Leitsatz (amtlich)

Gegen die Ablehnung des Antrags auf Zahlung von Prozeßzinsen ist bei fristgerechter Zustimmung der zuständigen Behörde die unmittelbare Klageerhebung zulässig.

 

Normenkette

FGO § 40 Abs. 1, § 45 Abs. 1, § 100 Abs. 2-3, § 111; AO § 229 Nr. 7

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) Zinsen nach § 111 FGO beanspruchen kann.

Die Klägerin reichte für die Voranmeldungszeiträume Januar, Februar und März 1958 Umsatzsteuervoranmeldungen ein und entrichtete die vorangemeldeten Beträge. Seit April 1958 gab sie keine Voranmeldungen mehr ab und erklärte, sie sei in das Unternehmen G in F organschaftlich eingegliedert. In ihrer Steuererklärung für 1958 gab die Klägerin an, bereits seit dem 1. Januar 1958 Organgesellschaft der G zu sein. Sie erklärte deshalb ihre Umsätze mit 0 DM. Die Organträgerin meldete die bisher von der Klägerin vorangemeldeten Umsätze nach Bestandskraft ihrer Umsatzsteuerveranlagung für das Jahr 1958 nach. Das für sie zuständige FA hielt eine Berichtigung der Umsatzsteuerveranlagung 1958 nicht für möglich. Daraufhin setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) durch Bescheid vom 15. November 1961 abweichend von der genannten Erklärung Umsatzsteuer für das Jahr 1958 gegen die Klägerin fest. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens erfaßte das für die Besteuerung der G zuständige FA nach einer Betriebsprüfung auch die bisher der Klägerin zugerechneten Umsätze. Das FA hob daraufhin durch Verfügungen vom 9. und 26. Januar 1967 den gegen die Klägerin gerichteten Umsatzsteuerbescheid vom 15. November 1961 ersatzlos auf. Die Klägerin erklärte sodann den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das FG legte durch Beschluß vom 8. Februar 1967 - Az. I 61/62 - die Kosten des Verfahrens gem. § 138 Abs. 2 FGO dem FA auf.

Den Antrag der Klägerin, ihr gem. § 111 FGO Prozeßzinsen in Höhe von ...DM zu zahlen, lehnte das FA durch Bescheid vom "August 1968" (Tagesangabe fehlt) ab. Die Klägerin focht diesen Bescheid unter Zustimmung des FA mit der "Sprungklage" an und beantragte, das FA zur Zahlung der geforderten Prozeßzinsen zu verurteilen. Diese Klage hat die Vorinstanz durch Prozeßurteil abgewiesen.

Das FG führt zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus: Gegen die eine Zinszahlung nach § 111 FGO ablehnende Verfügung des FA sei der Einspruch gegeben. Die Klage könne daher - vorbehaltlich der Fälle nach §§ 45 und 46 FGO - nur zulässig sein, wenn ein Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder teilweise erfolglos geblieben sei (§ 44 FGO). Eine Untätigkeitsklage nach § 46 FGO komme im vorliegenden Falle nicht in Betracht. Auch die Voraussetzungen einer unmittelbaren Klageerhebung nach § 45 FGO (Sprungklage) seien nicht gegeben. Die Sprungklage könne nur eine Anfechtungsklage sein. Die von der Klägerin erhobene Klage sei ihrem Inhalt nach jedoch eine Verpflichtungsklage, weil durch sie die Vornahme eines abgelehnten Verwaltungsakts begehrt werde.

Eine Umdeutung dieser Verpflichtungsklage in einen Einspruch sei nicht möglich, weil der Rechtsbehelf eindeutig als Sprungklage bezeichnet worden sei. Auch könne man nicht davon ausgehen, die Klage enthalte den Einspruch, so daß bei einer Sprungklage immer auch Einspruch eingelegt wäre.

Ergänzend führt das FG aus, daß es die Klage auch für unbegründet halte.

Mit ihrer Revision wendet sich die Klägerin zunächst gegen die Abweisung ihrer Klage als unzulässig. Sie trägt dazu insbesondere vor: Der Anspruch auf Prozeßzinsen nach § 111 FGO sei ein Anspruch i. S. des § 229 Nr. 7 AO. Gegen die Ablehnung eines solchen Anspruchs aus sachlichen Gründen sei nach dem Beschluß des BFH vom 10. Juli 1970 VI B 2/69 (BFHE 99, 350, BStBl II 1970, 686) die Anfechtungsklage gegeben. Da das FA das Bestehen eines Anspruchs auf Prozeßzinsen verneint, ihren Antrag also aus sachlichen Gründen abgelehnt habe, sei ihre Klage als Anfechtungsklage zu beurteilen. Nachdem auch das FA die Zustimmung zur unmittelbaren Klageerhebung erteilt habe, sei diese Klage als Sprungklage zulässig.

Im übrigen hält die Klägerin die ergänzenden Ausführungen des FG zur Begründetheit ihrer Klage für unzutreffend.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

I. Die Prozeßabweisung im angefochtenen Urteil kann keinen Bestand haben.

1. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO ist unter Zustimmung der beteiligten Behörde eine Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt der in § 229 AO bezeichneten Art auch dann zulässig, wenn ihr, abweichend vom Grundsatz des § 44 Abs. 1 FGO, ein erfolgloses außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren nicht vorausgegangen ist. Dem FG ist darin zuzustimmen, daß diese Regelung auf Verpflichtungsklagen nicht angewendet werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 28. April 1972 III R 119/70, BFHE 106, 116, BStBl II 1972, 711). Die Vorinstanz hat jedoch zu Unrecht angenommen, die Klage gegen den die Zinszahlung ablehnenden Verwaltungsakt könne nur eine Verpflichtungsklage sein.

Die Verfügung vom August 1968, durch die das FA die Zahlung von Prozeßzinsen abgelehnt hat, ist ein Bescheid nach § 229 Nr. 7 AO. In dieser Vorschrift ist zwar die Verfügung über Zinsansprüche nicht ausdrücklich aufgeführt. Sie gehört jedoch, da Zinsen ihrer Natur nach Nebenleistungen zum erstatteten oder zu dem zu erstattenden Steuerbetrag sind, in gleicher Weise wie Entscheidungen über den Erstattungsanspruch selbst zu den Bescheiden nach § 229 Nr. 7 AO (BFH-Urteil vom 7. Oktober 1970 III 114/68, BFHE 100, 187, BStBl II 1971, 14).

2. Die Klage gegen einen solchen Bescheid ist eine Anfechtungsklage, wenn der Kläger lediglich die Aufhebung oder die Änderung des ihr zugrunde liegenden Bescheids begehrt (§ 40 Abs. 1, § 100 Abs. 2 FGO). Ein Änderungsantrag i. S. dieser Vorschriften liegt nach der Rechtsprechung einzelner Senate des BFH auch dann vor, wenn sich die Klage gegen die sachliche Abweisung eines Erstattungsantrags durch das FA richtet, gegen einen Bescheid also, in dem das FA vom Nichtbestehen eines Erstattungsanspruchs ausgegangen ist und diesen deshalb auf 0 DM festgesetzt hat. So hat der VI. Senat im Beschluß VI B 2/69 ausgeführt, daß gegen die Ablehnung der Lohnsteuererstattung aus sachlichen Gründen durch einen im Verfahren über den beantragten Lohnsteuer-Jahresausgleich ergangenen Bescheid die Anfechtungsklage gegeben und nach § 100 Abs. 2 FGO der sich ergebende Geldbetrag vom Gericht festzusetzen sei. In gleicher Weise hat der VIII. Senat des BFH im Urteil vom 17. Oktober 1973 VIII R 149/71 (BFHE 111, 392, BStBl II 1974, 321) gegen einen die Gewährung von Investitionszulage aus sachlichen Gründen ablehnenden Verwaltungsakt die Anfechtungsklage für den zutreffenden Rechtsbehelf angesehen.

3. Im Anschluß an diese Rechtsprechung wären Bedenken gegen die Zulässigkeit der hier vorliegenden Sprungklage nicht gegeben. Der erkennende Senat hat jedoch schon im Urteil vom 23. April 1970 V R 155/66 (BFHE 99, 270, HFR 1970, 492) ausgesprochen, daß gegen die Ablehnung des Antrags auf einen begünstigenden Verwaltungsakt (Umsatzsteuervergütung) der Rechtsweg mit der Verpflichtungsklage zu beschreiten sei.

Eine Entscheidung dieser strittigen Rechtsfrage ist im vorliegenden Falle nicht geboten. Denn das Ziel, das die Klägerin mit ihrer Klage verfolgt, ist neben der Aufhebung des die Zinszahlung versagenden Verwaltungsakts die Verpflichtung des FA zur Zahlung der Prozeßzinsen. Ihr Begehren hat also nicht die Verurteilung des FA zum Erlaß des abgelehnten Verwaltungsakts zum Inhalt. Es konnte begründetermaßen auch nicht darauf gerichtet sein, da der Zahlung von Prozeßzinsen ein derartiger Verwaltungsakt nicht vorauszugehen braucht. Aus diesem Grunde aber fehlt der hier vorliegenden Klage der Charakter einer Verpflichtungsklage nach § 40 Abs. 1 FGO. Der Rechtsbehelf muß vielmehr als eine mit einer Zahlungsklage verbundene Anfechtungsklage beurteilt werden. Diese Verbindung ist nach § 100 Abs. 3 FGO zulässig und nach den für die Anfechtungsklage geltenden Grundsätzen zu behandeln.

Der Anwendungsfall des § 100 Abs. 3 FGO im Zusammenhang mit der Forderung von Prozeßzinsen tritt zwar regelmäßig in der Gestalt auf, daß mit der Klage auf Aufhebung des eine Leistungspflicht auferlegenden Verwaltungsakts der Antrag auf Verurteilung des FA zur Rückzahlung sowohl des vom FA vereinnahmten Steuerbetrags als auch der sich aus § 111 FGO ergebenden Zinsen verbunden wird (vgl. Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 100 Anm. 109 ff.; Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 100 FGO Anm. 6 Abs. 5). Diese Verbindung dient der schnelleren Verwirklichung des Rechtsschutzes, da der Kläger - wäre ihm diese prozessuale Möglichkeit versagt - die Leistungsklage zur Beseitigung der Folgen eines rechtswidrigen verpflichtenden Verwaltungsakts erst erheben könnte, nachdem über seine Anfechtungsklage rechtskräftig entschieden worden ist (Stufenklage). Da Prozeßzinsen, wie schon ausgeführt, Nebenleistung zu Erstattungsbeträgen sind, muß dieser im Interesse der Prozeßökonomie vorgesehene Weg dem Kläger auch dann eröffnet sein, wenn - wie hier - das FA den beschwerenden Verwaltungsakt selbst aufgehoben hat, wenn die Erstattung bereits erledigt ist und wenn neben dem Zinsbegehren nur die Aufhebung eines die Zinszahlung ablehnenden Verwaltungsakts gefordert wird.

4. Nach diesen Erwägungen ist die vorliegende Klage, gleichgültig, ob sie nach der zu Nr. 2 oder der zu Nr. 3 dargelegten Rechtsauffassung beurteilt wird, stets als Anfechtungsklage zu behandeln. Sie konnte deshalb, da das FA zugestimmt hat, nach § 45 FGO ohne Vorverfahren erhoben werden. Das FG hat sie somit rechtsirrig durch Prozeßurteil abgewiesen. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

II. Mit der vom FG zusätzlich dargelegten Rechtsauffassung zur Begründetheit der Klage kann sich der Senat nicht auseinandersetzen. Wenn das FG ausspricht, daß die Klage unzulässig sei, so verneint es damit seine Befugnis zur Sachentscheidung. Kein Urteil kann deshalb "denkbarerweise richtig gleichzeitig Prozeß- und Sachabweisung aussprechen" (Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, Übersicht vor § 300 Anm. 2 A b; vgl. auch § 322 Anm. 4 unter "Prozeßurteil"). Liegt ein solcher Mangel vor, so gilt alles, was das FG zur Sache ausgeführt hat, "als nicht geschrieben" (Baumbach-Lauterbach, a. a. O.). Deshalb kann der Senat auch die Rüge des Aktenverstoßes, die die materiell-rechtliche Entscheidung des FG betrifft, nicht behandeln.

 

Fundstellen

BStBl II 1975, 300

BFHE 1975, 323

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