Leitsatz (amtlich)

Die Rechtsbehelfsbelehrung braucht für die Fälle der Zustellung eines Bescheids durch eingeschriebenen Brief oder Zusendung durch einfachen Brief (§§ 4, 17 VwZG) keinen Hinweis darauf zu enthalten, wann der Bescheid zur Post gegeben worden ist.

 

Normenkette

AO § 236 Abs. 1, § 237; VwZG §§ 4, 17

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) veranlagte den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) mit Bescheid vom 13. Januar 1972 zur Einkommensteuer 1969. Der Bescheid wurde an dem gleichen Tage mit einfachem Brief zur Post gegeben und enthält über die einzuhaltende Rechtsbehelfsfrist folgende Belehrung:

"Die Frist für die Einlegung der Rechtsbehelfe beträgt einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf des Tages, an dem Ihnen dieser Bescheid bekanntgegeben worden ist. ...Bei Zustellung durch eingeschriebenen oder bei Zusendung durch einfachen Brief gilt die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, daß der Bescheid nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (§§ 4 und 17 des Verwaltungszustellungsgesetzes)."

Der Kläger legte am 17. Februar 1972 Einspruch ein und begehrte die Herabsetzung der Einkommensteuer. Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig; der Rechtsbehelf sei um einen Tag verspätet eingelegt worden, Nachsicht könne nicht gewährt werden.

Das FG, dessen Urteil in den EFG 1972, 240, veröffentlicht ist, hob die Einspruchsentscheidung mit der Begründung auf: Der Einspruch sei rechtzeitig eingelegt worden. Die Einspruchsfrist habe mangels einer ausreichenden Belehrung über die einzuhaltende Rechtsbehelfsfrist ein Jahr betragen (§ 237 Abs. 2 AO). Die Monatsfrist (§ 236 Abs. 1 AO) laufe nur, wenn der Steuerpflichtige anhand konkreter Angaben im Steuerbescheid das Datum des Fristablaufs zweifelsfrei erkennen könne. Der Kläger habe aus dem Bescheid nicht den für den Fristbeginn maßgeblichen Tag der Aufgabe des Bescheids zur Post (§ 17 Abs. 2 VwZG) entnehmen können. Diesen Tag habe nur das FA gekannt, das ihn in seinen Akten vermerkt habe (§ 17 Abs. 4 VwZG). Der Kläger habe sich die ihm fehlende Kenntnis auch nicht auf andere Weise verschaffen können. Das auf den Briefumschlag gestempelte Datum brauche mit dem Tag der Aufgabe zur Post nicht übereinzustimmen. Eine Rückfrage wäre dem FA unerwünscht gewesen. Es gebe ein einfaches Verfahren, um dem Steuerpflichtigen die erforderliche Kenntnis vom Fristbeginn zu verschaffen. Der FA-Bedienstete, der den Tag der Aufgabe zur Post vermerke, brauche nur diesen Tag auch auf dem Bescheid zu vermerken.

Das FA rügt mit der Revision die Verletzung des § 237 AO und des § 17 VwZG: Man könne sich eine Rechtsbehelfsbelehrung vorstellen, die keinen Hinweis darauf zu enthalten brauche, wie der Fristbeginn zu ermitteln sei. Auf jeden Fall müsse berücksichtigt werden, daß § 17 Abs. 2 VwZG eine Fiktion zugunsten des Steuerpflichtigen enthalte und diesem zugemutet werden müsse, sich bei dem FA nach dem Postaufgabetag zu erkundigen, wenn er die Rechtsbehelfsfrist voll ausschöpfen wolle. Die Fristberechnung falle in die Eigenverantwortung des Steuerpflichtigen. Die Anregung des FG, den Postaufgabetag auf dem Bescheid zu vermerken, sei zumindest nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des VwZG vom 19. Mai 1972 (BGBl I, 789, BStBl I, 396) nicht mehr zu verwirklichen. Für maschinell erstellte Bescheide könne nunmehr der Aktenvermerk entfallen; stattdessen genüge die Numerierung der Bescheide und der Eintrag der Absendung in einer Sammelliste (§ 17 Abs. 4 VwZG n. F.). Diese Vereinfachung würde hinfällig, wenn der Tag des Abgangs auf jedem Bescheid vermerkt werden müßte. Hieran sei auch erkennbar, daß der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 17 VwZG nicht von der Ansicht des FG ausgegangen sei. Im übrigen habe der Kläger den Tag der Aufgabe des Bescheids zur Post aus dem Datum des Bescheids ersehen können.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er behauptet, daß ihm der Bescheid erst am 20. Januar 1972 zugegangen sei.

Der BdF, der dem Verfahren beigetreten ist, ist der Auffassung des FG entgegengetreten: Zwar erfordere § 237 Abs. 1 AO auch Angaben über den Beginn der Rechtsbehelfsfrist. Diese Angaben könnten jedoch nur abstrakt gemacht werden, weil das FA den Tag der Bekanntgabe regelmäßig nicht kenne. Es gehe nicht an, allein für den Fall des § 17 VwZG eine konkrete Angabe zu fordern. Dem widerspreche § 17 Abs. 4 VwZG, wonach der Tag der Aufgabe zur Post ausschließlich in den Akten zu vermerken sei. Der Betroffene sei in der Lage, die im konkreten Fall maßgebliche Rechtsbehelisfrist selbst zu ermitteln. Der Beginn der Dreitagesfrist des § 17 Abs. 2 VwZG könne dem Datum des Steuerbescheids oder dem Poststempel entnommen werden. Möglich sei auch eine Rückfrage bei dem FA, die "aus der Sicht der Verwaltung ... zumutbar" sei, da "sie eine nicht vermeidbare Folge des die Bescheidsbekanntgabe erleichternden Verfahrens" sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Die Rechtsbehelfsbelehrung des FA ist nicht zu beanstanden.

Die Frist für einen außergerichtlichen Rechtsbehelf gegen eine schriftlich ergehende Verfügung - also auch einen Einkommensteuerbescheid (§ 210b Abs. 1 AO) - beginnt nur, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf und die Behörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist (§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO). Die einzuhaltende Frist ist in § 236 Abs. 1 AO genannt. Danach sind Rechtsbehelfe gegen eine Verfügung binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Verfügung einzulegen. Ein schriftlich zu erteilender Steuerbescheid wird durch Zustellung bekanntgegeben (§ 91 Abs. 1 Satz 3, § 211 Abs. 3 AO). Für das Zustellungsverfahren der Landesfinanzbehörden gilt das Verwaltungszustellungsgesetz (§ 1 Abs. 1 VwZG). Danach kann die Behörde u. a. zwischen den in der Rechtsbehelfsbelehrung erwähnten Zustellungsarten mit Postzustellungsurkunde (§ 3 VwZG), mittels eingeschriebenen Briefes (§ 4 VwZG) oder der Zusendung durch einfachen Brief (§ 17 VwZG) wählen. Die gewählte Zusendung durch einfachen Brief weist wie auch die Zustellung mittels eingeschriebenen Briefes die Besonderheit auf, daß die Bekanntgabe (= Zustellung) frühestens am dritten Tag nach der Aufgabe des Bescheids zur Post als bewirkt "gilt" (§ 17 Abs. 2, § 4 Abs. 1 VwZG), also nicht schon im Zeitpunkt eines etwaigen früheren tatsächlichen Zugangs.

Die Frage, worauf sich die Belehrung über die einzuhaltende Frist im einzelnen erstrecken muß, läßt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht eindeutig beantworten. Man könnte mit dem FG daran denken, daß über die Rechtsbehelfsfrist konkret belehrt werden müßte, zumal auch die Art des Rechtsbehelfs, die Einlegungsbehörde und deren Sitz konkret bezeichnet werden müssen. Die Auffassung des BdF, schon nach dem Wort "einzuhaltende" genüge eine abstrakte Fristangabe, ist grammatikalisch nicht zwingend. Konkret wäre aber letztlich nur eine Belehrung, die den Tag des Fristablaufs genau bezeichnen würde. Eine so weitgehende Konkretisierung würde indes die Verwaltung vor nicht behebbare Schwierigkeiten stellen. Die Rechtsbehelfsfrist beginnt regelmäßig in einem Zeitpunkt (Bekanntgabe, Zustellung), der der Verwaltung bei Absendung des Bescheids unbekannt ist. Auch kann sie nicht wissen, ob die Rechtsbehelfsfrist an einem Sonnabend, Sonntag oder allgemeinen Feiertag endet und sich sonach bis zum nächsten Werktag verlängert (§ 193 BGB, § 82 AO). Selbst in den Fällen der Zustellung nach den §§ 4, 17 VwZG steht nicht fest, daß die Rechtsbehelfsfrist mit Ablauf des dritten Tages nach der Aufgabe des Bescheids zur Post beginnt; geht der Bescheid zu einem späteren Zeitpunkt zu, läuft die Rechtsbehelfsfrist erst ab Zugang. Danach ist die nach dem Wortlaut des § 237 Abs. 1 AO ebenfalls mögliche Auslegung vorzuziehen, wonach eine abstrakte Belehrung über die einzuhaltende Frist genügt. Der Gesetzgeber hat die Verwaltung nicht zu Angaben verpflichten können und wollen, die sie nicht machen kann. Es müssen dann aber auch die im Zeitpunkt der Absendung des Bescheids bereits möglichen Konkretisierungen entfallen.

Überdies trifft es entgegen der Vorentscheidung nicht zu, daß es dem FA in den Fällen der §§ 4, 17 VwZG möglich wäre, den Tag der Aufgabe zur Post konkret anzugeben. Der Datumsvermerk in den Akten begründet nur eine Vermutung hinsichtlich des Postaufgabetags. Der Senat hält daran fest, daß bei einem Widerspruch zwischen dem Datumsvermerk und dem Poststempel das aus dem Poststempel ersichtliche Datum maßgeblich ist (Urteil des BFH vom 9. Oktober 1962 I 313/61 U, BFHE 76, 70, BStBl III 1963, 25; siehe auch BFH-Urteil vom 8. April 1964 VI 80/63, HFR 1965, 123). Die Post versieht die eingelieferten Briefsendungen in der Reihenfolge ihres Eingangs mit einem Stempel, der Datum und Stunde der Stempelung angibt (vgl. nunmehr § 42 der Postordnung vom 16. Mai 1963, BGBl I, 341; §§ 29, 30 der Dienstanweisung für den Postbetrieb, Teil II Beförderung von Sendungen, 1972). Diesem Stempel kommt eine größere Beweiskraft zu als dem Datumsvermerk in den Akten. Das FA wäre sonach bei der Absendung des Bescheids nur in der Lage, den vermutlichen Postaufgabetag einzutragen.

Die Ansicht, daß über die einzuhaltende Frist abstrakt anhand der einschlägigen Gesetzestexte zu belehren sei, entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH und dem steuerrechtlichen Schrifttum zu § 237 AO und dem insoweit vergleichbaren § 55 Abs. 1 FGO. Sie wird von dem BVerwG und dem Bundessozialgericht (BSG) geteilt, die sich mit § 58 Abs. 1 VwGO und § 66 Abs. 1 SGG, welche ebenfalls eine Belehrung über die einzuhaltende Frist anordnen, und überdies mit dem Verwaltungszustellungsgesetz zu befassen haben. Allerdings gehen die Auffassungen darüber, welche Anforderungen an die abstrakt zu fassende Fristenbelehrung zu stellen sind, auseinander, insbesondere in der Frage, wie der allseits für erforderlich gehaltene Hinweis auf den Fristbeginn zu fassen ist. Vielfach wird es für ausreichend erachtet, wenn der Fristbeginn mit den Worten der Gesetzesbestimmungen gekennzeichnet wird, die die Dauer der Rechtsbehelfsfrist regeln, z. B. innerhalb eines Monats "nach Zustellung" (§ 87 Abs. 1 SGG, § 74 Abs. 1 VwGO) oder "nach Bekanntgabe" (§ 236 Abs. 1 AO, § 70 Abs. 1 VwGO) - BSG-Urteil vom 9. Dezember 1969 9 RV 358/69, NJW 1970, 583; BVerwG-Beschlüsse vom 28. September 1970 VII B 63/70, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 340, § 17 VwZG Nr. 1; vom 16. November 1973 VII B 58/73, Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 25 mit weiteren Nachweisen; Maetzel, Monatsschrift für Deutsches Recht 1970 S. 465; Berger-Speich, Die Reichsabgabenordnung nach Schwerpunkten für die Praxis, § 237 Anm. 3 -. Nach einer anderen vor allem vom BFH vertretenen Meinung sind die Beteiligten wenigstens in den Fällen der §§ 4, 17 VwZG auch über die Wirkungsweise der der Rechtsbehelfsfrist vorgeschalteten Dreitagesfrist zu belehren; es wird insbesondere ein Hinweis auf die Unmaßgeblichkeit der Dreitagesfrist im Falle eines späteren Zugangs (oder des Nichtzugangs) für erforderlich gehalten (BFH-Urteile vom 22. Januar 1964 VI 94/62 S, BFHE 78, 528, BStBl III 1964, 201; vom 9. Februar 1966 I 181/64, BFHE 85, 337, BStBl III 1966, 330; vom 18. Oktober 1972 II R 110/69, BFHE 107, 409, insoweit in BStBl II 1973, 187 nicht wiedergegeben; BSG-Urteil vom 24. Mai 1966 1 RA 3/64, BSGE 25, 31; Peter-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., § 66 Anm. 3 e; siehe auch Urteil des BVerwG vom 4. Dezember 1959 VII C 36/58, NJW 1960, 1074; zweifelnd v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Reichsabgabenordnung und Nebengesetze, § 55 FGO, Anm. 14). Der Senat braucht zu diesem Meinungsstreit nicht Stellung zu nehmen. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Streitfalls enthält den von der o. a. Rechtsprechung des BFH geforderten Hinweis auf die Unmaßgeblichkeit der Dreitagesfrist bei späterem Zugang des Bescheids in den Fällen der §§ 4, 17 VwZG. Sollte dieser Hinweis überflüssig sein, so wäre er unschädlich.

Die Behörde hat dem Steuerpflichtigen unabhängig von der Rechtsbehelfsbelehrung Auskunft über den in den Akten vermerkten Postaufgabetag zu geben. Der Steuerpflichtige darf die Rechtsbehelfsfrist bis zum letzten Tag ausschöpfen. Er ist in den Fällen der §§ 4, 17 VwZG daran interessiert, den Inhalt des Vermerks zu erfahren, wenn er ihn seiner Fristberechnung zugrunde legen möchte oder muß. Er mag den Briefumschlag verloren haben, oder der Poststempel mag unleserlich sein. Der Senat hat aus den Ausführungen des FA und des BdF auch nicht die Überzeugung gewonnen, daß das Bescheidsdatum stets mit dem in den Akten vermerkten Postaufgabetag übereinstimmt (siehe weiterhin Frenkel, BB 1969, 992, zur Praxis der Vordatierung maschinell erstellter Bescheide). Die Behörde ist nach Treu und Glauben gehalten, dem Steuerpflichtigen auf Verlangen die erforderliche Kenntnis zu verschaffen. Der BdF erkennt in seiner Stellungnahme eine solche Verpflichtung ebenfalls an. Damit wird den Belangen der Steuerpflichtigen ausreichend Rechnung getragen. Im übrigen bestimmen § 4 Abs. 1, § 17 Abs. 3 VwZG, daß im Zweifel die Behörde den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat. Der Steuerpflichtige kann sich also regelmäßig darauf verlassen, daß die Rechtsbehelfsfrist frühestens ab dem ihm bekannten Datum des Zugangs zu laufen beginnt.

Die Vorentscheidung, die diesen Grundsätzen nicht entspricht, ist aufzuheben. Der Rechtsstreit wird an das FG zurückverwiesen, das noch auf die bereits in der Einspruchsbegründung vorgebrachte Behauptung des Klägers einzugehen haben wird, ihm sei der angegriffene Bescheid erst am 20. Januar 1972 zugestellt worden. Ggf. wird es zu prüfen haben, ob die hilfsweise beantragte Nachsicht zu gewähren ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71209

BStBl II 1975, 155

BFHE 1975, 5

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge