Leitsatz (amtlich)

Es gibt keinen für alle Prüfungsentscheidungen geltenden Grundsatz, daß immer dann eine mit "ausreichend" zu bewertende Leistung vorliegt, wenn bei einer nach Fehlern beurteilten Prüfungsarbeit mehr als 50 % der Fehler vermieden werden.

 

Normenkette

DVStBerG § 19

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) nahm an der Steuerbevollmächtigtenprüfung 1976 teil.

Seine Prüfungsarbeiten wurden wie folgt bewertet:

Buchführung und Bilanzwesen 4

Einkommensteuer 6

Umsatzsteuer 5.

Mit Verfügung vom 21. April 1976 teilte die Beklagte und Revisionsbeklagte (die Oberfinanzdirektion - OFD -) dem Kläger das Ergebnis der Prüfung mit und wies darauf hin, daß er die Prüfung nicht bestanden habe, ohne daß er noch mündlich geprüft werde.

Mit seinem von der OFD als Klage behandelten und an das Finanzgericht (FG) weitergeleiteten "Widerspruch" machte der Kläger geltend, daß bei der Bewertung seiner Klausuren die Prüfungsanforderungen überspannt und allgemeine Bewertungsmaßstäbe außer acht gelassen worden seien. Zur Frage der Überspannung der Prüfungsanforderungen trug er vor, alle Klausuren hätten zumindest mit der Note 4 bewertet werden müssen, weil er mehr als die Hälfte der möglichen Fehler vermieden habe. In der Buchführungsklausur habe er von 135 möglichen Fehlern tatsächlich 50,5 Fehler gemacht, das seien 37,4 %, in der Einkommensteuerklausur von 187 möglichen Fehlern 79, das seien 42,24 %, und in der Umsatzsteuerklausur von 122 möglichen Fehlern 56, das seien 45,9 %.

Die Verletzung der Bewertungsmaßstäbe sah der Kläger darin, daß seine Einkommensteuerklausur mit ungenügend bewertet worden sei, obwohl ihm nur etwa 42 % der möglichen Fehler unterlaufen gewesen seien, während seine Umsatzsteuerklausur trotz einer Fehlerquote von 46 % der möglichen Fehler mit mangelhaft bewertet worden sei.

Der Kläger räumte in Übereinstimmung mit dem privaten Gutachten von Prof. B ein, daß die Bewertung seiner Lösungen, die Ermittlung der Fehlerpunkte und deren Addition fehlerfrei erfolgt seien, ferner, daß die Mitglieder des Prüfungsausschusses nicht von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen seien und sich nicht von sachfremden Erwägungen hätten leiten lassen.

Der Kläger beantragte, die OFD unter Aufhebung des Bescheids vom 24. April 1976 zu verpflichten, ihn zur mündlichen Steuerbevollmächtigtenprüfung zu laden, hilfsweise, die OFD zu verpflichten, eine erneute Benotung der Klausurarbeiten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts vorzunehmen.

Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Es folgte nicht der Ansicht des Klägers, daß eine Überspannung der Prüfungsanforderungen bereits dann vorliege, wenn eine Arbeit, die über die Hälfte der möglichen Fehlerpunkte vermieden habe, schlechter als ausreichend beurteilt werde.

Das FG verneinte auch das Vorliegen eines Verstoßes gegen allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe. Ein Vergleich der Fehlerprozente könne im Hinblick auf die unterschiedlichen Klausurtypen noch nichts über die Note der Arbeit aussagen. Es müsse die Kenntnis der Klausuren, die Gewichtung ihrer einzelnen Teile und die Gesamtbeurteilung der Leistung des Prüflings hinzutreten.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Auffassung des FG, daß die Prüfungsanforderungen der OFD nicht überspannt gewesen seien. Ausgehend von den vergebenen Fehlerpunkten habe er die Einkommensteuerklausur zu 57 % und die Umsatzsteuerklausur zu 54 % bewältigt und damit mehr als die Hälfte der Anforderungen erbracht. Nach dem Gutachten von Prof. B bestehe bei Steuerberaterexamina und auch in anderen Prüfungsbereichen der allgemeine Grundsatz, daß dann eine durchschnittliche Leistung vorliege, wenn mehr als 50 % der gestellten Anforderungen bewältigt worden seien. Nach dem Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 6. Februar 1975 werde die Note ausreichend vergeben, wenn die Aufgabe zu 41 bis 55 % gelöst worden sei. Ein Vergleich mit anderen Mitprüflingen sei generell unzulässig, weil die Zusammenstellung der Mitprüflinge vom Zufall abhänge und deshalb das Prüfungsergebnis durch die jeweilige Qualität der Mitbewerber verfälscht werde. Das verstoße gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG).

Die Praxis der Prüfungsausschüsse, Prüfungsarbeiten allein anhand von Fehlerpunkten zu beurteilen, sei nicht geeignet, eine realistische Bewertung herbeizuführen. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Bewertung ergäben sich auch daraus, daß die Prüfer die Bewertung nur aufgrund der vorliegenden Musterlösung durchgeführt hätten.

Es entbehre auch jeder realen Einschätzung von Bewertungsgrundlagen, wenn die mit über 57 % erbrachte Leistung in der Einkommensteuerklausur mit der Note sechs bewertet werde, während die nur mit 54 % der Anforderungen bewältigte Umsatzsteuerklausur die Note fünf erhalten habe. Dieses Ergebnis könne nur darauf beruhen, daß die Arbeiten der einzelnen Prüflinge zueinander in Vergleich gesetzt und bewertet worden seien.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Bescheids vom 21. April 1976 und des Urteils des FG vom 26. Oktober 1977 die OFD zu verpflichten,

1. ihn zur mündlichen Steuerbevollmächtigtenprüfung zu laden,

2. hilfsweise, ihn bezüglich der schriftlichen Prüfungsarbeiten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die OFD beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zutreffend entschieden, daß der Prüfungsausschuß der OFD bei seiner Prüfungsentscheidung weder die Prüfungsanforderungen überspannt noch allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe außer acht gelassen hat. Die OFD hat den Kläger aufgrund der von ihm erzielten Noten (4, 5 und 6) zu Recht dahin beschieden, daß er die Prüfung nicht bestanden habe (vgl. § 19 Abs. 3 DVStBerG).

Wie der erkennende Senat durch Urteil vom 26. September 1967 VII 89/65 (BFHE 89, 504, BStBl III 1967, 712) entschieden hat, können Prüfungsentscheidungen in Steuerberatersachen von den Gerichten auch dahin überprüft werden, ob die Prüfungsanforderungen in bezug auf Aufgabenstellung und Bewertung der Arbeiten überspannt sind. Eine Überspannung hat er z. B. dann für möglich gehalten, wenn über mehrere Jahre hinweg etwa 45 % der Erstbewerber die Prüfung nicht bestehen. Dahingehende Feststellungen hat das FG nicht getroffen. Die Rüge des Klägers geht auch weder dahin, daß die gestellten Aufgaben zu schwierig gewesen seien, noch dahin, daß die Bewertung der Aufgaben allgemein, also für alle Bewerber über mehrere Jahre hinweg, zu streng gewesen sei.

Der Auffassung des Klägers, eine Überspannung der Prüfungsanforderungen liege in der Tatsache, daß er trotz der Vermeidung von 57 % der möglichen Fehler in der Einkommensteuerklausur und von 54 % in der Umsatzsteuerklausur die Noten 6 und 5 erhalten habe, kann nicht gefolgt werden. Mit dieser Rüge wendet sich der Kläger im Ergebnis gegen die Bewertung der genannten Klausuren durch den Prüfungsausschuß. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats sind Prüfungsentscheidungen höchstpersönliche Werturteile, die, soweit es für den Streitfall von Bedeutung ist, gerichtlich nur dahin überprüft werden können, ob allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe außer acht gelassen worden sind, ob unsachgemäßen Erwägungen Raum gegeben und ob von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen worden ist (vgl. Urteil vom 30. November 1976 VII R 121/75, BFHE 120, 462, BStBl II 1977, 215). Nach den vom FG getroffenen Feststellungen, denen der Kläger zugestimmt hat, liegen die beiden letztgenannten Voraussetzungen im Streitfalle nicht vor. Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, daß der Prüfungsausschuß allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe außer acht gelassen hat. Das FG hat festgestellt, daß die Mitglieder des Prüfungsausschusses sich bei der Bewertung der Klausuren an die diesen beigegebenen Musterlösungen gehalten haben und daß sie sich diese zu eigen gemacht haben. Sie haben dementsprechend für falsche, unvollständige oder fehlende Lösungen je nach dem Gewicht des Fehlers 0,5 bis 4 Fehlerpunkte vergeben. Das Gericht hat weiter festgestellt, daß die Bewertung der vom Kläger gefundenen Lösungen, die Ermittlung der Fehlerpunkte und deren Addition fehlerfrei erfolgt sind, ferner daß der Kläger in der Einkommensteuerklausur 79 von 187 möglichen Fehlern und in der Umsatzsteuerklausur 56 von 122 möglichen Fehlern gemacht hat. Auch diesen Feststellungen hat der Kläger zugestimmt.

Es verstößt nicht gegen allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe, daß der Prüfungsausschuß auf der Grundlage der festgestellten Fehler die Einkommensteuerklausur mit der Note 6 und die Umsatzsteuerklausur mit der Note 5 bewertet hat. Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers gibt es keinen für alle Prüfungsentscheidungen geltenden Grundsatz, daß immer dann eine durchschnittliche und damit mit ausreichend zu bewertende Leistung vorliegt, wenn mehr als 50 % der gestellten Anforderungen bewältigt worden sind. Bei Prüfungsentscheidungen handelt es sich, wie bereits ausgeführt, um höchstpersönliche Werturteile. Gegenstand dieses subjektiven Werturteils ist auch die Entscheidung, ob eine Prüfungsarbeit nach festgestellten Fehlern oder aufgrund anderer Kriterien zu beurteilen ist. Läßt eine aus zahlreichen Teilaufgaben bestehende Prüfungsarbeit eine Bewertung nach der festgestellten Zahl der Fehler zu, was entgegen der Auffassung des Klägers zulässig und auf vielen Gebieten des Prüfungswesens auch üblich ist, so ist es nicht zu beanstanden, wenn sich der Prüfungsausschuß, was die Wichtigkeit der Fehler betrifft, den Klausuren beigegebene Lösungshinweise zu eigen macht und entsprechende Fehlerpunkte, im Streitfalle 0,5 bis 4, vergibt. Der den Prüfungsausschüssen bei der Bildung des Werturteils zustehende Beurteilungsspielraum schließt auch die Befugnis ein, darüber zu entscheiden, von welcher Fehlerzahl an eine Prüfungsarbeit mit der Note 4, 5 oder 6 zu bewerten ist. Das hängt von Art und Schwierigkeit der gestellten Aufgaben, ferner auch vom gestellten Prüfungsziel ab. Es liegt deshalb auf der Hand, daß die Fehlerquote bei einer aus nur wenigen aber schwierigen Teilaufgaben bestehenden Prüfungsarbeit anders gewichtet werden kann als bei einer aus sehr vielen und leichten Einzelaufgaben bestehenden Arbeit.

Der Prüfungsausschuß hat dadurch, daß er die Einkommensteuerklausur bei einer Fehlerquote von 42,24 % mit der Note 6 und die Umsatzsteuerklausur bei einer Fehlerquote von 45,9 % mit der Note 5 bewertet hat, nicht gegen allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verstoßen. Der Ausschuß kann auch insoweit im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums unter Berücksichtigung von Art und Schwierigkeit der verschiedenen Klausuren sein höchstpersönliches Werturteil darüber abgeben, von welcher Fehlerquote an Klausurarbeiten aus beiden Bereichen mit der Note 5 oder 6 beurteilt werden.

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Berichtigung

Im Urteil vom 28. Juni 1978 I R 131/76 (BStBl II 1979 S. 47) muß es auf S. 48 in der linken Spalte, letzte Zeile richtig: "Die Revision ist u n begründet" heißen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72991

BStBl II 1979, 126

BFHE 1979, 253

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