Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Erstattung von Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen für Waren, die nach der Abfertigung zum freien Verkehr durch Brand vernichtet worden sind.

 

Normenkette

AO § 131; Billigkeitsrichtlinien des BdF Zweiter Teil 2 A I 8 f (BZBl 1953, 811); ZG § 38 Abs. 3, § 40; AZO § 80

 

Tatbestand

Am 16. Juli 1969 wurde durch einen Großbrand in dem Industriehafen der Stadt Bremen ein Teil der Lagerhallen der Firma X zerstört. Von der Brandkatastrophe wurden größere Bestände an Waren betroffen, die die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) bei der Firma X eingelagert hatte, nachdem sie sie in der Zeit vom 22. Mai 1967 bis zum 3. Juli 1969 eingeführt hatte und die Waren zum freien Verkehr abgefertigt waren. Die Waren wurden zum größeren Teil vernichtet. Eine kleinere Teilmenge wurde beschädigt geborgen.

Mit Rücksicht auf die Brandkatastrophe stellte die Klägerin den Antrag, die Abgaben, die auf die vom Großbrand betroffenen Waren entfallen, aus Billigkeitsgründen zu erstatten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt – HZA –) wies den Antrag zurück mit der Begründung, daß weder sachliche noch persönliche Billigkeitsgründe die Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen für die bereits in den zollrechtlich freien Verkehr getretenen Waren rechtfertigen könnten. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit der Klage beschränkte die Klägerin die Verfolgung ihres Billigkeitsantrages auf den Abgabenbetrag, der auf die am 3. Juli 1969 (13 Tage vor der Brandkatastrophe) eingeführten und bei der Firma X eingelagerten Waren entfällt. Die Klägerin stützte ihren Anspruch auf die Erlaßrichtlinien, in denen eine Abgabenvergütung für Waren, die unmittelbar nach der Abfertigung zum freien Verkehr untergegangen seien, ausdrücklich vorgesehen sei. Diese Bestimmung sei im Streitfall sinngemäß anwendbar. Im übrigen sei eine Abgabenbefreiung auch deshalb gerechtfertigt, weil die Zollerhebung ihre wirtschaftliche Zwecksetzung nicht erfülle, wenn die eingeführte Ware untergehe, bevor sie in die Wirtschaft des Zollgebietes eingegangen sei. Daß dieses Merkmal für die Erhebung des Zolls letztlich ausschlaggebend sei, ergebe sich aus § 40 ZG, in dem der Gedanke des Wirtschaftszolls besonders klar zum Ausdruck komme.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die von der Klägerin eingelegte Revision, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AO können im Einzelfall Steuern und sonstige Geldleistungen ganz oder zum Teil erlassen, erstattet oder angerechnet werden, wenn ihre Einbeziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Durch den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70 (BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603) hat der Gemeinsame Senat erkannt, daß die Entscheidung der Behörde, ob die Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre, von den Gerichten nach den für die Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätzen zu prüfen ist; danach werden Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens durch den Maßstab der Billigkeit bestimmt.

Der Erlaß einer Steuerschuld stellt einen Verzicht auf eine rechtskräftig festgestellte Steuerschuld dar, also eine Begünstigung eines einzelnen Steuerpflichtigen zu Lasten der Allgemeinheit. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann daher Erlaß oder Erstattung aus sachlichen Billigkeitsgründen nur gewährt werden, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Besteuerungstatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes nicht vereinbar ist, wenn also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestands über die Wertungen des Gesetzgebers feststellbar ist und der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Besteuerung aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (BFH-Urteil vom 15. Februar 1973 V R 152/69, BFHE 108, 571, BStBl II 1973, 466).

Die den beantragten Billigkeitserweis ablehnenden Verwaltungsentscheidungen beruhen im Ergebnis auf diesen Rechtsgrundsätzen. Die Verwaltung hat ohne Ermessenfehler keine sachlichen Billigkeitsgründe in der Brandkatastrophe gesehen. Der Brand, der den Schaden der Klägerin herbeigeführt hat, steht in keiner Beziehung zu der Steuererhebung, die zur Zeit des Schadenseintrittes abgeschlossen war. Die Ware war in diesem Zeitpunkt bereits in den freien Verkehr des Zollgebiets getreten, so daß eine steuerliche Bindung für diese Ware nicht mehr bestand. Aus dem Zollgesetz ist zu entnehmen, daß die Besteuerung in solchen Fällen den Wertungen des Gesetzgebers nicht zuwiderläuft. Zu Recht hat die Oberfinanzdirektion (OFD) in ihrer Beschwerdeentscheidung auf § 38 Abs. 3 ZG hingewiesen. Danach ist Zoll zu erlassen oder zu erstatten, wenn Zollgut vor der Freigabe untergeht. Aus diesem klaren Wortlaut ist zu entnehmen, daß nach den Wertungen des Gesetzgebers im Regelfall der Steuerpflichtige das Risiko eines Untergangs der Waren nach der Freigabe zu tragen hat. Das entspricht auch der Rechtsprechung des BFH, wonach es nicht zweck des § 131 AO ist, Schadensfälle des täglichen Lebens, die keine Beziehung zur Steuererhebung haben, mit öffentlichen Mitteln zu mildern (Beschluß vom 5. Dezember 1956 Vz B 6/56, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1957 S. 209).

Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht der von der Klägerin vorgetragene Gesichtspunkt, daß die durch den Brand vernichteten Waren von der Einfuhr bis zu ihrem Untergang eingelagert gewesen seien. Auch wenn die Auffassung der Klägerin zutrifft, daß diese Waren noch keinen Eingang in die Wirtschaft des Zollgebiets gefunden hätten, kann daraus kein Anspruch auf Abgabenerstattung für diese Waren hergeleitet werden. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz des Zollrechts, daß die Abgabenerhebung immer dann rückgängig zu machen ist, wenn eingeführte Waren keinen Eingang in die Wirtschaft des Zollgebiets gefunden haben. Auch aus § 40 ZG und § 80 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) ist ein solcher Grundsatz nicht zu entnehmen. Dort ist nur unter ganz bestimmten, erschöpfend aufgezählten Voraussetzungen eine Abgabenentlastung für Waren vorgesehen, die keinen Eingang in die Wirtschaft des Zollgebiets gefunden haben. Aus diesen Wertungen des Gesetzgebers ergibt sich, daß die Erhebung von Eingangsabgaben für eingeführte Waren, die nicht in die Wirtschaft des Zollgebiets eingegangen sind, nicht ohne weiteres als unbillig angesehen werden kann.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann ein Ermessensverstoß der Verwaltung auch nicht in der Nichtanwendung des Billigkeitstatbestandes im Zweiten Teil 2 A I 8 f der Billigkeitsrichtlinien gesehen werden. Die Klägerin räumt selbst ein, daß die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung dieses Billigkeitstatbestandes nicht gegeben sind. Die Ware ist nicht vor den Augen der Zollbeamten unmittelbar im Anschluß an die Freigabe untergegangen, sondern erst 13 Tage nach der Zollabfertigung durch den Brand vernichtet worden. Der BFH hat im Urteil vom 22. August 1972 VII R 12/69 (BFHE 107, 77) entschieden, daß die in den Richtlinien verlangten Tatbestandsmerkmale schon dann nicht vorliegen, wenn der Untergang zwei Tage nach der Zollabfertigung erfolgt ist. Die Klägerin beruft sich deshalb auf eine sinngemäße Anwendung dieser Bestimmungen, die immer dann erfolgen soll, wenn die freigegebene Ware untergegangen ist, bevor sie Eingang in die Wirtschaft des Zollgebietes gefunden hat. Für eine solche sinngemäße Anwendung ist aber schon deshalb kein Raum, weil, wie bereits dargelegt, der Umstand, daß eine Ware keinen Eingang in die Wirtschaft des Zollgebiets gefunden hat, für sich allein eine Billigkeitsmaßnahme nicht rechtfertigt.

 

Fundstellen

BFHE 1975, 82

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