Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirkung eines "vorsorglich" eingelegten Rechtsmittels

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein "vorsorglich" eingelegtes Rechtsmittel erzeugt alle Wirkungen eines Rechtsmittels; die bloße Ankündigung eines Rechtsmittels ist keine Rechtsmitteleinlegung.

2. Zur Frage welcher Rechtsmittelantrag für die Streitwertbemessung bezüglich der Zulässigkeit des Rechtsmittels maßgeblich ist.

3. Behält sich ein Steuerpflichtiger bei der Einlegung der Rechtsbeschwerde vor, den Rechtsmittelantrag erst später zu bestimmen, so ist der Streitwert nach dem später gestellten Antrag zu berechnen. (Leitsätze nicht amtlich)

 

Normenkette

AO §§ 249, 286 Abs. 1-2, § 320

 

Gründe

Der Beschwerdeführer (Bf.) wurde in den Streit jähren 1957 bis 1960 zur Einkommensteuer veranlagt. Gegen die Einkommensteuerbescheide hat der Bf. Rechtsmittel eingelegt, weil außergewöhnliche Belastungen durch Körperbehinderung, insbesondere die Unterhaltungskosten für einen PKW, nur mit den Pauschsätzen des § 65 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) abgegolten und die Anschaffung eines Tonbandgeräts nicht als Werbungskosten berücksichtigt worden waren. Der Einspruch führte zu einer Herabsetzung der Einkommensteuer von (2.471 DM + 1.944 DM + 1.944 DM + 2.004 DM =) 8.363 DM auf (2.442 DM + 1.896 DM + 1.896 DM + 2.064 DM =) 8.298 DM. Im Berufungsverfahren beantragte der Bf., die Einkommensteuer auf (1.687 DM + 1.092 DM + 1.056 DM + 1.584 DM =) 5.419 DM festzusetzen. Das Finanzgericht wies jedoch die Berufung als unbegründet zurück und stellte einen Streitwert von (8.298 DM ./. 5.419 DM =) 2.879 DM fest. Die Rechtsbeschwerde (Rb.) wurde nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung des Streitfalles zugelassen.

Gegen die Entscheidung des Finanzgerichts hat der Bf. fristgerecht am 13. November 1964 vorsorglich Rb. eingelegt und um hinreichende Frist für deren Begründung gebeten, weil er sich den Unterarm gebrochen habe und es ihm darum nicht hinreichend möglich gewesen sei, sich mit den Urteilsgründen der Vorentscheidung auseinanderzusetzen. Am 14. Dezember 1964 hat der Bf. dann um weitere Verlängerung der Begründungsfrist gebeten, die ihm auch zugestanden wurde. Die Rechtsbeschwerdebegründung ging schließlich am 29. Dezember 1964 beim Finanzgericht ein. Darin teilte der Bf. mit, daß er seine früheren Anträge einschränke; er mache nur noch außergewöhnliche Belastungen von (1.038 DM + 552 DM + 691 DM =) insgesamt also 2.281 DM geltend; außerdem beanstande er, daß das Finanzgericht den Streitwert zu hoch festgestellt habe.

Die Rb. mußte als unzulässig verworfen werden.

Der Bundesfinanzhof hat wiederholt entschieden (z.B. Urteile III 342/57 U vom 10. Januar 1958, Bundessteuerblatt –BStBl– 1958 III S. 119, Slg. Bd. 66 S. 310; III 207/57 U vom 13. Juni 1958, BStBl 1958 III S. 356, Slg. Bd. 67 S. 219), daß aus Gründen der Rechtssicherheit Klarheit darüber bestehen muß, ob ein Rechtsmittelverfahren schwebt oder nicht. Die Rechtsmitteleinlegung kann weder an eine Bedingung geknüpft noch sonst eingeschränkt werden. Die bloße Ankündigung, eine Rb. einlegen zu wollen, ist keine wirksame Rechtsmitteleinlegung (Urteil des Bundesfinanzhofs III 342/57 U, a.a.O.). Das Wort „vorsorglich” ist indessen keine Bedingung, die die Rechtsgültigkeit ausschließt; es bringt lediglich zum Ausdruck, daß sich der Steuerpflichtige noch nicht schlüssig ist, ob er das Rechtsmittelverfahren auch zu Ende durchführen will; das Recht zur Rücknahme soll vorbehalten bleiben, der Eintritt der Rechtskraft jedoch unter allen Umständen verhindert werden. Ein vorsorglich eingelegtes Rechtsmittel hat darum alle Wirkungen eines Rechtsmittels. Es bringt auch bei späterer Rücknahme Kostenpflichten mit sich (Urteil des Bundesfinanzhofs III 207/57 U vom 13. Juni 1958, a.a.O.; Barske, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., S. 195). Es bestehen daher keine Bedenken gegen die Annahme einer rechtswirksam eingelegten Rb.

Nach § 286 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) in der Fassung des Art. 17 Ziff. 14 des Steueränderungsgesetzes vom 13. Juli 1961 – StÄndG 1961 – (Bundesgesetzblatt 1961 I S. 981, BStBl 1961 I S. 444) ist die Rb. gegen die Berufungsentscheidungen der Finanzgerichte nur zulässig, wenn der Wert des Streitgegenstands höher ist als 1.000 DM oder wenn das Finanzgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache die Rb. zugelassen hat. Die neue Fassung des § 286 Abs. 1 AO gilt nach Art. 18 StÄndG 1961 für die Fälle, in denen der Rechtsstreit nach dem 31. August 1961 bei den Finanzgerichten anhängig geworden ist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs VI 121/62 U vom 13. Juli 1962, BStBl 1962 III S. 378, Slg. Bd. 75 S. 308, und V 152/62 vom 31. Januar 1963, Steuerrechtsprechung in Karteiform –StRK–, Reichsabgabenordnung, § 286, Rechtsspruch 40).

Die Berufung gegen die Entscheidung des Finanzamts ist im Streitfall erst am 8. Juli 1963, also nach dem 31. August 1961 eingelegt worden, so daß § 286 Abs. 1 AO in seiner neuen Fassung Anwendung findet. Streitgegenstand ist das, was der Steuerpflichtige mit der Rb. erreichen will, und zwar ist der Wert des Streitgegenstandes für jede Verfahrensstufe gesondert zu berechnen. Den für die Zulässigkeit der Rb. maßgeblichen Streitwert hat der Bundesfinanzhof darum von sich aus auf Grund des im Rechtsbeschwerdeverfahren geltend gemachten Sach- und Streitstandes zu prüfen.

Die Höhe des Streitwerts im Rechtsbeschwerdeverfahren hängt davon ab, ob die Vorentscheidung durch das erste Schreiben des Bf. vom 13. November 1964, durch das Rb. eingelegt wurde, in volles Umfang angefochten wurde und die spätere Rechtsmittelbegründung nur die Bedeutung einer Rechtsmittelbeschränkung hat. In diesem Falle wäre die Streitwertgrenze von 1.000 DM erreicht. Faßt man dagegen die Schreiben des Bf. vom 13. November, 14. Dezember und 27. Dezember 1964 als Einheit auf, so ist die Wertgrenze nicht erreicht. Der Streitwert beträgt dann im Rechtsbeschwerdeverfahren bestenfalls (444 DM streitige Steuer + 56 DM geschätzte Kostenermäßigung für die Streitwertfeststellung =) 500 DM. Er liegt also unter der maßgeblichen Grenze von 1.000 DM.

Der Senat ist der Auffassung, daß die Streitwertgrenze des § 286 Abs. 1 AO hier nicht erreicht ist. Die Schreiben des Bf. vom 13. November, 14. Dezember und 27. Dezember 1964 bilden bei unbefangener Würdigung ihres Inhalts eine Einheit. Das Rechtsbeschwerdeschreiben diente nur der Wahrung der Rechtsmittelfrist. Der Eintritt der Rechtskraft sollte verhindert werden. Das ergibt sich eindeutig aus der nur vorsorglichen Rechtsmitteleinlegung. Der Bf. hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er die Vorentscheidung noch nicht geprüft habe und daß er sich deshalb Art und fang der Revisionsrüge vorbehalte. Dadurch ist ein Schwebezustand hinsichtlich des Umfangs der Rb. eingetreten. Die Rb. ist dann durch das Schreiben vom 27. Dezember 1964 dahin konkretisiert worden, daß die Vorentscheidung nur zum Teil angefochten werde. Der Streitwert für die Rb. beträgt daher nur 500 DM. Er liegt unter der maßgeblichen Grenze von 1.000 DM. Das Finanzgericht hat die Rb. auch nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache zugelassen. Nach § 286 Abs. 2 AO kann die Entscheidung des Finanzgerichts über die Zulassung oder Nichtzulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rb. vom Bundesfinanzhof nicht geprüft werden. Deshalb kann der Bundesfinanzhof auch eine Rb. von sich aus nicht für zulässig erklären (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs IV 282/61 vom 17. August 1961, StRK, Reichsabgabenordnung, § 286, Rechtsspruch 25, Der Betriebs-Berater 1961 S. 1113, und VI 121/62 U, a.a.O.). Sie mußte darum als unzulässig verworfen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1481224

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