Leitsatz (amtlich)

Ob ein Vertrag über den Erwerb eines Grundstücks mit einem noch zu errichtenden schlüsselfertigen Gebäude oder ein Kaufvertrag über ein unbebautes Grundstück und ein Werkvertrag über die Errichtung eines Gebäudes vorliegen, kann nur nach dem Gesamtbild aller Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Bei der Entscheidung sind dem Parteiwillen, der Vertragsgestaltung und dem Vertragszweck besondere Bedeutung beizumessen.

 

Normenkette

UStG § 4 Nr. 9; GrESWG § 1 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Revisionskläger (Steuerpflichtige), ein Bauunternehmer, verkaufte an zwei Bauinteressenten Grundstücke. Die Käufer ließen durch den Steuerpflichtigen auf den Grundstücken Gebäude mit steuerbegünstigten Wohnungen für Bundesbedienstete errichten. Der Steuerpflichtige ist der Auffassung, Gegenstand der Kaufverträge seien die Grundstücke einschließlich der Gebäude gewesen; diese Umsätze fielen unter das GrEStG und seien daher nach § 4 Nr. 9 UStG steuerfrei. Auch die für die Errichtung der Gebäude vereinnahmten Entgelte von ... dürften daher der Berechnung der Umsatzsteuer nicht zugrunde gelegt werden. Nach Auffassung des Revisionsbeklagten (FA) waren Gegenstand der Kaufverträge jeweils die unbebauten Grundstücke. Auf diesen hätten die Kaufinteressenten als Bauherren nach Abschluß besonderer Werkverträge von dem Steuerpflichtigen Gebäude errichten lassen. Dieser Auffassung entsprechend hat das FA die für die Errichtung der Gebäude vereinnahmten Entgelte der Umsatzsteuer in Höhe von 4 v. H. unterworfen, weil diese Umsätze nicht unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 UStG fielen.

Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg.

Mit der nunmehr als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde vertritt der Steuerpflichtige unter Bezugnahme auf das Urteil des RFH V 441/39 vom 11. Juli 1941 (RStBl 1941, 823) die Auffassung, daß wirtschaftlich einheitliche Verträge über die Lieferung schlüsselfertiger Gebäude vorlägen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet.

Dem Steuerpflichtigen steht für die Errichtung der Gebäude auf den verkauften Grundstücken keine Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 UStG zu, weil diese Umsätze nicht unter das GrEStG fallen.

Nach den Feststellungen des FG und den bei den Akten befindlichen notariell beurkundeten und im wesentlichen gleichlautenden "Kaufverträgen" zwischen den beiden Kaufinteressenten einerseits und dem Steuerpflichtigen andererseits verkaufte dieser an jene "Bauplätze" der in den Verträgen näher bezeichneten Art. Diese wurden am Tage des Vertragsschlusses übergeben; mit dem gleichen Tage gingen Lasten und Nutzungen auf die Käufer über. In beiden Verträgen wird ein bestimmter Kaufpreis für die unbebauten Grundstücke ausgewiesen, dessen Zahlung im Rahmen einer durch die zuständige OFD genehmigten Gesamtfinanzierung erfolgen sollte. Die Bürovorsteherin des beurkundenden Notars erhielt unwiderrufliche Auflassungsvollmacht; die Auflassung sollte nach Vorliegen der behördlichen Genehmigungen erfolgen. Mit je einem Schreiben an die beiden Kaufinteressenten bestätigte der Steuerpflichtige, ihnen das "Grundstück im vorweg und nicht erst nach Durchführung des Bauvorhabens zu übertragen". Der Steuerpflichtige hat im Berufungsverfahren selbst vorgetragen, als Bauherrn seien die beiden Kaufinteressenten aufgetreten. Als solche haben sie auch die Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Befreiung von der Grunderwerbsteuer bei Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaues und bei Maßnahmen im Rahmen des Schleswig-Holsteinischen Aufbaugesetzes und des Baulandbeschaffungsgesetzes vom 12. August 1954 (BStBl II 1954, 142) - GrESWG - beantragt und erhalten. Außerhalb dieser Kaufverträge erteilten die Kaufinteressenten dem Steuerpflichtigen die Bauaufträge.

Wenn die Vorinstanz auf Grund dieser Feststellungen zu dem Ergebnis kommt, daß jeweils zwei Umsätze, nämlich die Veräußerung unbebauter Grundstücke und die Errichtung von Gebäuden auf den veräußerten Grundstücken, vorliegen, von denen jeweils nur die Veräußerungen der unbebauten Grundstücke unter das GrEStG fallen und daher nach § 4 Nr. 9 UStG steuerfrei seien, während die Errichtung von Gebäuden umsatzsteuerpflichtig sei, so läßt diese Beurteilung einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Die Frage, ob Fällen der streitigen Art, jeweils nur ein Kaufvertrag über ein bebautes Grundstück oder jeweils zwei Verträge, nämlich ein Kaufvertrag über ein unbebautes Grundstück und ein besonderer Werkvertrag (Werklieferungsvertrag) vorliegen, kann nur nach dem Gesamtbild unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles beurteilt werden, wobei dem Parteiwillen, der Ausgestaltung der Rechte und Pflichten und dem Vertragszweck entscheidende Bedeutung beizumessen ist (BFH-Urteil II 73/63 vom 20. Juni 1967, BFH 90, 82, BStBl III 1967, 794 sowie die in diesem Urteil zitierte Rechtsprechung und Literatur). Der Wortlaut und Inhalt des Kaufvertrages lassen eindeutig den Parteiwillen zur Veräußerung bzw. zum Erwerb unbebauter Grundstücke erkennen.

Aus der Tatsache, daß ein Bauunternehmer Baugrund nur veräußert, wenn ihm auch der Bauauftrag übertragen wird, läßt sich aber unter den gegebenen Verhältnissen nicht auf den Willen zu einem einheitlichen Vertrag über die Lieferung eines bezugsfertigen Gebäudes schließen (vgl. auch BFH-Urteil II 186/60 vom 21. Dezember 1961, HFR 1962, 169 = Steuerrechtsprechung in Karteiform, Grunderwerbsteuergesetz, § 1, Rechtsspruch 91).

Auch aus dem Urteil des RFH V 441/39 vom 11. Juli 1941 (a. a. O.) läßt sich entgegen der Auffassung des Steuerpflichtigen eine andere Beurteilung nicht herleiten. Der Steuerpflichtige übersieht einen wesentlichen Unterschied zwischen dem vom RFH und dem im Streitfalle zu beurteilenden Sachverhalt. In dem vom RFH entschiedenen Fall waren, wie in den Urteilsgründen hervorgehoben wird, die Gebäude gegen einen Festpreis herzustellen. Im Streitfall haben der Steuerpflichtige und die Grundstückserwerber über die Errichtung der Gebäude Verträge abgeschlossen, in denen vorläufige Gesamtpreise vereinbart waren. Die endgültigen Preise sollten nach der Abrechnung festgelegt werden. Der Steuerpflichtige hat eine von seinem Standpunkt aus wirtschaftlich sinnvolle Rechtsgestaltung gewählt, indem er die Grundstücke zu festen Preisen verkaufte und die Errichtung der Gebäude zu vorläufigen, erst in der Endabrechnung endgültig festzulegenden Vergütungen übernahm. Die Aufteilung der Gesamtprojekte in Kauf- und Werkverträge berücksichtigt die Erfahrung, daß sich Baukosten während der Bauzeit erheblich ändern können. Fa und FG haben daher der Rechtsgestaltung des Steuerpflichtigen folgend zutreffend in der Errichtung der Gebäude Umsätze gesehen, die nicht unter das GrEStG fallen und daher umsatzsteuerpflichtig sind.

 

Fundstellen

BStBl II 1968, 253

BFHE 1968, 557

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