so die Entschädigungstheorie) oder ob eine ausschließlich zukunftsorientierte Betrachtung maßgebend ist, mit der Folge, dass bei einem Verlust des Arbeitsplatzes Sozialplanleistungen nur für die nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses auftretenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten wie Arbeitslosigkeit, Umschulungsbedarf etc. vorzusehen sind (so die Überbrückungs- oder Vorsorgetheorie).

Während das BAG ursprünglich eine vermittelnde Position eingenommen hat,[5] hat es sich nach Neugestaltung des § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG der Überbrückungs- oder Vorsorgetheorie angeschlossen. Das BAG hat klargestellt, der Sozialplan sei keine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes an sich oder eine zusätzliche Belohnung der in der Vergangenheit für den Betrieb geleisteten Dienste.[6]

Allerdings behalten die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das damit verbundene höhere Lebensalter ihre Bedeutung als Prognosegrundlage für die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Auch unter Berücksichtigung der Überbrückungsfunktion des Sozialplans ist es daher nach wie vor möglich und angezeigt, das Lebensalter und die Betriebszugehörigkeit als Parameter für die Berechnung der Sozialplanleistungen zu berücksichtigen. Entschädigungs- und Überbrückungs-/Vorsorgetheorie werden daher in der Praxis zu weitgehend gleichen Ergebnissen gelangen.

[3] Richardi, Sozialplan, S. 11 ff.; Fuchs, Sozialplan, S. 28 ff.; Heinze, DB 1974, 1814, 1817.
[4] Galperin/Löwisch, § 112 Rn. 3; Willemsen, S. 212.
[5] BAG GS 13.12.1978 AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972.
[6] BAG 28.10.1992 AP Nr. 66 zu § 112 BetrVG 1972; 9.11.1994 AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972.

2. Erforderlichkeit des Sozialplans

 

Rn 6

Grundsätzlich ist bei jeder Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG (zum Begriff der Betriebsänderung vgl. vor §§ 121, 122 Rn. 13 ff.) ein Sozialplan aufzustellen. Die Aufstellung des Sozialplans ist – im Gegensatz zum Interessenausgleich – erzwingbar, d.h., der Betriebsrat kann einen Sozialplan erforderlichenfalls auch gegen den Willen des Unternehmers durch Anrufung der Einigungsstelle durchsetzen. Dies ergibt sich aus § 112 Abs. 4 BetrVG, nach dem die Einigungsstelle in den Fällen, in denen eine Einigung zwischen den Betriebsparteien nicht zustande kommt, über die Aufstellung des Sozialplans entscheidet. Der Spruch der Einigungsstelle setzt dann die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.

 

Rn 7

§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG regelt die Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der "geplanten Betriebsänderung" entstehen. Das Gesetz geht daher davon aus, dass der Sozialplan aufgestellt wird, bevor die Betriebsänderung durchgeführt wird. Keine Voraussetzung ist daher, dass die wirtschaftlichen Nachteile ...

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