Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Nachsichtgewährung bei verspäteter Abgabe der Rechtsmittelschrift durch einen vom Steuerpflichtigen beauftragten Boten, dem die Rechtsmittelschrift am letzten Tag der Frist übergeben wird.

 

Normenkette

AO § 86; FGO § 56

 

Tatbestand

Das Urteil des Finanzgerichts ist dem Beschwerdeführer (Bf.) durch Postzustellungsurkunde vom 14. Dezember 1956 zugestellt worden. Die lediglich die Erklärung der Rechtsbeschwerde (Rb.) enthaltende, vom 14. Januar 1957 datierte Rechtsbeschwerdeschrift trägt den Eingangsstempel der Geschäftsstelle des Finanzgerichts vom 15. Januar 1957. Nach dem Aktenvermerk eines Büroangestellten der Geschäftsstelle ist die Rechtsbeschwerdeschrift am 15. Januar 1957 durch einen persönlichen Boten des Bf. in der Geschäftsstelle des Finanzgerichts abgegeben worden. Die Rb. ist um einen Tag verspätet, da die Rechtsmittelfrist am 14. Januar 1957 abgelaufen ist (§§ 82, 245, 246 der Reichsabgabenordnung - AO -; § 188 Abs. 2 BGB).

Der Bf. ist durch Mitteilung des Senatsvorsitzenden vom 12. März 1957 auf die Fristversäumnis hingewiesen worden. Er hat mit Schreiben vom 26. März, eingegangen am 28. März 1957, Nachsicht beantragt und zur Begründung vorgebracht, er habe in der Zeit vom 30. Dezember 1956 bis 13. Januar 1957 auf ärztliches Anraten wegen eines Herzleidens einen 14tätigen Erholungsaufenthalt nehmen müssen; da er darüber hinaus damals der Annahme gewesen sei, daß für die Innehaltung der Fristen das Datum des Poststempels maßgebend sei, sei die Rb. erst am 14. Januar 1957 aufgegeben worden.

Auf den oben erwähnten Aktenvermerk der Geschäftsstelle des Finanzgerichts hingewiesen, hat der Bf. neuerdings erklärt, er erinnere sich nunmehr, daß er am 14. Januar 1957 seinen Boten zum Finanzgericht geschickt habe, und daß dieser, da an dem genannten Tage die Diensträume angeblich bereits geschlossen gewesen seien, von sich aus die Rechtsbeschwerdeschrift erst am 15. Januar 1957 beim Finanzgericht abgegeben habe. Sein Bote, ein Rentner im Alter von 74 Jahren, habe nicht wissen können, wie wichtig es gewesen sei, unbedingt am 14. Januar 1957 den Brief zu übergeben bzw. dem Pförtner oder im Briefkasten zu hinterlassen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Nachsicht ist rechtzeitig gestellt (ß 87 Abs. 2 AO), jedoch sind die angeführten Gründe nicht geeignet, Nachsichtgewährung zu rechtfertigen; diese setzt voraus, daß der Steuerpflichtige ohne sein Verschulden verhindert war, die Rechtsmittelfrist einzuhalten (ß 86 AO). Dies ist zu verneinen.

Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs liegt regelmäßig ein Verschulden schon darin, daß mit der Einlegung eines Rechtsmittels bis zum letzten Tag der Frist gewartet wird (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 580/28 vom 27. Juni 1928, Slg. Bd. 24 S. 31). Der Bf. hatte bis zum Antritt seines Erholungsaufenthalts, der in die zweite Hälfte der Rechtsmittelfrist fiel, genügend Zeit, die lediglich die Erklärung der Rechtsbeschwerdeeinlegung enthaltende Rechtsmittelschrift abzufassen und dem Finanzgericht zu übersenden. Auch sein Erholungsaufenthalt selbst hinderte ihn nicht an der Verrichtung dieser einfachen, nur geringen Zeitaufwand erfordernden Arbeit.

Im Hinblick auf den erwähnten Aktenvermerk der Geschäftsstelle des Finanzgerichts geht der Senat davon aus, daß der Bf. die Rb. in der von ihm zuletzt behaupteten Weise dem Finanzgericht übermittelt hat. Nun steht allerdings nach der Rechtsprechung das Verschulden eines Boten bei Versäumung einer Rechtsmittelfrist dem eigenen Verschulden des Steuerpflichtigen nicht gleich, da ein Bote nicht zu den Bevollmächtigten im Sinne des § 86 Satz 2 AO zu rechnen ist (vgl. das Urteil des Reichsfinanzhofs V A 367/22 vom 19. Dezember 1922, Slg. Bd. 11 S. 135). Im Streitfall liegt aber ein eigenes Verschulden des Bf. bei Beauftragung des Boten darin, daß er es unterlassen hat, diesen auf die Wichtigkeit und Eilbedürftigkeit der Bestellung im Hinblick darauf, daß es sich um den letzten Tag der Frist handelte, hinzuweisen und insbesondere ihn anzuhalten, das Schriftstück, falls die Diensträume geschlossen seien, noch an diesem Tage in den Briefkasten der Behörde einzuwerfen oder beim Pförtner abzugeben. Denn den Bf. traf, wenn er schon die Rechtsmittelfrist voll ausnutzte, eine erhöhte Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß die Rechtsmittelschrift rechtzeitig in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Finanzgerichts kam. In diesem Sinne wird die in dem oben angeführten Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 580/28 vom 27. Juni 1928 niedergelegte Rechtsauffassung zu ergänzen sein.

Der Fall des Urteils des Reichsfinanzhofs V A 367/22 vom 19. Dezember 1922, in dem dieser ein eigenes Verschulden des Steuerpflichtigen bei Beauftragung eines Boten verneint hat, war insoweit anders gelegen, als dem Boten die Rechtsmittelschrift sechs Tage vor Ablauf der Rechtsmittelfrist übergeben worden war und die nicht rechtzeitige Bestellung nur die Folge einer zufälligen Erkrankung des Boten gewesen ist.

Schließlich ist der Umstand, daß die Frist nur um einen Tag überschritten ist, für die Frage, ob die Versäumnis entschuldbar ist, ohne Bedeutung (vgl. das Urteil des Reichsfinanzhofs III A 259/30 vom 10. April 1930, Steuer und Wirtschaft 1930 Nr. 659).

Nach alledem kann nicht festgestellt werden, daß der Bf. ohne sein Verschulden verhindert war, die Rechtsbeschwerdefrist einzuhalten. Es muß ihm deshalb die beantragte Nachsicht versagt werden. Dies hat zur Folge, daß die Rb., ohne daß die Vorentscheidung sachlich nachgeprüft werden kann, als unzulässig zu verwerfen ist (ß 252 AO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 408798

BStBl III 1957, 280

BFHE 65, 124

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