Leitsatz (amtlich)

Pipetten mit einem mechanischen Hubsystem gehören als mechanische Geräte zur Tarifnr. 84.59 GZT.

 

Normenkette

GZT Vorschrift 1 f zu Abschn. XV zu Kap. 90; GZT Vorschrift 1 k zu Kap. 90, Tarifnr. 74.19; GZT Vorschrift 1 k zu Kap. 90, Tarifnr. 76.16; GZT Vorschrift 1 k zu Kap. 90, Tarifnr. 84.59

 

Tatbestand

Die Beklagte (die Oberfinanzdirektion – OFD –) erteilte der Klägerin auf deren Anträge am 15. März 1982 drei verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA) Nrn. 109, 110 und 111/1982 über „Transferpettoren (Kapillarkolbenpipetten)” verschiedener Typen. Bei den Waren handelt es sich um Kolbenpipetten mit federgespanntem Hubsystem, die in Laboratorien zum Pipettieren von Flüssigkeiten verwendet werden. Die Pipetten haben ein unterschiedliches volumetrisches Fassungsvermögen. Sie bestehen aus verschiedenen Bestandteilen. Diese sind im ersten Fall aus Messing (ca. 23,9 g), Aluminium (ca. 13 g), Stahl (ca. 7 g), Kunststoff (ca. 27,7 g) und Glasbestandteilen (ca. 0,2 g), im zweiten Fall aus Aluminium (ca. 17,9 g), Stahl (ca. 0,8 g), Kunststoff (ca. 2,3 g) und Glasbestandteilen (ca. 0,2 g), im dritten Fall aus Aluminium (ca. 17,3 g), Stahl (ca. 0,7 g), Kunststoff (ca. 2,5 g) und Glasbestandteilen (ca. 0,2 g). Nach den Angaben der Klägerin herrschen in allen drei Fällen die Metallbestandteile wertmäßig vor. Die Pipetten arbeiten mit einem federgespannten Hubsystem. Durch Druck auf die Hubstange wird die Kolbenstange bis an den vorderen Rand der Kapillare gebracht und durch Wiederloslassen der Hubstange die zu pipettierende Flüssigkeit in die Kapillare eingesaugt. Durch abermaligen Druck wird die Flüssigkeit wieder ausgedrückt.

Die OFD wies die Waren in den vZTA im ersten Fall der Tarifnr. 74.19 des Gemeinsamen Zolltarifs – GZT – (andere Waren aus Kupfer), in den beiden anderen Fällen der Tarifst. 76.16 D GZT (andere Waren aus Aluminium) zu. Zur Begründung führte sie aus: Die Bestandteile aus unedlen Metallen bestimmten nach ihrem Gewicht und nach ihrem Wert gegenüber den Bestandteilen aus Kunststoff und Glas den Charakter der Waren. Die Bestandteile aus Messing bzw. die Bestandteile aus Aluminium herrschten gegenüber den Bestandteilen aus anderen Metallen gewichtsmäßig vor. Da die Erzeugnisse weder in den vorhergehenden Tarifnummern des Kap. 74 bzw. 76 noch an anderer Stelle des Zolltarifs (ZT) erfaßt seien, gehörten sie zu den genannten Tarifstellen. Nach der Bedeutung der einzelnen Bestandteile in bezug auf die Verwendung der Pipetten könne deren Charakter nicht eindeutig ermittelt werden. Eine Zuweisung der im allgemeinen Laborbetrieb verwendeten Erzeugnisse als Meßgeräte zur Tarifst. 90.16 B GZT scheide aus, weil sie keine Meßgeräte i. S. dieser Tarifstelle seien, sondern Meßgefäße, die als Hohlmaße von einer Zuordnung zum Kap. 90 GZT ausgenommen seien (Vorschrift 1 k zu Kap. 90 GZT).

Die Klägerin legte gegen die vZTA Einsprüche ein, mit denen sie die Zuweisung der Erzeugnisse als „Mengen-Dosierapparate für flüssige Stoffe” zur Tarifst. 84.59 E II GZT begehrte. Die Einsprüche wies die OFD u. a. mit folgender Begründung zurück:

Die Waren seien wie die Pipetten der herkömmlichen Art zum Pipettieren von Flüssigkeiten für den allgemeinen Laborbetrieb bestimmt. Sie unterschieden sich von herkömmlichen Pipetten lediglich durch bessere Handhabung und größere Meßgenauigkeit. Die Waren seien daher wie die herkömmlichen Pipetten als Hohlmaße anzusehen. Nach der Vorschrift 1 k zu Kap. 90 GZT gehörten Hohlmaße nicht zu den in diesem Kapitel u. a. erfaßten Meß-, Prüf- und Präzisionsinstrumenten, -apparaten und -geräten, sondern seien nach Stoffbeschaffenheit zu tarifieren.

Der Auffassung der Klägerin, die Waren seien wegen ihrer Ausstattung mit einem „federgespannten Hubsystem” mehr als nur Hohlmaße und daher mit den herkömmlichen Pipetten nicht vergleichbar, könne nicht gefolgt werden. Die für den Pipettiervorgang erforderliche mechanische Vorrichtung einfachster Art ermögliche nur eine andere, bessere Handhabung der Kolbenpipetten gegenüber den herkömmlichen Pipetten. Der Klägerin sei nicht darin zu folgen, daß allein aus der mechanischen Vorrichtung abgeleitet werden könne, die Waren seien mit den in Kap. 84 GZT erfaßten Maschinen, Apparaten und mechanischen Geräten schlechthin und innerhalb dieses Kapitels mit den in der Tarifst. 84.59 E II GZT erfaßten „Mengen-Dosierapparaten für flüssige Stoffe” vergleichbar. Bei diesen Apparaten handle es sich um universell verwendbare Apparate, die der selbsttätigen Mengenzuteilung dienten und aufgrund ihrer vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten in mehrere der anderen Nummern des Kap. 84 GZT eingereiht werden könnten.

Mit ihren Klagen macht die Klägerin folgendes geltend:

Die Pipetten seien nicht als Hohlmaß anzusehen. Es sei der gesamte Mechanismus zu berücksichtigen, der den Pipetten überhaupt erst ihre Funktion und ihre Eigenart verleihe. Durch den Arretierknopf in Verbindung mit dem Zählwerk und dem mit einer Spiralfeder versehenen Hubmechanismus für den Kolben (im ersten Fall) bzw. durch den mit einer Spiralfeder versehenen Hubmechanismus für den Kolben (in den beiden anderen Fällen) sei eine genaue Dosierung der zu entnehmenden Flüssigkeit überhaupt erst möglich. Kennzeichnend für die Kolbenpipette sei also das Zusammenspiel mehrerer mechanischer Teile, woraus sich die mechanische Funktion ergebe. Es handele sich also eindeutig um einen Mengen-Dosierapparat für flüssige Stoffe. Die Annahme, es handle sich um ein Hohlmaß, verbiete schon die Vielzahl der Teile, aus denen die Ware bestehe.

Unrichtig sei die Auffassung der OFD, die mechanische Vorrichtung „einfachster Art” rechtfertige es nicht, die Ware mit den in Kap. 84 GZT erfaßten Maschinen, Apparaten und mechanischen Geräten zu vergleichen. Eine Durchsicht des Kap. 84 GZT zeige, daß hierzu auch Waren gehörten, die überhaupt keine mechanische Vorrichtung aufwiesen. Unrichtig sei auch die Auffassung der OFD, bei den in den Erläuterungen zur Tarifnr. 84.59 GZT genannten Waren handle es sich ausschließlich um universell verwendbare Apparate zur selbsttätigen Mengenzuteilung.

 

Entscheidungsgründe

Die Klagen sind begründet. Die fraglichen Waren gehören nicht zu den Tarifnrn. 74.19 bzw. 76.16 GZT, sondern zur Tarifst. 84.59 E II GZT.

Maßgebend für die Tarifierung sind der Wortlaut der Tarifnummern, die Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln sowie – hilfsweise – die Allgemeinen Tarifierungs-Vorschriften – ATV – (vgl. ATV 1 Sätze 2 und 3). Die Tarifnr. 84.59 GZT umfaßt Maschinen, Apparate und mechanische Geräte, die in Kap. 84 anderweit weder genannt noch inbegriffen sind. Die fraglichen Kolbenpipetten sind als Apparate bzw. mechanische Geräte in diesem Sinn anzusehen. Da sie in Kap. 84 GZT sonst nicht genannt oder inbegriffen sind, sind sie also in die genannte Tarifnummer einzuordnen.

Das funktionsprägende Merkmal von Maschinen, Apparaten und mechanischen Geräten ist die mehr oder weniger konstante Bewirkung mechanischer Bewegungsvorgänge (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – EuGH – vom 26. Mai 1977 Rs. 108/76, EuGHE 1977, 1047, 1054). Dieses Merkmal weisen auch die zu tarifierenden Waren auf. Sie sind durch mechanische Bewegungsvorgänge gekennzeichnet. Mittels des federgespannten Hubsystems wird Flüssigkeit in bestimmter Menge eingesaugt und – nach Übertragung im Gerät an den gewünschten Ort – wieder abgegeben. Damit erfüllen die fraglichen Waren die Voraussetzungen der Begriffe „Apparat” oder „mechanisches Gerät” i. S. des Kap. 84 GZT. Daran ändert der Umstand nichts, daß die zu tarifierenden Waren relativ klein und ihre Mechanik einfach ist. Die genannten Begriffe unterscheiden nicht nach Größe und nicht nach dem Grad der Mechanisierung.

Zu Unrecht beruft sich die OFD für ihre gegenteilige Auffassung auf die Vorschrift 1 k zu Kap. 90 GZT. Danach gehören „Hohlmaße” nicht zu Kap. 90 GZT, sondern sind nach Stoffbeschaffenheit zu tarifieren. Es ist fraglich, ob diese Vorschrift hier überhaupt angewendet werden kann, da eine Einordnung der zu tarifierenden Waren in Kap. 90 GZT ohnehin nicht in Betracht kommt. Das kann aber dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls sind die Waren keine Hohlmaße in diesem Sinne.

Die Funktion von Hohlmaßen beschränkt sich darauf, den Rauminhalt vorwiegend von Flüssigkeiten zu messen. Die zu tarifierenden Kolbenpipetten haben aber einen darüber hinausgehenden Verwendungszweck, der sich nicht in der Meßfunktion erschöpft. Sie dienen der Übertragung von Flüssigkeiten von einem Ort zu einem anderen und sind zu diesem Zweck mit einer mechanischen Vorrichtung versehen, die das genau dosierte Einsaugen und wieder Ausdrücken der Flüssigkeit ermöglicht. Wegen dieser zusätzlichen Funktion können sie nicht als reine Hohlmaße angesehen werden.

Die Waren sind demnach als Apparate bzw. mechanische Geräte von der Tarifnr. 84.59 GZT erfaßt. Andere Tarifnummern kommen für sie nicht in Betracht. Als Glaswaren für Laboratorien (Tarifnr. 70.17) können sie nicht angesehen werden, da sie nur zum geringsten Teil aus Glas bestehen. Auch zu den Apparaten und Geräten zum Heben (Tarifnr. 84.22) zählen sie nicht, da das Heben im Sinne dieser Tarifnummer nicht ihr Verwendungszweck ist und überdies unter diese Tarifnummer nach ihrem Wortlaut nur Apparate und Geräte ganz anderer Dimension gehören. Auch den Apparaten und Geräten zum Messen (Tarifnr. 90.16) können die Kolbenpipetten nicht zugerechnet werden, weil das Messen nur einer ihrer Verwendungszwecke ist.

Die Kolbenpipetten sind daher in die Tarifnr. 84.59 GZT einzuordnen und innerhalb dieser Tarifnummer in die Stelle E II (andere Maschinen, Apparate und Geräte als die in den anderen Positionen dieser Tarifnummer genannten). Aus dem Umstand, daß die Waren aus bestimmten Stoffen bestehen und bei der Tarifierung nach Stoffen unter die Tarifnr. 74.19 bzw. 76.16 GZT fallen würden, ergibt sich nicht, daß für ihre Tarifierung mehrere Tarifnummern i. S. der ATV 3 „in Betracht” kommen. Denn nach der Vorschrift 1 f zu Abschnitt XV gehören zu diesem Abschnitt nicht die Waren des Abschnittes XVI. Da danach nureine Tarifnummer in Betracht kommt, bedarf es keiner Prüfung i. S. der ATV 3 a–3 c.

Die angefochtenen vZTA waren daher aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510453

BFHE 1984, 444

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