Gesetzestext

 

1Ist durch ein Gericht eines Mitgliedstaats ein Verfahren nach Artikel 3 Absatz 1 eröffnet worden, das in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt ist (Hauptinsolvenzverfahren), so kann ein nach Artikel 3 Absatz 2 zuständiges Gericht dieses anderen Mitgliedstaats ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnen, ohne daß in diesem anderen Mitgliedstaat die Insolvenz des Schuldners geprüft wird. 2Bei diesem Verfahren muß es sich um eines der in Anhang B aufgeführten Verfahren handeln. 3Seine Wirkungen beschränken sich auf das im Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats belegene Vermögen des Schuldners.

1. Art. 27 als grundlegende Norm für Sekundärinsolvenzverfahren

 

Rn 1

Das Kapitel III der Verordnung beschäftigt sich mit den Sekundärinsolvenzverfahren. Art. 27 und Art. 3 Absatz 2 sind die grundlegenden Normen für Sekundärinsolvenzverfahren.

 

Rn 2

Sekundärinsolvenzverfahren modifizieren das Prinzip der Universalität der Hauptinsolvenzverfahren. Durch ihre Eröffnung wird die Wirkungserstreckung des Hauptinsolvenzverfahrens auf das Inlandsvermögen des Staates des Sekundärinsolvenzverfahrens verhindert.

 

Rn 3

Das Sekundärinsolvenzverfahren wird nach Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens durch das zuständige Gericht am Ort der Niederlassung eröffnet. Zum Begriff der Niederlassung, vgl. Art. 3 Rn. 15–21.

 

Rn 4

Gemäß Art. 27 Satz 2 muss es sich bei dem Sekundärinsolvenzverfahren um ein Liquidationsverfahren handeln. Es kann also kein Reorganisations- oder Sanierungsverfahren als Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden,[1] vgl. dazu schon Art. 2 Rn. 4. Die Liquidationsverfahren sind gemäß Art. 2 lit. c in Anhang B der Verordnung aufgeführt. Hierzu gehört auch das deutsche Insolvenzverfahren.

 

Rn 5

Nach Art. 3 Abs. 2 sind die Wirkungen des Sekundärinsolvenzverfahrens auf die Teile des Schuldnervermögens beschränkt, in dem sich die Niederlassung befindet. Der Sekundärinsolvenzverwalter ist allerdings befugt, außerhalb seines Gebietes tätig zu werden, um Vermögensgegenstände wiederzuerlangen, die nach der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens zu Lasten der Gläubiger aus dem Staat der Verfahrenseröffnung entfernt wurden, Art. 18 Abs. 2.

 

Rn 6

Bei einem Sekundärinsolvenzverfahren findet keine erneute Überprüfung der Insolvenz statt.[2] Nach dem Erläuternden Bericht der EU zum EuInsÜ sollen sogar die nationalen Eröffnungsvoraussetzungen nicht gegeben sein müssen.[3] In der deutschen Literatur wird aus praktischen Gründen jedoch gefordert, dass zumindest für die Frage der Deckung der Verfahrenskosten das nationale Recht maßgeblich sein soll.[4]

 

Rn 7

Besondere Vorschriften regeln die Verzahnung des Sekundär- mit dem Hauptinsolvenzverfahren. Eine Koordinierung der beiden Verfahren wird vor allem durch eine Reihe von Einfluss- und Mitspracherechten des Hauptinsolvenzverwalters gesichert. So hat er folgende Befugnisse:

  • Beantragung der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens (Art. 29 lit. a),
  • Unterbreitung von Vorschlägen im Hinblick auf die Verwertung oder anderweitige Verwendung der Masse des Sekundärinsolvenzverfahrens (Art. 31),
  • Vorschlag eines Sanierungsplans, Vergleichs oder einer ähnlichen Maßnahme im Sekundärinsolvenzverfahrens (Art. 34),
  • Beantragung der Aussetzung der Verwertung der Masse Sekundärinsolvenzverfahrens, (Art. 33).
 

Rn 8

Vermögensgegenstände, die bei der Verwertung oder Verteilung im Sekundärverfahren übrig bleiben, gehen in die Masse des Hauptinsolvenzverfahrens über, Art. 35.[5]

[1] Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht, 32 (108).
[2] Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (231).
[3] Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht, 32 (106), kritisch dazu: Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (231) m.w.N.
[4] Balz, ZIP 1996, 948 (953); Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (231).
[5] Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht, 32 (46).

2. Anwendbarkeit der Artikel 27 ff. auf verschiedene Partikularinsolvenzverfahren

 

Rn 9

Es wird in der Literatur das Problem diskutiert, ob die Vorschriften zur Koordination von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren (Art. 27 ff.) auch im Verhältnis zwischen mehreren isolierten Partikularverfahren entsprechend angewandt werden können.

 

Rn 10

Dafür hat man sich im Hinblick auf dieselbe Problemstellung im Erläuternden Bericht zum EuInsÜ ausgesprochen.[6] Mit Eidenmüller ist dies aber abzulehnen.[7] Zu Recht führt er aus, dass keine planwidrige Unvollständigkeit der EuInsVO vorliege. Die Art. 27 ff. wollen vor allem die Dominanz des Hauptinsolvenzverfahrens sicherstellen. Dies ist ein Ziel, das im Verhältnis von territorial beschränkten Insolvenzverfahren zueinander keine Rolle spielt.

[6] Virgos/Schmit, a.a.O.
[7] Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (6).

3. Aufsatzliteratur

 

Rn 11

Wimmer, Die Besonderheiten von Sekundärinsolvenzverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Europäischen Insolvenzübereinkommens, ZIP 1998, 982

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