Leitsatz (amtlich)

Vorräte, die nicht zum Verkauf oder zur Verarbeitung, sondern zur notwendigen Ergänzung des Anlagevermögens bestimmt sind, sind übrige Gegenstände des Anlagevermögens. Soweit im letzten Einheitswert Wirtschaftsgüter dieser Art enthalten sind, ist die Feststellung nach Wert und Bestand für die Soforthilfeabgabe bindend, auch wenn bis zum Währungsstichtag ihre Verwendung erfolgt ist. Der in § 1 SHG ausgesprochene Grundsatz, der das am 21. Juni 1948 vorhandene Vermögen der Soforthilfeabgabe unterwirft, findet seine Grenze dort, wo das Gesetz selbst eine abweichende Regelung vorschreibt.

 

Normenkette

SHG § 11 Ziff. 3 Abs. 2 S. 2; SHG § 11 Ziff. 2; SHG § 11 Ziff. 1

 

Tatbestand

Auf den Bescheid vom 19. Juli 1951 hat die Beschwerdeführerin (Bfin.) erneut mündliche Verhandlung beantragt.

Das Ergebnis der mündlichen Verhandlung gibt dem Senat keine Veranlassung, von der sich aus dem Vorbescheid ergebenden Beurteilung abzugehen. Der Vortrag der Bfin. erfordert jedoch eine Ergänzung des Vorbescheides.

 

Entscheidungsgründe

Es kann dahingestellt bleiben, ob nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen Vorräte, die nach der Begriffsbestimmung des Soforthilfegesetzes Ergänzungsmaterialien sind, zum Umlaufs- oder zum Anlagevermögen gerechnet werden. Die Bfin. sieht in ihnen "anlageähnliches Vorratsvermögen". Für das Soforthilferecht bestimmt sich ihre Zugehörigkeit allein nach den Vorschriften des Soforthilfegesetzes. Aus diesen ergibt sich eindeutig folgendes:

§ 11 Ziffer 3 Absatz 2 bestimmt positiv, daß als Vorratsvermögen Waren, Fertigerzeugnisse, Halberzeugnisse, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe gelten. § 11 bestimmt weiter negativ, daß nicht zum Vorratsvermögen die Vorräte gehören, die nicht zum Verkauf oder zur Verarbeitung, sondern zur notwendigen Ergänzung des Anlagevermögens bestimmt sind. Darüber hinaus spricht § 11 aus, daß Ergänzungsmaterialien zum Anlagevermögen gehören. Wann Vorräte der hier in Frage kommenden Art zur Ergänzung des Anlagevermögens bestimmt sind, entscheidet sich entgegen der von der Bfin. vertretenen Auffassung nicht nach dem subjektiven Ermessen des Unternehmers, sondern nach den objektiven Umständen. Dies ergibt sich zwingend aus dem Wortlaut, daß solche Vorräte zur notwendigen Ergänzung des Anlagevermögens bestimmt sein müssen. Hätte etwa die Bfin. am Währungsstichtage über einen Bestand von 10 000 Glühbirnen verfügt, dann wären diese dann als zur notwendigen Ergänzung des Anlagevermögens bestimmt anzusehen, wenn nach den Verhältnissen des Unternehmens bei vernünftiger Disposition mit einer alsbaldigen Verwendung eines so beträchtlichen Postens im Betriebe hätte gerechnet werden können. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, dann sind die Glühbirnen als branchefremdes Vorratsvermögen zu behandeln. Nicht anders ist die Beurteilung, wenn es sich nicht um vorhandene Wirtschaftsgüter dieser Art, sondern um Anzahlungen für sie handelt. Danach sind die Vorräte, die hier streitig sind, unbedenklich "übriges Anlagevermögen" der Bfin. Sie folgen dann hinsichtlich Bestand und Wert dem Schicksal der anderen Anlagegegenstände. Infolge der vorgeschriebenen Bindung an den letzten festgestellten Einheitswert ist es durchaus möglich, daß Vorräte, die zwar am letzten Feststellungszeitpunkt vorhanden waren, aber am 21. Juni 1948 nicht mehr vorhanden sind, der Soforthilfeabgabe unterworfen werden. Es ist der Bfin. zuzustimmen, daß dieses Ergebnis dem Wortlaut des § 1 des Soforthilfegesetzes (SHG), der das am Währungsstichtag vorhandene Vermögen als Grundlage der Abgabepflicht bestimmt, zu widersprechen scheint. Wenn die Bfin. die Deutung des § 1 als programmatische Erklärung nicht gelten lassen will, dann hat er jedenfalls, wie sie selbst anerkannt hat, die Bedeutung einer Auslegungsregel. Grundsätzlich soll das Vermögen der Abgabe unterworfen werden, das am 21. Juni 1948 vorhanden ist, allerdings mit dem Vorbehalt, daß das Gesetz selbst die Fälle bestimmen kann, in denen von dem Grundsatz des § 1 abzuweichen ist, und hinsichtlich der Behandlung des übrigen Anlagevermögens ist abgewichen worden. Positive Bestimmungen, wie sie in § 11 Ziffer 2 SHG und § 23 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ersten Teil des Soforthilfegesetzes (1. StDVO-SHG) enthalten sind, kann eine dem Wortlaut entsprechende Auslegung des § 1 nicht gegenstandslos machen. Bei anderer Betrachtungsweise wären manche Bestimmungen schlechthin nicht verständlich, so, daß Wirtschaftsgüter, die dem Betrieb durch Demontagen, Restitutionen und gleichartige Maßnahmen entzogen sind (§ 23 1. StDVO-SHG), von der Belastung ausgenommen bleiben. Denn diese Vorschrift setzt voraus, daß die entzogenen Gegenstände, trotzdem sie am Währungsstichtag nicht mehr vorhanden sind, ohne die Schaffung einer Ausnahmebestimmung mit der Abgabe belastet würden, weil sie in dem letzten Einheitswert des Betriebsvermögens enthalten waren.

Nicht zu bestreiten ist, daß sich hier und da Unstimmigkeiten oder wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Ungleichheiten ergeben. Dies ist allerdings weniger häufig der Fall, als die Bfin. annimmt. Wenn Ergänzungsmaterial inzwischen verbaut worden ist und die Verwendung zur Fortschreibung der Einheitswerte der Betriebsgrundstücke geführt hat, so liegt allerdings eine doppelte Heranziehung vor. Dies ist nicht der Fall, wenn etwa Maschinenteile inzwischen verwendet worden sind, weil dort die Verwendung zu einer Fortschreibung der Einheitswerte nicht führt. Andererseits bleiben Zugänge seit der Feststellung des letzten Einheitswertes bei der Festsetzung der Soforthilfeabgabe unberücksichtigt.

Unstimmigkeiten sind nicht zu vermeiden, wo abweichende Stichtage zugrunde gelegt werden müssen. Es ist dies dem Gesetzgeber durchaus bewußt gewesen. Er hat sie jedoch als unvermeidlich hingenommen mit Rücksicht darauf, daß sie später im Lastenausgleichsverfahren ausgeglichen werden.

Es ist der Bfin. weiter zuzugeben, daß die Behandlung der Abgabepflichtigen, je nachdem es sich um Unternehmer gewerblicher Betriebe oder um Eigentümer von Grundvermögen handelt, nicht einheitlich ist. Bei dem Eigentümer von Grundvermögen werden Ergänzungsmaterialien überhaupt nicht herangezogen, es sei denn, daß es sich um Überbestand handelt, der als nichtgewerbliches Vorratsvermögen der Belastung unterworfen werden muß. Derartige Unterschiede ergeben sich aber auch anderswo, indem z. B. die in § 7 Absatz 2 Ziffer 2 genannten Verbindlichkeiten nur dann abgezogen werden dürfen, wenn sie mit Betriebsvermögen im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen.

Die Bfin. meint, die Steuergerichte seien berufen, Unstimmigkeiten, die sich aus der nicht ausgefeilten Fassung der Gesetze ergeben, und zwar ganz besonders dort, wo sie den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verletzen, im Wege der Rechtsprechung zu beseitigen. Der Auslegung durch die Rechtsprechung sind jedoch Grenzen gezogen, wenn es sich um Dinge handelt, die der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen hat und auch hat nehmen müssen, um die reibungslose Durchführung eines Gesetzes zur "Milderung dringender sozialer Notstände" zu gewährleisten, in der Erkenntnis, daß sie in der künftigen endgültigen Regelung ihren Ausgleich finden werden.

Anlage

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hat von ihrem abgabepflichtigen Vorratsvermögen nach dem Stand vom 21. Juni 1948 377 000 DM abgesetzt. Das Finanzamt ist dem gefolgt, hat aber einen Betrag von 382 000 DM dem Anlagevermögen hinzugerechnet. Es handelt sich um Vorräte, die nicht zur Veräußerung oder Verarbeitung, sondern zur Ergänzung des Anlagevermögens bestimmt sind (Ergänzungsmaterialien). Mit diesem Werte waren unstreitig entsprechende Gegenstände in dem zuletzt festgestellten Einheitswert vom 1. Januar 1946 enthalten.

Die Vorinstanzen haben die Bestimmungen des § 11 Ziffer 3 bzw. Ziffer 2 des Soforthilfegesetzes (SHG) in Verbindung mit § 23 Absatz 1 Ziffer 2 der Durchführungsverordnung zum Ersten Teil des Soforthilfegesetzes (StDVO-SHG) im Ergebnis richtig angewandt. Vorräte, die zur notwendigen Ergänzung des Anlagevermögens bestimmt sind, werden in der kaufmännischen Bilanz regelmäßig dem Anlagevermögen zugerechnet; sie gehören ihm zu, auch wenn sie im Umlaufsvermögen ausgewiesen sein sollten. § 11 Ziffer 3 Absatz 2 Satz 2 SHG bestimmt dazu ausdrücklich, daß sie aus dem Vorratsvermögen auszusondern sind. Wenn der Nachsatz sagt: sie gehören zum Anlagevermögen, so ist dies nicht mehr als eine im Grunde überflüssige Klarstellung.

Die Bfin. wird mit Betriebsvermögen zur Soforthilfeabgabe herangezogen, weil sie am Währungsstichtage eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des § 3 Absatz 1 Ziffer 3 besaß. Die Bewertung des Betriebsvermögens ist im § 11 geregelt. Ergänzungsmaterialien sind übrige Gegenstände des Anlagevermögens. Sie sind bei der Bewertung des Betriebsvermögens mit dem Wert anzusetzen, mit dem sie in dem Einheitswert enthalten sind, der auf den letzten vor dem Währungsstichtage liegenden Feststellungszeitpunkt festgesetzt ist. Die hierdurch festgelegte Bindung an die Bewertung dieser Gegenstände bei der letzten Einheitsbewertung des gewerblichen Betriebs enthält notwendigerweise auch eine Bindung an den Bestand, d. h. die Zurechnung dieser Gegenstände zum Betriebsvermögen, da die Bewertung nur die damals dem Betriebsvermögen zugerechneten Gegenstände umfassen konnte und somit im Wert zugleich auch der damalige Bestand festgelegt ist. In diesem Sinne stellt auch § 23 Absatz 1 Ziffer 2 Satz 1 StDVO-SHG die Rechtslage klar.

Die Bfin. greift diese Auffassung, die der erkennende Senat bereits in mehreren Entscheidungen vertreten hat, mit Berufung darauf an, daß das Soforthilfegesetz nur am Währungsstichtage vorhandenes Vermögen erfassen wolle. Sie vermißt neben der -- negativen -- Vorschrift des § 11 Ziffer 3, daß Ergänzungsmaterialien nicht zum Vorratsvermögen gehören, eine -- positive -- Vorschrift, die die Belastung nicht mehr vorhandener Gegenstände rechtfertigt. Nach ihrer Meinung steht der Grundsatz des § 1, der den 21. Juni 1948 zum Stichtag für das abgabepflichtige Vermögen erklärt, der Heranziehung von Gegenständen, die bis zum Währungsstichtage verbraucht sind, entgegen. Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Es ist der Bfin. zuzugeben, daß die Fassung des § 1, der die Überschrift "Stichtag" trägt, für sie zu sprechen scheint. Nach der Auslegung, die der Senat dem § 1 gibt, ist der Bestimmung des Währungsstichtages indessen keine materielle uneingeschränkt geltende Bedeutung beizulegen. § 1 will vielmehr lediglich gewissermaßen programmatisch festlegen, daß zur Bewältigung der im Zweiten Teil des Gesetzes auferlegten Aufgaben besondere Mittel im Wege einer Abgabe aufgebracht werden sollen, und daß diese Aufbringung grundsätzlich nach dem Vermögensbestand vom 21. Juni 1948 erfolgen soll. Da das Gesetz besondere Bestimmungen hinsichtlich des Wertes und des Bestandes für die Erhebung der Abgabe bringt, müssen die Einzelbestimmungen der programmatischen Erklärung des § 1 vorgehen. Bei anderer Auslegung wären einzelne Vorschriften des Gesetzes nicht zu verstehen. Wenn grundsätzlich von der Belastung von Wirtschaftsgütern, die am Währungsstichtage nicht mehr vorhanden sind, abgesehen werden sollte, wäre es überflüssig gewesen, in den § 23 StDVO-SHG eine Bestimmung aufzunehmen, die die vor dem 21. Juni 1948 dem Betrieb durch Demontagen, Restitutionen oder gleichartige Maßnahmen entzogenen Gegenstände ausnimmt.

Die sachliche Abgabepflicht ist in § 3 SHG geregelt. Danach unterliegen der Abgabepflicht

1. das land- und forstwirtschaftliche Vermögen,

2. das Grundvermögen,

3. das Betriebsvermögen.

"Da die Bfin. am Währungsstichtage eine der genannten wirtschaftlichen Einheiten besessen hat, ist die Heranziehung nach Maßgabe der einzelnen Vorschriften des Soforthilfegesetzes gerechtfertigt. Diese Auffassung ist im Schrifttum, auch von Kühne, "Die Soforthilfeabgabe in der Praxis", auf den sich die Bfin. zu Unrecht beruft, vertreten, wenn er -- Textziffer 20 -- zu dem Ergebnis gelangt: Der Währungsstichtag gilt nicht uneingeschränkt; ausnahmslos gilt er nur für die wirtschaftliche Einheit.

Es ist richtig, daß bei dieser Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen sich wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Unterschiede ergeben können, indem herangezogen wird, was zwar nicht am 21. Juni 1948 vorhanden ist, aber im letzten Einheitswert enthalten war, während umgekehrt von der Abgabe befreit bleibt, was zwar am Währungsstichtage vorhanden, aber im Einheitswert nicht erfaßt ist.

Da im letzten Einheitswert der Bfin. unstreitig Ergänzungsmaterialien im Werte von 382 000 RM festgestellt sind, ist die Erhöhung des Anlagevermögens für die Errechnung der Soforthilfeabgabe um diesen Betrag gerechtfertigt. Die Rechtsbeschwerde unterliegt daher der Zurückweisung.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 307 ff. der Reichsabgabenordnung.

Der Streitwert beträgt das Zweifache der Abgabe, mithin 2 x 11 460 DM = 22 920 DM.

 

Fundstellen

BStBl III 1952, 31

BFHE 1953, 74

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