3.1 Juristische Personen

 

Rn 9

In einer juristischen Person trifft die Antragspflicht nach § 15a Abs. 1 Satz 1 die "Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler". Erfasst sind mithin GmbH-Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder einer AG, SE oder Genossenschaft, der persönlich haftende Gesellschafter der KGaA bzw. die Liquidatoren einer Abwicklungsgesellschaft. Das korrespondierende Antragsrecht ist in § 15 Abs. 1 normiert, da – richtiger Absicht nach – Adressat der Antragspflicht nur sein kann, wem auch Antragsrecht zukommt.[22] Antragsbefugt ist (bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung) jeder Geschäftsleiter selbständig und unabhängig davon, wie die Vertretungsbefugnis innerhalb des Kollegialorgans geregelt ist. Korrespondierend hierzu bestimmt § 15a Abs. 1 Satz 1, dass jedes Mitglied des Vertretungsorgans und – bei einer Gesellschaft in Liquidation – jeder Abwickler[23] verpflichtet ist, den Eröffnungsantrag zu stellen.[24]

[22] Zu dem Zusammenhang zwischen Antragsrecht und -pflicht, siehe OLG Brandenburg NZG 2001, 807 (808) [OLG Brandenburg 15.11.2000 - 7 U 114/00]; Roth ZGR 1989, 421 (427); Trölitzsch GmbHR 1995, 857 (859); Kübler/Prütting/Bork-Preuß, § 15a Rn. 20.
[23] BGHSt ZIP 2008, 2308 (2310) [BGH 28.10.2008 - 5 StR 166/08].
[24] Graf-Schlicker/Bremen, § 15a Rn. 4; Kübler/Prütting/Bork-Preuß, § 15a Rn. 22.

3.1.1 Mehrheit von Geschäftsleitern

 

Rn 10

Die Pflicht nach § 15 a Abs. 1 Satz 1 besteht für jeden einzelnen Geschäftsleiter unabhängig von einer Ressortaufteilung zwischen ihnen.[25] Es besteht insoweit eine Gesamtverantwortung der Geschäftsführer. Auch besteht die individuelle Antragspflicht unabhängig von der internen Regelung der Vertretungsbefugnis (vgl. oben Rn. 9).[26]

[25] BGH GmbHR 1994, 460 (461) [BGH 01.03.1993 - II ZR 61/92]; Ulmer/Casper, § 64 Rn. 36; HK-Ransiek, § 15a Rn. 8; Kübler/ Prütting/Bork-Preuß, § 15a Rn. 22; Uhlenbruck/Hirte, § 15a Rn. 7; Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 11.12; Uhlenbruck/Hirte, § 11 InsO Rn. 62; Gottwald-Haas/Kolmann/Pauw, InsO-Hdb § 92 Rn. 68.
[26] Uhlenbruck/Hirte, § 15a Rn. 7.

3.1.2 Ausgeschiedener Geschäftsleiter

 

Rn 11

Ein aus dem Amt geschiedener Geschäftsleiter kann den Eröffnungsantrag nicht mehr stellen und ist daher auch nicht antragsverpflichtet.[27] Das gilt auch dann, wenn die Amtsniederlegung zur Unzeit erfolgt ist; denn diese macht die Amtsniederlegung nicht nichtig. Eine bereits eingetretene Verletzung der Antragspflicht kann allerdings durch eine Amtsniederlegung nicht rückwirkend beseitigt werden.[28] Die Pflichtverletzung bleibt mithin bestehen, mit der Folge, dass der Geschäftsleiter auch für den Verschleppungsschaden (siehe hierzu unten Rn. 62 ff.) verantwortlich bleibt. Ausreichend hierfür ist nämlich, dass er eine Mitursache für den Schaden setzt. Die weiteren Folgen des Unterbleibens des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Ausscheiden aus dem Amt muss er sich daher zurechnen lassen.[29] Ob sich allerdings nach Ausscheiden die Antragspflicht in eine Pflicht umwandelt, auf eine Antragstellung der (verbliebenen) Verantwortlichen hinzuwirken, erscheint eher fraglich; denn rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten stehen dem Ausgeschiedenen überhaupt nicht zur Verfügung.[30] Gleiches gilt, wenn der Geschäftsleiter vor Pflichtverletzung, aber noch während des Laufs der Antragsfrist (siehe unten Rn. 22) aus dem Amt ausscheidet.[31]

[27] Uhlenbruck/Hirte, § 15a Rn. 12 (nicht ganz eindeutig); Scholz/K. Schmidt, § 64 GmbHG Rn. 170; Kübler/Prütting/Bork-Preuß, § 15a Rn. 25.
[28] Ulmer/Casper, § 64 Rn. 37; FK-Schmerbach, § 15a Rn. 27; Uhlenbruck/Hirte, § 15a Rn. 12.
[29] Rowedder/Schmidt-Leithoff/Baumert, § 64 GmbHG Rn. 74; Ulmer/Casper, § 64 GmbHG Rn. 145; Kübler/Prütting/Bork-Preuß, § 15a Rn. 25.
[30] So aber Ulmer/Casper, § 64 Rn. 37; Kübler/Prütting/Bork-Preuß, § 15a Rn. 25; kritisch hierzu zu Recht Uhlenbruck/Hirte, § 15a Rn. 12.
[31] So aber Roth/Altmeppen, Vor § 64 Rn. 82.

3.1.3 "Faktische" Geschäftsleiter

 

Rn 12

H. M. zufolge ist auch der "faktische" Geschäftsleiter Adressat der Insolvenzantragspflicht. Hinter dieser Rechtsfigur verbergen sich letztlich zwei Fallgestaltungen:

3.1.3.1 Der fehlerhaft bestellte Geschäftsleiter

 

Rn 13

Sofern der Geschäftsleiter zum Organ bestellt worden, der Bestellungsakt aber (unerkannt) unwirksam erfolgt ist, ist der Geschäftsleiter dennoch Adressat der Insolvenzantragspflicht.[32] Das gilt auch, wenn er, nachdem er die Unwirksamkeit des Bestellungsaktes erkannt hat, die Organstellung weiterhin ausübt.

[32] Vgl. BGHZ 75, 96 (106); BGH WM 1988, 756 (757 f.); BGHSt GmbHR 1990, 173; BB 1983, 788 (789); Hefendehl ZIP 2011, 601 (605); Brand/Brand NZI 2010, 712 (716); Ulmer/Casper, § 64 GmbHG Rn. 60.

3.1.3.2 Der "faktische" Geschäftsleiter i. e. S.

 

Rn 14

Unter einem "faktischen" Geschäftsleiter i. e. S. versteht die h. M. jemanden (meist einen Gesellschafter), der – ohne zum Geschäftsleiter bestellt worden zu sein – mit Einverständnis der Gesellschafter "wie" ein Mitglied des Vertretungsorgans auftritt. H. M. nach kann ein "faktischer" Geschäftsleiter i. e. S. nur eine natürliche Person sein.[33] Wann jemand "wie" ein Mitglied des Vertretungsorgans tätig wird, ist nicht immer einfach zu beantworten. Die h...

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