Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer nur bei rechtlicher Vereinigung aller Anteile

 

Leitsatz (NV)

1. Eine die Grunderwerbsteuer auslösende Anteilsvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG 1983 setzt eine Vereinigung aller Anteile voraus. Die Vereinigung nahezu aller Anteile führt nicht zur Steuerpflicht.

2. Die Steuertatbestände der § 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG 1983 sind auf die Form der rechtlichen Anteilsvereinigung beschränkt. Sie setzen grundsätzlich einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch auf Übertragung der Geschäftsanteile oder den bürgerlich-rechtlichen Erwerb der Anteile voraus. Eine Vereinigung aller Anteile unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten scheidet danach aus. Die Anteilsvereinigung mittels eines Treuhänders ist eine rechtliche Anteilsvereinigung.

3. Wird ein sogenannter Zwerganteil nicht mitübertragen, so liegt hierin kein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts. Eine Besteuerung entsprechend der den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung (§ 42 Satz 2 AO 1977) kommt nicht in Betracht, wenn erst die Verwirklichung einer bestimmten zivilrechtlichen Gestaltung die Steuer auslöst.

 

Normenkette

GrEStG 1983 § 1 Abs. 3 Nrn. 1-2; AO 1977 §§ 38, 42

 

Tatbestand

Streitig ist die Anwendung des § 1 Abs. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) Niedersachsens (= § 1 Abs. 3 GrEStG 1983).

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, deren Gesellschafter die A-GmbH mit 74 v. H. und X mit 26 v. H. der Geschäftsanteile waren, übernahm durch Vertrag vom Dezember 1980 mit Wirkung vom 1. Januar 1981 Geschäftsanteile der B-GmbH in einem Umfang von 98,98 v. H.; zum Vermögen der B-GmbH gehörte Grundbesitz.

Gesellschafter der B-GmbH waren gewesen:

Die A-GmbH (die zugleich Gesellschafterin der Klägerin war) mit einem Geschäftsanteil von 89,45 v. H.; die C-GmbH mit einem Geschäftsanteil von 8,256 v. H.; die D-GmbH mit einem Geschäftsanteil von 2,274 v. H.; außerdem hielt X (der andere Gesellschafter der Klägerin) einen Geschäftsanteil von 0,02 v. H. treuhänderisch für die D-GmbH.

Aufgrund der Anteilsübertragungen waren an der B-GmbH beteiligt außer der Klägerin mit 98,98 v. H., die A-GmbH mit 1 v. H. und X mit 0,02 v. H.; X hielt seinen Anteil nunmehr treuhänderisch für die Klägerin.

Der Anteil der A-GmbH in Höhe von 1 v. H. wurde durch Beschluß der Gesellschafterversammlung vom Dezember 1982 eingezogen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beurteilte den Vorgang als Anteilsvereinigung i. S. v. § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG und setzte Grunderwerbsteuer (einschließlich Zuschlag) in Höhe von . . . DM gegen die Klägerin fest.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bestätigte die Auffassung des FA, daß der von X treuhänderisch für die Klägerin gehaltene Anteil von 0,02 v. H. der Klägerin zuzurechnen sei; die Zurückbehaltung des Anteils von 1 v. H. durch die A-GmbH sah das FG in Anbetracht der mit der gesamten Maßnahme verfolgten umfassenden Neuordnung der Gesellschaftsverhältnisse als wirtschaftlich nicht verständlich an; sie habe nur den Sinn gehabt, das Entstehen der Grunderwerbsteuer aus § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG zu vermeiden. Dies zeige sich daran, daß der Anteil zwei Jahre später dann eingezogen worden sei. Die Zurückbehaltung des Anteils von 1 v. H. stelle demnach eine Steuerumgehung i. S. v. § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) dar, so daß der Vorgang so zu behandeln sei, als habe die Klägerin bereits durch den Vertrag vom Dezember 1980 alle Anteile an der B-GmbH auf sich vereinigt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet; die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung sowie der Grunderwerbsteuerbescheid des FA werden aufgehoben (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Weder ist durch den Vertrag vom Dezember 1980 ein Anspruch der Kläger i. S. v. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG begründet worden, der die Vereinigung aller Geschäftsanteile der B-GmbH in der Hand der Klägerin zur Folge gehabt hätte (so aber die Auffassung des FG), noch ist (wie das FA angenommen hat) durch die Übertragung der Anteile mit Wirkung vom 1. Januar 1981 eine Anteilsvereinigung i. S. des § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG eingetreten.

Tatbestandsvoraussetzung beider Vorschriften (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG) ist die Vereinigung aller Anteile.

Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt, weil jedenfalls ein Anteil von 1 v. H. bei der A-GmbH verblieben und nicht auf die Klägerin übergegangen ist. Die Vereinigung nahezu aller Anteile führt nicht zur Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 GrEStG (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. März 1966 II 26/63, BFHE 85, 117, BStBl III 1966, 254).

Eine Vereinigung aller Anteile läßt sich auch nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten annehmen, denn beide Steuertatbestände sind auf die Form der rechtlichen Anteilsvereinbarung beschränkt, setzen also grundsätzlich einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch auf Übertragung der Geschäftsanteile oder den bürgerlich-rechtlichen Erwerb der Anteile voraus (BFH-Urteile vom 26. Februar 1975 II R 130/67, BFHE 115, 284, BStBl II 1975, 456; vom 11. Juni 1975 II R 38/69, BFHE 116, 406, BStBl II 1975, 834, und vom 10. August 1988 II R 193/85, BFHE 153, 573, BStBl II 1988, 959); auch die von der Rechtsprechung anerkannte Anteilsvereinigung mittels eines Treuhänders ist eine rechtliche Anteilsvereinigung (BFH-Urteile in BFHE 115, 284, BStBl II 1975, 456, und vom 18. Mai 1977 II R 191/72, BFHE 122, 360, BStBl II 1977, 678).

Diese Ausgestaltung des Steuertatbestandes steht auch der Erwägung des FG entgegen, daß angesichts der Stellung der A-GmbH als Mehrheitsgesellschafterin sowohl der B-GmbH als auch der Klägerin einer Übertragung sämtlicher der A-GmbH gehörenden Anteile an der B-GmbH auf die Klägerin nicht im Wege gestanden hätte. Ein (rechtlicher) Anspruch der Klägerin auf die Übertragung des Restanteils bestand nach den Feststellungen des FG nicht; durch eine mögliche, aber nicht durchgeführte Gestaltung wird der die Steuer auslösende Tatbestand jedoch nicht verwirklicht (§ 38 AO 1977). Die spätere Einziehung des Anteils wirkt nicht auf den Zeitpunkt der vorhergegangenen Übertragung der übrigen Anteile zurück (vgl. BFH-Urteil in BFHE 153, 573, BStBl II 1988, 959). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und des FA kann § 42 AO 1977 zu keinem anderen Ergebnis führen. Im Urteil in BFHE 85, 117, BStBl III 1966, 254 hat der BFH, ohne allerdings näher darauf einzugehen, zwar die Möglichkeit erwähnt, es könne - falls ein sog. Zwerganteil nicht mitübertragen werde - ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts mit der Folge in Betracht kommen, daß die Steuer nach § 1 Abs. 3 GrEStG entstehe; dem folgt der erkennende Senat jedoch nicht. § 42 AO 1977 versagt die Berufung auf die gewählte zivilrechtliche Gestaltung dann, wenn die Prüfung dieser Gestaltung, die formal nicht der im Steuergesetz bezeichneten typischen zivilrechtlichen Gestaltung entspricht, ergibt, daß der zum Ausdruck kommende rechtsgeschäftliche Wille der im Steuergesetz umschriebenen typischen zivilrechtlichen Gestaltung entspricht. Die Vorschrift bewirkt so die Besteuerung entsprechend dem Zweck des Steuergesetzes, wenn dessen tatbestandsmäßig mit einem anderen Rechtstyp beschriebener wirtschaftlicher Zweck erreicht wird (BFH-Urteile vom 6. März 1990 II R 88/87, BFHE 160, 57, BStBl II 1990, 446, und vom 13. Februar 1980 II R 18/75, BFHE 130, 188, BStBl II 1980, 364). Eine Besteuerung entsprechend der den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung (§ 42 Satz 2 AO 1977) kommt jedoch nicht in Betracht, wenn erst die Verwirklichung einer bestimmten zivilrechtlichen Gestaltung, nämlich die Vereinigung aller Anteile an einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft bzw. ein darauf abzielendes Rechtsgeschäft die Steuer auslöst. Entgegen den Auffassungen des FA und des FG kann auch in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt werden, daß der A-GmbH infolge ihrer beherrschenden Gesellschafterstellung eine Einflußnahme auf die Gestaltung der Anteilsübertragung möglich war und sie mit der Zurückbehaltung des Anteils von 1 v. H. nur die Möglichkeit schaffen wollte, diesen Anteil später einzuziehen. Denn in Anbetracht der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes sind die hinter der im Streitfall vorgenommenen Gestaltung liegenden Erwägungen ohne Belang. Im übrigen ist niemand gezwungen, einen Steuertatbestand auszulösen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 57

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge