Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzlich keine Verwirkung des Anfechtungsrechts gegen Prüfungsanordnung

 

Leitsatz (NV)

Der VIII. Senat schließt sich der Rechtsprechung des IV. Senats an, wonach das Anfechtungsrecht gegenüber einer Prüfungsanordnung nicht dadurch verwirkt wird, daß sich der Steuerpflichtige zunächst widerspruchslos auf die Prüfung einläßt.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 193, 196, 355 Abs. 1, § 356

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Am 18. Mai 1981 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) eine gegen die Klägerin, eine GbR, gerichtete Prüfungsanordnung für die Jahre 1977 bis 1979, die auf § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt war. Weitere Gründe, weshalb die Klägerin zu prüfen sei, gab das FA nicht an. Eine Rechtsmittelbelehrung enthielt die Anordnung nicht. Am 3. Juni 1981 erweiterte das FA die Prüfung auf die Jahre 1974 bis 1976. Auch diese Verfügung enthielt keine schriftliche Begründung. Am 5. Juni 1981 fand die Schlußbesprechung statt. Am 28. Juli 1981 übersandte das FA den Prüfungsbericht. Am 15. Oktober 1981 gab die Klägerin eine erste Stellungnahme zu den Prüfungsfeststellungen ab, an die sich eine Korrespondenz zwischen den Beteiligten über materiell-rechtliche Fragen anschloß. Noch bevor Änderungsbescheide erlassen wurden, ließ die Klägerin am 20. Januar 1982 darauf hinweisen, daß die Prüfung rechtswidrig gewesen sei, weil die Prüfungsanordnung vom 18. Mai 1981 den Gesellschaftern nicht bekanntgegeben und bezüglich der Ausübung des Ermessens nicht begründet worden sei. Am 22. Januar 1982 legte die Klägerin gegen die Prüfungsanordnungen vom 18. Mai 1981 und 3. Juni 1981 Beschwerde ein.

Die Beschwerde und die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung gerichtete Klage blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage für unzulässig, weil das Klagerecht zur Zeit der Klageerhebung bereits verwirkt gewesen sei. Die Klägerin sei unter Verhältnissen untätig geblieben, unter denen vernünftigerweise zur Wahrung des Rechts etwas hätte unternommen werden müssen.

Mit der Revision rügt die Klägerin die unzutreffende Anwendung des Rechtsinstituts der Verwirkung. Sie beantragte zunächst, das FG-Urteil sowie die Beschwerdeentscheidung und die Prüfungsanordnung ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen. Es liege ein im Revisionsverfahren nicht zulässiger Übergang vom Fortsetzungsfeststellungsverfahren zum Anfechtungsverfahren vor. Die Aufhebung der Prüfungsanordnung könne nicht mehr begehrt werden, weil die Prüfung bereits durchgeführt sei.

Daraufhin faßte die Klägerin ihren Antrag dahingehend, das FG-Urteil aufzuheben und festzustellen, daß die Prüfungsanordnung rechtswidrig war, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Zwar hat die Klägerin ihren innerhalb der Revisionsbegründungsfrist formulierten Antrag auf Aufhebung der Prüfungsanordnung gerichtet. Derselbe Schriftsatz enthält aber auch den Satz: ,,Richtigerweise hätte das FG feststellen müssen, daß die Prüfungsanordnung . . . nichtig, zumindest aber rechtswidrig ist." Der Senat sieht dementsprechend das bereits im Klageverfahren ausdrücklich vorgebrachte Begehren der Klägerin, die Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung festzustellen, als das Revisionsbegehren an.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der IV. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Urteil vom 7. November 1985 IV R 6/85 (BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435) entschieden, daß das Recht, eine Prüfungsanordnung mit Beschwerde und Klage anzufechten, nicht dadurch verwirkt werde, daß sich der Steuerpflichtige zunächst widerspruchslos auf die Prüfung einläßt. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an.

Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelfristen begründen für die Betroffenen einen schutzwürdigen verfahrensrechtlichen Vertrauenstatbestand. Danach muß sich der Adressat eines Verwaltungsakts grundsätzlich darauf verlassen können, daß ihm eine bestimmte Zeitspanne zur Prüfung der Rechtmäßigkeit zur Verfügung steht. Es mag auf sich beruhen, ob bei besonders gelagerten Geschehensabläufen dieses Vertrauen nicht mehr als schutzwürdig angesehen werden kann und gegebenenfalls wann dies so ist. Denn jedenfalls das widerspruchslose Dulden einer in einer Prüfungsanordnung angekündigten Außenprüfung beeinträchtigt nicht das Beschwerderecht des Adressaten. Jede andere rechtliche Beurteilung würde dazu führen, daß der sich loyal verhaltende Bürger, der regelmäßig zunächst von der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts ausgeht und dessen Vollzug hinnimmt, nicht nur durch den sofortigen Vollzug schlechtergestellt wäre als derjenige, der rein vorsorglich gegen jede behördliche Maßnahme opponiert. Über diese Beeinträchtigung hinaus würde er zudem einen endgültigen Rechtsverlust erleiden; eine Folge, die jeglicher Rechtfertigung entbehrt. Der Verwaltung steht es frei, die Zeitspanne der verfahrensrechtlichen Ungewißheit durch Erteilung von ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrungen auf das geringstmögliche Maß zu verkürzen.

Da das FG - aufgrund seiner rechtlichen Beurteilung folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zur Frage der Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung im übrigen und der ordnungsgemäßen Bekanntgabe getroffen hat, muß die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung und erneuten Entscheidung zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414740

BFH/NV 1987, 348

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