Leitsatz (amtlich)

Zur Widerlegung der Vermutung der Sittenwidrigkeit der Mithaftungserklärung bei Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung des mitverpflichteten Ehepartners.

 

Normenkette

BGB §§ 765, 138

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 24.09.2015; Aktenzeichen 5 U 18/15)

LG Kiel (Urteil vom 23.01.2015; Aktenzeichen 5 O 508/13)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Schleswig in Schleswig vom 24.9.2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als ihre Berufung gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Kiel vom 23.1.2015 zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens und die durch die Wiedereinsetzung entstandenen Kosten, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Inanspruchnahme aus einer Mithaftungserklärung für die Rückzahlung eines Darlehens und aus einem notariellen Schuldanerkenntnis sowie gegen die Vollstreckung aus einer notariellen Unterwerfungserklärung.

Rz. 2

Die Klägerin und ihr am 4.6.2012 verstorbener Ehemann waren je zur Hälfte Miteigentümer eines Einfamilienhauses in K . Der Ehemann besaß außerdem als Alleineigentümer ein Mehrfamilienhaus in L. und ein Grundstück in G. . Zur Finanzierung des von ihm geplanten Bauvorhabens auf dem Grundstück in G., eines Mehrfamilienhauses mit sechs Wohneinheiten, beantragte der Ehemann der Klägerin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) Ende November 1993 eine Förderung im Rahmen des Wohnungsbauprogramms Sachsen-Anhalt, die die Beklagte mit Bescheid vom 5.7.1994 bewilligte. Die Förderung bestand in der Gewährung des streitgegenständlichen Darlehens über 560.300 DM, das mit jährlich 1 % zu tilgen, jedoch erst ab August 2010i.H.v. 8 % p.a. zu verzinsen war, und eines (verlorenen) Aufwendungszuschusses i.H.v. 213.940,80 DM. Ferner hatte der Ehemann der Klägerin Eigenmittel über 197.700 DM zu investieren. Zudem nahm er bei der Sparkasse L., der damaligen Arbeitgeberin der Klägerin, zur Baufinanzierung des Objekts ein weiteres Darlehen über 515.000 DM auf, so dass die gesamten Investitionskosten ca. 1,5 Mio. DM betrugen.

Rz. 3

Der Darlehensvertrag zwischen dem Ehemann der Klägerin und der Beklagten wurde am 20.12.1994/17.1.1995 unterzeichnet. Vor Auszahlung der ersten Darlehensrate legte der Ehemann der Klägerin gegenüber der Beklagten seine Vermögensverhältnisse und diejenigen der Klägerin offen. Nach Auszahlung der ersten Darlehensrate unterzeichnete auf Verlangen der Beklagten auch die Klägerin den Darlehensvertrag. Mit Schreiben vom 17.5.1995 teilte die Beklagte dem Ehemann der Klägerin mit, die erste Darlehensrate nur ausnahmsweise ausgezahlt zu haben, obwohl die Auszahlungsvoraussetzungen noch nicht vorgelegen hätten. Zugleich forderte sie ein notariell beurkundetes Schuldanerkenntnis der Klägerin, das diese am 15.6.1995 über einen Betrag von 560.300 DM abgab. Daneben wurde an dem Grundstück in G. in Abteilung III des Grundbuchs unter Nr. 2 zugunsten der Beklagten eine Grundschuld über 560.300 DM nebst Zinsen eingetragen, die einer zugunsten der Sparkasse L. bewilligten Grundschuld über 515.000 DM nebst Zinsen nachrangig war. Im August 2006 vereinbarte der Ehemann der Klägerin mit der Beklagten eine Herabsetzung des für das Baudarlehen zu zahlenden Zinssatzes bis Ende des Jahres 2015 auf 2,5 % p.a. Zum Zeitpunkt des Todes des Ehemanns der Klägerin valutierte das Darlehen der Beklagten noch mit 239.000 EUR.

Rz. 4

Nach dem Tod ihres Ehemanns schlugen die Klägerin und die gemeinschaftlichen Kinder die Erbschaft aus, weshalb ein Nachlasspfleger bestellt wurde, der infolge Überschuldung des Nachlasses Insolvenzantrag stellte. Mit Schreiben vom 19.3.2013 kündigte die Beklagte das Darlehen und forderte die Klägerin zur Zahlung von 248.652,34 EUR auf. Zugleich kündigte sie für den Fall der Nichtzahlung die Zwangsvollstreckung an. Die Insolvenzverwalterin veräußerte das Einfamilienhaus und das Haus in L. . Dabei wurde das Einfamilienhaus zu einem Preis von 245.000 EUR verkauft, wovon die noch bestehenden Belastungen i.H.v. 110.000 EUR abgelöst wurden. Mit dem übrigen Erlös wurden teilweise Verbindlichkeiten des Ehemanns gegenüber der Sparkasse L. getilgt. Für das Mehrfamilienhaus in G. ergaben sich zunächst Verwertungsschwierigkeiten; es wurde im Juli 2013 im Einvernehmen mit der Beklagten zu einem Kaufpreis von 158.000 EUR veräußert.

Rz. 5

Mit der Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass der Beklagten gegen sie weder aus dem Darlehensvertrag vom 20.12.1994/17.1.1995 noch aus dem Schuldanerkenntnis vom 15.6.1995 Ansprüche zustehen würden und dass die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde vom 15.6.1995 unzulässig sei. Sie macht u.a. geltend, dass Darlehensvertrag und Schuldanerkenntnis wegen finanzieller Überforderung sittenwidrig und nichtig seien. Hierzu trägt die am 23.3.1951 geborene Klägerin vor, im Jahr 1994 ein monatliches Nettoeinkommen von 2.430 DM erzielt und im Übrigen über kein ausreichendes Vermögen zur Abdeckung des Darlehens verfügt zu haben.

Rz. 6

Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht der Klage lediglich insoweit stattgegeben, als es die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde vom 15.6.1995 für unzulässig erklärt hat, soweit sie 231.300 EUR übersteigt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 7

Die Revision ist begründet. Sie führt, soweit das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen hat, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Rz. 8

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

Rz. 9

Die Klage sei im Wesentlichen unbegründet, weil der Beklagten gegen die Klägerin ein Anspruch auf Zahlung der noch offenen Darlehensvaluta zustehe. Die Klägerin sei zwar nicht - neben ihrem Ehemann - Mitdarlehensnehmerin, sondern lediglich Mithaftende gewesen, weil sie kein eigenes Interesse an der Kreditaufnahme gehabt habe. Auch habe die Klägerin die Mithaftung nach den Maßgaben der Rechtsprechung des BGH finanziell krass überfordert, so dass die Voraussetzungen des § 138 BGB in objektiver Hinsicht vorliegen würden; denn der Klägerin sei es mit ihrem auf das Jahr 2011 zu prognostizierenden monatlichen Nettoeinkommen von 1.602,08 EUR nicht möglich gewesen, die Zinslast für das dann mit 8 % p.a. zu verzinsende Darlehen, das in diesem Jahr planmäßig noch mit 243.505,29 EUR valutiert gewesen wäre, zu erbringen. Sie hätte auch mit ihrem Vermögen, das sich auf maximal 187.644,12 EUR belaufen habe, die jährliche Zinslast von 19.485,24 EUR nicht erbringen können.

Rz. 10

Der Beklagten sei es aber gelungen, die aus der krassen finanziellen Überforderung herrührende Vermutung, die Beklagte habe die emotionale Verbundenheit der Klägerin zu ihrem Ehemann ausgenutzt, zu widerlegen. Nach den Feststellungen des LG habe die Beklagte im Zeitpunkt der Abgabe der Mithaftungserklärung davon ausgehen dürfen, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin gegeben gewesen sei. Diese habe nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten entsprechend den Angaben ihres Ehemanns über eigene Vermögenswerte von 30.000 DM verfügt und weitere Geldanlagen von deutlich über 200.000 DM zzgl. des hälftigen Miteigentumsanteils an dem Einfamilienhaus in K. besessen. Ernstliche Zweifel daran bestünden nicht. Darüber hinaus habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, dass sie im Hinblick auf die Gesamtinvestitionssumme von 1,5 Mio. DM durch die auf dem Grundstück in G. eingetragene zweitrangige Grundschuld hinreichend gesichert sei. Aufgrund dessen würde bereits damit eine krasse finanzielle Überforderung der Klägerin ausscheiden. Zumindest habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin nur in geringem Maße in Anspruch genommen werden würde.

Rz. 11

Davon abgesehen stehe fest, dass die Beklagte nicht davon ausgegangen sei, die Klägerin unterzeichne den Darlehensvertrag aus emotionaler Verbundenheit. Vielmehr habe sie annehmen dürfen, dass die Klägerin die Auszahlung der ihrem Ehemann zugesagten Subventionen habe erreichen wollen, die im wirtschaftlichen Ergebnis auch ihr zugutegekommen wären. Die Auszahlung der Fördermittel sei nach den Förderbedingungen von ihrer Mithaftung abhängig gewesen. Schließlich habe die Beklagte die Vermutung auch deshalb widerlegt, weil die auf das Darlehen zu leistenden Zinsen bei Eingehung der Mithaftung noch nicht endgültig festgestanden hätten. Die Beklagte sei nämlich nach Maßgabe des öffentlichen Rechts verpflichtet gewesen, die Zinsen den Marktbedingungen anzupassen. Dies sei vorliegend im August 2006 auch erfolgt, indem der Zinssatz auf 2,5 % p.a. abgesenkt und damit die monatliche Zinslast auf 507,30 EUR vermindert worden sei.

Rz. 12

Die Klage sei lediglich in Bezug auf die Vollstreckungsgegenklage zu einem kleinen Teil begründet, soweit nämlich die Vollstreckung über einen Betrag von 231.300 EUR hinausgehe. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass das Darlehen nur noch mit 239.000 EUR valutiert gewesen sei und sich die Beklagte darauf einen Veräußerungserlös von 7.700 EUR anrechnen lassen müsse. Insoweit müsse sich diese an ihrem wechselnden Vorbringen in erster und zweiter Instanz festhalten lassen.

II.

Rz. 13

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

Rz. 14

1. Im Ausgangspunkt hat das Berufungsgericht allerdings zutreffend angenommen, dass die Klägerin keine echte Mitdarlehensnehmerin, sondern Mithaftende ist.

Rz. 15

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH hängt die rechtliche Qualifizierung der von dem Ehepartner oder Angehörigen des Darlehensnehmers übernommenen Verpflichtung als eigene Darlehensschuld oder als reine Mithaftung davon ab, ob der Ehepartner oder Angehörige nach dem maßgeblichen Willen der Beteiligten als gleichberechtigter Vertragspartner neben dem Darlehensnehmer einen Anspruch auf Auszahlung der Darlehensvaluta haben und im Gegenzug gleichgründig zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet sein oder aber ob er ausschließlich zu Sicherungszwecken mithaften und damit eine ihn einseitig belastende Verpflichtung übernehmen sollte. Zu den bei der Ermittlung des wirklichen Parteiwillens zu beachtenden Auslegungsgrundsätzen gehören insb. die Maßgeblichkeit des Vertragswortlauts als Ausgangspunkt jeder Auslegung und die Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragspartner (vgl. nur BGH, Urt. v. 25.1.2005 - XI ZR 325/03, WM 2005, 418, 419; v. 16.6.2009 - XI ZR 539/07, WM 2009, 1460 Rz. 14 m.w.N.).

Rz. 16

b) Der Wortlaut des vorformulierten Darlehensvertrages spricht zwar dafür, dass die Klägerin echte Mitdarlehensnehmerin ist. Die Bezeichnung als "Darlehensnehmerin" deutet für sich genommen darauf hin, dass der Darlehensvertrag mit ihr und ihrem verstorbenen Ehemann gemeinsam geschlossen wurde. Dem Wortlaut ist aber angesichts der Stärke der Verhandlungsposition der kreditgewährenden Bank und der allgemein üblichen Verwendung von Vertragsformularen grundsätzlich weniger Bedeutung beizumessen als sonst (BGH, Urt. v. 25.1.2005 - XI ZR 325/03, WM 2005, 418, 419; v. 16.6.2009 - XI ZR 539/07, WM 2009, 1460 Rz. 15 m.w.N.). Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats ist als Mitdarlehensnehmer daher ungeachtet der konkreten Vertragsbezeichnung in aller Regel nur derjenige anzusehen, der für den Darlehensgeber erkennbar ein eigenes sachliches und/oder persönliches Interesse an der Kreditaufnahme hat sowie im Wesentlichen gleichberechtigt über die Auszahlung bzw. Verwendung der Darlehensvaluta bzw. bestimmter Teile davon mitentscheiden darf (Senatsurteile, a.a.O.).

Rz. 17

Ein solches Interesse an der Kreditaufnahme hatte die Klägerin nicht. Nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsschließenden diente das Darlehen über 560.300 DM ausschließlich zur Finanzierung des Bauvorhabens auf dem im Alleineigentum des Ehemanns der Klägerin stehenden Grundstück in G. und ist ausschließlich dazu verwandt worden. Dass die Klägerin gleichwohl über die Auszahlung und Verwendung der Darlehensvaluta oder Teilen davon als im Wesentlichen gleichberechtigte Vertragspartei mitbestimmen durfte und von einem solchen Recht ganz oder teilweise Gebrauch gemacht hat, ist nicht ersichtlich. Der Verwendungszweck, d.h. die Finanzierung des Bauvorhabens des Ehemanns der Klägerin, war bereits im Darlehensvertrag festgelegt. Zwar mag die Errichtung des Mehrfamilienhauses in G. auch der Erzielung von Mieteinkünften und steuerlichen Vorteilen sowie der privaten Altersvorsorge gedient haben. Anders als die Revisionserwiderung mit ihrer Gegenrüge geltend macht, spricht dies aber nicht für eine gleichberechtigte Mitdarlehensnehmerschaft, sondern allenfalls für einen mittelbaren Vorteil der Klägerin aus der Kreditaufnahme (vgl. BGH, Urt. v. 28.5.2002 - XI ZR 205/01, WM 2002, 1649, 1650 f.; v. 16.6.2009 - XI ZR 539/07, WM 2009, 1460 Rz. 16).

Rz. 18

2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts überforderte die Mithaftungsübernahme die Klägerin von Anfang an finanziell in krasser Weise. Dies ist von der Revision als ihr günstig nicht angegriffen worden, so dass davon für das Revisionsverfahren auszugehen ist.

Rz. 19

3. Dagegen hält die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die tatsächliche Vermutung, dass die Klägerin die ruinöse Mithaftung aus emotionaler Verbundenheit mit ihrem Ehemann übernommen und die Beklagte dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat, widerlegt, den Angriffen der Revision nicht stand.

Rz. 20

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist - was das Berufungsgericht im Ausgangspunkt auch nicht verkannt hat - bei Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung des Mitverpflichteten ohne Hinzutreten weiterer Umstände im Wege einer tatsächlichen Vermutung von der Sittenwidrigkeit der Mithaftungserklärung auszugehen, wenn der Hauptschuldner dem Mithaftenden persönlich besonders nahe steht, wie dies im Verhältnis zwischen Ehegatten und damit auch hier der Fall ist. Dann kann nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass der Mithaftende die ihn vielleicht bis an das Lebensende übermäßig finanziell belastende Personalsicherheit allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner gestellt und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (vgl. nur BGH, Urt. v. 14.10.2003 - XI ZR 121/02, BGHZ 156, 302, 307; v. 25.1.2005 - XI ZR 28/04, WM 2005, 421, 422; v. 25.4.2006 - XI ZR 330/05, FamRZ 2006, 1024, 1025). Es handelt sich hierbei um eine tatsächliche Vermutung, die der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Gläubiger zu widerlegen hat (vgl. nur BGH, Urt. v. 24.11.2009 - XI ZR 332/08, WM 2010, 32 Rz. 20 m.w.N.).

Rz. 21

b) Nach diesen Maßgaben hält die angefochtene Entscheidung der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Begründung des Berufungsgerichts ist in mehrfacher Hinsicht von Rechtsfehlern beeinflusst.

Rz. 22

aa) Mit Erfolg beanstandet die Revision die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte durfte davon ausgehen, dass eine Inanspruchnahme der Klägerin im Hinblick auf die zugunsten der Beklagten auf dem Grundstück in G. lastende zweitrangige Grundschuld allenfalls zu einem solch geringen Teil erfolgen würde, dass damit deren finanzielle Leistungsfähigkeit nicht überfordert würde.

Rz. 23

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind anderweitige Sicherheitsleistungen des Kreditnehmers - vor allem dingliche Sicherheiten - im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung finanziell übermäßig belastender Bürgschaften oder Schuldbeitritte zu berücksichtigen, wenn sie das Haftungsrisiko des Betroffenen in rechtlich gesicherter Weise auf ein vertretbares Maß beschränken. Nach dem Willen verständiger Parteien darf den finanziell krass überforderten Bürgen oder Mithaftenden jedoch mit Rücksicht auf die weitere Sicherheit allenfalls eine seine finanzielle Leistungsfähigkeit nicht übersteigende und damit von § 138 Abs. 1 BGB nicht erfasste "Ausfallhaftung" treffen (vgl. nur BGH, Urt. v. 14.11.2000 - XI ZR 248/99, BGHZ 146, 37, 44; v. 16.6.2009 - XI ZR 539/07, WM 2009, 1460 Rz. 21 m.w.N.). Dazu muss gewährleistet sein, dass der Kreditgeber ihn erst nach einer ordnungsgemäßen Verwertung der anderen Sicherheit in Anspruch nimmt. Dies ist vorliegend nach den vertraglichen Regelungen nicht der Fall. Davon abgesehen wird die krasse finanzielle Überforderung der Klägerin durch die Grundschuld hier zudem deshalb nicht beseitigt, weil die Grundschuld - was das Berufungsgericht übersehen hat - nach § 10 Abs. 1 des Darlehensvertrags vom 20.12.1994/17.1.1995 nicht nur zur Sicherung des streitgegenständlichen Darlehens, sondern auch aller gegenwärtigen und künftigen Ansprüche der Beklagten gegen den Ehemann der Klägerin diente (vgl. BGH, Urt. v. 16.6.2009 - XI ZR 539/07, a.a.O., Rz. 22 m.w.N.).

Rz. 24

Diese Umstände waren der Beklagten bekannt, so dass unter diesen Gesichtspunkten - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - eine Widerlegung der tatsächlichen Vermutung nicht in Betracht kommt. Aufgrund dessen kommt es auf die Werthaltigkeit der Grundschuld nicht mehr an. Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang allerdings von der Summe der Investitionen von ca. 1,5 Mio. DM auf einen nämlichen Grundstückswert schließt, ist dies ohne konkrete Feststellungen zum Wert nicht haltbar.

Rz. 25

bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durfte die Beklagte im Hinblick auf die Vermögensverhältnisse der Klägerin auch nicht ohne Weiteres darauf vertrauen, dass diese über die in dem Schreiben ihres Ehemanns vom 30.3.1995 angegebenen Vermögenswerte verfügte. Für eine solche Annahme fehlt es - wie die Revision zu Recht rügt - an entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichts.

Rz. 26

Nach der Rechtsprechung des Senats wird die tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des Gläubigers nicht ohne Weiteres dadurch widerlegt, dass Wertangaben des Bürgen oder Mithaftenden in einer in zeitlichem Zusammenhang mit dem Abschluss des Bürgschaftsvertrags bzw. der Mithaftungserklärung erteilten Selbstauskunft seine objektiv krasse finanzielle Überforderung nicht erkennen lassen (vgl. BGH v. 1.4.2014 - XI ZR 276/13, WM 2014, 989 Rz. 21 m.w.N.). Den (subjektiven) Vorwurf der Sittenwidrigkeit räumen sie nur aus, wenn sie einer sorgfältigen Überprüfung des Gläubigers standhalten (Senatsbeschluss, a.a.O.). Für Angaben durch einen Dritten gilt dies erst recht.

Rz. 27

Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Beklagte die Angaben des Ehemanns der Klägerin der gebotenen sorgfältigen Überprüfung unterzogen hat. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Ehemann der Klägerin in der Selbstauskunft vom 21.10.1993 die Guthaben der Klägerin bei Kreditinstituten und Bausparkassen nur mit insgesamt 30.000 DM beziffert hat, während er in dem Schreiben vom 30.3.1995 für die Klägerin und sich noch "weitere Geldanlagen, wie z.B. Wertpapiere ca. 38 TDM, Bausparguthaben 13 TDM, Wertpapieranteile 20 TDM, Rückkaufwerte aus Lebensversicherungen 153 TDM und einige Kleinsparverträge" aufgeführt hat.

Rz. 28

cc) Soweit das Berufungsgericht die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung für die Übernahme der Mithaftung aufgrund einer emotionalen Verbundenheit der Klägerin mit ihrem Ehemann und für das Ausnutzen dieser Lage durch die Beklagte ferner darauf gestützt hat, dass die Klägerin aus der Sicht der Beklagten den Darlehensvertrag nicht aus emotionaler Verbundenheit, sondern zwecks Auszahlung der Subvention an ihren Ehemann unterzeichnet habe, trägt dies - wie die Revision zu Recht rügt - die angefochtene Entscheidung ebenfalls nicht.

Rz. 29

Nach der Rechtsprechung des Senats kann zwar ein auf einen freien Willensentschluss hindeutendes und ein Handeln allein aus emotionaler Verbundenheit widerlegendes Eigeninteresse des finanziell krass überforderten Ehepartners an der Darlehensgewährung grundsätzlich zu bejahen sein, wenn er zusammen mit dem Ehepartner ein gemeinsames Interesse an der Kreditgewährung hat oder ihm aus der Verwendung der Darlehensvaluta unmittelbare und ins Gewicht fallende geldwerte Vorteile erwachsen (BGH, Urt. v. 14.11.2000 - XI ZR 248/99, BGHZ 146, 37, 45; BGH, Urt. v. 27.5.2003 - IX ZR 283/99, WM 2003, 1563, 1565). In einem solchen Fall ist dann auch die tatsächliche Vermutung widerlegt (vgl. BGH, Urt. v. 27.5.2003 - IX ZR 283/99, a.a.O.).

Rz. 30

Ein solcher unmittelbarer Vorteil, wie insb. das Miteigentum an dem finanzierten Objekt, liegt hier aber bei der Klägerin nicht vor. Nur mittelbare Vorteile, wie etwa eine Verbesserung des Lebensstandards oder der Wohnverhältnisse oder die Aussicht auf eine spätere Mitarbeit im Betrieb, ändern an der Sittenwidrigkeit nichts (vgl. BGH, Urt. v. 28.5.2002 - XI ZR 205/01, WM 2002, 1649,1650 f.). Ihnen kommt daher auch für die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung keine Bedeutung zu.

Rz. 31

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gilt nichts anderes, wenn für den Ehepartner mit der Darlehensgewährung die Erzielung eines verlorenen Zuschusses verbunden ist und das Darlehen in den ersten 15 Jahren zinsfrei ist. Denn auch dabei handelt es sich im Verhältnis zur Klägerin allenfalls um mittelbare geldwerte Vorteile (vgl. BGH, Urt. v. 25.1.2005 - XI ZR 28/04, WM 2005, 421, 423 [staatlich gefördertes Existenzgründungsdarlehen]). Ansonsten würde dem mithaftenden Ehepartner nur wegen der Gewährung von Eigenkapitalhilfen die Mitverantwortung für das Scheitern der Investitionspläne des anderen aufgebürdet, damit der eheliche Frieden gefährdet und der betroffene Partner allein damit einem erheblichen psychologischen Druck ausgesetzt. Dies spricht indes gerade gegen die Berücksichtigung eines verlorenen Zuschusses oder einer Zinsvergünstigung im Rahmen der Widerlegung der tatsächlichen Vermutung. Es versteht sich von selbst, dass staatliche Fördermaßnahmen nicht davon abhängig gemacht werden dürfen, ob ein Dritter finanzielle Verpflichtungen übernimmt, die er nicht erfüllen kann, die ihn andererseits aber für den Rest seines Lebens auf den pfändungsfreien Betrag seiner Einkünfte beschränken, falls er nicht die Voraussetzungen für etwaige künftige gesetzliche Entschuldungsmodelle erfüllt (vgl. BGH, Urt. v. 11.3.1997 - XI ZR 50/96, BGHZ 135, 66, 71).

Rz. 32

dd) Schließlich rügt die Revision zu Recht, dass es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts für die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung ohne Belang ist, dass die auf das Darlehen zu leistenden Zinsen bei Eingehung der Mithaftung noch nicht endgültig festgestanden haben. Dies gestaltet zwar zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses (vgl. BGH, Urt. v. 14.11.2000 - XI ZR 248/99, BGHZ 146, 37, 42 f.; v. 11.2.2003 - XI ZR 214/01, BKR 2003, 288, 289) die Prognose schwieriger, ob die Klägerin im Zeitpunkt des Zinsbeginns die Zinslast aus ihrem Einkommen aufbringen konnte, enthebt das Berufungsgericht aber nicht von entsprechenden Feststellungen, ob die Beklagte eine solche - belastbare - Prognose angestellt hat, die im Ergebnis dazu geführt hat, dass aus Sicht der Beklagten eine krasse finanzielle Überforderung der Klägerin zu verneinen gewesen wäre. Daran fehlt es hier.

Rz. 33

In diesem Zusammenhang rügt die Revision auch mit Erfolg, dass das Berufungsgericht bei der Berechnung der jährlichen Zinsbelastung der Klägerin die nach § 3 Abs. 3 des Darlehensvertrags vom 20.12.1994/17.1.1995 anfallenden jährlichen Verwaltungskosten übersehen und bei den Einkommensverhältnissen der Klägerin deren Eintritt in das (Vor-)Ruhestandsalter nicht berücksichtigt hat.

Rz. 34

4. Ohne Erfolg bleibt die Revision dagegen, soweit sie sich gegen die Auffassung des Berufungsgerichts wendet, das von der Beklagten vorformulierte abstrakte Schuldversprechen der Klägerin halte einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB stand.

Rz. 35

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats stellt die Übernahme der persönlichen Haftung ein abstraktes Schuldversprechen gem. § 780 BGB dar. Auch wenn es vorformuliert in eine Grundschuldbestellungsurkunde aufgenommen ist, hält ein solches Schuldversprechen der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB stand, sofern es - wie hier in der Zweckerklärung festgelegt - nicht der Sicherung fremder, sondern eigener Verbindlichkeiten des Schuldners dienen soll (vgl. BGH, Urt. v. 5.3.1991 - XI ZR 75/90, BGHZ 114, 9, 13; v. 10.12.1991 - XI ZR 48/91, WM 1992, 132). Dagegen bringt die Revision nichts Erhebliches vor.

III.

Rz. 36

Das angefochtene Urteil ist daher im erkannten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache insoweit nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird dabei Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren Einwänden der Parteien - insb. zum Vorliegen der krassen finanziellen Überforderung der Klägerin und der insoweit von der Revisionserwiderung im Schriftsatz vom 10.5.2016 erhobenen Gegenrüge - zu befassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 10147590

DB 2017, 63

FamRZ 2017, 362

NJW-RR 2017, 241

EWiR 2017, 193

JurBüro 2017, 275

WM 2017, 93

WuB 2017, 256

ZIP 2017, 167

JZ 2017, 182

MDR 2017, 287

VersR 2017, 892

FF 2017, 174

FamRB 2017, 146

RÜ 2017, 284

ZBB 2017, 54

ZNotP 2017, 16

GreifRecht 2017, 4

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