Rn 4

Das in § 90 geregelte Vollstreckungsverbot erfasst nicht alle Masseverbindlichkeiten, sondern ist beschränkt auf solche, die nicht durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden sind. Damit fallen unter Abs. 1 nur die Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1, 2. Fallgruppe, die in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden. Weiter gehören zu Abs. 1 Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 aus gegenseitigen Verträgen, deren Erfüllung für die Zeit nach Verfahrenseröffnung erfolgen muss, sowie nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 aus einer ungerechtfertigten Massebereicherung, da diese ebenfalls auch ohne eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters entstehen kann. Als Beispiel können hier genannt werden Abgaben für Massegrundstücke, die nach Verfahrenseröffnung fällig werden, z.B. Grundsteuern (§ 55 Abs. 1 Nr. 1), Dauerschuldverhältnisse bis zum ersten Kündigungstermin nach Verfahrenseröffnung, wie z.B. Mietverträge oder Arbeitsverhältnisse (§ 55 Abs. 1 Nr. 2) sowie die Erstattung der vom Gesellschafter nach Verfahrenseröffnung überzahlten persönlichen Einkommensteuer durch die Finanzverwaltung auf ein Konto der Gesellschaft nach Verfahrenseröffnung (§ 55 Abs. 1 Nr. 3). Aus einem für diese Ansprüche ggf. bestehenden oder nach Verfahrenseröffnung kurzfristig erstrittenen Titel ist der betreffende Gläubiger nach § 90 Abs. 1 für den dort genannten Zeitraum von 6 Monaten ab Verfahrenseröffnung an der Vollstreckung gehindert.

 

Rn 5

Unter das Vollstreckungsverbot fallen auch Verbindlichkeiten, die ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis im Insolvenzantragsverfahren begründet hat, da diese nach § 55 Abs. 2 Satz 1 ebenfalls als Masseverbindlichkeiten gelten, jedoch nicht auf einer Rechtshandlung des Insolvenzverwalters beruhen, auch wenn dieser – wie regelmäßig – mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter personenidentisch ist. Zwar bestimmt § 55 Abs. 2 Satz 2 vor allem für Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen aus dem Zeitraum des Insolvenzantragsverfahrens, dass diesen ebenfalls der Charakter einer Masseverbindlichkeit zukommt, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm in diesem Verfahrensstadium verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat, jedoch sollten damit nur Unzuträglichkeiten und Ungereimtheiten beseitigt werden, die im Rahmen der bisherigen Sequestration und der dort bestehenden Regelungslücken entstanden waren. Beabsichtigt war also lediglich die eindeutige Qualifizierung dieser besonderen und im Verfahrensinteresse vor Eröffnung begründeten Verbindlichkeiten als Masseansprüche, vor allem um die Handlungsfähigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters insbesondere im Zusammenhang mit einer Fortführung des Schuldnerunternehmens bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag zu verbessern. Eine weitere Privilegierung dieser Masseverbindlichkeit gegenüber den übrigen Masseverbindlichkeiten, die ohne Zutun des späteren Insolvenzverwalters im Verfahren zu erfüllen sind, war damit aber nicht beabsichtigt.[5] Es kann also durchaus zu der Situation kommen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter aus einem Miet- bzw. Arbeitsverhältnis bis zur Verfahrenseröffnung die Gegenleistung entgegengenommen und zur Unternehmensfortführung eingesetzt hat, diese Ansprüche nach Titulierung aber im anschließenden eröffneten Insolvenzverfahren zunächst nicht realisierbar bzw. vollstreckbar sind, auch wenn der dann amtierende Insolvenzverwalter aus diesen Dauerschuldverhältnissen ebenfalls wiederum die Gegenleistung in Anspruch nimmt und die dafür nach dem Schuldverhältnis entstehende Vergütung ohne Vollstreckungsschutz zu zahlen hat (vgl. § 90 Abs. 2 Nr. 3). Interessant dürfte in diesen Fällen vor allem die Beantwortung der Frage werden, ob dem Gläubiger wegen seines Zahlungsanspruchs für die aus dem Dauerschuldverhältnis bereits erbrachten Leistungen ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der Nutzungsüberlassung bzw. Arbeitskraft zusteht. Da § 90 keinen Eingriff in das materielle Rechtsverhältnis, sondern nur einen Vollstreckungsaufschub für titulierte Forderungen bezweckt, dürfte sich über die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts für den Insolvenzverwalter faktisch der Zwang ergeben, auch diese Rückstände umgehend zu begleichen, will er aus dem Miet- bzw. Arbeitsverhältnis die oft für eine Betriebsfortführung oder Sanierung unverzichtbare Gegenleistung nutzen und einsetzen. Praktische Bedeutung wird der Vollstreckungsschutz des § 90 also nur für die Fälle erlangen, in denen der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung die betreffenden Dauerschuldverhältnisse nicht weiter für die Zwecke der Verfahrensabwicklung einsetzt und zum frühest möglichen Zeitpunkt beendet.

 

Rn 6

Die Regelung des § 90 Abs. 1 hindert auch keinen Massegläubiger daran, seine Masseansprüche gegenüber dem Insolvenzverwalter titulieren zu lassen. Auch das Rechtsschutzbedürfnis für eine entsprechende Klage dürfte durch das Vollstreckungs...

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