Entscheidungsstichwort (Thema)

Einheitliche und gesonderte Feststellung bei Erbauseinandersetzung

 

Leitsatz (NV)

1. Eine einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte ist auch für das Jahr geboten, in dem sich eine noch an einem Wohngebäude (Einfamilienhaus) bestehende Erbengemeinschaft durch Übertragung des Hauses an einen Miterben auseinandersetzt.

2. Auch wenn diese Auseinandersetzung bereits zum 28. Februar des Veranlagungszeitraums erfolgt, handelt es sich um keinen Fall geringerer Bedeutung im Sinne des § 180 Abs. 3 Alternative 2 AO 1977.

3. Ist in einem solchen Fall die einheitliche und gesonderte Feststellung unterblieben, jedoch die Einkommensteuerveranlagung durchgeführt, so muß das FG auf die gegen den Einkommensteuerbescheid erhobene Klage das Verfahren aussetzen, um den Ausgang der gesonderten Feststellung abzuwarten (Anschluß an BFH-Urteil vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290).

 

Normenkette

AO 1977 § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 3, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 2. Alternative; FGO § 74

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Der Kläger wurde 1972 mit seiner Ehefrau (Klägerin) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er und seine Geschwister waren zu gleichen Teilen Erben ihrer 1970 verstorbenen Mutter. Zum Nachlaß gehörte u.a. ein älteres Einfamilienhaus.

1971 und 1972 baute der Kläger das Haus um und ließ es reparieren. Seit Juni 1972 bewohnt er es selbst. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 28. Februar 1972 setzten sich der Kläger und seine Geschwister über den Nachlaß der Erblasserin, der nur noch aus dem Einfamilienhaus bestand, dahin auseinander, daß der Kläger die Anteile seiner Geschwister am Nachlaß gegen Zahlung von 140 000 DM übernahm und damit das Alleineigentum am Grundstück erhielt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) behandelte bei der Einkommensteuerveranlagung 1972 für die Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Einfamilienhauses die an die Geschwister gezahlte Abfindung von 140 000 DM als Anschaffungskosten des Grundstücks. Er setzte für das erste Halbjahr - die Verordnung über die Bemessung des Nutzungswerts der Wohnung im eigenen Einfamilienhaus (EinfHausV) kam noch nicht zur Anwendung, weil das Haus nicht bewohnt war - Absetzungen für Abnutzung (AfA) von 2,5 v. H. von den geschätzten Gebäudeanschaffungskosten und den geltend gemachten Umbau- und Reparaturkosten als Werbungskosten an.

Der Einspruch, mit dem sich der Kläger gegen die Behandlung der Umbau- und Reparaturkosten als Herstellungskosten wendete, hatte teilweise Erfolg. Das FA erkannte einen Teil der Umbau- und Reparaturkosten als Modernisierungsaufwand nach § 82a EStDV an. Es verminderte allerdings die Bemessungsgrundlage für die AfA nach § 7 Abs. 4 EStG um die Gebäudeanschaffungskosten, da der Erwerb eines Grundstücks im Rahmen einer Erbauseinandersetzung unentgeltlich sei.

Die Klage, die sich gegen die Kürzung der AfA-Bemessungsgrundlage um den auf das Gebäude entfallenden Teil der Abfindung richtete, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) erhöhte die Bemessungsgrundlage für die AfA um 112 000 DM. Es führte im wesentlichen aus, der Kläger habe das Grundstück nur insoweit unentgeltlich erworben, als er entsprechend seinem Erbanteil am Nachlaß beteiligt gewesen sei. Im übrigen liege ein entgeltlicher Erwerb vor.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Die Vorentscheidung ist fehlerhaft, weil sie im Verfahren über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1972 über gesondert festzustellende Einkünfte entschieden hat, ohne den Abschluß eines Verfahrens der gesonderten Feststellung dieser Einkünfte abzuwarten. Der Abschluß eines solchen Verfahrens ist abzuwarten, weil der angefochtene Steuerbescheid keinen ,,vorläufigen" Ansatz gesondert festzustellender Einkünfte enthält.

Nach der im Streitfall anzuwendenden Vorschrift des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung - AO 1977 - (bisher § 215 der Reichsabgabenordnung) sind Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gesondert festzustellen, wenn daran mehrere Personen beteiligt und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind.

Im Streitfall handelt es sich bei den umstrittenen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, die dem Kläger zugerechnet worden sind, zumindest teilweise um Einkünfte mehrerer Beteiligter; denn die AfA sind ab Jahresbeginn beim Kläger als Werbungskosten angesetzt worden. Vor dem Übergang des Alleineigentums auf den Kläger aufgrund des notariell beurkundeten Vertrags vom 28. Februar 1972 war jedoch die aus den vier Erben bestehende Miterbengemeinschaft Eigentümerin des Grundstücks. Dies kann zur Folge haben, daß Einkünfte aus dem Grundstück außer dem Kläger auch den übrigen Miterben zuzurechnen sind.

Das Erfordernis einer gesonderten Feststellung entfällt im vorliegenden Fall nicht wegen geringerer Bedeutung i. S. von § 180 Abs. 3 2. Alternative AO 1977. Ein Fall von geringerer Bedeutung ist anzunehmen, wenn es sich um einen leicht überschaubaren Sachverhalt handelt, die Ermittlung hinsichtlich Höhe und Zurechnung verhältnismäßig einfach und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen nahezu ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Ermittlung der Höhe der Einkünfte, insbesondere aber deren Zurechnung, ist mit Schwierigkeiten verbunden. Es könnte zu widersprüchlichen Entscheidungen für die einzelnen Mitglieder der Erbengemeinschaft kommen.

Zwar ist das Wohnsitz-FA befugt, gesondert festzustellende Einkünfte vorläufig anzusetzen (§ 155 Abs. 2, § 162 Abs. 3 AO 1977). Im Streitfall wollte das FA jedoch bei Erlaß des endgültigen Einkommensteuerbescheids 1972 keine vorläufige Maßnahme treffen, sondern ging davon aus, daß es einer gesonderten Feststellung der umstrittenen Einkünfte im Hinblick darauf, daß nur der Kläger Aufwendungen für das Haus hatte, nicht bedürfe.

Hat das Wohnsitz-FA nicht im Verfahren nach § 155 Abs. 2 AO 1977 einen Steuerbescheid mit nach § 162 Abs. 3 AO 1977 geschätzten Besteuerungsgrundlagen erlassen, sondern bei Erlaß des Steuerbescheids seine Zuständigkeit zur endgültigen Entscheidung einer Besteuerungsgrundlage zu Unrecht in Anspruch genommen, so muß das Gericht das Klageverfahren gemäß § 74 FGO aussetzen, um den Ausgang eines Verfahrens der gesonderten Feststellung abzuwarten (vgl. Urteil in BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290). Dieser Verfahrensmangel ist ohne Rüge von Amts wegen zu beachten (Urteil des BFH vom 14. Februar 1984 VIII R 126/82, BFHE 141, 124, BStBl II 1984, 580).

Die Vorentscheidung, welche die Vorgreiflichkeit eines Feststellungsverfahrens übersehen hat, war aufzuheben. Die Sache geht an das FG zurück, das bei der hier gegebenen Verfahrenslage wegen der noch fehlenden gesonderten Feststellung einer Besteuerungsgrundlage das Verfahren nach § 74 FGO aussetzen muß.

 

Fundstellen

BFH/NV 1986, 319

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