Leitsatz (amtlich)

Der Kapitalwert einer Rente, deren Laufzeit auf die Lebenszeit des Berechtigten beschränkt ist, muß auch dann nach § 16 Abs. 2 BewG ermittelt werden, wenn im Zeitpunkt der Durchführung der Vermögensteuerveranlagung infolge des Todes des Berechtigten bereits feststeht, daß die Laufzeit kürzer war, als sie der Lebenserwartung des Berechtigten entsprochen hätte. Der Nachweis eines vom Kapitalwert abweichenden gemeinen Werts kann nur mit Verhältnissen begründet werden, die im Veranlagungszeitpunkt schon bestanden haben.

 

Normenkette

BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 16; VStG § 12 Abs. 2, § 13 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Vater der Revisionskläger ist im Jahre 1902 geboren und im Juni 1962 verstorben. Er besaß am 1. Januar 1962 Barvermögen und bezog eine lebenslängliche Leibrente. Das FA berücksichtigte bei der Vermögensteuerveranlagung zum 1. Januar 1962 den Wert der Leibrente gemäß § 16 Abs. 2 BewG unter Anwendung des Vervielfachers 11. Das Barvermögen blieb aufgrund der Freibeträge des § 67 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BewG außer Ansatz.

Der Einspruch gegen diese Veranlagung hatte keinen Erfolg, ebenso die gegen die Einspruchsentscheidung gerichtete Berufung.

Das FG stützte seine Entscheidung auf § 16 Abs. 2 BewG. Es führte aus, daß gegenüber dem Stichtagsprinzip des Bewertungsrechts der erst nach dem Stichtag eingetretene Todesfall und die sich dadurch ergebende kürzere Bezugsdauer der Leibrente zum 1. Januar 1962 noch nicht berücksichtigt werden könnten.

Mit der Revision beantragen die Revisionskläger, die Einspruchsentscheidung sowie das Urteil des FG aufzuheben und die Freistellung von der Vermögensteuer auszusprechen, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Die Revisionskläger sind der Auffassung, der gemeine Wert des Rentenrechts sei geringer als der Kapitalwert. Im Zeitpunkt der Veranlagung habe bereits festgestanden, daß die tatsächliche Bezugsdauer der Rente wesentlich kürzer gewesen sei als die bei der Bildung der Vervielfacher des § 16 Abs. 2 BewG unterstellte. Wenn zwischen dem Bewertungsstichtag und dem Zeitpunkt der Veranlagung Veränderungen einträten, die erkennen ließen, daß der gemeine Wert eines Rechts auf wiederkehrende Leistungen geringer sei als der Kapitalwert, so müsse das bei der Veranlagung berücksichtigt werden. Die Beurteilung des FG schließe eine nachträgliche Korrektur des Rentenwerts gemäß § 16 Abs. 5 BewG überhaupt aus. Dies könne aber nicht der Sinn dieser Vorschrift sein. Auch habe das FG nicht berücksichtigt, daß der Rentenberechtigte für 1962 tatsächlich einen geringeren Betrag als den vorgesehenen Jahresbetrag bezogen habe. Dies hätte zumindest bei der Kapitalisierung beachtet werden müssen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet.

Das FA hat für den Vater der Revisionskläger zum 1. Januar 1962 eine Neuveranlagung der Vermögensteuer durchgeführt. Der Neuveranlagung ist das Vermögen zugrunde zu legen, das sich für den Neuveranlagungszeitpunkt ergibt (§§ 12 Abs. 2 und 13 Abs. 2 VStG). Demgemäß war für die Veranlagung der Vermögensteuerjahresschuld 1962 das Vermögen vom Beginn des Kalenderjahres 1962 maßgebend.

Nach § 16 Abs. 1 und 2 BewG wird der Kapitalwert von Leibrenten nach dem Lebensalter desjenigen bestimmt, von dessen Lebenserwartung die Laufzeit der Rente abhängt. Die Leibrente des Vaters der Revisionskläger war auf seine Lebenszeit vereinbart. Das FA hat deshalb den Kapitalwert der Rente unter Berücksichtigung des Lebensalters des Rentenberechtigten zu Beginn des Kalenderjahres 1962 zutreffend durch Anwendung des Vervielfachers 11 auf den Jahresbetrag der Rente ermittelt (§ 16 Abs. 2 BewG). Die Vervielfacher des § 16 Abs. 2 BewG sind auf der Grundlage der durchschnittlichen Lebenserwartung der einzelnen Altersgruppe unter Berücksichtigung der Abzinsung ermittelt (vgl. Urteil des BFH III 108/56 S vom 8. Juni 1956, BFH 63, 33, BStBl III 1956, 208).

Den Revisionsklägern ist darin zuzustimmen, daß eine Rente für die Vermögensbesteuerung mit dem gemeinen Wert anzusetzen ist, wenn dieser nachweislich geringer oder höher als der Kapitalwert ist (§ 16 Abs. 5 BewG). Die Tatsachen, die einen vom Kapitalwert abweichenden gemeinen Wert begründen, müssen jedoch im Veranlagungszeitpunkt, d. h. in dem Zeitpunkt, der für die Veranlagung der Vermögensteuer und damit für die Wertermittlung des Vermögens maßgebend ist, schon gegeben sein. Der Nachweis eines vom Kapitalwert abweichenden gemeinen Werts mit der Begründung, es sei mit einer kürzeren oder längeren Lebensdauer zu rechnen, als sie den Vervielfachern des § 16 Abs. 2 BewG entspricht, ist jedoch nach § 16 Abs. 5 Satz 2 BewG ausgeschlossen. Auch wenn die gesundheitliche Verfassung der Person, nach deren Lebensdauer die Laufzeit des Rechts bemessen ist, im Veranlagungszeitpunkt eindeutig zu der Annahme berechtigt, daß die Laufzeit kürzer sein wird als sie der allgemeinen Lebenserwartung entspricht, müssen für die Wertermittlung des Rentenrechts die Vervielfacher des § 16 Abs. 2 BewG angewendet werden. Das BewG wollte mit dieser starren Regelung eine Diskussion über die voraussichtliche Lebensdauer der maßgebenden Person ausschließen (vgl. Begründung zum Reichsbewertungsgesetz, RStBl 1935, 161 [163]). Der Umstand, daß die tatsächliche Lebensdauer von der bei der Bildung der Vervielfacher des § 16 Abs. 2 BewG unterstellten durchschnittlichen Lebensdauer, wie der vorliegende Fall zeigt, sogar erheblich abweicht, kann also nicht zum Ansatz eines niedrigeren gemeinen Werts gemäß § 16 Abs. 5 BewG führen.

Die Revisionskläger berufen sich für ihre Auffassung zu Unrecht auf das Urteil des RFH I e A 241/31 vom 16. Juni 1931 (Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Bd. 29 S. 43). In diesem Urteil hat der RFH die oben dargestellte Rechtslage wiedergegeben. Er ließ es dahingestellt, ob eine Ausnahme zugestanden werden könnte, wenn am maßgebenden Stichtag mit dem alsbaldigen sicheren Ableben des Berechtigten oder Verpflichteten gerechnet werden könne. Hierzu führt das Urteil wörtlich aus (S. 47): "Solche Fälle werden praktisch deshalb kaum von Bedeutung sein können, weil dann regelmäßig das Ableben bei der Veranlagung schon erfolgt und somit aufgrund der Bestimmung des § 145 Abs. 3 AO a. F. die Veranlagung nach der wirklichen Dauer der Nutzung oder Leistung vorzunehmen sein wird." Hieraus ergibt sich eindeutig, daß diese Überlegung des RFH an die Vorschrift des § 145 Abs. 3 AO 1919 geknüpft ist. Eine sachlich entsprechende Regelung enthält das im Veranlagungszeitpunkt 1962 geltende Recht in § 16 Abs. 3 BewG. Letztere Vorschrift unterscheidet sich aber von § 145 Abs. 3 AO 1919 dadurch, daß sie nur auf nicht laufend veranlagte Steuern anwendbar ist, also nicht auf die laufend veranlagte Vermögensteuer. Der Hinweis auf die Kommentierung von Steinhardt (Bewertungsgesetz, 2. Aufl., § 16 Abs. 5 Anm. 2) geht insofern fehl, als Steinhardt in der 3. Aufl. seine Auffassung nach nochmaliger Überprüfung nicht aufrechterhalten hat (vgl. 3. Aufl. 1957, § 16 Abs. 5 Anm. 2).

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß eine nachträgliche Korrektur des Kapitalwerts aufgrund von Ereignissen, die nach dem Stichtag eintreten, für laufend veranlagte Steuern nicht möglich ist. Dies entspricht dem Stichtagsprinzip bei der Vermögensteuerveranlagung. Änderungen der Verhältnisse, die nach dem maßgebenden Stichtag eintreten, können nicht durch eine Korrektur der vorausgehenden Veranlagung, sondern nur auf dem Wege der Neuveranlagung berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Neuveranlagung gegeben sind (vgl. § 13 VStG), andernfalls durch eine künftige Hauptveranlagung (§ 12 VStG).

Der Revision kann nicht darin gefolgt werden, daß das FG für die Kapitalisierung des Rentenrechts den Jahreswert unrichtig angesetzt habe. Es ist zwar richtig, daß der Vater der Revisionskläger für das Jahr 1962 infolge seines vorzeitigen Todes nicht den vollen Jahresbetrag der Rente bezogen hat. Indessen ist auch der Jahresbetrag einer Rente nach den Verhältnissen des Veranlagungszeitpunkts zu bemessen und nicht nach den Verhältnissen des Zeitpunkts, in dem die Veranlagung tatsächlich durchgeführt wird. Damit greifen die Einwendungen gegen den angesetzten Jahresbetrag nicht durch.

 

Fundstellen

BStBl II 1970, 196

BFHE 1970, 558

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