Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Aufklärungspflicht des FG bei unterschiedlichen Aussagen des Klägers und des Beigeladenen

 

Leitsatz (NV)

Sprechen die Bilanzen und die Buchführungsunterlagen einer KG gegen die Annahme, daß ein Gesellschafter seinen Kapitalanteil sogleich nach der Einzahlung wieder abgezogen hat, so liegt ein Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht vor, wenn das FG allein auf Grund der Aussage eines Mitgesellschafters diesen Hergang als gegeben ansieht.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und der Beigeladene gründeten Ende 1977 die X-KG (KG). Der Beigeladene wurde Komplementär, die Klägerin Kommanditistin. Auf beide entfiel ein Kapitalanteil von je 130 000 DM. Beide waren am Gewinn und Verlust zur Hälfte beteiligt. Der Beigeladene sollte für seine Geschäftsführertätigkeit eine Vorabvergütung von monatlich 3 200 DM erhalten.

Die KG, die ihre Tätigkeit Anfang 1982 einstellte, reichte für die Streitjahre (1980 bis 1982) keine Feststellungserklärungen ein. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schätzte daraufhin die Betriebsergebnisse der KG für 1980 mit 38 488 DM, für 1981 mit ./. 31 733 DM und für 1982 mit 2 440 DM. Er rechnete diese Betriebsergebnisse je zur Hälfte der Klägerin und dem Beigeladenen zu. Bei der Schätzung ging das FA von den Buchführungsunterlagen aus, die der Beigeladene zur Verfügung gestellt hatte. Verbleibende Unklarheiten wurden im Einvernehmen mit dem Beigeladenen dadurch ausgeglichen, daß keine Absetzungen für Abnutzungen (AfA) berücksichtigt wurden.

Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage teilweise statt. Die Klägerin hatte mit der Klage beantragt, ihren Verlustanteil für die Veranlagungszeiträume 1980 bis 1982 insgesamt auf 93 830,98 DM festzusetzen und diesen Verlustanteil auf diese Veranlagungszeiträume im arithmetischen Mittel aufzuteilen. Diesem Antrag hat das FG insoweit entsprochen, als es bei der Verteilung der festgestellten Betriebsergebnisse (1980 38 488 DM, 1981 ./. 31 733 DM und 1982 2 440 DM) Vorabvergütungen für den Beigeladenen in Höhe von je 38 400 DM für die Jahre 1980 und 1981 und in Höhe von 3 200 DM für das Jahr 1982 berücksichtigte. Dadurch ergaben sich für die Klägerin für 1980 ein Gewinnanteil von 44 DM, für 1981 ein Verlustanteil von 35 067 DM und für 1982 ein Verlustanteil von 380 DM. Zur Höhe der festgestellten Betriebsergebnisse der KG, die das FG nicht veränderte, ist in dem angefochtenen Urteil ausgeführt: Es bestünden keine Bedenken gegen die Schätzung des FA, weil sich dieses eng an die vorgelegten Unterlagen gehalten habe. Wegen der Mängel der Buchführung sei das FA berechtigt gewesen, Sicherheitszuschläge zu machen. Es sei nicht zu beanstanden, daß dies in der Form der Nichtberücksichtigung von AfA geschehen sei. Entgegen der Auffassung der Klägerin könne das Betriebsergebnis beim Betriebsvermögensvergleich nur durch entsprechende Jahresabschlüsse und nicht durch Zeugenaussagen nachgewiesen werden. Eine Minderung des Kapitalkontos könne nicht nur durch Verluste, sondern auch durch Entnahmen und Kapitalrückzahlungen eintreten. Der Beigeladene habe nicht unerhebliche Entnahmen getätigt. Die Klägerin habe ihre Kapitaleinzahlung wieder abgezogen.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Im einzelnen macht sie geltend:

Das FG habe seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es die Aussage des Beigeladenen, die Klägerin habe ihre Kapitaleinlage wieder abgezogen, als richtig unterstellt habe. Aus den Jahresabschlüssen 1977 und 1978 der KG ergäbe sich, daß die Kommanditeinlage Ende 1978 eingezahlt gewesen sei. Auch in den Folgejahren sei keine Kapitalrückzahlung erfolgt, wie sich aus den vom Beigeladenen vorgelegten Unterlagen ergäbe. Die Klägerin habe ihre eingezahlte Kommanditeinlage von 130 000 DM verloren, weil sie während des Bestehens der KG nichts entnommen habe und die KG über kein Betriebsvermögen verfügt habe, als sie Anfang 1982 ihren Betrieb aufgab. Die negativen Verrechnungskonten des Beigeladenen seien wertlos. Die Buchführungsmängel und die daraus resultierenden steuerrechtlichen Nachteile seien ausschließlich dem Beigeladenen und nicht der Klägerin anzulasten; denn die Geschäftsführung und damit die Pflicht zur Buchführung habe dem Beigeladenen oblegen, buchhalterisch errechne sich auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe ein Kapitalanteil der Klägerin an der KG von 58 427,28 DM. Wegen des Verlustes der Kommanditeinlage der Klägerin sei in Höhe dieses restlichen Kapitalanteils ein Aufgabeverlust neben dem laufenden Verlust von 380 DM festzustellen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

1. Das FG hat seine Aufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO -) verletzt. Es ist allein aufgrund der Aussage des Beigeladenen zu der tatsächlichen Feststellung gekommen, daß die Klägerin ihre Kapitaleinzahlung wieder abgezogen habe. Dem FG hätten sich jedoch aus folgenden Gründen weitere Ermittlungen in diesem Punkt aufdrängen müssen:

a) Nach dem angefochtenen Urteil hat der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung erklärt, die Klägerin habe ihren Kapitalanteil sogleich nach Einzahlung wieder abgezogen. Aus den in den Steuerakten der KG enthaltenen Bilanzen dieser Gesellschaft per 31. Dezember 1977 und per 31. Dezember 1978 (in dem angefochtenen Urteil sind diese Steuerakten in Bezug genommen worden) ergibt sich jedoch, daß die Klägerin ihr Kommanditkapital von 130 000 DM in Höhe von 80 000 DM bis zum 31. Dezember 1977 und in Höhe von weiteren 49 900 DM bis zum 31. Dezember 1978 eingezahlt hatte und daß bis zum 31. Dezember 1978 keine Kapitalrückzahlungen an die Klägerin erfolgt sind.

b) Auch aus den von der KG für die Jahre 1979, 1980, 1981 und 1982 vorgelegten Buchführungsunterlagen, die dem Betriebsergebnis für 1979 und den geschätzten Betriebsergebnissen für 1980, 1981 und 1982 zugrunde gelegt worden sind, ergibt sich nichts über Entnahmen der Klägerin.

c) Es ist unwahrscheinlich, daß die von der Geschäftsführung der KG ausgeschlossene Klägerin die tatsächliche Möglichkeit hatte, ihr eingezahltes Kapital gegen den Willen des die Geschäfte führenden Beigeladenen abzuziehen. Gegen eine Kapitalrückzahlung mit Willen des Beigeladenen aber spricht, daß Kapitalrückzahlungen an die Klägerin nicht in den Unterlagen der KG aufgezeichnet worden sind.

d) Es ist unwahrscheinlich, daß die KG noch bis zur Betriebseinstellung rein formell fortbestanden hat, wenn die Klägerin ihre Kommanditeinlage schon alsbald nach Einzahlung wieder zurückgezogen hätte.

e) Eine weitere Aufklärung hätte sich dem FG auch deshalb aufdrängen müssen, weil das FA im Klageverfahren vorgetragen hatte, es sei wahrscheinlich, daß die Vermögenslosigkeit der KG im Zeitpunkt der Betriebseinstellung am 31. Januar 1982 durch hohe Entnahmen des Beigeladenen entstanden sei. Die Klägerin hatte daraufhin beantragt, den Beigeladenen hinsichtlich seiner Entnahmen als Zeugen zu vernehmen. Weder aus der Sitzungsniederschrift noch aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, daß der Beigeladene zu diesem Punkt vernommen worden ist.

2. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das FG bei Nichtverletzung seiner Aufklärungspflicht zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.

Sollte das FG aufgrund der erneuten Verhandlung zu dem Ergebnis kommen, daß an die Klägerin kein Kapital zurückgezahlt worden ist und sie auch keine Entnahmen getätigt hat (hierfür bietet sich die Vernehmung der gesetzlichen Vertreter der Klägerin an), dann ergibt sich unter Berücksichtigung der bisher festgesetzten Betriebsanteile und einer Kapitaleinzahlung von 129 900 DM (ausweislich der Bilanz per 31. Dezember 1978) für die Klägerin rein rechnerisch ein Kapitalkonto von 73 869 DM per 31. Januar 1982. Das FG wird festzustellen haben, ob die Behauptung der Klägerin zutrifft, daß am 31. Januar 1982 (Betriebseinstellung) kein aktives Betriebsvermögen der KG mehr vorhanden war. Trifft dies zu, so liegt es nahe - wie vom FA für wahrscheinlich gehalten -, daß der Beigeladene unzulässigerweise zu hohe Entnahmen getätigt hat. Dadurch wären zwar Rückzahlungsansprüche gegen den Beigeladenen in Höhe der zu hohen Entnahmen entstanden (vgl. Baumbach/Duden, Hopt, Handelsgesetzbuch, 26. Aufl., § 122 Anm. 1 F), die in der Bilanz der KG zu aktivieren gewesen wären, so daß durch die Überentnahmen allein noch kein Verlust entstehen kann. Das FG wird jedoch weiter feststellen müssen, ob die Rückforderungsansprüche - wie die Klägerin vorgetragen hat - wegen Vermögenslosigkeit des Beigeladenen wertlos waren. In diesem Fall ist spätestens im Zeitpunkt der Betriebseinstellung (31. Januar 1982) ein Verlust in Höhe des in diesem Zeitpunkt noch vorhandenen Buchkapitals der Klägerin eingetreten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414088

BFH/NV 1986, 221

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