Entscheidungsstichwort (Thema)

Doppelte Haushaltsführung eines Gastarbeiters trotz mehrmonatigen Besuchs der Ehefrau im Inland

 

Leitsatz (NV)

1. Die Entscheidung darüber, ob ein ausländischer Familienhausstand mit der Einreise des Ehegatten ins Inland verlegt worden ist, kann nur aufgrund einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles getroffen werden.

2. Die Annahme eines lediglich besuchsweisen Aufenthalts ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der einreisende Ehegatte eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung beantragt und erhalten hat und sich 5 Monate im Inland aufgehalten hat.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Der seit 1975 verheiratete Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein jugoslawischer Staatsangehöriger, reiste im August 1977 in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ein, um hier zu arbeiten. Anfang November 1977 kam seine Ehefrau nach und wohnte beim Kläger in W. Auf ihre polizeiliche Anmeldung vom 18. November 1977 wurde der Ehefrau zunächst keine Aufenthaltserlaubnis erteilt, weil sie als Grund ihrer Einreise angegeben hatte, sie wolle ihren Ehemann lediglich besuchen. Jedoch wurde auf Antrag am 18. Januar 1978 eine Aufenthaltserlaubnis zunächst für ein Jahr erteilt und später wiederholt verlängert.

Am 1. April 1978 kehrte die Ehefrau nach Jugoslawien zurück, wo sie am 1. Juni 1978 ein Kind gebar. Eine polizeiliche Abmeldung ist nicht erfolgt. Bis zu ihrer zweiten Einreise am 14. Februar 1979 hielt sich die Ehefrau im Hause ihrer Schwiegereltern auf. Im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich machte der Kläger für das ganze Streitjahr 1978 u. a. Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte jedoch nur den Werbungskostenpauschbetrag von 564 DM an und führte die Steuerberechnung unter Anwendung der Splitting-Tabelle durch. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit folgenden Gründen teilweise statt:

Da der Kläger bereits 1975 geheiratet habe, sei davon auszugehen, daß er in Jugoslawien mit seiner Ehefrau einen eigenen Hausstand unterhalten habe. Der, wie gerichtsbekannt, in Jugoslawien weitgehend übliche, vom verheirateten Sohn gemeinsam mit seinen Eltern geführte Haushalt sei jedenfalls auch ein eigener Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau gewesen.

Seit der Wohnungsaufnahme am Beschäftigungsort in der Bundesrepublik unter Beibehaltung des eigenen Hausstandes in Jugoslawien habe der Kläger aus beruflichen Gründen einen doppelten Haushalt i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geführt. Der knapp fünfmonatige inländische Aufenthalt der Ehefrau sei nur als Besuch zu werten. Weder habe die Ehefrau in W ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründet noch sei der Familienwohnsitz zunächst nach W verlegt und nach Jugoslawien zurückverlegt worden. Der beibehaltene jugoslawische Haushalt habe in dieser Zeit geruht, weil in ihm kein hauswirtschaftliches Leben geherrscht habe (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. November 1971 VI R 285/70, BFHE 103, 498, BStBl II 1972, 148). Deshalb seien auch die für das erste Quartal 1978 geltend gemachten Werbungskosten nicht zu berücksichtigen, zumal dem Kläger in dieser Zeit keine beruflich bedingten Mehraufwendungen für die Haushaltsführung entstanden seien. Mit der Rückkehr der Ehefrau sei der beibehaltene Hausstand in Jugoslawien jedoch wieder mit Leben erfüllt worden, weshalb die für den Rest des Streitjahres beantragten Werbungskosten anzusetzen seien.

Für eine nur besuchsweise Anwesenheit der Ehefrau spreche die kurze Dauer ihres inländischen Aufenthalts und die Tatsache, daß sie zunächst keine Aufenthaltserlaubnis beantragt, vielmehr bei der Anmeldung den Besuch des Ehemanns als Einreisegrund angegeben habe. Es sei glaubhaft, daß sich die Ehegatten erst anhand eines längeren Besuchs der Ehefrau darüber hätten klar werden wollen, ob ein Umzug nach Deutschland für sie sinnvoll sei. Die Aufenthaltserlaubnis sei später nur deshalb beantragt worden, um den Besuch über die Frist von drei Monaten, für die eine Aufenthaltserlaubnis nicht erforderlich war, verlängern zu können. Gegen eine Verlegung des Hausstandes spreche, daß diese in der Regel mit dem Transport der persönlichen Ausstattung und der Haushaltsgegenstände verbunden sei und daß die Ehefrau vor ihrer endgültigen Übersiedlung weitere 10‹ Monate in Jugoslawien gelebt habe.

Die unterlassene Abmeldung und die aufgrund der Anmeldung bescheinigte Steuerklasse III auf der Lohnsteuerkarte hätten mit der nach den tatsächlichen Verhältnissen zu entscheidenden Frage, ob bereits während des ersten inländischen Aufenthalts der Ehefrau ein gemeinsamer Familienhaushalt begründet worden sei, nichts zu tun. Der Vermutung des FA, die Ehefrau des Klägers sei nur deshalb nach Jugoslawien zurückgekehrt, um unter der Obhut der Schwiegereltern ihr Kind zur Welt zu bringen, müsse entgegengehalten werden, daß jährlich tausende von Kindern geboren würden, ohne daß eine derartige Obhut erforderlich wäre oder in Anspruch genommen würde. Jedenfalls könne eine solche Vermutung nicht die Annahme eines zuvor in der Bundesrepublik aufgenommenen Familienhaushalts begründen. Die Bescheinigung der jugoslawischen Ortsbehörde, wonach sich die Ehefrau von April 1978 bis Mitte Februar 1979 im Haushalt ihrer Schwiegereltern aufgehalten habe, stehe der vorgenommenen Würdigung nicht entgegen, da sich dort gleichzeitig der gemeinsame Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau befunden habe.

Das FG errechnete den Erstattungsbetrag neu, wobei es die aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung geltend gemachten Werbungskosten ab April 1978, sowie unstreitige Werbungskosten für Arbeitsmittel an Stelle des Werbungskostenpauschbetrages zum Abzug zuließ und die Steuer im übrigen wie bei einem Ledigen mit einem Kind berechnete.

Mit der Revision trägt das FA vor, das angefochtene Urteil weiche von den in den BFH-Urteilen vom 10. November 1978 VI R 21/76 (BFHE 126, 511, BStBl II 1979, 219) und vom 16. April 1980 VI R 7/77 (BFHE 130, 388, BStBl II 1980, 512) aufgestellten Grundsätzen ab. Danach sei die Wegverlegung des Familienwohnsitzes vom Beschäftigungsort unter Beibehaltung des dortigen zweiten Haushalts privat veranlaßt und führe deswegen unter dem Gesichtspunkt der doppelten Haushaltsführung nicht zu Werbungskosten.

Ein solcher Fall liege auch hier vor. Die Würdigung des FG, die Ehefrau habe den Kläger nur besucht, sei nicht zwingend. Bei der auf ein Jahr befristeten Aufenthaltserlaubnis vom 18. Januar 1978 sei der Ehefrau ausdrücklich dargelegt worden, daß die Erlaubnis nur im Rahmen der Familienzusammenführung erteilt werde. Am 15. Januar 1979 sei eine weitere Aufenthaltserlaubnis bis zum 15. März 1979 und anschließend bis Januar 1981 ausgestellt worden. Für einen nur besuchsweisen Aufenthalt wäre die Erlaubnis zu keinem Zeitpunkt erteilt worden. Infolge der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis stehe fest, daß die Ehefrau im Rahmen der Familienzusammenführung ihren Wohnsitz im Inland begründet habe. Für einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt spreche schließlich, daß der Kläger die Eintragung der Steuerklasse III auf der Lohnsteuerkarte nicht beanstandet habe. Auch der Bescheinigung der Heimatbehörde, die Ehefrau habe sich von April 1978 bis Mitte Februar 1979 im Haushalt ihrer Schwiegereltern aufgehalten, lasse sich entnehmen, daß im November 1977 der Haushalt des Klägers in Jugoslawien aufgegeben und in W ein gemeinsamer Haushalt der Ehegatten begründet worden sei. Ein solcher gemeinsamer Haushalt könne ebenso wie ein ,,gewöhnlicher Aufenthalt" i. S. von § 9 der Abgabenordnung (AO 1977) auch dann angenommen werden, wenn der inländische Aufenthalt keine sechs Monate angedauert habe, sofern - wie hier - die Umstände des Falles den Schluß zuließen, daß der Aufenthalt nicht nur ein vorübergehender sein sollte (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 9 AO 1977 Tz. 3, 4).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG können notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten sein. Voraussetzung hierfür ist, daß der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, an dem er beschäftigt ist, einen eigenen Hausstand unterhält und auch am Beschäftigungsort wohnt, sowie, daß die durch den doppelten Haushalt verursachten Mehraufwendungen beruflich veranlaßt sind (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1982 VI R 64/81, BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306). Letzteres ist nach der ständigen Rechtsprechung des BFH in der Regel nicht der Fall, wenn der Familienwohnsitz unter Beibehaltung der Wohnung am Arbeitsort vom Beschäftigungsort wegverlegt wird (Urteile vom 2. Dezember 1981 VI R 167/79, BFHE 135, 37, BStBl II 1982, 297; BFHE 126, 511, BStBl II 1979, 219; BFHE 130, 388, BStBl II 1980, 512; BFHE 135, 182, BStBl II 1982, 323).

Das FG ist davon ausgegangen, daß der Kläger im August 1977 aus beruflichem Anlaß einen doppelten Haushalt begründet habe, wobei es angenommen hat, der Kläger habe vor seiner Einreise zusammen mit seiner Ehefrau in Jugoslawien einen eigenen Hausstand besessen, den er nach seiner Wohnsitznahme im Inland beibehalten und unterhalten habe. Da die tatsächlichen Umstände, die die Annahme eines derartigen doppelten Haushalts rechtfertigen, zwischen den Beteiligten unstreitig waren, bedurfte es hierzu keiner weiteren Ermittlungen und Feststellungen.

Für die Beurteilung des Streitfalles kommt es darauf an, ob der im August 1977 begründete doppelte Haushalt beibehalten wurde und durch einen Besuch der Ehefrau nur vorübergehend ruhte, oder ob der Familienhausstand in Jugoslawien zunächst aufgegeben und anläßlich der Rückkehr der Ehefrau im April 1978 - nunmehr aus privaten Erwägungen - neu begründet worden ist. Die Entscheidung dieser Frage hängt von der tatrichterlichen Würdigung aller Umstände des Einzelfalles ab. An die entsprechenden Feststellungen ist der Senat gebunden, es sei denn, es werden zulässige und begründete Revisionsrügen vorgebracht (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Ist die Gesamtwürdigung verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und nicht durch Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflußt, so ist sie für das Revisionsgericht bindend, auch wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich ist (BFH-Urteil vom 1. April 1971 IV R 195/69, BFHE 102, 85, BStBl II 1971, 522).

Im Streitfall greifen die Einwendungen des FA gegen die Würdigung des FG nicht durch.

Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und ihre Bewilligung vom Januar 1978 standen der Annahme eines in Jugoslawien beibehaltenen Familienhausstandes nicht entgegen. Zwar spricht ein derartiger Antrag für die Absicht des Antragstellers, längere Zeit im Inland zu bleiben und seinen Lebensmittelpunkt hierher zu verlegen. Diese Maßnahme zwingt aber nicht zu dem Schluß, die Entscheidung umzuziehen sei schon endgültig gefallen und nicht von weiteren Umständen, wie etwa dem Finden einer familiengerechten Wohnung, abhängig. Erst recht kann der Antragstellung nicht zwingend entnommen werden, die Verlegung des Familienwohnsitzes sei bereits vorausgegangen. Vielmehr wird umgekehrt die rechtliche Absicherung eines nicht nur vorübergehenden Bleibendürfens regelmäßig vor Begründung eines neuen Lebensmittelpunktes erfolgen.

Aus den geschilderten Gründen muß der Kläger sich auch nicht entgegenhalten lassen, er dürfe sich auf einen etwaigen Vorbehalt, einen dauerhaften Aufenthalt seiner Ehefrau nicht gewollt zu haben, nicht berufen, da seine Ehefrau zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis vor einer staatlichen Stelle erklärt habe, ihr Antrag werde zum Zwecke der Familienzusammenführung gestellt (vgl. zu unzutreffenden Angaben im Rahmen eines Asylantrags BFH-Urteil vom 16. Dezember 1983 VI R 93/81, BFHE 140, 87, BStBl II 1984, 271). Denn die mit dem Antrag verfolgte Absicht kann wieder aufgegeben werden und der Antrag besagt nichts darüber, welche weiteren Maßnahmen zum Zwecke der Familienzusammenführung bereits getroffen sind. Entsprechendes gilt für die mit der Bewilligung der Aufenthaltserlaubnis verbundenen Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte.

Auch die vom FG aus der Bescheinigung der Heimatbehörde des Klägers gezogenen bzw. unterlassenen Schlüsse lassen Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungssätzen nicht erkennen. Das FG zieht zu Recht nicht in Zweifel, daß ein erwachsener Sohn mit seiner Ehefrau auch im Hause seiner Eltern einen eigenen Hausstand unterhalten kann und daß die jugoslawische Bescheinigung, die Ehefrau des Klägers habe im Hause ihrer Schwiegereltern gewohnt, auch dahingehend verstanden werden kann, sie habe in diesem Haus in dem von ihrem Ehemann unterhaltenen Hausstand gelebt. Das FA hat nämlich nicht grundsätzlich in Abrede gestellt, daß der Kläger vor August 1977 und nach April 1978 im Hause seiner Eltern einen eigenen Hausstand unterhalten habe. Darüber hinaus ist der Bescheinigung für die entscheidungserhebliche Streitfrage, was mit dem Hausstand zwischen August 1977 und April 1978 geschehen ist, nichts Zwingendes zu entnehmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413974

BFH/NV 1985, 70

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