Leitsatz (amtlich)

Der bauliche Zustand eines Mietwohngrundstücks ist bei der Bewertung mit dem Vielfachen der Jahresrohmiete zunächst bei der Ermittlung der Miete zu berücksichtigen. Dabei ist von dem tatsächlichen Zustand am Feststellungszeitpunkt und den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1935 auszugehen. Erst auf dieser Grundlage kann die weitere Frage entschieden werden, ob wegen des baulichen Zustandes des Gebäudes auch noch eine Ermäßigung des Vielfachen der Jahresrohmiete nach § 37 BewDV erforderlich ist.

 

Normenkette

BewG i. d. F.g vor BewG 1965 § 52; BewDV a.F. §§ 3a, 34, 37

 

Tatbestand

Die Revisionskläger sind Eigentümer eines im Jahre 1906 erbauten Mietwohngrundstückes in Berlin. Das FA - Revisionsbeklagte - hat für dieses Grundstück zum 1. Januar 1953 auf dem Wege der Wertfortschreibung im Rohmieteverfahren einen Einheitswert festgestellt. Dabei ging es von einer Jahresrohmiete von 19 766,83 DM, entsprechend dem Baujahr von einem Vervielfältiger 5 und auf Grund einer Ortsbesichtigung von einem Gebäudeschadensgrad von 11,43 v. H. aus. Der Einspruch führte zur Herabsetzung des Einheitswerts. Die Einspruchsentscheidung ging von einem Gebäudeschadensgrad von 20,22 v. H. aus.

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht (VG) begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt: Der schlechte bauliche Zustand des Gebäudes könne auf Grund des Systems der Bewertung im Jahresrohmieteverfahren nicht sowohl beim Ansatz der Jahresrohmiete als auch durch eine Ermäßigung des sich aus dem Vielfachen der Jahresrohmiete ergebenden Wertes berücksichtigt werden. § 37 BewDV sehe, soweit sich der bauliche Zustand nicht in dem Vielfachen der Jahresrohmiete ausdrücke, eine Ermäßigung vor, deren Ausmaß nach der Bedeutung zu bemessen sei, die dem Mangel bei einem Verkauf nach Lage des Grundstücksmarkts beigemessen werde. Die Höhe der Ermäßigung des Vielfachen der Jahresrohmiete könne im vorliegenden Fall deshalb nicht durch Vergleich mit dem Verkauf anderer beschädigter Grundstücke ermittelt werden, weil der Grundstücksmarkt in West-Berlin seit der Währungsreform durch eine Vielzahl von Umständen beeinflußt worden sei, die von Käufern und Verkäufern nicht einheitlich beurteilt würden. Soweit es sich dabei um Wertverhältnisse handle, seien sie unberücksichtigt zu lassen. Auch die Anhörung eines Sachverständigen hätte für die Urteilsfindung nicht weiter führen können, denn ein Sachverständiger hätte sich allenfalls unmittelbar zu dem gemeinen Wert äußern können, jedoch nicht dazu, wie sich die nach dem Jahresrohmieteverfahren zu ermittelnden Werte infolge der Bauschäden entwickelt hätten. Mangels einer zuverlässigen und praktikablen Möglichkeit, die Wert- und Marktverhältnisse objektiv mit einer für die Bewertung ausreichenden Sicherheit festzustellen, sei es zu billigen, daß die Finanzverwaltung von dem Herstellungsaufwand beschädigter, aber mietetragender Gebäudeteile ausgehe, wobei dieser Herstellungsaufwand nur mit dem Anteil berücksichtigt werden könne, mit dem der beschädigte Gebäudeteil im Einheitswert enthalten sei. Auf diese Weise würden Schäden an mietetragenden Gebäudeteilen ebenso bewertet wie der Verlust eines vor der Beschädigung vermieteten Teils des Hauses, der nun keine Miete mehr erbringt. In dem vom Gericht eingeholten Gutachten sei dieser Grundsatz beachtet. Der vom Gutachter ermittelte Schadensgrad von 13,5 v. H. könne aber deshalb nicht unverändert der Einheitswertfeststellung zugrunde gelegt werden, weil teilweise zu Unrecht Bauaufwendungen nicht beachtet worden seien, wie z. B. die Abbruchskosten, die im Zusammenhang mit der Beseitigung von Kriegsschäden ständen. Durch die Berücksichtigung dieser Kosten erhöhe sich der Schadensgrad auf 16,5 v. H. Damit bleibe noch eine Differenz von 3,72 v. H. zu dem Schadensgrad von 20,22 v. H., von dem in der Einspruchsentscheidung ausgegangen worden sei. Die Vorinstanz sah von einer Verböserung ab, weil eine rückschauende Ermittlung des Schadensgrads über mehr als 10 Jahre eine Reihe von Unsicherheitsfaktoren in sich berge.

Das VG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Mit der Rechtsbeschwerde, die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist, wird mangelnde Sachaufklärung und unrichtige Anwendung der §§ 3a, 34 und 37 BewDV gerügt.

Die Revisionskläger sind der Meinung, das VG hätte für die Bewertung des Grundstücks nicht von den am 1. Januar 1953 tatsächlich gezahlten Mieten ausgehen dürfen, auch wenn diese denen des Jahres 1935 entsprochen haben. Denn ein großer Teil der Wohnungen habe sich in einem tatsächlichen Zustand befunden, auf Grund dessen er nach den maßgeblichen Verhältnissen des 1. Januar 1935 entweder gar nicht oder nur zu einer wesentlich geringeren Miete bewohnt worden wäre. Außerdem habe es das VG unterlassen, einen Häusermakler darüber zu hören, wie sich der Zustand des Grundstücks, wie er aus den bei den Akten befindlichen Fotos zu ersehen sei, auf den Kaufpreis ausgewirkt hätte. Schließlich seien die neben den Gebäudeschäden geltend gemachten Erschütterungsschäden, Witterungsschäden, sowie der Hausschwamm nicht berücksichtigt worden.

Der Revisionsantrag geht dahin, die vervielfältigte Jahresmiete nach § 37 Abs. 3 BewDV a. F. um 30 v. H. zu ermäßigen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach § 3a BewDV sind bei Fortschreibungen der Einheitswerte des Grundbesitzes der tatsächliche Zustand vom Fortschreibungszeitpunkt und die Wertverhältnisse vom 1. Januar 1935 zugrunde zu legen. Bei der Bewertung bebauter Grundstücke mit einem Vielfachen der Jahresrohmiete gehört die Miete zu den Wertverhältnissen, für die der 1. Januar 1935 zugrunde zu legen ist. Das bedeutet, daß für die Einheitsbewertung die Miete anzusetzen ist, die nach den tatsächlichen Verhältnissen des Grundstücks vom Fortschreibungszeitpunkt und unter Berücksichtigung der Wertverhältnisse vom 1. Januar 1935 gezahlt worden wäre (Urteil des BFH III 201/60 vom 16. November 1962, HFR 1963, 129). Das FA hat bei der Durchführung der Wertfortschreibung zum 1. Januar 1953 die von den Mietern der Revisionskläger gezahlten Mieten anhand der Häuserliste 1934 mit den am 1. Januar 1935 entrichteten Mieten verglichen und festgestellt, daß die Mieten von 1953, von geringen Ausnahmen abgesehen, den Mieten von 1935 entsprechen. Es hat dabei aber nicht berücksichtigt, daß es damit dem § 3a BewDV nicht voll gerecht geworden ist, denn es hätte weiter die Frage prüfen müssen, ob die 1953 entrichteten Mieten unter Berücksichtigung des baulichen Zustandes des Objekts auch 1935 gezahlt worden wären. Hierzu hat der Senat mit Urteil III 312/59 vom 10. August 1962 (HFR 1963, 243) entschieden, daß im Falle stärkerer Beeinträchtigung des Gebrauchswerts einer Wohnung durch Kriegsschäden dem Mieter ein Recht auf Minderung des Mietzinses zustehen würde. Zahlt der Mieter die Miete trotzdem in voller Höhe weiter, weil auf Grund einer Vereinbarung ein Teil der voll gezahlten Miete zur Wiederinstandsetzung der Wohnung verwendet werden soll, so ist dies bei der Ermittlung der für die Bewertung maßgebenden Jahresrohmiete zu berücksichtigen. Eine solche Vereinbarung muß nicht ausdrücklich getroffen sein, sondern sie kann auch stillschweigend bestehen.

Die Vorinstanz hat diese Frage trotz des dahin zielenden Vortrags der Kläger nicht geprüft. Aus diesem Grund war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Für die Entscheidung ist folgendes zu beachten: Nach § 37 Abs. 1 BewDV kann der sich aus dem Vielfachen der Jahresrohmiete ergebende Wert des Grundstücks wegen des baulichen Zustandes zu ermäßigen sein. Eine Ermäßigung hierwegen ist aber nur soweit möglich, als der bauliche Zustand nicht schon in der Jahresrohmiete zum Ausdruck gekommen ist (§ 37 Abs. 4 BewDV). Hieraus ergibt sich, daß zunächst die den tatsächlichen Verhältnissen vom Feststellungszeitpunkt und den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1935 entsprechende Jahresrohmiete zu ermitteln ist. Erst wenn diese Miete feststeht, kann auf dieser Grundlage die weitere Frage entschieden werden, ob der bauliche Zustand auch noch durch eine Ermäßigung nach § 37 BewDV zu berücksichtigen ist, weil er in der für die Bewertung maßgeblichen Jahresrohmiete nicht hinreichend zum Ausdruck kommt. Dies ist insbesondere bei baulichen Mängeln und bei Schäden des Gebäudes notwendig, die den Mietwert der einzelnen Wohnung nicht mindern. Als solche können z. B. Schäden am Dach oder ein Befall mit Mauerschwamm im Keller in Betracht kommen. Die Auffassung der Vorinstanz trifft deshalb nicht zu, daß eine Ermäßigung der Miete wegen des baulichen Zustandes und eine Ermäßigung des Vielfachen der Jahresrohmiete ebenfalls wegen des baulichen Zustandes zwangsläufig zu einer doppelten Berücksichtigung führen müßten. Hierin liegt eine Verkennung der Wechselwirkung zwischen der Ermittlung der dem Gesetz entsprechenden Jahresrohmiete und der Möglichkeit einer Ermäßigung des Vielfachen der Jahresrohmiete. Die Notwendigkeit einer systemgerechten Behandlung ergibt sich daraus, daß im Rahmen der Mietermittlung Begrenzungen zur Berücksichtigung des baulichen Zustandes nicht gegeben sind, während eine Ermäßigung wegen des baulichen Zustandes nach § 37 BewDV 30 v. H. des Vielfachen der Jahresrohmiete nicht überschreiten darf.

Soweit eine Ermäßigung nach § 37 BewDV demnach in Betracht kommt, richtet sich ihre Höhe nach der Bedeutung, die dem besonderen Umstand bei einem Verkauf des Grundstücks nach Lage des Grundstücksmarkts beigemessen würde. Der Senat hat zwar mit Urteil III 204/55 U vom 28. September 1956 (BFH 64, 1, BStBl III 1957, 1) entschieden, daß die Höhe der Wiederinstandsetzungskosten des Gebäudes nicht unbedingt entscheidend für die Bemessung der Ermäßigung sei. Diese Auffassung wurde im wesentlichen damit begründet, daß die Ermäßigung auf den Höchstwert von 30 v. H. des Vielfachen der Jahresrohmiete begrenzt sei. Im vorliegenden Fall wird dieser Höchstsatz offensichtlich nicht erreicht, deshalb scheint es ein durchaus geeigneter Weg zu sein, von den Wiederherstellungskosten des beschädigten mietetragenden Teils des Gebäudes für die Bemessung der Ermäßigung auszugehen. Der Senat sieht keinen Rechtsverstoß darin, daß das VG die Anhörung eines Sachverständigen abgelehnt hat; denn nach den Feststellungen der Vorinstanz bestand jedenfalls an dem maßgeblichen Feststellungszeitpunkt nach den Marktverhältnissen in Berlin-West keine hinreichend gefestigte Auffassung der beteiligten Wirtschaftskreise, auf die eine Sachverständigenäußerung hätte gestützt werden können. Um so weniger ist zu erwarten, daß eine Sachverständigenäußerung über die hypothetische Frage möglich gewesen wäre, wie sich der bauliche Zustand des mietetragenden Teils des Gebäudes vom maßgeblichen Feststellungszeitpunkt 1. Januar 1953 unter Berücksichtigung der Wertverhältnisse von 1935 auf den Marktpreis ausgewirkt hätte. Im übrigen liegt die Höhe der Bemessung der Ermäßigung im Bereiche der tatsächlichen Feststellungen, an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 118 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 68551

BStBl II 1969, 462

BFHE 1969, 453

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