Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Heranziehung einer Kapitalentschädigung wegen entzogener privatrechtlicher Versorgungsrente zur Einkommen- (Lohn-) steuer.

EStG 1950 § 3 Ziff. 7, § 19 Abs. 1 Ziff. 2, § 24 Ziff. 1; LStDV 1950 § 6 Ziff. 5; Gesetz Nr. 59 der amerikanischen Militärregierung (Rückerstattungsgesetz) Art. 91 Abs. 1; Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Entschädigungsgesetz) vom 12. August 1949

 

Normenkette

EStG § 3 Ziff. 7, § 3/8, § 19/1/2, § 24 Abs. 1; LStDV § 6 Ziff. 5

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) bezog als Witwe eines früheren Vorstandsmitglieds der X-AG (kurz: Firma) vertragsgemäß eine Witwenpension (ursprünglich monatlich 750 RM, ab 1. Mai 1933 600 RM, ab 1936 520 RM). Sie hielt sich damals bereits im Ausland auf. Auf Grund der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 (Reichsgesetzblatt - RGBl. - I S. 1580) setzte die zur Zahlung verpflichtete Firma, die inzwischen arisiert worden war, zunächst die Zahlung ab Dezember 1938 aus, weil ihr der Rechtsanspruch der damals schon im Ausland wohnhaften Bfin. auf Weiterzahlung der Pension fraglich erschien und die Rechtslage in einem anderen gleichliegenden Fall zunächst im Prozeßwege geklärt werden sollte. Durch die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 (RGBl. I S. 722) entfiel die Verpflichtung, weil die Bfin. durch diese Verordnung ausgebürgert wurde und nach § 11 der Verordnung auch den Anspruch auf die Pensionsrente verlor. Am 2. März 1950 machte die Bfin. bei der Zentralstelle in Bad Nauheim Wiedergutmachungsansprüche geltend. Die Anmeldung wurde an die örtlich zuständige Wiedergutmachungsbehörde in Bayern weitergeleitet. Dieser Behörde wurde Ende Dezember 1950 von der Bfin. und der Firma ein außergerichtlich abgeschlossener Vergleich überreicht. Nach diesem Vergleich sollte "zum Ausgleich beiderseitiger Rechte, sei es aus dem Gesetz der Militärregierung (MilRegG) Nr. 59 oder aus einem sonstigen Rechtsgrund", die Firma an die Bfin. - abgesehen von einer Darlehnsabgeltung - zur Abfindung aller bis zum 31. Mai 1950 erwachsenen Ruhegehaltsansprüche 6.000 DM und ab 1. Juli 1950 monatlich 300 DM Ruhegehalt zahlen. Von der noch im Dezember 1950 geleisteten Pensionsnachzahlung (6.000 DM) behielt die Firma 1.425 DM Lohnsteuer ein und führte sie an das zuständige Betriebsfinanzamt ab. Im Innenverhältnis zwischen Firma und Bfin. war vereinbart, daß ein Betrag von 500 DM Lohnsteuer zu Lasten der Firma gehen solle, so daß im Ergebnis auf die Bfin. 925 DM entfielen. Im Juni 1951 wendete sich der Bevollmächtigte der Bfin. gegen die Heranziehung zur Lohnsteuer mit der Begründung, der Abzug einer Einkommensteuer widerspreche dem MilRegG Nr. 59 (Rückerstattungsgesetz - REG -). Der Bevollmächtigte verlangte deswegen zunächst einen Einkommensteuerbescheid. Mit seiner Zustimmung wurde ihm jedoch ein von der Lohnsteuerstelle ausgefertigter Bescheid zugestellt. Danach wurde die Lohnsteuer von 1.425 DM auf 600 DM (10 v. H. von 6.000 DM Pensionsnachzahlung) herabgesetzt auf Grund einer Verfügung der Oberfinanzdirektion, nach der die Lohnsteuer aus Gehaltszahlungen, die als Entschädigung für Verluste im wirtschaftlichen Fortkommen nach dem Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Entschädigungsgesetz) vom 12. August 1949 (Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt - Bay. GVBl - 1949 S. 195) geleistet werden, mit einem Pauschbetrag von 10 v. H. zu erheben ist. Eine völlige Freistellung (Erstattung der zu Lasten der Bfin. eingehaltenen Lohnsteuer) lehnt der Bescheid ab, weil Gehaltsnachzahlungen nach dem Entschädigungsgesetz grundsätzlich lohnsteuerpflichtig seien. Einspruch und Berufung hiergegen waren erfolglos. Das Finanzgericht sah zunächst in übereinstimmung mit dem Bevollmächtigten der Bfin. eine sachliche Beschwer der Bfin. nur in Höhe von 100 DM, weil die restlichen 500 DM der als zu Recht erhobenen angesprochenen 600 DM Lohnsteuer vereinbarungsgemäß auf Rechnung der Firma gingen. Zur strittigen Hauptfrage stellte sich das Finanzgericht auf den Standpunkt, daß der von der Bfin. geltend gemachte Wiedergutmachungsanspruch zwar nicht ein Anspruch auf Grund des Entschädigungsgesetzes gewesen sei, weil derartige Ansprüche sich nur gegen das Land (Bayern) richteten, sondern ein Anspruch auf Grund des REG. Die von der Bfin. geltend gemachte Steuerfreiheit nach Art. 91 Abs. 1 REG komme aber nicht in Betracht, weil diese Vorschrift sich nicht auf die Einkommensteuer beziehe,. Das sei in den Verwaltungsanordnungen der Länder (für Bayern durch Entschließung des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen vom 18. Juli 1950 S 2126 - 9 - 53088, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen - Bay. FMBl - 1950 S. 392) festgelegt worden. Auch aus dem Gutachten des Obersten Finanzgerichtshofs I D 2/50 S vom 22. August 1950, Slg. Bd. 54 S. 528, könne für den vorliegenden Fall nichts Gegenteiliges geschlossen werden. Zwar beziehe sich nach dem Gutachten Art. 91 Abs. 1 REG auch auf die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer, jedoch würden davon nicht laufende Bezüge betroffen, die der Rückerstattungsverpflichtete im Wege der Vereinfachung nach Art. 16 REG einräume.

Im Streitfall handele es sich nicht um den Ersatz für die Herausgabe eines entzogenen Betriebs, der nach Art. 16 REG aus Vereinfachungsgründen geleistet werde, sondern um die Gewährung einer einmaligen Entschädigung an Stelle von Ruhegehaltsansprüchen, die teils in RM, Teils in DM zu leisten gewesen wären. Diese seien als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 2 Abs. 3 Ziff. 4, § 19 Abs. 1 Ziff. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu behandeln. Da die Bfin. ihren Wohnsitz im Ausland habe und deshalb nur beschränkt einkommensteuerpflichtig sei, komme für die Zahlung der 6.000 DM, die eine Entschädigung als Ersatz für entgangene Einnahmen im Sinne des § 24 Abs. 1 EStG sei, ein ermäßigter Steuersatz gemäß § 34 EStG nach der Sondervorschrift des § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht in Betracht. § 50 Abs. 5 EStG gebe dem Finanzamt zwar die Möglichkeit, die Einkommensteuer bei beschränkt Steuerpflichtigen ganz oder zum Teil zu erlassen, wenn es aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig sei. Das Finanzamt habe nun, gestützt auf die hier nicht zutreffende Anordnung der Oberfinanzdirektion zur steuerlichen Begünstigung von Entschädigungen nach dem Entschädigungsgesetz, die Steuer auf 10 v. H. ermäßigt. Diese Vergünstigung könne im Hinblick auf § 96 der Reichsabgabenordnung (AO) nicht widerrufen werden. Andererseits könne eine Ermäßigung über den bereits gewährten Vergünstigungsbetrag hinaus im vorliegenden Verfahren nicht gewährt werden, weil § 50 Abs. 5 EStG nur im Veranlagungsverfahren anwendbar sei, das Veranlagungsverfahren aber mit Zustimmung der Bfin. nicht durchgeführt sei. Verfehlt sei auch der Hinweis der Bfin. auf eine Entschließung des Finanzministers von Nordrhein-Westfalen vom 14. Juli 1951 S 2153 - 6124/II C, denn diese Entschließung halte grundsätzlich an der Steuerpflicht geleisteter Entschädigungen fest und gewähre nur einen Teilerlaß nach § 50 Abs. 5 EStG bzw. nach § 131 AO.

In der wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache vom Finanzgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich die Bfin. erneut dagegen, daß die geleistete Entschädigung von 6.000 DM nicht auf Grund des Art. 91 REG voll als einkommensteuerfrei behandelt worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

Unzweifelhaft handelt es sich, wie die Vorbehörde richtig ausführt, bei der Entschädigungsleistung um Einkünfte aus unselbständiger Arbeit nach § 19 Abs. 1 Ziff. 2, § 24 Ziff. 1 EStG. An sich ist auch der Anspruch auf eine Pensionsleistung ein Vermögensgegenstand im Sinne des Art. 1 REG. Es trifft auch zu, was die Bfin. in der Begründung zur Rechtsbeschwerde darlegt, daß nämlich dieser Vermögensgegenstand nicht durch die zur Leistung verpflichtete Firma, sondern durch das Deutsche Reich, das die fraglichen Verordnungen erlassen hat, entzogen worden ist. Verfolgt man diesen Gedankengang weiter, so wäre der Rückerstattungsanspruch gegen das Deutsche Reich zu richten gewesen, das verpflichtet gewesen wäre, den die Leistungspflicht beseitigenden Rechtszustand mit Rückwirkung aus der Welt zu schaffen, mit der Folge, daß nunmehr die Firma die ab Dezember 1938 rückständigen Beträge nachzuleisten gehabt hätte.

Nun ist aber, was weder die Vorbehörde noch die Bfin. beachtet haben, der Tatbestand der Entziehung eines Pensionsanspruchs durch nationalsozialistische Rechtsgestaltungsmaßnahmen, der zugleich auch den Tatbestand eines Schadens im wirtschaftlichen Fortkommen der Verfolgten darstellt, positivrechtlich dem Wiedergutmachungsrecht und nicht dem Rückerstattungsrecht unterstellt worden. § 35 des Entschädigungsgesetzes vom 12. August 1949 besagt folgendes:

"(1) Ist einem Verfolgten oder seinen Hinterbliebenen eine Versorgungsrente entzogen worden, weil der Verfolgte aus einem der in § 1 Abs. 1 genannten Gründe (politische überzeugung, Rasse, Glaube, Weltanschauung) nach dem 30. Januar 1933 in das Ausland ausgewandert oder in Haft genommen worden ist, so ist die Rente mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Entziehung dem Verfolgten oder seinen Hinterbliebenen wieder zu gewähren. Wechsel der Staatsangehörigkeit schließt den Anspruch nicht aus.

Die Wiedergewährung erfolgt durch den Träger der Versorgungslast ..."

Dabei ist zu beachten, daß Schaden im wirtschaftlichen Fortkommen, d. h. eine nicht nur geringfügige Benachteiligung im wirtschaftlichen Fortkommen nach § 21 des Entschädigungsgesetzes auch dann vorliegt, wenn die Benachteiligung in Anwendung von Ausnahmegesetzen erfolgt ist. Als Ausnahmegesetze in diesem Sinne werden ausdrücklich im § 21 Abs. 1 1 Ziff. 3 und 5 auch die hier in Betracht kommende Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 und die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 genannt. § 21 Abs. 3 stellt im übrigen noch ausdrücklich klar, daß dem Schaden im wirtschaftlichen Fortkommen auch die durch Entziehung von Versorgungsrenten (ß 35) entstandenen Schäden gleichstehen. (Vgl. hierzu auch die sachlich ähnlich gelagerten, das West-Berliner Wiedergutmachungs- und Entschädigungsgesetz betreffenden gerichtlichen Entscheidungen in Neue Juristische Wochenschrift, Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1951 S. 62 - Nr. 55 - und 1952 S. 253 - Nr. 54 - sowie die kritische Anmerkung von Küster zu der erstgenannten Entscheidung, deren Berechtigung in der zuletzt genannten Entscheidung ausdrücklich anerkannt wird.)

Hiernach kann kein Zweifel sein, daß die Wiedergutmachung entzogener Pensionsansprüche nach dem Willen des Gesetzgebers als ein Tatbestand nicht der Rückerstattung, sondern der Wiedergutmachung im Rahmen der Entschädigungsgesetze zu behandeln ist. Dieser Grundsatz hat auch dann zu gelten, wenn die Wiedergutmachung nicht durch einen unmittelbaren Rechtsspruch der zuständigen Wiedergutmachungsbehörde erfolgt, sondern im Rahmen einer freiwilligen der Wiedergutmachungsbehörde mitgeteilten Vereinbarung, wie das im Streitfalle geschehen ist. Der Senat hat im übrigen bereits in einer ähnlich gelagerten Sache - Urteil des Bundesfinanzhofs IV 174/53 U vom 18. Februar 1954, Bundessteuerblatt 1954 III S. 130 - ebenfalls eine vertragliche Abfindung für entzogene frühere Ruhegehaltsansprüche als in den Rechtskreis der Entschädigungsgesetzgebung fallend und sie als nicht durch § 3 Ziff. 7 EStG (ß 6 Ziff. 5 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV -) befreit, mithin als einkommen (lohn) steuerpflichtig angesprochen. Auf die Darlegungen dieser Entscheidung wird im einzelnen verwiesen.

Bei dieser Rechtslage bedarf es keines Eingehens darauf, ob nicht auch bei Anwendung der Grundsätze des Rückerstattungsrechts, insbesondere des Art. 91 REG, die Einkommensteuerpflicht zu bejahen wäre, wie die Vorbehörde es annimmt.

Auch nach dem vor kurzem erlassenen Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) vom 18. September 1953 (Bundesgesetzblatt - BGBl. - I S. 1387), das mit Wirkung ab 1. Oktober 1953 etwaige widersprechende (ungünstigere) entschädigungsrechtliche Vorschriften der Länder aufhebt (ß 104 BEG), müßte man zu einer gleichen rechtlichen Einordnung des umstrittenen Vorgangs kommen. Dieses Gesetz beschäftigt sich in den §§ 34 bis 37 ebenfalls mit der Wiedergutmachung hinsichtlich privater Dienstverhältnisse, ohne allerdings ausdrücklich den Fall entzogener Versorgungsbezüge durch das Gesetz selbst zu regeln. Dieses beschränkt sich vielmehr darauf, die Verhältnisse der aus dem aktiven Arbeitsverhältnis Entlassenen zu regeln. Anders beim öffentlichen Dienst, bei dem in § 42 BEG die entzogenen Versorgungsbezüge durch eine Entschädigung in Höhe der entgangenen Versorgungsbezüge wiedergutzumachen sind.

Da nun das für den strittigen Fall maßgebende Entschädigungsgesetz positiv nur die Entschädigungen, die für Schaden an Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit gewährt werden, als steuerfrei behandelt wissen will (ß 13 Abs. 8, § 14 Abs. 5, § 16 Abs. 1), während Entschädigungen wegen Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Fortkommens steuerlich nicht befreit sind, wie das auch ausdrücklich aus § 3 Ziff. 7 EStG 1950 zu entnehmen ist, haben die Vorbehörden im Ergebnis mit Recht die Entschädigung von 6.000 DM der Lohnsteuer unterworfen.

Hinsichtlich der Höhe der Lohnsteuerberechnung erhebt die Bfin. keine Einwendungen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407922

BStBl III 1954, 289

BFHE 1955, 208

BFHE 59, 208

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