Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses

 

Leitsatz (NV)

1. Es ist nicht erforderlich, daß der Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG in der Form einer Steuererklärung gestellt wird.

2. Einem allgemein gehaltenen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung kann der Wille des Steuerpflichtigen zur Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG nicht entnommen werden. Das gilt auch dann, wenn für frühere Veranlagungszeiträume negative Einkünfte berücksichtigt worden sind.

3. Eine andere Beurteilung ist allerdings dann gerechtfertigt, wenn in früheren Veranlagungszeiträumen entstandene Verluste mangels ausreichender positiver Einkünfte nicht voll ausgeglichen werden konnten und deshalb für einen Verlustabzug noch zur Verfügung stehen.

 

Normenkette

EStG § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 8, S. 2, § 10d

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden bis 1978 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Im Jahr 1979 erzielten sie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und machten Verluste aus Vermietung und Verpachtung, nachträgliche Betriebsausgaben aus Gewerbebetrieb sowie einen Verlustvortrag geltend.

Ab 1974 unterhielt der Kläger einen Gewerbebetrieb als Schlossermeister. Durch Beschlüsse vom 12. Oktober 1978 wurde über das Vermögen beider Kläger das Konkursverfahren eröffnet. Nachdem das für den Betrieb des Klägers zuständige FA für die Jahre 1977 und 1978 zunächst im Wege der Schätzung Gewinne von 25 000 DM und 12 000 DM festgestellt hatte, setzte es aufgrund von Erklärungen, die auf Betreiben des Konkursverwalters nachgereicht worden waren, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb für 1977 auf rd. ./. 116 000 DM und für 1978 auf rd. ./. 69 000 DM fest.

Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) sandte den Klägern für 1979 Steuererklärungsvordrucke zu. Die damaligen Bevollmächtigten der Kläger baten mit Schreiben vom 24. Dezember 1980 um Fristverlängerung für die Einreichung der Steuererklärungen 1979. Dieses Schreiben hat folgenden Wortlaut:

,,Betr.: St. No. 47/11,

Franz X, A-Straße in B

Sehr geehrte Herren,

für die Einreichung der Steuererklärungen 1979 erbitten wir höflich eine Fristverlängerung bis zum 28. 2. 1981."

Die Einkommensteuererklärung 1979 ging erst am 9. Februar 1983 beim FA ein.

Das FA lehnte mit Bescheid vom 13. April 1983 eine Einkommensteuerveranlagung für 1979 ab, da das Einkommen aufgrund hoher Verlustvorträge unter 48 000 DM liege und ein deshalb erforderlicher Antrag auf Veranlagung wegen Fristablaufs zum 31. Dezember 1981 nicht rechtzeitig abgegeben worden sei. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) verpflichtete das FA, eine Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr durchzuführen.

Zur Begründung führt es aus, es sei zwar keine Veranlagung von Amts wegen durchzuführen, da das Einkommen der Kläger im Hinblick auf den Verlustvortrag unter der in § 46 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) genannten Grenze von 48 000 DM liege. Es sei jedoch eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG durchzuführen, weil die Kläger einen Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses gestellt hätten.

Erklärungen und Handlungen des öffentlichen Rechts seien wie im bürgerlichen Recht so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsauffassung verstehen müsse. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Sachverhalts ergebe die Auslegung des Fristverlängerungsantrags vom 24. Dezember 1980, daß er gleichzeitig einen Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG enthalte. Diese Umstände seien darin zu sehen, daß die Kläger oder der Kläger, abgesehen von der Aufforderung zur Abgabe der Einkommensteuererklärung 1979 und den Veranlagungen in früheren Kalenderjahren, neben den negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in den Jahren 1977 und 1978 erhebliche Verluste aus Gewerbebetrieb erzielt hätten. Nachdem die Verluste dem Wohnsitz-FA vom Betriebs-FA im August 1980 mitgeteilt worden waren, habe es mit Bescheiden für 1976, 1977 und 1978 vom 28. August 1980 diese Verluste berücksichtigt, jedoch das gesamte Verlustvolumen nicht erschöpft. Bei Berücksichtigung dieses Sachverhalts sei dem Antrag vom 24. Dezember 1980 der Wille zu entnehmen, den weiteren Verlust gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8, § 10 d EStG in 1979 zu berücksichtigen. Daß die Kläger nach diesem Antrag längere Zeit keine Einkommensteuererklärung abgegeben hätten, sei angesichts ihrer Konkursverfahren verständlich.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung von § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8, Satz 2 EStG. Ein Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses müsse nach der in Abschn. 217 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) enthaltenen Anweisung den Erfordernissen von § 60 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) - also einer eigenhändig unterschriebenen, nach amtlichem Vordruck erstellten Steuererklärung - entsprechen. Aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergebe sich, daß Anträge, die ein bestimmtes Festsetzungs- oder Feststellungsverfahren des FA in Gang setzen sollen, einen Mindestinhalt an konkreten Angaben aufweisen müßten, der dem FA ermöglicht, das betreffende Verfahren einzuleiten. Einem formlosen Fristverlängerungsantrag könne nicht ein Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses entnommen werden. Dies ergebe sich auch aus der Vorschrift von § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG über den Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie halten daran fest, daß die Durchführung einer Veranlagung rechtzeitig beantragt worden ist.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b EStG 1979, das für das Streitjahr maßgebend ist, kann ein Arbeitnehmer, dessen Einkommen 24 000 DM - bei zusammen veranlagten Ehegatten 48 000 DM - jährlich nicht übersteigt, eine Einkommensteuerveranlagung zur Berücksichtigung von Verlusten aus einer anderen Einkunftsart als derjenigen aus nichtselbständiger Arbeit beantragen, falls die Einkünfte, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden ist, zusammen einen Verlustvortrag ergeben. Der Antrag auf Veranlagung ist bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs zu stellen (§ 46 Abs. 2 Satz 2 EStG).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Kläger haben bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres beantragt, sie zur Einkommensteuer 1979 zu veranlagen.

2. Die Kläger haben ihre Steuererklärung zwar erst nach Ablauf der Frist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG eingereicht. Dies steht einem wirksamen Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses aber nicht entgegen, weil es nicht erforderlich ist, daß der Antrag nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG in der Form einer Steuererklärung gestellt wird. Der Senat nimmt hierzu Bezug auf seine Ausführungen im Urteil vom 22. Juli 1986 VIII R 12/85 (BFHE 147, 343).

3. Der Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses kann auch einer anderen Erklärung oder einem anderen Antrag des Steuerpflichtigen im Wege der Auslegung entnommen werden. Voraussetzung ist lediglich, daß das Begehren auf Durchführung der Veranlagung zur Berücksichtigung von Verlusten mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt (BFH-Urteil vom 22. Juli 1986 VIII R 12/85, m.w.N.).

Das FG hat das Schreiben vom 24. Dezember 1980 zutreffend dahin ausgelegt, daß der Antrag auf Fristverlängerung zur Abgabe der Steuererklärung unter den besonderen Umständen auch als Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer 1979 zu werten ist.

Der Senat ist allerdings der Ansicht, daß einem allgemein gehaltenen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung der Wille des Steuerpflichtigen zur Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG nicht entnommen werden kann. Aus einem Antrag, der sich auf die Verlängerung der Steuererklärungsfrist bezieht, kann das FA im Regelfall nur erkennen, daß noch eine Steuererklärung eingereicht wird (BFH-Urteile vom 19. Dezember 1962 IV 337/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1963, 248; vom 27. März 1979 VIII R 76/77, nicht veröffentlicht; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 20. März 1984 V 78/81, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 24). Das gilt - entgegen der Auffassung des FG - auch dann, wenn bei der Veranlagung für frühere Veranlagungszeiträume negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt worden sind, weil die Veranlagung jeweils nur für einen Veranlagungsabschnitt erfolgt und die Verhältnisse sich von Jahr zu Jahr ändern.

Auch die Tatsache, daß das FA die Kläger zur Abgabe der Einkommensteuererklärung 1979 aufgefordert hat, kann nicht dazu führen, daß ein allgemein gehaltener Fristverlängerungsantrag als Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses zu werten ist. Die vom BFH zu § 71 Abs. 2 EStDV a. F. entwickelten Grundsätze vom ,,Aufgreifen eines Steuerfalls" durch das FA sind auf die Fristbestimmung des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht anwendbar (Urteil vom 8. Mai 1979 VIII R 78/77, BFHE 128, 210, BStBl II 1979, 676).

Das FG hat aber mit Recht darauf hingewiesen, daß der Kläger in den Jahren 1977 und 1978 erhebliche Verluste aus Gewerbebetrieb erlitten hatte, und zwar 1977 in Höhe von rd. 116 000 DM und 1978 in Höhe von rd. 69 000 DM. Diese Verluste waren vom FA bei den Veranlagungen für die Jahre 1976, 1977 und 1978 berücksichtigt worden. Sie konnten jedoch mangels ausreichender positiver Einkünfte nicht voll ausgeglichen werden, sondern standen in erheblichem Umfang für einen Verlustabzug noch zur Verfügung. Unter diesen Umständen war dem Antrag vom 24. Dezember 1980 auch der Wille zu entnehmen, bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für 1979 nicht ausgeglichene Verluste entsprechend § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8, § 10 d EStG berücksichtigen zu lassen. Dies war auch für das FA erkennbar, denn die Kläger konnten nur auf diesem Weg erreichen, daß sich die nicht ausgeglichenen Verluste einkommensteuermindernd auswirken.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414738

BFH/NV 1987, 148

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