Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Bescheinigungen, die von den für das Wohnungswesen zuständigen Verwaltungsbehörden nach § 10 WoBauG erteilt werden, sind im allgemeinen für die Finanzbehörden und Finanzgerichte ausreichend und maßgebend. Die Bescheinigungen unterliegen jedoch in rechtlicher, nötigenfalls auch in tatsächlicher Hinsicht der Nachprüfung durch die Finanzbehörden und Finanzgericht. Besteht Anlaß zu der Annahme, daß die Sach- und Rechtslage von der die Bescheinigung erteilenden Behörde nicht zutreffend beurteilt wird, haben die Finanzbehörden und Finanzgerichte das Recht und die Pflicht, die endgültige Entscheidung selbst zu treffen.

Bei der Berechnung der Wohnfläche für Wohnungen, die zu gewerblichen oder beruflichen Zwecken mitbenutzt werden (ß 7 Abs. 3 WoBauG), müssen auch die ausschließlich gewerblich oder beruflich genutzten Räume in die Wohnfläche miteinbezogen werden.

über die Gewährung oder Nichtgewährung der Grundsteuervergünstigungen nach dem WoBauG ist von den Finanzämtern im Steuermeßbetragsverfahren zu entscheiden.

 

Normenkette

WoBauG §§ 7, 10; AO § 212a Abs. 3, § 73/2

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) hat in der Zeit von August 1950 bis Ende Februar 1951 auf seinem in N. gelegenen Grundstück ein Einfamilienhaus errichtet. Schon vor Baubeginn hatte er zur Erlangung eines zinslosen Baudarlehens eine vorläufige Bescheinigung des Regierungspräsidenten erwirkt, daß die zu erstellende Wohnung hinsichtlich ihrer Größe und Ausstattung den Vorschriften des § 7 c des Einkommensteuergesetzes (EStG) entspricht; die Größe der Wohnung selbst ist in dieser Bescheinigung mit 130 qm Wohnfläche angegeben.

Am 13. November 1950 hat die damals hierfür zuständige Amtsverwaltung dem Bf. auf seinen Antrag eine vorläufige Bescheinigung zwecks Erlangung der Grundsteuervergünstigung nach § 7 des Ersten Wohnungsbaugesetzes (WoBauG) erteilt. Das Finanzamt setzte jedoch nach Fertigstellung des Einfamilienhauses im Wege der Fortschreibungsveranlagung den Grundsteuermeßbetrag zum 1. Januar 1952 auf 156,80 DM (nach einem fortgeschriebenen Einheitswert von 19.600 DM) fest.

Später (am 7. Februar 1952) hat die inzwischen zuständig gewordene Kreisverwaltung dem Bf. eine endgültige Bescheinigung darüber erteilt, daß die von diesem neugeschaffene Wohnung hinsichtlich ihrer Größe und Nutzung die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 WoBauG erfülle. In dieser Bescheinigung ist - ohne daß die nicht zutreffenden Teile des hierzu verwendenden Vordrucks gestrichen sind - angegeben, daß die Wohnfläche der gesamten Wohnung einschließlich der für gewerbliche oder berufliche Zwecke genutzten Fläche 131,08 qm betrage; davon würden für Wohnzwecke (einschließlich der Räume, die gleichzeitig gewerblich oder beruflich mitbenutzt werden) 102,83 qm und für ausschließlich gewerbliche oder berufliche Zwecke (Nutzung durch den Wohnungsinhaber oder Familienangehörige) 28,25 qm verwendet werden. Außerdem wurde bestätigt, daß zum Haushalt des Bf. fünf Personen gehören. Das Finanzamt gab die ihm vorgelegte Bescheinigung an die Kreisverwaltung mit der Bitte um überprüfung zurück; hierbei machte das Finanzamt insbesondere darauf aufmerksam, daß der nach der Bauzeichnung als Wohnzimmer (Herrenzimmer) ausgewiesene Raum nicht - wie in der Bescheinigung angegeben sei - ausschließlich beruflich genutzt werde. Auf diesen Vorhalt hin zog die Kreisverwaltung die erteilte Bescheinigung zunächst ganz zurück. Der Bf. seinerseits erhob jedoch gegen die Zurücknahme der Bescheinigung Beschwerde zur Kreisverwaltung und gegen deren ablehnenden Bescheid Klage zum Verwaltungsgericht. Zu einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts kam es jedoch nicht, weil die Kreisverwaltung nunmehr die Zurücknahme der Bescheinigung wieder aufhob und der Bf. daraufhin seine Klage zum Verwaltungsgericht zurückzog. Anschließend erteilte das Finanzamt dem Bf. eine förmlichen Bescheid, in dem die Grundsteuervergünstigung für das strittige Einfamilienhaus abgelehnt wurde.

Hiergegen hat der Bf. Sprungberufung eingelegt und eingewendet, Wohnungsamt und Amtsverwaltung hätten anerkannt, daß ihm als Oberamtsrichter (jetzt Amtsgerichtsdirektor) ein Raum als Arbeitszimmer zustehe. Die erteilte Bescheinigung binde die Finanzbehörden. Es sei ein allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz, daß die öffentliche Hand an eine einmal erteilte Erlaubnis, Konzession oder Bescheinigung gebunden sei, wenn der Berechtigte im Vertrauen auf die Gültigkeit dieser Bescheinigung Aufwendungen gemacht habe. Der Staatsbürger müsse sich darauf verlassen können, daß eine solche Bescheinigung richtig sei und später nicht widerrufen oder von anderen Behörden nicht anerkannt werde.

Die Sprungberufung des Bf. hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht vertritt die Auffassung, daß das strittige Zimmer nicht als ausschließliches Arbeitszimmer des Bf. anzusehen sei; vielmehr handele es sich bei diesem Zimmer, das durch eine Schiebetür von dem daneben gelegenen Eßzimmer getrennt sei, um einen Teil der Wohnung, der für berufliche Arbeit nur mitbenutzt werde. Ob die Voraussetzungen des § 7 WoBauG gegeben seien, habe das Finanzamt selbständig zu prüfen; es sei nicht an die Bescheinigung der Wohnungsbehörden gebunden.

Der Bf. verharrt auf seinem Standpunkt, daß die Bescheinigung der zuständigen Wohnungsbehörde die Finanzbehörden binde und daß er einen Anspruch auf die Grundsteuervergünstigung habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) ist nicht begründet.

Die Auffassung des Bf., daß die vorläufige Bescheinigung der Amtsverwaltung vom 13. November 1950 oder die endgültige Bescheinigung der Kreisverwaltung vom 7. Februar 1952 über die Erfüllung der Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 WoBauG für die Finanzbehörden und Finanzgerichte bindend sei, ist rechtsirrig. Der Bundesfinanzhof hat schon wiederholt zu der Frage Stellung genommen, ob und inwieweit Bescheinigungen anderer Behörden für die Finanzbehörden und Finanzgerichte bindend sind. Der IV. Senat des Bundesfinanzhofs hat unter Hinweis auf die Urteile des II. Senats II 201/51 S vom 2. November 1951 (Slg. Bd. 55 S. 578, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1951 III S. 234) und des I. Senats I 103/52 U vom 11. November 1952 (Slg. Bd. 57 S. 22, BStBl 1953 III S. 9) in dem Urteil IV 244/53 U vom 29. Oktober 1953 (BStBl 1953 III S. 358) ausgesprochen, daß eine in § 7 c EStG geforderte Bescheinigung der für das Wohnungswesen zuständigen Verwaltungsbehörde die Finanzbehörden rechtlich nicht bindet. Offen geblieben ist in diesem Urteil die Frage, ob nicht für Bescheinigungen dieser Art von den Finanzbehörden und Finanzgerichten auch ein Nachprüfungsrecht in tatsächlicher Hinsicht in Anspruch genommen werden muß. Der erkennende Senat bejaht für die nach § 10 WoBauG erteilten Bescheinigungen das Nachprüfungsrecht und die Nachprüfungspflicht der Finanzbehörden und Finanzgerichte in rechtlicher Hinsicht, nötigenfalls auch in tatsächlicher Hinsicht. Eine ganz andere Frage ist, ob und inwieweit die Finanzbehörden und die Finanzgerichte an Entscheidungen der zuständigen Stelle gebunden sind, durch die für besondere Fälle Ausnahmen von den Wohnflächengrenzen zugelassen sind (ß 7 Abs. 2 Buchst. b WoBauG). Hierzu braucht jedoch hier nicht Stellung genommen zu werden.

Der Bf. übersieht zweierlei: Einmal, daß in der Festsetzung des Grundsteuermeßbetrags zugleich die Feststellung der sachlichen Steuerpflicht und der persönlichen Steuerpflicht liegt (ß 212 a Abs. 3 der Reichsabgabenordnung - AO -), und zum anderen, daß die Festsetzung des Grundsteuermeßbetrags dem örtlich zuständigen Finanzamt obliegt (ß 73 Abs. 2 AO). Hieraus ergibt sich, daß über alle Befreiungen von der Grundsteuer die Finanzämter, und zwar grundsätzlich im Steuermeßbetragsverfahren zu entscheiden haben. Nur in den besonderen Fällen des § 226 Abs. 1 und 2 AO (wenn ein Grundsteuermeßbescheid ergangen ist und nach dem Feststellungszeitpunkt entweder die Steuerpflicht weggefallen ist oder der Steuergegenstand seine Eigenschaft als wirtschaftliche Einheit oder Untereinheit verloren hat) hat das Finanzamt nicht im Steuermeßbetragsverfahren, sondern durch besonderen schriftlichen Bescheid auszusprechen, von wann ab die Grundsteuer nicht mehr zu entrichten ist. Im Steuermeßbetragsverfahren wird vom Finanzamt auch dann über die Steuerbefreiung entschieden, wenn ein Steuergegenstand nur zu einem Teil von der an sich entrichtenden Grundsteuer befreit ist (vgl. § 27 der Grundsteuerdurchführungsverordnung - GrStDV -). Ebenso haben über die Grundsteuervergünstigungen nach dem WoBauG die Finanzämter im Steuermeßbetragsverfahren zu entscheiden. Das ist aus § 7 WoBauG zu entnehmen. Nach dieser Vorschrift sind Grundstücke, auch wenn sie nur steuerbegünstigte Wohnungen enthalten, nicht völlig von der Grundsteuer befreit; mindestens soll die Steuer von dem Wert des Grund und Bodens weiter erhoben werden (vgl. auch Abschn. 15 der Verwaltungsanordnung vom 30. Juni 1951 über die Grundsteuervergünstigung nach dem WoBauG, BStBl. 1951 I S. 238). Enthält ein Gebäude nicht nur begünstigte Wohnungen, sondern auch noch andere Räume, so wird neben der Grundsteuer für den Grund und Boden auch noch Grundsteuer von dem Grundstücksteil erhoben, der auf die nichtbegünstigten Wohnungen entfällt. In derartigen Fällen kann über die Steuervergünstigung nur im Steuermeßbetragsverfahren, für das die Finanzbehörden und Finanzgerichte zuständig sind, entschieden werden. Eine besondere gesetzliche Vorschrift, daß diese Stellen an die nach § 10 WoBauG erteilten Bescheinigungen gebunden seien (wie es z. B. in § 37 Abs. 4 des Bundesvertriebenengesetzes vom 19. Mai 1953, Bundesgesetzblatt - BGBl. - I S. 201 für Bescheinigungen der Siedlungsbehörde bestimmt ist), liegt nicht vor. Es besteht auch gemäß § 204 Abs. 1 AO keine allgemeine Bindung der Finanzbehörden und Finanzgerichte an die Entscheidungen anderer Behörden (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs III 78/51 U vom 14. August 1953, BStBl. 1953 III S. 331). Finanzbehörden und Finanzgerichte haben daher die nach § 10 WoBauG erteilten Bescheinigungen in rechtlicher Hinsicht, nötigenfalls auch in tatsächlicher Hinsicht nachzuprüfen.

Der hier vertretenen Auffassung stehen die Ausführungen in den Abschnitten 8 und 9 der Verwaltungsanordnung vom 30. Juni 1951 über die Grundsteuervergünstigung nach dem WoBauG nicht entgegen. Das Gegenteil trifft zu. Die genannten Bescheinigungen dienen - dies ergibt sich schon aus der überschrift zu diesen Abschnitten - zum Nachweis darüber, daß die Voraussetzungen für die Steuervergünstigungen vorliegen. Die Bescheinigungen werden auch in der Regel die Grundlage für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sein und die Steuerbehörden und Steuergerichte werden ihnen in der Regel beitreten können. Das wird insbesondere gelten müssen, wenn es sich um die Anerkennung der tatsächlichen Verhältnisse (Größe der Wohnung usw.) handelt. Daher werden auch - wie es in der Verwaltungsanordnung vom 30. Juni 1951 über die Grundsteuervergünstigung nach dem WoBauG heißt - die genannten Bescheinigungen ausreichend und maßgebend sein. Wenn jedoch Anlaß zu der Annahme besteht, daß die Sach- und Rechtslage von der die Bescheinigung erteilenden Behörde nicht zutreffend beurteilt worden ist, haben die Finanzbehörden und Finanzgerichte das Recht und die Pflicht, die endgültige Entscheidung selbst zu treffen. Im Fall des Bf. haben die für das Wohnungswesen zuständigen Behörden die Sach- und Rechtslage unzutreffend beurteilt.

Das Finanzgericht ist auf Grund seiner Würdigung des Tatbestandes zu der Auffassung gekommen, daß das strittige Zimmer nicht ausschließlich beruflich genutzt wird, daß es vielmehr Wohnzwecken dient und allenfalls gleichzeitig beruflich mitbenutzt wird. Das Finanzgericht konnte zu dieser Feststellung kommen. Sie weist keinen Verstoß im Sinne des § 288 AO auf und ist deshalb für den Bundesfinanzhof bindend.

Abgesehen davon wäre die Grundsteuervergünstigung für das Einfamilienhaus auch dann zu versagen, wenn zugegeben werden müßte, daß das strittige Zimmer vom Bf. - wie es in der Bescheinigung der Kreisverwaltung dargestellt ist - ausschließlich für berufliche Zwecke genutzt wird. Der Bf. und die Kreisverwaltung übersehen, daß auch in diesem Fall das strittige Zimmer nicht gesondert für sich behandelt werden könnte, sondern in die höchstzulässige Wohnfläche (120 qm) einzubeziehen wäre. Die Wohnfläche der Wohnräume und des strittigen Zimmers zusammen übersteigen jedoch die zulässige Größe von 120 qm. Nur wenn der strittige Raum nach seiner baulichen Anlage ausschließlich für gewerbliche oder berufliche Nutzung bestimmt wäre (ß 7 Abs. 4 WoBauG), könnte er gesondert behandelt werden. In einem solchen Fall wäre die Wohnfläche der eigentlichen Wohnung für sich zu berechnen und ggf. steuerbegünstigt; der gesondert zu berechnende Raum wäre aber nicht steuerbegünstigt. Daß der Fall des Bf. so liege, wird jedoch von keiner Seite behauptet und ist auch in der Bescheinigung der Kreisverwaltung verneint (siehe dort Fußnote 2).

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist zu bemerken, daß der förmliche Ablehnungsbescheid des Finanzamts an sich nicht erforderlich war. In der Festsetzung des Grundsteuermeßbetrags war schon die Ablehnung der Grundsteuervergünstigung enthalten (ß 212 a Abs. 3 AO).

Die Entscheidung im Kostenpunkt beruht auf § 307 AO.

 

Fundstellen

BStBl III 1954, 189

BFHE 1954, 728

BFHE 58, 728

StRK, BewGDV:32 R 7

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