Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Voraussetzung für die Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheides ist nach § 251 AO, daß die Aussetzung nach den Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsmittels vertretbar ist. Ist diese Voraussetzung gegeben, kann "geeignetenfalls" als weitere Voraussetzung für eine Aussetzung die Leistung einer Sicherheit hinzutreten. Die Sicherheitsleistung ist keine - von den Erfolgsaussichten unabhängige - selbständige Grundlage für eine Vollziehungsaussetzung im Sinne dieser Vorschrift.

Soweit der II. Senat des Bundesfinanzhofs in der Entscheidung II 126/55 U vom 5. September 1955 (BStBl 1955 III S. 355, Slg. Bd. 61 S. 406) eine abweichende Auffassung vertreten hat, tritt ihr der Senat nicht bei.

 

Normenkette

AO §§ 251, 242

 

Tatbestand

Die beschwerdeführenden Eheleute haben anläßlich der Berichtigung ihrer für die Veranlagungszeiträume 1950 bis 1954 ergangenen Einkommensteuerbescheide geltend gemacht, daß ihre nunmehr nach § 26 EStG 1957 von amtswegen durchzuführende getrennte Veranlagung unter Berücksichtigung eines zwischen ihnen bestehenden Gesellschaftsverhältnisses zu erfolgen habe. Das Finanzamt hat über das Bestehen des behaupteten Gesellschaftsverhältnisses gesondert im Verfahren nach § 215 Abs. 2 Ziff. 2 AO entschieden, wie es den vom erkennenden Senat in seiner Entscheidung IV 39/58 U vom 26. Juni 1958 (BStBl 1958 III S. 364, Slg. Bd. 67 S. 237) dargelegten Grundsätzen entspricht. Es hat lediglich eine Mitwirkung der Ehefrau im Sinne des § 26 a Abs. 1 Satz 2 EStG 1957 anerkannt und deshalb ein zwischen den Eheleuten bestehendes Gesellschaftsverhältnis für die genannten Veranlagungszeiträume verneint, so daß die in Betracht kommenden gewerblichen Einkünfte in den Berichtigungsbescheiden ausschließlich dem Ehemann zugerechnet worden sind. Das Finanzgericht sowie der I. Senat des Bundesfinanzhofs haben durch Urteile II 176 - 180/58 vom 19. Dezember 1958 bzw. I 75/59 vom 24. November 1959, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, diese Entscheidung des Finanzamts bestätigt. In dem nunmehr noch anhängigen Verfahren, in dem der Senat zu entscheiden hat, geht es um die Streitfrage, ob und inwieweit nach Recht und Billigkeit die Vollziehung der Berichtigungsbescheide 1951 bis 1954 nach § 251 AO auszusetzen war, d. h. - im Sinne der genannten Vorschrift - von der Erhebung der in Betracht kommenden Einkommensteuern abzusehen war.

Die Bf. haben mit Schreiben vom 22. Juli 1958 Vollziehungsaussetzung nach § 251 AO beantragt. Das Finanzamt hat den Antrag durch Bescheid vom 28. Juli 1958 mit dem Hinweis abgelehnt, daß bis zum 4. August 1958 ein Betrag von 3.000 DM zu leisten sei, weil sonst Vollstreckungsmaßnahmen "mindestens zur Sicherung des Anspruchs" eingeleitet werden müßten. Die Oberfinanzdirektion hat die Beschwerde, die nach Lage der Sache als von beiden Ehegatten eingelegt und auch ihnen gegenüber als entschieden anzusehen ist, durch Entscheidung vom 5. November 1958 als unbegründet zurückgewiesen, wobei sie abschließend ausführte: "Die Vollziehung kann auch nicht aus Gründen, die außerhalb der Hauptsache liegen, ausgesetzt werden, da der Bf. nicht bereit war, ausreichende Sicherheiten zu leisten."

 

Entscheidungsgründe

Die - nach erfolgloser Berufung - eingelegte Rb. der Bf. kann keinen Erfolg haben.

Die Bf. haben ihre Rb. im wesentlichen wie folgt begründet:

Die Versagung der nach § 251 AO beantragten Vollziehungsaussetzung verstoße schon deshalb gegen Recht und Billigkeit, weil der Eingang des in der Hauptsache streitigen Steuerbetrages von rund 17.000 DM nach ihren Vermögensverhältnissen zu jeder Zeit gesichert gewesen sei und weil sie außerdem dem Finanzamt rechtzeitig ausreichende Sicherheitsleistungen angeboten hätten.

Außerdem sei die Rechtslage hinsichtlich des behaupteten Gesellschaftsverhältnisses im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung noch durchaus ungeklärt gewesen. Wie die Hauptsache schließlich entschieden worden sei, darauf könne es nicht ankommen.

Dazu ist im einzelnen zu bemerken:

Die Bgin. - die Oberfinanzdirektion - hat in ihrer Beschwerdeentscheidung, wie bereits erwähnt, darauf hingewiesen, daß die Vollziehung auch nicht aus Gründen, die außerhalb der Hauptsache lägen, ausgesetzt werden könne, da der beschwerdeführende Ehemann nicht bereit gewesen sei, ausreichende Sicherheiten zu leisten. Dieser Hinweis geht offensichtlich zurück auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs II 126/55 U vom 5. September 1955 (BStBl 1955 III S. 355, Slg. Bd. 61 S. 406). In dieser hat der II. Senat ausgeführt, daß - abgesehen von den Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsmittels - eine Aussetzung der Vollziehung auch dann in Frage komme, wenn der Eingang der festgesetzten Steuer aus außerhalb der Hauptsache liegenden Gründen gesichert erscheine, wobei das Gesetz selbst in dieser Hinsicht die Sicherheitsleistung erwähne.

Im Verfahren vor dem Finanzgericht haben die Bf. zur Frage der Sicherheitsleistung keine Ausführungen gemacht. Sie haben insbesondere die in der Beschwerdeentscheidung getroffene Feststellung ihrer mangelnden Bereitschaft zur Sicherheitsleistung nicht bestritten. Das Finanzgericht ist in seiner Entscheidung auf die Frage der Sicherheitsleistung nicht eingegangen und hat sich ebenso wie die Bf. in ihrer Berufungsbegründung lediglich mit den Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsmittels befaßt. Erstmals im Verfahren über die Rb. haben die Bf. zur Frage der Sicherheitsleistung umfangreiche tatsächliche und rechtliche Ausführungen gemacht. Wenn man davon ausgeht, daß für das Finanzgericht bei dieser Sachlage keine Veranlassung mehr zu ihrer Erörterung bestand, mithin sein Verfahren nicht gegen § 243 AO verstößt, dann handelt es sich insoweit um neues Vorbringen der Bf., das in dieser Instanz nach den §§ 288, 296 AO nicht zu berücksichtigen ist (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs I 82/56 U vom 14. August 1956, BStBl 1956 III S. 321, 322, Slg. Bd. 63 S. 322).

Doch kann dies auf sich beruhen. Die Bf. können mit ihrem Vorbringen, auch wenn sie damit zu hören sein sollten, nicht durchdringen, und zwar aus folgenden Erwägungen:

Nach Auffassung des Senats bestand - wie noch darzulegen - für das Rechtsmittel in der Hauptsache von vornherein weder eine wohlbegründete Aussicht auf Erfolg im Sinne der Entscheidung des Bundesfinanzhofs II 37/53 U vom 10. Februar 1954 (BStBl 1954 III S. 116, Slg. Bd. 58 S. 538) noch war die Rechtslage im Sinne der Entscheidung des Bundesfinanzhofs III 187/52 S vom 10. September 1954 (BStBl 1954 III S. 328, Slg. Bd. 59 S. 307) auf Grund gewichtiger Darlegungen der Bf. zweifelhaft. Nach Auffassung des Senats war vielmehr der Mißerfolg des in der Hauptsache eingelegten Rechtsmittels, wenn es nicht schon von vornherein als aussichtslos anzusehen war, weitaus wahrscheinlicher als sein Erfolg. Unter diesen Umständen ist die Behörde auch bei angebotener Sicherheitsleistung zur Vollziehungsaussetzung nicht nur nicht verpflichtet, sondern - bei pflichtgemäßer Ermessensausübung - auch nicht berechtigt.

Die Oberfinanzdirektion hat hierzu in dieser Instanz ausgeführt: Das Urteil II 126/55 U vom 5. September 1955 (a. a. O.) dürfe nicht so weit ausgelegt werden, daß in jedem Falle, auch wenn Erfolgsaussichten nicht gegeben seien, die Vollziehung auszusetzen sei, wenn nur der Steuereingang gesichert erscheine. Es würde - so meint die Oberfinanzdirektion weiter - mit dem Grundgedanken der Vorschrift des § 251 AO nicht zu vereinbaren sein, wenn man den für das Abgabenrecht besonders statuierten Grundsatz, daß durch Einlegung eines Rechtsmittels die Erhebung einer Steuer nicht aufgehalten werde, allein schon in Anbetracht einer Sicherheitsleistung aufgeben wollte. Auch wenn der Steuereingang in voller Höhe nicht nur gesichert erschiene, sondern auch tatsächlich gesichert werde, rechtfertige dies in der Regel der Fälle nicht die Aussetzung der Vollziehung von Steuerbescheiden. Diese Ausführungen stellen eine zutreffende Auslegung des § 251 AO dar. Diese Vorschrift ist keine Stundungsvorschrift, mag sie auch in ihrer Wirkung darauf hinauslaufen. In ihren Voraussetzungen unterscheidet sie sich aber wesenhaft von der Stundung, wie ihre Stellung im Abschnitt: "Rechtsmittel" zeigt, die erkennen läßt, daß sie in engem und ausschließlichem Zusammenhang mit der Rechtsmitteleinlegung steht (vgl. Berger, Der Steuerprozeß, S. 344).

Wenn nach § 251 Satz 2 AO die Vollziehung "geeignetenfalls gegen Sicherheitsleistung" ausgesetzt werden kann, so ist etwa an diejenigen Fälle gedacht, in denen eine nach den Erfolgsaussichten vertretbare Vollziehungsaussetzung im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalles nur gegen Sicherheitsleistungen gerechtfertigt erscheint, um beispielsweise das durch die zu erwartende Länge der Prozeßdauer bedingte Risiko eines späteren Steuerausfalls auszuschließen oder zu mildern. Soweit der Entscheidung des II. Senats II 126/55 U vom 5. September 1955 (a. a. O.) in dieser Hinsicht etwas Gegenteiliges zu entnehmen sein sollte, tritt der Senat dem nicht bei.

Hiernach kommt es entscheidend darauf an, ob und welche Aussichten für die Anerkennung des von den Bf. behaupteten Gesellschaftsverhältnisses gegeben waren. Die Oberfinanzdirektion hat sie, wie bereits angedeutet, mit Recht verneint. Dabei kommt es nicht darauf an, wie die Frage des Gesellschaftsverhältnisses in dem gesonderten Feststellungsverfahren schließlich entschieden worden ist. Maßgeblich sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung.

Den Bf. kann nicht zugegeben werden, daß die Rechtslage in diesem Zeitpunkt noch durchaus ungeklärt gewesen sei. Es galten auch hier unverändert die Grundsätze, die von der Rechtsprechung seit jeher im Interesse klarer Rechtsgestaltung allgemein bei Rechtsgeschäften zwischen nahen Angehörigen und insbesondere bei Verträgen zwischen Eltern und Kindern entwickelt worden sind. Danach ergab sich auch für die Anerkennung der von Ehegatten abgeschlossenen Verträge, daß ihre zivilrechtliche Gestaltung klar und eindeutig sein und der tatsächliche Vollzug den rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen entsprechen muß, um zu verhindern, daß unberechtigte Steuervorteile erschlichen werden. Diese Grundsätze sind auch bereits in den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 231/56 S vom 3. Dezember 1957 und I 105/57 U vom 10. Dezember 1957 (BStBl 1958 III S. 27 und 70, Slg. Bd. 66 S. 66 und S. 178) als maßgeblich anerkannt.

Bei summarischer überprüfung konnte das Finanzamt nach seinem pflichtgemäßen Ermessen, ohne gegen Recht und Billigkeit zu verstoßen, zu der Auffassung gelangen, daß die beantragte Vollziehungsaussetzung zu versagen sei, weil es sich bei dem behaupteten Gesellschaftsverhältnis der Ehegatten um eine nachträgliche Konstruktion handle, durch die lediglich wegen der sich bei seiner Anerkennung ergebenden erheblichen Steuervorteile eine Rechtsgrundlage zur Aufspaltung der gewerblichen Einkünfte geschaffen werden sollte. Die für die Oberfinanzdirektion im Zeitpunkt ihrer Entscheidung überschaubaren konkreten Einzelheiten waren ausreichend genug, um die Versagung der Aussetzung zu rechtfertigen. Hierzu wird im einzelnen auf die Vorentscheidung Bezug genommen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410390

BStBl III 1962, 356

BFHE 1963, 246

BFHE 75, 246

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