Leitsatz (amtlich)

Während der Dauer der Entziehung rückzuerstattender Unternehmungen hat der Rückerstattungsverpflichtete, nicht der Rückerstattungsberechtigte, den laufenden Gewinn zu versteuern. Er kann bei Herausgabe der Nutzungen an den Rückerstattungsberechtigten diesen mit der von ihm entrichteten Steuer belasten (Art. 32 des Gesetzes Nr. 59).

Eine andere Beurteilung ist in den Fällen gerechtfertigt, in denen durch Urteil oder Vergleich bestimmt ist, daß das Unternehmen bereits von einem zurückliegenden Zeitpunkt ab für Rechnung des Rückerstattungsberechtigten geführt wird, und die Veranlagung noch nicht erfolgt ist (Urteil des Bundesfinanzhofs I 52/52 U vom 23. September 1952, BStBl. 1952 Teil III S. 283).

Gesetz Nr. 59 der amerikanischen Militärregierung in der Fassung des 6. änderungsgesetzes (Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission Nr. 25 vom 30. Juni 1950 S. 467)

 

Normenkette

AmerikREG 91

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hat bis zum Jahre 1938 ein Unternehmen betrieben. Dies ist ihr im Wege der Arisierung entzogen worden. Nach Ergehen des Gesetzes Nr. 59 der Militärregierung der US-Zone hat sie Rückerstattungsansprüche geltend gemacht. Das Unternehmen war bereits 1945 unter Vermögenskontrolle gestellt worden und das Rückerstattungsverfahren wurde nunmehr durchgeführt. Am 21. Oktober 1949 erging ein Teilurteil des Landgerichts dahin, daß dem Antrag der Rückerstattungsberechtigten (RB) stattgegeben wurde. Das Urteil spricht aus:

III. Die Antragsgegner haben das vorbezeichnete Anwesen sowie das unter der Firma ... betriebene Unternehmen einschließlich der Geschäftseinrichtung, der Warenvorräte, Geschäftspapiere und Forderungen an die Antragsteller herauszugeben.

Die Beschwerde der Rückerstattungsverpflichteten (RV) gegen dieses Urteil wurde durch Beschluß des Oberlandesgerichts vom 16. Januar 1950 zurückgewiesen. Das Urteil (vom 28. Oktober 1949) ist von dem Restitution-Appeal Court for Germany of the United States in Nürnberg bestätigt worden. Die RB haben das Unternehmen am 28. März 1950 wieder übernommen und ihre alte Firma in das Handelsregister eintragen lassen. Wegen einer Reihe von Punkten haben alsdann noch Streitigkeiten zwischen den Parteien geschwebt. Diese Streitigkeiten fanden ihre Erledigung durch einen vor dem Landgericht abgeschlossenen Vergleich vom 24. September 1951, der in den hier interessierenden Teilen folgenden Inhalt hatte:

"I. Die ... verpflichten sich gesamtschuldnerisch, an die Antragsteller zur Abfindung sämtlicher noch in Schwebe befindlichen Ansprüche aus dem vorliegenden Rückerstattungsrechtsstreit den Betrag von 25.000 DM zu zahlen.

II. - III. ... IV. Damit sollen alle gegenseiten Ansprüche irgendwelcher Art ausgeglichen sein. Die etwaigen Entschädigungsansprüche verbleiben den Antragstellern."

In dem gegenwärtigen Steuerstreit handelt es sich um die Frage, ob die RB mit dem in dem Unternehmen in der Zeit vom 21. Juni 1948 bis 31. Dezember 1949 entstandenen Gewinn zur Einkommensteuer herangezogen werden können. Die RB, die zunächst zur Vornahme der einheitlichen Gewinnfeststellung der Bfin. (OHG) für diesen Zeitraum auf Grund vorläufiger Bilanzen eine Steuererklärung abgegeben hatten, haben später ihren Rechtsstandpunkt geändert. Sie vertreten jetzt die Ansicht, daß Artikel 91 des Gesetzes Nr. 59 ihre Heranziehung zur Einkommensteuer verbiete. Das Finanzamt hat gegenüber der Bfin. eine einheitliche Gewinnfeststellung für II/1948 bis 1949 vorgenommen und den Gewinn zwischen den Gesellschaftern der OHG, die sämtlich RB bzw. deren Erben sind, aufgeteilt. Gegen diese Entscheidung hat die Bfin. Sprungberufung eingelegt.

Das Finanzgericht hat ein Teilurteil nach § 284 der Reichsabgabenordnung (AO) erlassen. Es hat sich zunächst darauf beschränkt auszusprechen, daß die RB mit dem Gewinn des streitigen Zeitraums zur Einkommensteuer heranzuziehen sind. Artikel 91 des Gesetzes Nr. 59 stehe der Versteuerung des laufenden Gewinns nicht entgegen.

 

Entscheidungsgründe

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.). Sie ist begründet.

Es ist mit dem Finanzgericht davon auszugehen, daß Artikel 91 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 59 auch auf dem Gebiete der Einkommensteuer anzuwenden ist, und daß Befreiung nur hinsichtlich derjenigen Einkünfte eintritt, die dem RB aus Anlaß der Rückerstattung zufließen (vgl. Entscheidung des Senats I 52/52 U vom 23. September 1952, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1952 III S. 283). Die Unterordnung des laufenden Gewinns unter die Vergünstigungsvorschrift des Artikels 91 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 59 würde in Widerspruch stehen zu der das Rückerstattungsgesetz beherrschenden Regelung, daß während der Dauer der Entziehung zwar der RV die laufenden Steuern zu entrichten hat, diese aber bei Herausgabe der Nutzungen gemäß Artikel 32 dem RB anrechnen darf, so daß im Endergebnis die Steuer stets zu Lasten des RB geht. Wenn das Finanzgericht der Auffassung ist, daß allgemein die laufenden Gewinne, die seit Einrichtung der Vermögenskontrolle dem Treuhänder zugeflossen und mit ihm abzurechnen sind, nach einheitlichen Grundsätzen behandelt werden müssen, so vermag der Senat dem nicht zuzustimmen. Wenn auch nach Artikel 32 der RB Anspruch auf Herausgabe der Nutzungen hat (gekürzt um die von den RV gezahlten Steuern), so kann er doch steuerpflichtig werden nur mit dem, was ihm unversteuert tatsächlich zufließt. Es muß daher im Einzelfall geprüft werden, ob die Durchführung des Gedankens - laufende Gewinne an den RB mit Versteuerung durch ihn - in einem späteren Stadium der Rückerstattung möglich ist. Die nachträgliche Heranziehung des RB schließt Artikel 91 Abs. 2 aus. Es kommt entscheidend darauf an, wie in dem individuellen Rückerstattungsverfahren das Problem der Entschädigung für die Nutzungen durch Urteil oder Vergleich geregelt ist.

Der Senat hat in dem Urteil I 52/52 U folgende Entscheidung getroffen:

"Wird im Rückerstattungsverfahren eines gewerblichen Betriebs - unbeschadet der Vorschriften des Rückerstattungsgesetzes - durch Beschluß oder Vergleich festgelegt, daß die noch unter Treuhänderschaft erzielten Gewinne von einem Stichtag ab, der vor dem Abschluß des Rückerstattungsverfahrens liegt, dem RB zufließen, und ist die Veranlagung für den mit dem Stichtag beginnenden Zeitraum noch nicht durchgeführt, so ist die Rückbeziehung auch steuerlich anzuerkennen und die Veranlagung den RB gegenüber vorzunehmen."

Die Entscheidung hat, wie sich ergibt, die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse zur Grundlage. Der Fall lag dort so, daß die Partner des Rückerstattungsverfahrens sich dahin geeinigt hatten, daß das den Gegenstand der Rückerstattung bildende Unternehmen mit Wirkung vom 21. Juni 1948 auf die RB (dort eine Kapitalgesellschaft) zurückgehen sollte. Auf diesen Stichtag wurde die Abrechnung mit dem Treuhänder vorgenommen. Die Parteien waren weiter darüber einig, daß der Gewinn seit dem 21. Juni 1948 den RB bzw. der Kapitalgesellschaft, deren alleinige Gesellschafter sie waren, zufließen und von ihr versteuert werden sollte. Die RB sollten sich den Finanzbehörden gegenüber dafür einsetzen, daß hinsichtlich der noch ausstehenden Veranlagung zur Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer entsprechend verfahren würde. In diesem Falle konnte mit Rücksicht auf die von den Beteiligten geschaffene Lage die Entscheidung nur dahin ergehen, daß die Steuer auf den Gewinn des Unternehmens seit dem 21. Juni 1948 unmittelbar von den RB anzufordern war.

Der Senat hält auch unter der Herrschaft des § 27 des Lastenausgleichsgesetzes (LAG) an der von ihm vertretenen Auffassung fest. Die von den Finanzverwaltungen der Länder in im wesentlichen gleichlautenden Erlassen (vgl. z. B. BStBl. 1953 III S. 79, 105, 117) vertretene Ansicht, die Entscheidung des Senats sei durch § 27 LAG überholt, trifft nicht zu. § 27 LAG stellt in Abs. 1 für den Regelfall den Grundsatz auf, daß - notfalls nach vorhergehender vorläufiger Veranlagung - das rechtskräftige Ergebnis des Rückerstattungsverfahrens auf den Stichtag des Lastenausgleichs (21. Juni 1948) zurückzubeziehen ist. Diese Vorschrift besagt an sich nichts Neues, sie schließt sich an die Regelung des § 52 der Durchführungsverordnung zum ersten Teil des Soforthilfegesetzes vom 8. August 1949 (StDVO-SHG) - Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets (WiGBl.) S. 214 - an. Sie ist beschränkt auf das Gebiet des Lastenausgleichs und führt nicht zu der Folge, daß nunmehr auch die Erträgnisse des rückerstatteten Vermögens vom Stichtag des LAG an den RB zugerechnet werden müßten. Die Entscheidung hierüber ist vielmehr nach den das Einkommensteuergesetz (EStG) beherrschenden Grundsätzen zu treffen. Wenn § 27 Abs. 2 LAG den Abgabepflichtigen (Partnern des Rückerstattungsverfahrens), soweit sie bilanzierende Kaufleute sind, ein Wahlrecht einräumt, dessen Ausübung sich auf die Steuern vom Einkommen und Ertrage auswirkt, so ist auch diese Vorschrift für die hier strittige Frage ohne Bedeutung. Nach der Auslegung, die der Senat in übereinstimmung mit dem Bundesminister der Finanzen dem § 27 Abs. 2 gibt, bleiben die Bilanzierungsgrundsätze maßgebend, die sich aus den Regeln der ordentlichen Buchführung und den Vorschriften des D-Markbilanzgesetzes (DMBG) ergeben. In den Fällen, in denen danach die Berücksichtigung der Rückerstattung in der DM-Eröffnungsbilanz nicht zwingend ist, greift das Wahlrecht ein, aber es kann nicht zum Zuge kommen, wenn es sich - wie hier - um die Behandlung des Gewinns handelt, der in dem mit dem 21. Juni 1948 beginnenden Wirtschaftsjahr entstanden ist. Künftiger Gewinn findet in der Eröffnungsbilanz niemals Berücksichtigung.

Dies vorausgeschickt gelangt der Senat im vorliegenden Fall zu folgendem Ergebnis:

Es handelt sich um das Verfahren der einheitlichen Gewinnfeststellung nach § 215 AO. Ein solches kann nur vorgenommen werden, wenn an dem gewerblichen Gewinn eines Unternehmens - die übrigen Fälle des § 215 Abs. 2 Ziff. 1, 3, 4 AO scheiden hier aus - mehrere Personen als Unternehmer beteiligt sind. Wie bereits das Urteil I 52/52 U zeigt, muß die Entscheidung nach den Verhältnissen des Einzelfalls getroffen werden. Es ist zunächst zu untersuchen, welche rechtlichen Folgen aus dem Urteil des Landgerichts gezogen werden müssen. Wenn das Landgericht ausspricht, daß das Unternehmen zurückgegeben werden muß "einschließlich der Geschäftseinrichtung, der Warenvorräte, Geschäftspapiere und Forderungen", dann legt die Bfin. dies richtig dahin aus, daß Rückgabe erfolgen solle "so wie dasselbe geht und steht". über die Abrechnung der seit 1938 gezogenen Nutzungen, hinsichtlich deren Höhe offenbar im Zusammenhang mit Entnahmen der RV Streit bestand, sagt das Urteil, das sich als Teilurteil bezeichnet, nichts. Der die Nutzungen betreffende Teil der Rückerstattung war offengeblieben. Er wurde bereinigt durch den 1951 geschlossenen Vergleich, der eindeutig sämtliche noch schwebenden Ansprüche der RB zum Gegenstand hatte. Auf diesen Vergleich kommt es entscheidend an. Zur Abgeltung aller übrigen Ansprüche wurde eine zusätzliche Zahlung an die RB von 25.000 DM vereinbart. Wenn es dann weiter in dem Vergleich heißt, daß "etwaige Entschädigungsansprüche" den RB verbleiben sollten, so beweist schon das Wort "etwaige", daß hierbei nicht an die Nutzungen, auf die nach der zwingenden Vorschrift des Artikels 32 des Gesetzes Nr. 59 ein Rechtsanspruch bestand, gedacht worden ist. Der Vertreter der Bfin. bezeichnet mit den erwähnten Entschädigungsansprüchen die weitergehenden Ansprüche an den Staat. Weder dem Urteil noch dem Vergleich ist mithin zu entnehmen, daß das Unternehmen seit dem 21. Juni 1948 als auf Rechnung der RB geführt behandelt werden solle. Im Gegenteil ist im Rahmen der Abgeltung sämtlicher Ansprüche der RB (und damit auf Herausgabe aller seit Beginn der Entziehung durch die RV gezogenen Nutzungen) ein globaler Betrag von 25.000 DM bestimmt worden. Es ist zu unterstellen, daß der Ermittlung des globalen Betrages eine ziffernmäßige Errechnung zugrunde gelegen hat. Auf Grund welcher überlegungen die Beteiligten zu der gefundenen Summe gelangt sind, ist in dem vorliegenden Verfahren nicht erörtert worden. Es kann dies auch dahingestellt bleiben. Auch wenn im Rahmen der Globalabfindung die Nutzungsentschädigungen für die einzelnen Jahre der Entziehung getrennt errechnet worden sein sollten, vermöchte dies die Entscheidung nicht zu beeinflussen, da es nach den für die Einkommensteuer geltenden Grundsätzen allein darauf ankommt, ob die RB seit dem 21. Juni 1948 als Unternehmer und damit als Kaufleute, die eine DM-Eröffnungsbilanz auf diesen Stichtag aufzustellen hatten, anzusehen sind. Dies trifft im Falle der Bfin. nicht zu, wenn auch für die Zwecke des Lastenausgleichs - § 27 Abs. 1 LAG - das später rückerstattete Vermögen ihnen bereits zum 21. Juni 1948 zugerechnet wird.

Bei dieser Rechtslage stellt der in der Globalabfindung von 25.000 DM für die Zeit ab 21. Juni 1948 möglicherweise anteilig enthaltene Betrag eine Abfindung dar, die als aus Anlaß der Rückerstattung entrichtet nach Art. 91 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 59 steuerfrei zu belassen ist. Aus dieser Beurteilung folgt, daß der RV die Nutzungen in dem Zeitraum 21. Juni 1948 bis 31. Dezember 1949 steuerlich so behandeln muß, wie sich dies für ihn während der vorgehenden Zeit der Entziehung ergab. Die Abwälzung der Steuer auf die RB kann nur nach Artikel 32 des Gesetzes Nr. 59 erfolgen.

Der Vertreter der Bfin. hat den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gestellt. Seine späteren Eingaben lassen nicht klar erkennen, ob er den Antrag aufrechterhält. Der Senat sieht keinen Anlaß, demselben stattzugeben. Da das Finanzgericht die Bedeutung des Vergleichs verkannt hat, unterliegt das angefochtene Urteil der Aufhebung. Die Sache ist spruchreif. Den RB ist der Gewinn des Zeitraums 21. Juni 1948 bis 31. Dezember 1949 nicht zuzurechnen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407781

BStBl III 1954, 7

BFHE 1954, 241

BFHE 58, 241

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