Leitsatz (amtlich)

1. Zur Abgrenzung der Grundstücksarten Zweifamilienhaus - gemischtgenutztes Grundstück.

2. Bei der Frage, ob die Eigenart eines Einfamilienhauses oder eines Zweifamilienhauses durch eine Mitbenutzung zu gewerblichen oder öffentlichen Zwecken wesentlich beeinträchtigt wird, ist auch nach dem BewG 1965 in erster Linie auf die Verkehrsauffassung abzustellen.

 

Normenkette

BewG 1965 § 75 Abs. 1-6

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem ein 1962 errichtetes Gebäude steht. Das Gebäude ist voll unterkellert und hat zwei Geschosse. In dem Gebäude befinden sich zwei Wohnungen mit 112 qm und 84 qm Wohnfläche. Jede Wohnung hat einen separaten Hauseingang. Dem Gebäude vorgelagert ist ein Anbau, in dem sich zwei Garagen befinden, von denen eine als Lager benutzt wird. Ferner befindet sich darin ein 12,5 qm großer Ausstellungsraum mit einem schmalen, länglichen Schaufenster neben der Eingangstür. Im Kellergeschoß des Hauptgebäudes liegen zwei Büroräume mit 36,7 qm und ein Werkstattraum mit 18,75 qm. Das FG hat aus den Bauakten festgestellt, daß es sich um ein Familienheim mit Einliegerwohnung handelt, das mit einer Garage als steuerbegünstigt nach §§ 82, 83 II. WoBauG anerkannt ist. Das FG hat ferner festgestellt, daß das Grundstück in einer Wohngegend liegt und sich als Zweifamilienhaus seiner Umgebung anpaßt.

Der Kläger gab in der Erklärung zur Hauptfeststellung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1964 die tatsächlich erzielte Miete für die fremdvermietete Wohnung mit 4 250 DM an, = etwa 4,20 DM je qm. Die Miete für die zu Wohnzwecken eigengenutzten Räume schätzte der Kläger auf 5 400 DM, = etwa 4 DM je qm, und für die eigengewerblich genutzten Räume von 71,8 qm auf 4 190 DM, = etwa 5 DM je qm. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) bewertete bei der Hauptfeststellung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1964 das Grundstück als Zweifamilienhaus nach dem Ertragswertverfahren. Es ging von der erklärten Jahresrohmiete aus, die es lediglich um die Miete für eine Garage von 480 DM erhöhte, weil der Kläger diese nicht angegeben habe. Der Einheitswert wurde auf 170 900 DM festgestellt. Der Einspruch, mit dem der Kläger den Ansatz einer Wohnraummiete von 2,90 DM je qm und die Bewertung des Grundstücks als gemischtgenutztes Grundstück verlangte, hatte keinen Erfolg.

Das FG wies die Klage ab. Es führte im wesentlichen aus: Nach § 75 Abs. 6 BewG 1965 sei Merkmal für die Abgrenzung gegenüber anderen Grundstücksarten die Eigenart als Zweifamilienhaus. Es sei zwischen den Parteien unstreitig, daß das Gebäude nach seinem Aussehen und Charakter sowie nach der Verkehrsauffassung ein Zweifamilienhaus sei. Der Kläger könne seine gegenteilige Auffassung nicht auf Abschn. 15 Abs. 3 letzter Teil und Abs. 7 Bewertungsrichtlinien Grundvermögen stützen. Nach dem Urteil des BFH vom 3. Februar 1956 III 206/55 U (BFHE 62, 205, BStBl III 1956, 78) sei für die Abgrenzung eines Einfamilienhauses nicht das Ausmaß der gewerblichen Nutzung allein entscheidend, zu entscheiden sei in erster Linie nach der Verkehrsauffassung. Die Jahresrohmiete sei vom FA richtig ermittelt worden. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Miete für die gewerblich genutzten Räume im Verhältnis zur Miete für die zu Wohnzwecken benutzten Räume nicht höher anzusetzen gewesen sei, weil das zu einer Verböserung führen würde.

Der Kläger beantragt mit der Revision, das Grundstück als gemischtgenutztes Grundstück zu bewerten. Hilfsweise beantragt er, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Seinen Hauptantrag begründet er mit unrichtiger Rechtsanwendung. Diese sieht er darin, daß das Grundstück zu mehr als 20 v. H. gewerblichen Zwecken diene und deswegen nur ein gemischtgenutztes Grundstück sein könne. Nur ein Grundstück, das zu mehr als 80 v. H. Wohnzwecken diene, könne entweder ein Mietwohngrundstück, ein Einfamilienhaus oder ein Zweifamilienhaus sein. Das BFH-Urteil III 206/55 U könne nicht mehr angewandt werden. Es sei zu dem Bewertungsgesetz in der vor dem Bewertungsgesetz 1965 geltenden Fassung (im folgenden: BewG) ergangen, in dem es die Grundstücksart Zweifamilienhaus überhaupt nicht gegeben habe. Seinen Hilfsantrag stützt der Kläger auf mangelnde Sachaufklärung. Diese sieht er darin, daß das FG keine Ortsbesichtigung abgehalten oder sich wenigstens durch Vorlage von Fotos und Bauzeichnungen einen eigenen Eindruck vom Aussehen und Charakter des Grundstücks verschafft habe. Das FG habe nicht allein durch eine verbale Gebäudebeschreibung einen unzweifelhaften und sicheren Eindruck von dem Gebäude erhalten können, weil das Gebäude, bedingt durch die Schachtelbauweise mit drei Baukörpern, von dem Aussehen üblicher Gebäude erheblich abweiche. Außerdem seien zwischen Bauplanung und Bauausführung gravierende Änderungen eingetreten. So sei z. B. die vom FA hinzugerechnete zweite Garage tatsächlich nicht vorhanden, sondern durch Versetzen der geplanten Garagenwände zum Teil zum Lagerraum und zum Teil zum Ausstellungsraum geworden und die Miete dafür in der gewerblichen Miete berücksichtigt. Der Anbau sehe auch nicht wie eine bei einem typischen Zweifamilienhaus häufig zu findende Doppelgarage aus, sondern vermittle jedem unbefangenen Betrachter wegen des Schaufensters sofort den Eindruck eines gewerblichen Betriebs.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß das Grundstück des Klägers ein Zweifamilienhaus im Sinne des § 75 Abs. 1 Nr. 5 BewG 1965 ist. § 75 Abs. 1 BewG 1965 enthält eine abschließende Aufzählung der Grundstücksarten. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, daß das Bewertungsgesetz, abgesehen von der Grundstücksart der sonstigen bebauten Grundstücke, die hier nicht in Betracht kommt, zwei Gruppen von Grundstücksarten kennt:

1. Wohngrundstücke, zu denen die Mietwohngrundstücke, die gemischtgenutzten Grundstücke, die Einfamilienhäuser und die Zweifamilienhäuser gehören;

2. Geschäftsgrundstücke.

Die Grundstücksgruppe der Wohngrundstücke unterscheidet sich von den Geschäftsgrundstücken dadurch, daß sie nicht zu mehr als 80 v. H. eigenen oder fremden gewerblichen oder öffentlichen Zwecken dient. Ist diese Grenze überschritten, so scheidet die Bewertung als Mietwohngrundstück, gemischtgenutztes Grundstück, Einfamilienhaus oder Zweifamilienhaus aus. Das Grundstück ist dann ein Geschäftsgrundstück im Sinne des § 75 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 BewG 1965. Die Gruppe der Wohngrundstücke unterscheidet sich untereinander zunächst einmal nach der Anzahl der darin enthaltenen Wohnungen. Ist in dem Grundstück nur eine Wohnung enthalten, so ist zuerst zu prüfen, ob es sich um ein Einfamilienhaus im Sinne des § 75 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 5 BewG 1965 handelt. Das ist nur dann nicht der Fall, wenn das Grundstück zu gewerblichen oder öffentlichen Zwecken mitbenutzt und dadurch die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Erst dann spielt es eine Rolle, ob das Grundstück zu mehr als 80 v. H. oder zwischen 20 v. H. und 80 v. H. zu Wohnzwecken benutzt wird. Denn erst dann ist zu entscheiden, ob das Grundstück ein Mietwohngrundstück oder ein gemischtgenutztes Grundstück ist. Das ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des § 75 Abs. 2 und 5 BewG 1965, nach dem die Einreihung in die Grundstücksart der Einfamilienhäuser vor der Einreihung in die Grundstücksart der Mietwohngrundstücke und gemischtgenutzten Grundstücke Vorrang hat. Sind in dem Grundstück nur zwei Wohnungen enthalten, so ist zuerst zu prüfen, ob es sich um ein Zweifamilienhaus im Sinne des § 75 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 6 BewG 1965 handelt. Auch dabei spielt es wegen der Vorschrift des § 75 Abs. 6 Satz 2 BewG 1965 zunächst keine Rolle, ob das Grundstück zu mehr als 80 v. H. oder zwischen 20 v. H. und 80 v. H. zu Wohnzwecken benutzt wird. Diese Frage wird auch bei Zweifamilienhäusern erst relevant, wenn das Grundstück zu gewerblichen oder öffentlichen Zwecken mitbenutzt und dadurch die Eigenart als Zweifamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Erst dann ist zu entscheiden, ob das Grundstück ein Mietwohngrundstück oder ein gemischtgenutztes Grundstück ist. Auch dieses Ergebnis beruht auf dem eindeutigen Wortlaut des § 75 Abs. 2 und 6 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 5 BewG 1965, nach dem die Einreihung in die Grundstücksart der Zweifamilienhäuser ebenfalls vor der Einreihung in die Grundstücksart der Mietwohngrundstücke und gemischtgenutzten Grundstücke Vorrang hat.

2. Da im Streitfall unstreitig in dem zu bewertenden Grundstück nur zwei Wohnungen vorhanden sind, hängt nach den obigen Ausführungen die Entscheidung darüber, ob ein Zweifamilienhaus oder ein gemischtgenutztes Grundstück vorliegt, allein davon ab, ob die Mitbenutzung des Grundstücks zu eigengewerblichen Zwecken die Eigenart als Zweifamilienhaus wesentlich beeinträchtigt oder nicht. Das FA ist in seiner Einspruchsentscheidung davon ausgegangen, daß eine wesentliche Beeinträchtigung in diesem Sinne in der Regel nur anzunehmen ist, wenn der Umfang der gewerblichen Nutzung, gemessen am Verhältnis der Wohn- und gewerblichen Nutzfläche, überwiege. Diese Auffassung ist zu eng. Das FG hat mit Recht darauf hingewiesen, daß das Ausmaß der gewerblichen Nutzung nicht allein entscheidend ist, sondern daß die Beeinträchtigung der Eigenart als Zweifamilienhaus in erster Linie nach der Verkehrsauffassung entschieden werden muß. Der Senat hat diese Auffassung bereits hinsichtlich der Abgrenzung eines Einfamilienhauses nach altem Recht in dem Urteil III 206/55 U vertreten. Er hat sie in dem Urteil vom 27. Mai 1970 III R 65/68 (BFHE 99, 493, BStBl II 1970, 678, unter 2) für das alte Recht erneut bestätigt. Sie gilt entgegen der Ansicht des Klägers auch für das neue Bewertungsrecht und auch für die Abgrenzung der Zweifamilienhäuser. Die Tatsache, daß die Einfamilienhäuser früher nach dem Sachwertverfahren bewertet wurden, hat darauf keinen Einfluß. Es ist nach Auffassung des Senats auch nicht entscheidend, daß in § 75 Abs. 5 letzter Satz BewG 1965 anders als in § 32 Abs. 1 Nr. 4 letzter Satz BewDV nicht mehr ausdrücklich auf die Verkehrsauffassung abgestellt ist. Der Senat hat in den Urteilen III 206/55 U und III R 65/68 ausgeführt, die Berücksichtigung der Verkehrsauffassung erfordere lediglich, daß auf die Allgemeinheit vernünftig denkender Menschen abzustellen sei. Hierunter sei die Auffassung zu verstehen, die urteilsfähige und unvoreingenommene Staatsbürger von einer Sache haben oder gewinnen, wenn sie mit ihr befaßt werden. Es handelt sich danach bei der Berücksichtigung der Verkehrsauffassung um die Berücksichtigung der Volksanschauung, die nach § 1 Abs. 2 StAnpG ganz allgemein bei der Auslegung der Steuergesetze zu beachten ist.

Der Kläger rügt in diesem Zusammenhang auch zu Unrecht mangelnde Sachaufklärung durch das FG. Es mag zwar sein, daß in einzelnen Fällen eine Gebäudebeschreibung allein keine sichere Grundlage für die Beurteilung der Frage bietet, ob durch die gewerbliche Mitbenutzung die Eigenart als Zweifamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Zu einer weiteren Prüfung bestand jedoch für das FG im vorliegenden Fall kein Anlaß, weil es zu Recht angenommen hat, daß es unter den Parteien unstreitig sei, "daß das Gebäude nach seinem Aussehen und Charakter sowie der Verkehrsauffassung ein Zweifamilienhaus ist". Diese Annahme steht mit dem Akteninhalt in Einklang. Der Kläger hat in der Klageschrift selbst vortragen lassen, daß das Gebäude in einem reinen Wohngebiet errichtet worden und deshalb die gesamte planerische und bauliche Gestaltung so gehalten gewesen sei, daß der Gesamteindruck des Wohngebietes nicht gestört werde.

3. Die Bewertung durch das FA ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Das FA hat bei der vermieteten Wohnung die tatsächlich vereinbarte Miete zugrunde gelegt. Das entspricht der Vorschrift des § 79 Abs. 1 BewG 1965. Es ist richtig, daß § 79 Abs. 2 Nr. 2 BewG 1965 den Ansatz der üblichen Miete statt der vereinbarten Miete dann vorschreibt, wenn die tatsächliche Miete um mehr als 20 v. H. von der üblichen Miete abweicht. Diese Vorschrift kann zwar auch in den Fällen angewandt werden, in denen die vereinbarte Miete zu mehr als 20 v. H. höher ist als die übliche Miete. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG lag die vereinbarte Miete jedoch im Rahmen der Miete, die nach dem örtlichen Mietspiegel der Miete für freifinanzierte, steuerbegünstigte Wohnungen entsprach. Diese Feststellungen sind für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, weil der Kläger gegen sie keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe geltend gemacht hat. Auch den Ansatz der üblichen Miete bei den zu Wohnzwecken eigengenutzten Räumen mit etwa 4 DM je qm hat das FG mit zutreffender Begründung für gerechtfertigt gehalten. Das gleiche gilt hinsichtlich der Miete für die eigengenutzten gewerblichen Räume, bei der das FG mit Recht darauf hingewiesen hat, daß es fraglich sei, ob sie im Verhältnis zu der Miete für Wohnzwecke nicht zu niedrig angesetzt worden ist. Die Behauptung des Klägers, die Garage, für die das FA eine zusätzliche Miete angesetzt hat, sei bereits in der Miete für die gewerblichen Räume enthalten, ist neues tatsächliches Vorbringen, mit dem der Kläger in der Revisionsinstanz nicht mehr gehört werden kann. Der Kläger hat zwar in der Einspruchsschrift den Zuschlag von 537 DM zur Jahresrohmiete mit der Begründung beanstandet, er sei "ohne nähere Erläuterung" vorgenommen worden. Nachdem das FA aber in der Einspruchsentscheidung erläutert hatte, daß es sich dabei um einen Zuschlag für eine grundsteuerbegünstigte Garage handle, die der Kläger nicht angegeben habe, hat der Kläger während des ganzen Klageverfahrens dazu keine Ausführungen mehr gemacht und erst in der Revisionsbegründung behauptet, daß diese "Garage" bereits in der erklärten gewerblichen Miete enthalten sei.

 

Fundstellen

BStBl II 1974, 195

BFHE 1974, 264

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