Entscheidungsstichwort (Thema)

Kapitalertragsteuer

 

Leitsatz (NV)

Wird der Gewinn einer Kapitalgesellschaft trotz Gewinnverwendungsbeschlusses tatsächlich nie an den bilanzierenden Alleingesellschafter ausbezahlt, so ist gleichwohl von einem Zufluß des Kapitalertrags auszugehen.

 

Normenkette

EStG § 44 Abs. 2, §§ 4-5

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH, war X. Am 28. November 1985 beschloß X ohne Angabe eines Auszahlungstages, Gewinne der Klägerin in Höhe von 128000 DM auszuschütten. Die Klägerin meldete die darauf entfallende Kapitalertragsteuer an und führte sie ab. Der Gewinn wurde an X in der Folgezeit jedoch nicht ausbezahlt. Am 24. Februar 1988 wurde beschlossen, den bezeichneten Gewinn nicht auszuzahlen, sondern auf neue Rechnung vorzutragen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte daraufhin die Kapitalertragsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 0 DM fest. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung erließ das FA jedoch unter Berufung auf § 44 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wiederum einen Bescheid über die Kapitalertragsteuer in Höhe der ursprünglichen Kapitalertragsteueranmeldung.

Die hiergegen von der Klägerin erhobene Klage hatte Erfolg.

Das FA beantragt mit seiner Revision, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Es rügte die Verletzung des § 11 Abs. 1 Satz 1 und des § 44 Abs. 2 Satz 1 EStG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG entsteht die Kapitalertragsteuer in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen. In diesem Zeitpunkt hat die Klägerin den Steuerabzug für Rechnung ihres Alleingesellshafters vorzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 3 EStG). Nach § 44 Abs. 2 EStG fließen Gewinnanteile einer Körperschaft dem Gläubiger an dem Tag zu, der im Ausschüttungsbeschluß als Tag der Auszahlung bestimmt worden ist. Ist die Ausschüttung nur festgesetzt, ohne daß über den Zeitpunkt der Auszahlung ein Beschluß gefaßt worden ist, so gilt als Zeitpunkt des Zufließens der Tag nach der Beschlußfassung. Da die Klägerin im Gewinnverteilungsbeschluß vom 28. November 1985 den Zeitpunkt der Auszahlung nicht bestimmt hatte, gilt als Zeitpunkt, in dem die Klägerin den Steuerabzug nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG vorzunehmen hat, der 29. November 1985.

Der Streitfall bietet keine Gelegenheit, die Frage zu entscheiden, ob § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht nur den Zeitpunkt des Zuflusses, sondern den Zufluß selbst fingiert, wenn der Ausschüttungsbetrag tatsächlich nie dem Anteilseigner zufließt und daher bei der Veranlagung des Anteilseigners eine Erfassung von Kapitalerträgen und damit auch eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG ausscheidet (vgl. hierzu Wismeth, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1979, 248; Blümich/Lindberg, Einkommensteuergesetz, § 44 Rdnr. 12 m.w.N.; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 12. Aufl., § 44 Anm. 2 m.w.N.). Im Streitfall sind dem Anteilseigner X die im Beschluß vom 28. November 1985 ausgeschütteten Gewinne zugeflossen. Dies ergibt sich entweder aus der Sonderregelung des § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG für die Kapitalertragsteuer oder aus Zuflußgrundsätzen. Sollte § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG als lex specialis zu § 11 Abs. 1 EStG (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Dezember 1985 I R 222/81, BFHE 146, 43, BStBl II 1986, 451; vom 28. November 1990 I R 111/88, BFHE 163, 69, BStBl II 1991, 313) nicht nur den Zuflußzeitpunkt, sondern auch den Zufluß als solchen fingieren, so wäre für das Kapitalertragsteueranmeldeverfahren nach § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG von einem Zufluß auszugehen. Sollte § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG nur den Zeitpunkt des Zuflusses fingieren, so würde sich die Frage, ob Gewinnanteile zugeflossen sind, nach allgemeinen Grundsätzen beantworten lassen. Nach der bisher ständigen Rechtsprechung des BFH sind solche Einnahmen dem Steuerpflichtigen zugeflossen, über die dieser wirtschaftlich verfügen kann. Bei Gewinnausschüttungen an den Alleingesellschafter einer GmbH ist in der Regel davon auszugehen, daß dieser mit der Beschlußfassung über die Ausschüttung wirtschaftlich verfügen kann (vgl. BFH-Urteile vom 30. April 1974 VIII R 123/73, BFHE 112, 355, BStBl II 1974, 541; vom 21. Oktober 1981 I R 230/78, BFHE 134, 315, BStBl II 1982, 139; vom 14. Februar 1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480; vgl. auch Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 11 EStG Rdnr. 62 m.w.N.). Auf die tatsächliche Auszahlung der Gewinnausschüttung käme es für die Frage des Zuflusses beim Alleingesellschafter aufgrund dieser Rechtsprechung nicht an. Der Senat hat allerdings in seiner Entscheidung vom 9. Dezember 1987 I R 260/83 (BFHE 151, 560, BStBl II 1988, 460) darauf hingewiesen, daß diese Rechtsprechung seit der Körperschaftsteuerreform 1977 möglicherweise einer Überprüfung bedarf. Die Frage, ob an der ständigen Rechtsprechung zum Zufluß beim Alleingesellschafter festgehalten werden kann, kann hier offenbleiben, weil nach unbestrittenem Vortrag der Klägerin der mit Gewinnverwendungsbeschluß fällig gewordene Anspruch des X Betriebsvermögen des bilanzierenden Einzelunternehmens des X war. Der Zufluß beim Einzelunternehmen ergibt sich - spätestens mit dem Gewinnverwendungsbeschluß - aus der Pflicht des Einzelunternehmens, gemäß § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG den Gewinnausschüttungsanspruch zu aktivieren (vgl. BFH-Urteil vom 8. März 1989 X R 3/86, BFHE 156, 443, BStBl II 1989, 714 Nr. 3; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 3. November 1975 II ZR 67/73, BGHZ 65, 230; Beschluß des Großen Senats des BFH vom 3. Februar 1969 GrS 2/68, BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291). Unerheblich ist, ob im Streitfall das Einzelunternehmen entgegen dieser Verpflichtung die Aktivierung des Anspruchs unterließ.

Aus § 27 des Körperschaftsteuergesetzes 1977 (KStG) bzw. aus der Systematik des körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungsverfahrens ergibt sich für den Streitfall der Kapitalertragsteuer nichts anderes. § 27 KStG betrifft die Körperschaftsteuerschuld der ausschüttenden Kapitalgesellschaft, §§ 43, 44 EStG den Steuerabzug zu Lasten des Anteilseigners. Unterbleibt mangels Abflusses der Gewinnausschüttung bei der Kapitalgesellschaft die Körperschaftsteuerminderung oder -erhöhung nach § 27 KStG, betrifft dies zunächst ausschließlich die Körperschaftsteuerschuld der Klägerin (vgl. BFH-Urteile in BFHE 151, 560, BStBl II 1988, 460; vom 9. Dezember 1987 I R 148/86, BFH/NV 1988, 524; zuletzt bestätigt durch Urteil vom 18. Juli 1990 I R 173/87, BFH/NV 1991, 190). Die Anrechnung einbehaltener Kapitalertragsteuer auf die Einkommensteuer des Anteilseigners steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem 1977 eingeführten Anrechnungsverfahren zur Vermeidung einer doppelten Besteuerung der Gewinne bei der Kapitalgesellschaft und dem Gesellschafter. Auf die Frage, welche Folgen sich für das Veranlagungsverfahren des Anteilseigners ergeben, wenn bei der Kapitalgesellschaft mangels tatsächlicher Erfüllung eines Gewinnverteilungsbeschlusses keine Ausschüttungsbelastung herzustellen ist, kommt es im Streitfall nicht an.

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 230

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