Leitsatz (amtlich)

Der Antrag auf Erlaß von Vermögensabgabe-Teilbeträgen durch einen Ehegatten wegen außerordentlichen Vermögensverfalls darf vom FA nicht deshalb abgelehnt werden, weil der andere, zur Vermögensabgabe nicht mitveranlagte Ehegatte im Erlaßzeitraum höheres Vermögen als das Ausgangsvermögen des Abgabeschuldners besaß und erhebliche Einkünfte hatte.

 

Normenkette

AO § 131; LAG § 203 Abs. 1, 5; VAO 1954; VerfVAO 1964

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) begehrte für die Zeiträume 1. Januar 1963 bis 31. Dezember 1965 und 1. Januar 1966 bis 31. Dezember 1968 Erlaß der Vermögensabgabe wegen außerordentlichen Vermögensverfalls.

Der Kläger war durch Berichtigungsbescheid vom 24. September 1965 zur Vermögensabgabe mit einem ab 1. Oktober 1965 zu zahlenden Vierteljahrsbetrag veranlagt worden. Er wurde nicht zusammen mit seiner Ehefrau veranlagt. Gemäß § 55a Abs. 2 LAG wurde der Vierteljahrsbetrag ab 1. Januar 1967 durch die vorläufig gewährte Vergünstigung für Sowjetzonenflüchtlinge vermindert.

Durch Bescheid vom 19. März 1969 bewilligte das FA für die Erlaßzeiträume 1960 bis 1962 wegen außerordentlichen Vermögensverfalls einen Teilerlaß der Vermögensabgabe von 24 %. Danach beantragte der Kläger für die Zeiträume 1963 bis 1965 wegen eines behaupteten weiteren Vermögensrückganges einen Erlaß von 54 % der Vierteljahrsbeträge und für den Zeitraum 1966 bis 1968 einen Erlaß von 68 % der Vierteljahrsbeträge. Er habe bei seinem hohen Alter und seinem schlechten Gesundheitszustand Lebenshaltungskosten, die die Erträge seines Vermögens überstiegen. Sonst wäre er auf die Unterhaltsleistung seiner Ehefrau angewiesen.

Das FA erkannte die Vermögensberechnungen nicht an. Es kam seinerseits für die Jahre 1963 bis 1965 zu einer Verlustquote von 35 % und für 1966 bis 1968 zu einer solchen von 42 %. Es nahm Zurechnungen vor. Es lehnte durch Bescheid vom 19. Dezember 1969 einen Erlaß für den Zeitraum 1963 bis 1965 wegen nicht ausreichender Verlustquote und einen weiteren Vermögensabgabe-Erlaß deswegen ab, weil die Vermögensabgabe ohne wirtschaftliche Existenzgefährdung bezahlt werden könne. Die Beschwerde an die OFD blieb ohne Erfolg. Die OFD billigte die vom FA vorgenommenen Zurechnungen. Es habe sich zum Teil um vermögensmindernde Maßnahmen des Klägers gegenüber der vom Kläger gegründeten, unter der Beteiligung seiner Ehefrau umgestalteten GmbH gehandelt; weitere vermögensmindernde Maßnahmen wären Zinszahlungen und mittelbare Zuwendungen an die Ehefrau gewesen. Nach den Verwaltungsanordnungen über den Erlaß von Vermögensabgabe bei außerordentlichem Vermögensverfall vom 19. Juli 1954 - VAO - (BStBl I 1954, 380) und vom 19. November 1963 - VerfVAO 1964 - (BStBl I 1963, 798) sei bei Erlaß wegen Vermögensverfalls die gesamte wirtschaftliche Lage in Betracht zu ziehen. Bei Prüfung der Frage, ob der notwendige Lebensunterhalt des Abgabeschuldners gesichert sei, müßten in Anbetracht der ehelichen Lebensgemeinschaft auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Ehegatten einbezogen werden. Nach den gemeinsamen Steuererklärungen 1968 und 1969 hätten dem Kläger und seiner Ehefrau ohne Berücksichtigung einer Hotelbeteiligung steuerliche Einkünfte von wengistens 150 000 DM jährlich (hauptsächlich aus Kapitalvermögen) und ein Vermögen von einigen Millionen DM zur Verfügung gestanden.

Der Kläger erhob gegen den Ablehnungsbescheid des FA und gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD Klage wegen Ermessensmißbrauchs; denn seine Einwendungen gegen die Einbeziehung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse seiner Ehefrau sowie gegen die Würdigung seiner eigenen Verhältnisse und gegen die Hinzurechnungen bei Berechnung des Vermögensverfalls seien unberücksichtigt geblieben.

Das FG wies die Klage ab. Es stellte den Rechtsstreit auf zwei Punkte ab:

1. Ob der vom Kläger für die Zeiträume 1963 bis 1965 und 1966 bis 1968 wegen außerordentlichen Vermögensverfalls begehrte Vermögensabgabe-Erlaß bereits im Hinblick auf die Vermögenslage seiner Ehefrau und die bestehenden Einkommensverhältnisse der Eheleute vom FA abgelehnt werden durfte,

2. verneinendenfalls, ob und gegebenenfalls inwieweit bei der Vermögensverfallsberechnung die zum erklärten Restvermögen 31. Dezember 1965 und 31. Dezember 1968 vom FA gemäß den Erlassen des BdF und aus weiteren Gesichtspunkten vorgenommenen Zurechnungen zu Recht erfolgt sind.

Das FG ging von der Ermächtigung zum Erlaß von Verwaltungsanordnungen des BdF betreffend Ausgleichsabgaben in § 203 Abs. 5 LAG aus. Es nahm Bezug auf die für den Erlaß der Vermögensabgabe bei Vermögensverfall ergangene Verwaltungsanordnung in Verbindung mit dem BdF-Erlaß vom 21. Januar 1957 (BStBl I 1957, 126) und dem Runderlaß des BdF vom 12. Dezember 1957 (BStBl I 1957, 590) und die VerfVAO 1964. Das FG bejahte die Streitfrage zu 1. und kam zu dem Schluß, das FA habe den begehrten Vermögensabgabe-Erlaß bereits mit dieser Begründung sowohl nach der VAO und der VerfVAO 1964 als auch nach allgemeinen Billigkeitsgründen des § 131 AO ablehnen dürfen, ohne damit pflichtgemäßes Ermessen zu überschreiten oder ermessensfehlerhaft zu handeln. Der Senat habe deshalb nicht auf die weiteren etwa noch vorliegenden Ablehnungsgründe einzugehen insbesondere auch nicht darüber zu entscheiden brauchen, ob entgegen der Auffassung des FA und der OFD für den Erlaßzeitraum 1963 bis 1965 die erforderliche Mindestverlustquote erreicht sei und welche Zurechnungen zur Korrektur des vom Kläger erklärten Restvermögens für die Erlaßzeiträume 1963 bis 1965 und 1966 bis 1968 vorzunehmen oder inwieweit sie zu unterlassen seien.

Mit der Revision beantragt der Kläger, unter Aufhebung des Urteils des FG, der Beschwerdeentscheidung und des Ablehnungsbescheides des FA die Sache an das FG zurückzuverweisen im Hinblick auf die Einwendungen des Klägers hinsichtlich der Zurechnungen zum Restvermögen. Durch die angefochtenen Entscheidungen seien § 203 Abs. 5 LAG, § 131 AO, Art. 3 und Art. 6 GG verletzt. Zur Begründung wird ausgeführt: Grundlage für die Billigkeitsmaßnahmen sei § 131 AO in Verbindung mit § 203 LAG. Für die Vermögensabgabe seien die allgemeinen Härtegrundsätze der Reichsabgabenordnung teils im Lastenausgleichsgesetz, teils in den Verwaltungsanordnungen ausgestaltet worden. Die maßgebliche Billigkeitserwägung beim außerordentlichen Vermögensverfall sei nicht sozialer, von den Bedürfnissen des Steuerschuldners bestimmter Art, sondern eine an die Entwicklung des Steuerobjekts knüpfende Erwägung der Steuergerechtigkeit. Statt dessen hätte die Vorinstanz die steuerliche Leistungsfähigkeit nicht an der Entwicklung des Vermögens gemessen, sondern an den Einkünften der unterhaltspflichtigen Ehefrau. Somit werde der Ehefrau die Vermögensabgabe des Ehemannes aufgebürdet; diese Folgerung verstoße gegen Art. 6 GG und gegen die Rechtsprechung des BVerfG sowie des BFH.

Das FA hält seinen bisherigen Standpunkt aufrecht und beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung wegen Rechtsverstoßes und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Gegenstand der Revision und der vorangegangenen Klage ist die Ablehnung des begehrten Teilerlasses der Vermögensabgabe wegen Vermögensverfalls für den Erlaßzeitraum 1963 bis 1965 und für den Erlaßzeitraum 1966 bis 1968. Das FG hat zutreffend unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH erkannt, daß bei Ablehnung eines Erlasses von Abgaben aus Billigkeitsgründen die Steuergerichte darauf beschränkt sind, nachzuprüfen, ob die Finanzverwaltung bei der Ablehnung des Erlasses sich innerhalb der Schranken billigen Ermessens gehalten hat oder ob ein Ermessensfehlgebrauch der Verwaltung vorliegt. Soweit das FG bei dem von ihm zu 1. genannten Streitpunkt einen Ermessensfehlgebrauch verneint hat, vielmehr die Einbeziehung der Vermögensund Einkommensverhältnisse der Ehefrau in die Prüfung des Vermögensverfalls des Klägers seitens der Finanzverwaltung billigte, liegt ein Rechtsverstoß vor. Es sind Art. 3 und Art. 6 GG, § 203 LAG in Verbindung mit den genannten Verwaltungsanordnungen des BdF zum Erlaß der Vermögensabgabe bei Vermögensverfall und § 131 AO verletzt. Der erkennende Senat hat in dem Beschluß vom 6. Oktober 1972 III B 39/71 (BFH 107, 234, BStBl II 1973, 123) wegen Erlasses einer einstweiligen Anordnung gegen das FA betreffend Nichteinziehung rückständiger Vermögensabgabe-Teilbeträge des Klägers ausgeführt, daß die Beschwerde insoweit berechtigt war, als sie sich gegen die Heranziehung des Vermögens und des Einkommens der Ehefrau als Versagungsgrund gegen den Erlaß der Vermögensabgabe des damaligen Beschwerdeführers und jetzigen Klägers und Revisionsklägers wendet. Es wird auf die Entscheidungsgründe des Beschlusses III B 39/71, der den gleichen Beteiligten zuging, als auch hier maßgebliche Begründung Bezug genommen. Tragend für die Entscheidung sind Urteile des BVerfG vom 21. Februar 1961 1 BvR 314/60 (BStBl I 1961, 63) und des BFH vom 17. Oktober 1969 III 240/65 (BFH 98, 287, BStBl II 1970, 402). Danach verstößt die in der VAO vorgesehene Zusammenrechnung des Restvermögens der nicht getrennt lebenden Eheleute zur Berechnung des Vermögensverlustes gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Der Verstoß ist hier um so schwerwiegender, als die Ehefrau nicht mit dem Kläger zur Vermögensabgabe gemeinsam veranlagt worden war, also mit der Vermögensabgabe des Klägers rechtlich nichts zu tun hatte. Der vom FG vorgenommenen Auslegung, das oben genannte BVerfG-Urteil habe nur eine Zusammenrechnung zur objektiven Berechnung des Vermögensverfalls, nicht aber die Heranziehung des Vermögens und des Einkommens der Ehefrau als Maßstab der Leistungsfähigkeit des Vermögensabgabe-Schuldners untersagt, ist nicht zuzustimmen. Alsdann würde bei einem großen Vermögen des Ehegatten die Beanstandung des BVerfG in der Regel wirkungslos bleiben, da die Versagung des Vermögensabgabe-Erlasses wegen Vermögensverfalls des einen Ehegatten formell auf dem Umwege einer subjektiven Leistungsfähigkeit begründet werden könnte, aber materiell auf der verfassungsrechtlich unzulässigen Heranziehung des Vermögens und Einkommens des anderen Ehegatten beruhen würde. Selbst die eigenen Einkommensverhältnisse des Abgabeschuldners sind bei Prüfung der Voraussetzung für einen Erlaß wegen Vermögensverfalls in aller Regel nicht zu berücksichtigen (BFH-Entscheidung III 240/65). Bei dieser Beurteilung konnten natürlich, wie des weiteren in dem Beschluß III B 39/71 ausgeführt ist, erst recht nicht die Einkommensverhältnisse der nicht mitveranlagten Ehefrau ein Hindernis für den Erlaß der Vermögensabgabe bei vorhandenem Vermögensverfall des anderen Ehegatten bilden. Somit ist die Begründung des FG für das klageabweisende Urteil rechtsirrig.

Die Sache ist aber nicht entscheidungsreif. Das FG hatte bei dem von ihm eingenommenen Standpunkt keine Veranlassung, auf die Höhe des zu berücksichtigenden Vermögensverlustes in den Erlaßzeiträumen unter Überprüfung der vom FA vorgenommenen Zurechnungen für die Zeiträume 1. Januar 1963 bis 31. Dezember 1965 und 1. Januar 1966 bis 31. Dezember 1968 einzugehen. Da das zum Teil tatsächliche Vorbringen der Beteiligten noch nicht von der Vorinstanz gewürdigt wurde, ist Zurückverweisung nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO geboten.

 

Fundstellen

BStBl II 1973, 176

BFHE 1973, 68

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