Leitsatz (amtlich)

Entgelte, die ein freiberuflich tätiger Arzt für die Behandlung von Versicherten, die ein gesetzlicher Träger der Sozialversicherung in ein Krankenhaus eingewiesen hat, von dem Krankenhaus erhält, fallen nicht unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 11 UStG 1951 (vgl. Urteil des BFH V 153/53 U vom 30. September 1954, BFH 60, 150, BStBl III 1955, 58).

 

Normenkette

UStG 1951 § 4 Nr. 11; UStDB 1951 § 39

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die vom Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtiger) für Gewebeuntersuchungen in den Jahren 1963 und 1964 vereinnahmten Entgelte nach § 4 Nr. 11 UStG 1951 steuerbefreit sind.

Der Steuerpflichtige ist Chefarzt des Pathologischen Instituts der Städtischen Krankenanstalten in D. Er untersucht auch Gewebe von Kassenpatienten, die in Krankenhäusern stationär behandelt werden. Seine Leistungen berechnet er den Krankenhäusern, die insoweit ihrerseits unmittelbar mit den Kassen der Reichsversicherungsordnung (RVO) in einer Gesamtrechnung abrechnen, in der auch die übrigen im Krankenhaus für den Patienten erbrachten Leistungen aufgeführt sind. Der Steuerpflichtige erhält für diese Untersuchungen die ihrer rechtlichen Beurteilung nach streitigen Entgelte von den Krankenhäusern.

Aufgrund dieser Sachlage versagte das FA die Steuerfreiheit des § 4 Nr. 11 UStG 1951 für die Umsätze aus Untersuchungen der Gewebe von stationär behandelten Kassenpatienten.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Die Klage hat das FG abgewiesen.

Es hat ausgeführt, der Steuerpflichtige erbringe in seiner Eigenschaft als zu einer Krankenbehandlung hinzugezogener Pathologe zwar eine ärztliche Hilfeleistung nach § 4 Nr. 11 UStG 1951. Die Steuerbefreiung setze jedoch weiter voraus, daß die fraglichen Umsätze an die gesetzlichen Träger der Sozialversicherung bewirkt würden und damit deren Verpflichtung aus einem Versicherungsverhältnis oder eine auf Gesetz beruhende Verpflichtung gegenüber einem Versorgungsberechtigten erfüllt werde (§ 4 Nr. 11 UStG 1951 in Verbindung mit § 39 Nr. 3 UStDB 1951). Das sei hier nicht der Fall, weil der Steuerpflichtige zu den RVO-Kassen nicht in unmittelbare Rechtsbeziehungen getreten sei, solche vielmehr nur zu den Krankenanstalten unterhalte. Wie die von diesen eingeholten Auskünfte ergeben hätten, stelle der Steuerpflichtige seine Leistungen ihnen unmittelbar in Rechnung; den Krankenanstalten würden die für die Gewebeuntersuchungen des Steuerpflichtigen geleisteten Zahlungen dann von den RVO-Kassen aufgrund gesonderter Anforderung wieder vergütet. Die Krankenhäuser rechneten mit den RVO-Kassen für sämtliche Behandlungsmaßnahmen der stationär behandelten Patienten in einer Gesamtabrechnung ab. Es fehle daher an unmittelbaren Rechtsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und den RVO-Kassen. Wegen Nichtanwendbarkeit von § 4 Nr. 11 UStG 1951 seien daher die in den Jahren 1963 und 1964 vereinnahmten Entgelte somit zu Recht der Umsatzsteuer unterworfen worden.

Mit der Revision rügt der Steuerpflichtige unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Unter Hinweis auf die Urteile des RFH V A 483/35 vom 15. Oktober 1935 (RFH 38, 25, RStBl 1936, 127) und des BFH V 153/53 U vom 30. September 1954 (BFH 60, 150, BStBl III 1955, 58) wird ausgeführt, der RFH bzw. BFH habe unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Versicherungsträger auch dann anerkannt, wenn die Vergütung von dem Versicherungsträger an die kassenärztliche Vereinigung gezahlt und von dieser an die ihr angeschlossenen Ärzte weiter verteilt worden sei. Der Streitfall könne nicht anders beurteilt werden, weil hier die Funktion der kassenärztlichen Vereinigung von den Krankenhäusern wahrgenommen würde. Es stehe der Anwendung des § 4 Nr. 11 UStG 1951 nicht entgegen, wenn sich zwischen Versicherungsträger und behandelndem Arzt eine Mittelsperson schiebe, die die von dem Versicherungsträger geschuldeten Beträge einziehe und weiterleite (Hinweis auf das Urteil des RFH V 518/35 vom 19. November 1935, RStBl 1936, 127). Zwar werde der Steuerpflichtige im Streitfall nicht von den Versicherungsträgern, sondern von den Krankenhäusern beauftragt, die Untersuchungen durchzuführen. Das Krankenhaus handele dabei jedoch im Rahmen eines ihm vom Versicherungsträger erteilten "Blanco-Auftrages". Aufgrund dieses Auftragsverhältnisses sei das Krankenhaus gegenüber dem Versicherungsträger verpflichtet, alle für den Heilungsprozeß des Kassenpatienten notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und durchzuführen. Wenn also das Krankenhaus den Pathologen mit der Untersuchung des Gewebes beauftrage, so seien nicht Krankenhaus und Pathologe, sondern Versicherungsträger und Pathologe Vertragspartner des Dienst- oder Werkvertrages.

Jede andere Handhabung führe zu medizinischen und verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten. Der Versicherungsträger könne aus eigener Sachkunde nicht entscheiden, wann eine pathologische Untersuchung notwendig sei und der behandelnde Krankenhausarzt sei andererseits daran interessiert, den pathologischen Befund möglichst schnell zu erfahren, damit er die Behandlung des Patienten umgehend darauf einstellen könne. Eine unmittelbare Einschaltung des Versicherungsträgers in die Beauftragung und in den Verrechnungsverkehr mit dem untersuchenden Pathologen sei daher medizinisch nicht zu vertreten und selbst bei starrer formalrechtlicher Beurteilung für die hier zu entscheidende Streitfrage entbehrlich.

Das Krankenhaus tilge mit den Zahlungen an den Steuerpflichtigen keine eigene, sondern eine fremde Schuld, nämlich die des Versicherungsträgers. Die Tätigkeit des behandelnden Krankenhauses als Mittelsperson bei der Auftrags- und Zahlungsabwicklung könne für die Beziehung des Klägers zum Versicherungsträger steuerlich nicht schädlich sein. Auch könnten aus der buchund verfahrenstechnischen Abwicklung bei den einzelnen Krankenhäusern für die Beurteilung der hier streitigen Rechtsfrage keine Anhaltspunkte gewonnen werden.

Daß die in den Kalenderjahren 1963 und 1964 erzielten Einnahmen der Umsatzsteuer unterworfen würden, sei schließlich unvereinbar mit dem Grundsatz von Treu und Glauben. Dem FA sei das im gegebenen Fall gehandhabte Verfahren nachweisbar seit dem Jahr 1952 bekannt gewesen. Die Einnahmen seien seitdem stets steuerfrei belassen worden. Wenn das FA von dieser seiner langjährigen rechtlichen Beurteilung abweichen wollte, so hätte dies erst für einen Zeitraum geschehen können, in welchem für den Steuerpflichtigen noch die Möglichkeit bestanden hätte, das Abrechnungsverfahren der geänderten Rechtsauffassung des FA anzupassen. Die gegenteilige Handhabung habe den Steuerpflichtigen in seinen wirtschaftlichen Dispositionen beeinträchtigt und stehe daher nicht im Einklang mit dem Grundsatz von Treu und Glauben.

Der Steuerpflichtige beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer 1963 und 1964 auf jeweils 0 DM herabzusetzen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision hat keinen Erfolg.

1. Nach § 4 Nr. 11 UStG 1951 in Verbindung mit § 39 UStDB 1951 ist für ärztliche Hilfeleistungen Steuerfreiheit gegeben, wenn der Arzt seine Leistung einem Versicherungsträger erbringt, wenn mit dieser Leistung eine Verpflichtung des Versicherungsträgers gegenüber einem Versorgungsberechtigten erfüllt wird und wenn der Versicherungsträger das Entgelt für die Leistung dem Arzt zu zahlen hat. Voraussetzung für die Steuerfreiheit ist sonach, wie die Vorinstanz in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des RFH und des BFH (Urteil des RFH V A 518/35 vom 19. November 1935, RStBl 1936, 127; Urteile des BFH V 25/52 S vom 22. Juli 1954, BFH 59, 157, BStBl III 1954, 269; V 153/53 U vom 30. September 1954, a. a. O.) ausgeführt hat, das Bestehen unmittelbarer Rechtsbeziehungen zwischen dem Arzt und dem Versicherungsträger. Und zwar gilt dies sowohl in bezug auf die Leistungsverpflichtung des Arztes wie für die Zahlungsverpflichtung des Versicherungsträgers. Eine andere Auslegung des § 4 Nr. 11 UStG 1951 würde nicht nur dem klaren Wortlaut der Bestimmung, sondern auch ihrem Sinn und Zweck zuwiderlaufen. Die Steuerbefreiung dient nämlich nicht dem Schutz der Ärzteschaft; sie wurde vielmehr eingeführt, um die gesetzlichen Krankenversicherungen vor Steuerüberwälzungen zu schützen (vgl. Popitz-Kloß-Grabower, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 3. Aufl., Anm. III Nr. 1 zu § 2 Nr. 9 UStG, S. 567, und auch Urteil des BFH V 248/61 vom 9. April 1964, StRK, Umsatzsteuergesetz 1951, § 1 Nr. 1, Rechtsspruch 383).

2. Der Steuerpflichtige ist unstreitig nicht als Kassenarzt zugelassen. Er berechnet seine Leistungen, wie das FG ohne Fehler bei der Tatsachenermittlung in verfahrensrechtlich nicht zu beanstandener Weise und somit für den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs. 3 FGO) festgestellt hat, nicht den gesetzlichen Versicherungsträgern, sondern den Krankenhäusern, von denen er mit den histologischen Untersuchungen beauftragt ist und denen die Untersuchungsbefunde zugeleitet werden. Bei dieser Sachlage ist das FG zu Recht davon ausgegangen, daß unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und den Versicherungsträgern in dem hier betroffenen Zeitraum nicht bestanden haben, solche vielmehr nur zwischen dem Steuerpflichtigen und dem jeweiligen Krankenhaus gegeben waren. Es fehlt also an einer entscheidenden Voraussetzung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 11 UStG 1951.

Der Einwand des Steuerpflichtigen, daß die Rechtslage ebenso wie in dem vom RFH (Urteil V A 483/35 vom 15. Oktober 1935, RFH 38, 258, RStBl 1936, 127) als steuerlich privilegiert behandelten Fall zu beurteilen sei, in dem die Vergütung des Arztes von dem Versicherungsträger zunächst an die kassenärztliche Vereinigung gezahlt und von dieser an die ihr angeschlossenen Ärzte weiterverteilt werde, geht fehl. Wie der BFH in dem Urteil V 153/53 U vom 30. September 1954 (a. a. O.) ausgeführt hat, behandelt das genannte RFH-Urteil vom 15. Oktober 1935 ausschließlich den Sonderfall, in dem die kassenärztliche Vereinigung aufgrund einer Rechtsverordnung (nämlich der Vierten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 8. Dezember 1931, RGBl I 1931, 699, 718) zwischen den Versicherungsträger und den leistungsverpflichteten Arzt tritt. Die der kassenärztlichen Vereinigung hierbei aufgrund von Sondervorschriften zukommende Mittlerrolle im Verhältnis von Arzt und Krankenkasse haben die Krankenhäuser indessen nicht. Der hier zu entscheidende Sachverhalt ist auch nicht vergleichbar mit demjenigen, in dem die kassenärztliche Vereinigung eingeschaltet ist. Denn während in diesem Fall das Entgelt von der kassenärztlichen Vereinigung nach einem bestimmten, mit der Krankenkasse vereinbarten Maßstab an den Arzt ausgezahlt wird, stellt der Steuerpflichtige seine Leistungen ausschließlich dem Krankenhaus in Rechnung, das seinerseits die Bezahlung unbeschadet des - oftmals erst späteren - Ersatzes durch die Versicherungsträger vorzunehmen hat. Der Sachverhalt ist also auch unter dem Gesichtspunkt der Abrechnung selbst grundlegend anders als im Fall der durch Rechtsverordnung zwischengeschalteten kassenärztlichen Vereinigung.

Fehlt es aber nach alledem an unmittelbaren Rechtsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und den Versicherungsträgern, so sind die von diesen den Krankenhäusern erstatteten Honoraranteile, soweit sie auf Leistungen des Steuerpflichtigen entfallen, auch keine durchlaufenden Posten nach § 5 Abs. 3 UStG 1951. Die Ausführungen der Vorinstanz zu diesem Punkt sind auf der Grundlage der auch insoweit nicht zu beanstandenden tatsächlichen Feststellungen im sachlichen Ergebnis rechtlich bedenkenfrei.

3. Schließlich ist auch der Einwand des Steuerpflichtigen, daß das FA in vorangegangenen Veranlagungszeiträumen die beanspruchte Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 11 UStG 1951 unbeanstandet gelassen habe und an dieses Verhalten nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gebunden sei, nicht stichhaltig. Nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung ist die Verwaltung nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, eine als falsch erkannte Rechtsauffassung aufzugeben und die Steuern so, wie im Gesetz vorgeschrieben, also richtig, festzusetzen (vgl. Urteile des BFH VI 221/57 U vom 19. September 1958, BFH 67, 396, BStBl III 1958, 425; I 141/60 U vom 17. Januar 1961, BFH 72, 347, BStBl III 1961, 130; V 92/61 S vom 16. Juli 1964, BFH 80, 446, BStBl III 1964, 634). Ein Anspruch auf Vertrauensschutz nach dem Grundsatz von Treu und Glauben kann allenfalls in Betracht kommen, wenn sich die Verwaltung gegenüber dem Steuerpflichtigen selbst durch ein nachhaltiges, mit der späteren Geltendmachung der Steuerforderung in Widerspruch stehendes Verhalten in bestimmter Weise festgelegt hat (vgl. Urteile des BFH VII 95/58 U vom 2. Dezember 1959, BFH 70, 341, BStBl III 1960, 127, und VII 175/61 U vom 21. Mai 1963, BFH 77, 201, BStBl III 1963, 390). So liegt der Fall hier nicht.

4. Das FG ist sonach zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß die Umsätze aus den hier in Rede stehenden histologischen Untersuchungen wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 4 Nr. 11 UStG 1951 der Umsatzsteuer unterliegen und die Umsatzsteuerveranlagungen für 1963 und 1964 nicht zu beanstanden sind.

 

Fundstellen

BStBl II 1972, 650

BFHE 1972, 412

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