Gesetzestext

 

(1) Ein Gläubiger, der nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach Artikel 3 Absatz 1 auf irgendeine Weise, insbesondere durch Zwangsvollstreckung, vollständig oder teilweise aus einem Gegenstand der Masse befriedigt wird, der in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist, hat vorbehaltlich der Artikel 5 und 7 das Erlangte an den Verwalter herauszugeben.

(2) Zur Wahrung der Gleichbehandlung der Gläubiger nimmt ein Gläubiger, der in einem Insolvenzverfahren eine Quote auf seine Forderung erlangt hat, an der Verteilung im Rahmen eines anderen Verfahrens erst dann teil, wenn die Gläubiger gleichen Ranges oder gleicher Gruppenzugehörigkeit in diesem anderen Verfahren die gleiche Quote erlangt haben.

1. Art. 20 Abs. 1

 

Rn 1

Art. 20 trägt dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung Rechnung.[1]

 

Rn 2

Alle im Anwendungsbereich der EuInsVO belegenen Vermögenswerte des Schuldners werden in das Hauptinsolvenzverfahren einbezogen. Sie sollen möglichst in einem Verfahren verwertet werden, um eine kollektive Befriedigung aller Gläubiger zu ermöglichen.[2]

 

Rn 3

Gläubiger dürfen sich nach der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nicht mehr individuell aus zur Masse gehörenden und in anderen Mitgliedstaaten befindlichen Vermögensgegenständen des Schuldners befriedigen,[3] weder durch Zahlungen des Schuldners selbst noch durch Zwangsvollstreckung.[4] Tun sie es dennoch, sind sie gemäß Art. 20 Abs. 1 zur Herausgabe des "Erlangten" an den Verwalter verpflichtet. Der Verwalter kann die Herausgabe des erlangten Vermögensgegenstands oder den entsprechenden Geldbetrag verlangen.[5]

 

Rn 4

Ausgenommen bleiben die durch Verwertung von Rechten nach Art. 5 (dingliche Rechte Dritter) und 7 (Eigentumsvorbehalt) erzielten Erlöse.[6] Bei ihnen ist allein der die gesicherte Forderung übersteigende Anteil abzuführen. Das entsprach im Großen und Ganzen der neueren BGH-Rechtsprechung.[7] Infolge dieser Rechtsprechung hat zum Beispiel das OLG Düsseldorf einen Gläubiger zur Rückerstattung des inländischen Vollstreckungserlöses an den ausländischen Verwalter verurteilt.[8] Das spanische Tribunal Supremo hingegen hat in solchen Fällen bislang die Einzelzwangsvollstreckung zugelassen.[9]

[1] FK-Wimmer Anhang 1 Rn. 102.
[2] Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (563).
[3] Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht, 32 (92).
[4] Virgos/Schmit, a.a.O.
[5] Virgos/Schmit, a.a.O.
[6] Leible/Staudinger, a.a.O.
[7] BGHZ 95, 256 (270). § 237 KO erlaubte bei ausländischen Konkursverfahren mit universellem Geltungsanspruch eine Einzelzwangsvollstreckung nur bei bereits vor Verfahrenseröffnung existenten Vollstreckungstiteln. Die InsO kennt keine dem § 237 KO entsprechende Vorschrift. Jetzt sind Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen gänzlich ausgeschlossen. Dazu auch: Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (563 f.).
[8] OLG Düsseldorf, 15.11.1990, IPRspr. 1990, Nr. 254.
[9] Nachweise bei Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (564).

2. Art. 20 Abs. 2

 

Rn 5

Art. 3 sieht es vor, dass parallele Insolvenzverfahren eröffnet werden können. Deshalb verstößt ein Gläubiger, der im Rahmen eines in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahrens befriedigt wird, gegen keine Vorschrift, sondern macht mit einer doppelten Forderungsanmeldung lediglich seine Rechte geltend.[10] Dieser Gläubiger darf behalten, was er im ersten Verfahren, bei dem die Verteilung vorgenommen wurde, erlangt hat.[11]

 

Rn 6

Damit aber die Gleichbehandlung aller Gläubiger in der EU gewahrt wird, darf ein Gläubiger, der die Zahlung erhalten hat, an anderen Verteilungen erst teilnehmen, wenn die Forderungen der Gläubiger gleichen Ranges im gleichen Maße befriedigt worden sind.[12]

Der Insolvenzverwalter hat also konsolidierte Quoten zu berechnen.

 

Rn 7

Das Berechnungsverfahren setzt sich aus vier Regeln zusammen.[13]

  • Kein Gläubiger kann mehr als 100 % seiner Forderung erhalten.
  • Es ist immer der ursprüngliche Betrag der Forderung (100 % ihres ursprünglichen Wertes) geltend zu machen und nicht die Restforderung.[14]
  • Eine Forderung wird bei der Verteilung erst berücksichtigt, wenn die Gläubiger desselben Ranges im Rahmen dieses Verfahrens zum gleichen Prozentsatz befriedigt wurden wie der Inhaber der Forderung im ersten Verfahren.
  • Der Rang oder die Kategorie der einzelnen Forderungen bestimmt sich für jedes Verfahren nach der lex fori concursus.
 

Rn 8

Wenn auf unterschiedliche Insolvenzverfahren unterschiedliche Insolvenzvorschriften Anwendung finden, kann es vorkommen, dass dieselbe Forderung, die in zwei unterschiedlichen Verfahren angemeldet wird, jeweils einen unterschiedlichen Rang erhält.[15] Bei der Anwendung des Art. 20 Abs. 2 wird lediglich der Rang oder die Kategorie berücksichtigt, in den bzw. die die Forderung nach dem Recht eingestuft wird, das für das Verfahren gilt, in dessen Rahmen die Verteilung erfolgt.[16]

 

Rn 9

Bei der Berechnung der Quote wird nur der in anderen Verfahren erlangte Prozentsatz der Befriedigung und nicht der Rang oder die Kategorie der Forderung in anderen Verfahren berücksichtigt.[17]

 

Rn 10

 

Beispiel[18]

Der deutsche Gläubiger X hat im Rah...

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