Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die in dem Beschluß des BFH IV 337/50 vom 22. November 1951 (BStBl. 1952 III S. 27) aufgestellten Grundsätze bezüglich der Zulässigkeit und Durchführung der Steueraufsicht werden aufrechterhalten.

Ein auf die §§ 201 Absatz 1, 175 Absätze 1 und 2 AO gestütztes Auskunftsverlangen kann nicht unter Berufung auf das sogenannte Chiffre-Geheimnis verweigert werden.

 

Normenkette

AO § 201 Abs. 1, § 175/1, § 175/2; StAnpG § 2/1; StAnpG § 2/2

 

Tatbestand

Durch Verfügung vom 1. März 1951 hat das Finanzamt (FA) auf Grund von §§ 175, 201 der Reichsabgabenordnung (AO) die Beschwerdeführerin (Bfin.) aufgefordert, Namen und Anschriften der Auftraggeber anzugeben, die unter der Chiffre D 24 und S 775 Anzeigen hatten ergehen lassen, und die in dem einen Falle (D 24) den beabsichtigten Ankauf von Brillantschmuck mit ein bis zwei mittleren reinen Steinen, in dem anderen den Verkauf von Perserteppichen und Perserbrücken zum Gegenstand hatten. Mit Rücksicht auf die in einem vorhergehenden Falle von der Bfin. abgelehnte Auskunft wurde sogleich eine Geldstrafe von 20 DM angedroht, die nach ergebnislosem Ablaufe der gesetzten Frist durch Verfügung vom 13. März 1951 unter gleichzeitiger Androhung einer weiteren Geldstrafe von 50 DM festgesetzt wurde.

 

Entscheidungsgründe

Die gegen beide Verfügungen eingelegten Beschwerden blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hat die Auffassung der Bfin., die die Auskunft unter Berufung auf das sogenannte Chiffre-Geheimnis verweigert hat und noch ablehnt, unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte und den Zweck des § 201 AO sowie die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, insbesondere des Gutachtens D 3/37 vom 16. Oktober 1937, Reichssteuerblatt (RStBl.) 1937 S. 1110, Slg. Bd. 40 S. 221; Kartei, AO 1931 § 201 Absatz 1 R. 12, nicht gebilligt und auch den Antrag der Bfin., das Finanzamt solle sich über die Chiffre-Nummer mit den Auftraggebern selbst in Verbindung setzen, als mit dem Ansehen einer Behörde für nicht vereinbar gehalten.

Die Ausführungen in der Rechtsbeschwerde (Rb.) sind nicht geeignet, den erhobenen Vorwurf der unrichtigen Rechtsanwendung berechtigt erscheinen zu lassen.

Die Bfin. hält die Auskunftspflicht nur unter den in dem Gutachten des Reichsfinanzhofs D 4/32 vom 20. Mai 1933, Slg. Bd. 33 S. 248, RStBl. 1933 S. 520; Kartei, AO 1931 § 201, Allgemeines, Rechtssprüche 4 - 8, aufgestellten Voraussetzungen für zulässig. Es müsse einmal ein begründeter Anlaß bestehen, und sodann müsse die Verhältnismäßigkeit zwischen dem sich aus der angeordneten Maßnahme ergebenden Vorteil und dem sich für die Auskunftsperson entstehenden wirtschaftlichen Nachteil gewahrt bleiben. Man könne an der von der Allgemeinheit geteilten Auffassung, daß die Geheimhaltung der Chiffre-Anzeigen absolut gewährleistet sei, nicht vorbeigehen. Die für das Zeitungsgewerbe grundsätzliche Frage müsse unter dem Gesichtspunkt des Inhaltes der Bestimmungen des Grundgesetzes über die Grundrechte dahin beantwortet werden, daß das Chiffre-Geheimnis, dessen Einführung im Entwurf des Bundespressegesetzes, wonach Auskünfte nur der örtlichen Staatsanwaltschaft erteilt werden sollen, vorgesehen sei, schon jetzt de facto vorhanden und von den Finanzbehörden zu beachten sei. Wenn es auch noch nicht feststehe, ob in das Bundespressegesetz tatsächlich die vorgesehenen Einschränkungen aufgenommen werden, so könnte nach der derzeitigen Rechtslage die Offenbarung von Chiffre-Anzeigen höchstens dann verlangt werden, wenn bereits bestimmte Tatsachen festgestellt seien, aus denen auf die Möglichkeit unrechtmäßiger Steuerverkürzungen geschlossen werden könne.

Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen im Steueraufsichtsverfahren nach Maßgabe der §§ 201 Absatz 1, 175 Absätze 1 und 2 AO Auskünfte verlangt werden können, hat der erkennende Senat in dem Beschluß IV 337/50 U vom 22. November 1951 (BStBl. 1952 III S. 27) Stellung genommen, auf dessen Gründe im einzelnen verwiesen wird. Danach ist durch § 201 AO eine allgemeine Steueraufsicht geschaffen worden, auf Grund derer ein Auskunftsverlangen auch dann berechtigt ist, wenn ein begründeter Anlaß nicht vorliegt. Der in dem Gutachten des Reichsfinanzhofs vom 20. Mai 1933 insoweit aufgestellte Grundsatz ist nicht nur durch die spätere Rechtsprechung überholt, er steht auch mit dem Gesetz nicht im Einklang. Dieses sieht für die Zulässigkeit der Steueraufsicht keine Einschränkung vor, insbesondere verlangt es nicht das Vorliegen eines begründeten Anlasses. Solange das Gesetz eine solche Voraussetzung nicht vorschreibt, ist sie auch nicht erforderlich. Durch die Rechtsprechung können im Gesetz nichtaufgeführte Tatbestandsmerkmale nicht festgesetzt werden, das ist Sache des Gesetzgebers. Daran hat weder das Grundgesetz etwas geändert, noch kann eine solche Forderung mit Erwägungen über bestehende demokratische Grundsätze erhoben werden. Nicht nur autoritäre, auch nach demokratischen Grundsätzen organisierte Staatswesen legen in mindestens gleichem, wenn nicht noch stärkerem Maße Gewicht darauf, daß alle Staatsbürger nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu den öffentlichen Lasten gleichmäßig herangezogen werden. Gerade die durch das Grundgesetz garantierten Grundrechte erfordern eine solche Beurteilung. Die genaue Beobachtung der ihrem Wortlaute nach klaren Gesetzesbestimmungen und die Grundsätze rechtsstaatlichen Denkens bilden einen Grundpfeiler demokratischer Staatswesen. Das zeigt besonders § 2 Absatz 2 der von der englischen Militärregierung erlassenen Verordnung Nr. 175 über die Wiedererrichtung von Finanzgerichten, wonach die Finanzgerichte die Anwendung einer bestimmten gesetzlichen Vorschrift nicht deshalb ablehnen dürfen, weil sie nach ihrer Ansicht der Billigkeit oder übergesetzlichen Grundsätzen widerspricht.

Die Rb. gibt dem Senat keinen Anlaß, von den Ausführungen im Urteil IV 337/50 U abzuweichen, auch nicht, soweit sie sich mit der seit Inkrafttreten des Steueranpassungsgesetzes geübten Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs beschäftigen, der die Bfin. jede Bedeutung abspricht.

Die Belange der Staatsbürger sind und werden dadurch ausreichend gewahrt, daß sie gegenüber übergriffen der Verwaltung die Gerichte anrufen können. Das gilt besonders dann, wenn behauptet wird, die Verwaltungsbehörden hätten gegen Recht und Billigkeit verstoßen. Unter diesem Grundsatz steht, wie der Senat in dem angeführten Urteil nachdrücklich betont hat, im besonderen Maße die Vorschrift des § 201 AO, die den Finanzämtern umfassende Vollmachten gibt, um die gleichmäßige Durchführung der Steuergesetze zu gewährleisten. Die hiernach berechtigten Maßnahmen der Finanzbehörden stellen weder eine überspannung des Hoheitsgedankens noch der Auskunftspflicht dar.

Es ist daher nur zu prüfen, ob das Vorgehen des Finanzamts mit den Grundsätzen von Treu und Glauben im Widerspruch steht, d. h. ein Ermessensmißbrauch in der Ausübung und Durchführung der Steueraufsicht vorliegt. Das muß verneint werden. Die Darlegungen in der Vorentscheidung enthalten keinen Rechtsirrtum. Die von der Bfin. auf das sogenannte Chiffre-Geheimnis gestützte Ablehnung des Auskunftsverlangens findet in den gesetzlichen Vorschriften keine Berechtigung. Die gesetzlichen Beschränkungen der Auskunftspflicht sind in den §§ 176 ff. AO abschließend geregelt. Eine ausdehnende Auslegung ist nicht möglich. In der Begründung zum Entwurf der AO (zu damals: § 179, jetzt: § 177) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß auch die Berufung auf Geschäfts- oder Gewerbegeheimnisse keine Ausnahme begründen kann. Das Finanzgericht führt zutreffend aus, daß, wenn die Zeitungen gegenüber ihren Auftraggebern eine besondere Schweigepflicht üben müssen, das nur diesen gegenüber gelte; die durch § 175 AO bestimmte öffentlich-rechtliche Auskunftspflicht kann hierdurch nicht eingeschränkt werden. Geheimhaltungspflichten, die durch die §§ 176 - 188 AO nicht gedeckt sind, können die steuerliche Auskunftspflicht nicht beeinträchtigen, selbst dann nicht, wenn sie etwa durch Gesetz bestimmt ist. So kann sich z. B. ein Apotheker dem Finanzamt gegenüber mit Erfolg nicht auf die ihm in § 24 der Apotheker-Verordnung vom 18. April 1937 (Reichsgesetzblatt - RGBl. - I S. 45) auferlegte Schweigepflicht berufen; noch weniger gilt das für anderen gegebene Zusagen (siehe Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 765/33 vom 20. November 1934, RStBl. 1934 S. 1572; Kartei, AO 1931 § 201 Absatz 1 R. 5) oder für Betriebsgeheimnisse (siehe Urteil des Reichsfinanzhofs VI 437/38 vom 24. August 1938, RStBl. 1938 S. 868, Slg. Bd. 44 S. 345; Kartei, AO 1931 § 162 Absatz 10 R. 5). Auch die von der Bfin. behauptete überzeugung der Allgemeinheit von der absoluten Gewährleistung der Geheimhaltung der Chiffre-Anzeigen kann die Auskunftspflicht nach § 175 AO nicht ausschalten. Selbst wenn eine solche überzeugung bestehen sollte, so ist sie nicht in der Lage, positive Vorschriften außer Wirksamkeit zu setzen. Das muß um so mehr gelten, als nach dem derzeitigen Rechtszustande eine solche überzeugung unrichtig ist. Daß etwa ein § 175 AO außer Kraft setzendes Gewohnheitsrecht besteht, behauptet selbst die Rb. nicht. Ebensowenig kann die im Entwurf des Bundespressegesetzes vorgesehene Bestimmung, die nur gegenüber der Staatsanwaltschaft eine Durchbrechung des Chiffre-Geheimnisses vorsieht, eine andere Beurteilung rechtfertigen. Die Gerichte können einzelne Streitfälle nur nach dem zur Zeit der Urteilsfällung geltenden Recht entscheiden. So wenig wie in Entwürfen etwa vorgesehene künftige Befreiungsvorschriften vor ihrer Festlegung im Gesetz beachtet werden können und dürfen, ebensowenig kann die für das Chiffre-Geheimnis beabsichtigte Regelung auf den vorliegenden Fall von Einfluß sein.

Ist hiernach die Berufung auf das Chiffre-Geheimnis an sich kein berechtigter Ablehnungsgrund für das Auskunftsverlangen, so fragt es sich nur noch, ob die geforderte Auskunft bezüglich der hier in Betracht kommenden einzelnen Anzeigen einen Ermessensmißbrauch darstellt. Auch das trifft nicht zu. Dem Senat ist aus einer großen Zahl von Fällen bekannt, in welchem Umfange sich Steuerpflichtige (Stpfl.) bei festgestellten und nicht bestrittenen Vermögensmehrungen auf angebliche An- und Verkäufe von Wert- und sonstigen Gegenständen berufen, ohne in der Regel einen Nachweis führen zu können, und in welchem Umfange mit diesen Gegenständen sogenannte Schwarzgeschäfte getätigt werden. Die Auffassung der Bfin., daß sich das in der DM-Zeit wesentlich geändert hätte, geht an den wirklichen Verhältnissen vorbei. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Vorentscheidung in übereinstimmung mit dem Finanzamt davon ausgeht, daß bei dem offensichtlich hohen Wert der in den Anzeigen aufgeführten Gegenstände nicht nur nach den Erfahrungen der Verwaltung, sondern auch nach der allgemeinen Lebenserfahrung ein ausreichender Anlaß für die Annahme besteht, daß mit Hilfe solcher Anzeigen Steuereinnahmen verkürzt werden können und sollen. Die Forderung der Bfin., nur bereits festgestellte Tatsachen berechtigten zur Inanspruchnahme der §§ 201, 175 AO entspricht nicht dem geltenden Recht, insbesondere ist nicht erforderlich, daß etwa bereits die Voraussetzungen für einen strafrechtlichen Tatbestand gegeben sein müssen. Es genügt, wenn bei objektiver Beurteilung aus dem vorliegenden Tatbestand der Schluß gerechtfertigt ist, daß zu Unrecht Steuereinnahmen verkürzt werden können. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit und Durchführung der Steueraufsicht müssen die bestehenden Verhältnisse berücksichtigt werden; nicht selten verbergen sich hinter solchen Anzeigen gewerbliche Betätigungen, durch die in großem Maße Einnahmen erzielt werden, die sich aber völlig der Besteuerung entziehen. Sowohl die Zeitungen wie die Auftraggeber müssen sich darüber im klaren sein, daß die Finanzämter gegenüber Anzeigen solchen oder ähnlichen Inhaltes wie den hier vorliegenden nicht mit Unrecht von dem Auskunftsrecht Gebrauch machen. Ein seine Steuerpflichten ordnungsmäßig erfüllender Staatsbürger kann darin keinen unbefugten Eingriff in seine Privatsphäre erblicken, da ihn das Steuergeheimnis vor einer unzulässigen Verbreitung bewahrt. Daß diejenigen, die es mit ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht so genau nehmen, sich nicht auf Grund des sogenannten Chiffre- Geheimnisses ihren steuerlichen Verpflichtungen entziehen, erfordern die Grundsätze von Recht und Billigkeit. In solchen Fällen kann nicht der Vorwurf der Willkür oder der unbilligen Ausnutzung der Gesetzesvorschriften erhoben werden.

Die Maßnahme des Finanzamts verstößt auch nicht gegen das Gesetz der Verhältnismäßigkeit. Eine ziffernmäßige Gegenüberstellung der sich im vorliegenden Falle etwa für die Verwaltung ergebenden Vorteile und der sich für die Bfin. etwa ergebenden Nachteile ist nicht möglich. In Fällen der vorliegenden Art muß mit Rücksicht auf das möglichst zu erreichende Prinzip der gleichen Besteuerung und im Hinblick auf die Beachtung der dringend gebotenen Staatsnotwendigkeiten das Allgemeininteresse vorgehen. Es ist zuzugeben, daß es im Einzelfalle außerordentlich schwierig ist, zu prüfen, ob bei einer Anzeige die Voraussetzungen für die Ausübung der Steueraufsicht angebracht sind; es muß auch darauf hingewiesen werden, daß die Verwaltung hier nicht willkürlich und uferlos von dem Auskunftsrecht Gebrauch machen darf. Es wird aber grundsätzlich davon ausgegangen werden können, daß auch die Finanzbehörden, schon im Hinblick auf ihre Belastung, nur in den Fällen Auskunft verlangen werden, bei denen nach den Erfahrungen des Lebens und den gegebenen Zeitverhältnissen aus dem Inhalt der einzelnen Anzeigen bei unvoreingenommener Betrachtung die Annahme für das Vorliegen einer möglichen Steuerverkürzung gerechtfertigt ist.

Hiernach ist festzustellen, daß das sogenannte Chiffre-Geheimnis die Auskunftspflicht nach § 175 AO nicht beschränken kann. Da auch im übrigen eine Verletzung von Recht und Billigkeit nicht gegeben ist, und zwar weder in bezug auf die Art und Weise der Durchführung der Steueraufsicht noch in bezug auf die Höhe der angedrohten und festgesetzten Strafe, so war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen. Die Vorentscheidung bedarf insofern nur der Berichtigung, als der Wert des Streitgegenstandes auf 70 DM festzusetzen ist, da auch die in der Verfügung vom 13. März 1951 angedrohte Geldstrafe von 50 DM Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gewesen ist.

 

Fundstellen

BStBl III 1952, 52

BFHE 1953, 122

BFHE 56, 122

StRK, AO:201 R 2

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