Leitsatz

Eine tatsächliche Verständigung im Steuerfestsetzungsverfahren ist nicht schon deshalb unwirksam, weil sie zu einer von einem Beteiligten nicht vorhergesehenen Besteuerungsfolge führt und dadurch die vor der Verständigung offengelegten Beweggründe des Beteiligten zum Abschluss der Verständigung (hier: die Erwartung der steuerlichen Neutralität des Vereinbarten) entwertet werden.

 

Normenkette

§ 85, §§ 88 ff., §§ 90 ff., § 162 AO, § 313 BGB

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, war seit 1991 Alleingesellschafterin der G-GmbH. Zum Betriebsvermögen der G-GmbH gehörten Grundstücke, die in der DM-Eröffnungsbilanz zum 01.07.1990 mit rd. 88 Mio. DM angesetzt und zum 31.12.1991 auf einen Wert von 30 Mio. DM abgeschrieben worden waren. Den überwiegenden Teil der Grundstücke veräußerte die G-GmbH in 1991 mit einem Zeitpunkt des wirtschaftlichen Übergangs im September 1993 (Streitjahr) an die T-GbR zu einem Preis von 30 Mio. DM, der später auf 23 Mio.DM abgesenkt wurde. Gesellschafter der T-GbR waren je hälftig A und die V-KG, an der wiederum der alleinige Gesellschafter der Klägerin, W, und B beteiligt waren.

Im Verlauf einer Außenprüfung bei der G-GmbH kam es zwischen der G-GmbH und dem für deren Besteuerung zuständigen FA sowie zwischen der Klägerin und dem beklagten FA zu Verständigungen dahin, dass ausgehend von einem Verkehrswert der auf die T-GbR übertragenen Grundstücke von 37,3 Mio. DM bei der G-GmbH eine vGA zugunsten der Klägerin und bei der Klägerin eine empfangene Ausschüttung der G-GmbH mit einer zeitgleichen Ausschüttung der Klägerin an W i.H.v. 9,9 Mio. DM anzusetzen sei.

Für die G-GmbH ergingen für das Streitjahr geänderte Steuerbescheide auf der Grundlage der Verständigungen. Da anderes Eigenkapital nicht zur Verfügung stand, galt für die vGA verwendbares Eigenkapital i.S.d. § 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG 1991 – EK 04 – als verwendet. Bei der Veranlagung der Klägerin vertrat das FA die Auffassung, dass das zu versteuernde Einkommen um die den Buchwert der Anteile der G-GmbH von 11 500 DM übersteigende Ausschüttung der G-GmbH zu erhöhen sei (insgesamt über 10 Mio. DM); zugleich sei die Ausschüttungsbelastung herzustellen. Bei der Ermittlung des Gewerbeertrags sei die Ausschüttung aus dem EK 04 nicht im Weg der Kürzung (§ 9 Nr. 2a GewStG) zu berücksichtigen.

In dem sich anschließenden Rechtsstreit gegen die Festsetzung des GewSt-Messbetrags bestätigte der BFH diese Rechtsansicht des FA zu § 9 Nr. 2a GewStG (BFH, Urteil vom 15.09.2004, I R 16/04, BFH/PR 2005, 141, BFH/NV 2005, 470). Der BFH verwies die Sache seinerzeit an das FG zurück, da dieses zum weiteren Streitpunkt – der Wirksamkeit und der Reichweite der getroffenen tatsächlichen Verständigungen – keine weiteren Feststellungen getroffen und diese Frage nicht geprüft habe.

Im 2. Rechtszug hat das FG ein Zwischenurteil erlassen, mit dem es entschieden hat, dass die Klägerin nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht an die tatsächliche Verständigung gebunden sei (Hessisches FG, Urteil vom 03.07.2007, 8 K 415/05, Haufe-Index 1849635, EFG 2008, 178).

 

Entscheidung

Der BFH sah das (wiederum) anders als das FG und gab dem FA abermals recht:

Der Irrtum über die GewSt-Last und die (angestrebte) Gesamt-Steuerneutralität der tatsächlichen Verständigung gehöre allein in die innere Sphäre der Klägerin. Der Irrtum sei nicht geeignet, sich einseitig von der eingegangenen Bindung aus dieser Verständigung wieder zu lösen. Mit Treu und Glauben habe das alles nichts zu tun.

 

Hinweis

Ein praktisch durchaus bedeutsamer Fall:

1. Der Steuerpflichtige entschließt sich nach langem Hin und Her, mit dem FA einen "Deal" zu schließen und sich mit diesem "tatsächlich zu verständigen". Das geschieht, wie bekannt, namentlich aus Anlass von Betriebsprüfungen und bei verworrenen Gegebenheiten, schwer zu ermittelnden und streitigen Bewertungen und Schätzungen und oftmals auch, um der drohenden Einleitung eines Steuerstrafverfahrens schon im Vorweg die "Luft zu nehmen".

2. Nun stelle man sich vor: Der Steuerpflichtige setzt sich mit seinem Berater zusammen, man kalkuliert und errechnet diese oder jene Steuerschuld, die der besagte "Deal" so mit sich bringen wird. Im Urteilsfall war dies die Erwartung der steuerlichen Gesamt-Neutralität des Vereinbarten für die Beteiligten einer Unternehmensgruppe. Auf dieser Basis geht man sodann in die Verhandlungen mit dem FA und verständigt sich.

Was ist nun, wenn die Berechnungen falsch waren? Wenn ihnen womöglich falsche rechtliche Beurteilungen zugrunde lagen? Ermöglicht ein solcher Irrtum es, sich einseitig von der durch die Verständigung ausgelöste Bindung wieder zu lösen?

3. Der BFH legt einem solchen Ansinnen einen grundsätzlichen Riegel vor.

Er erkennt in dem Irrtum einen geheimen oder sogar offengelegten "inneren" Vorbehalt, einen Motiv- oder Kalkulationsirrtum, der jedoch allein der Sphäre des Irrenden zuzurechnen ist und den sich das FA nicht anlasten lassen muss. Auch einen "Wegfall der Geschäftsgrundlage" lässt der BFH nicht gelten, nicht zuletzt...

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