Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die in den EStR 1946 (StuZBl. 1947 S. 303) im Abschnitt 118 und den EStER 1947 (StuZBl. 1948 S. 109) im Abschnitt 13 vorgesehene Vergünstigung, nach der die zur Beseitigung von Kriegsschäden aufgewendeten Kosten innerhalb von 5 Jahren abgesetzt werden konnten, ist mit Ablauf des Steuerabschnitts I / 1948 fortgefallen. Die im Abschnitt 172 der EStR II / 1948 und 1949 (Bundesanzeiger Nr. 127 vom 6. Juli 1950) getroffene Regelung verstößt nicht gegen Treu und Glauben.

EStG §§ 7, 21; EStR 1946 Abschnitt 118 Absatz 1 Satz 2; EStER 1947 Abschnitt 13; EStER I / 1948

 

Normenkette

EStG §§ 7, 21; EStR Abschn. 118 Abs. 1 S. 2; EStER Abschn. 1, 25, 13; EStR Abschn. 172

 

Tatbestand

Für sein Mietwohngrundstück hat der Beschwerdeführer (Bf.) im Jahr 1947 8.432 RM zur Beseitigung von Kriegsschäden und Schuttabräumung aufgewendet. Auf Grund von Abschnitt 118 Absatz 1 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1946 (Steuer- und Zollblatt - StuZBl. - 1947 S. 303) und Abschnitt 13 der Einkommensteuer-Ergänzungsrichtlinien 1947 (StuZBl. 1948 S. 109) begehrte der Bf. ab 1947 den Abzug von jährlich jeweils 20 % des Betrages bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, so daß sich die Gesamtsumme in fünf Jahren einkommensmindernd voll ausgewirkt hätte. Das Finanzamt hat die Veranlagung für 1947 und I / 1948 auch entsprechend durchgeführt. Bei der Einkommensteuerveranlagung für II / 1948 und 1949 hat es jedoch den in der Steuererklärung in gleicher Weise geltend gemachten Abzug mit Rücksicht auf Abschnitt 172 EStR II / 1948 und 1949 (Bundesanzeiger Nr. 127 vom 6. Juli 1950) versagt und ist hiervon auch in den Einspruchsentscheidungen nicht abgewichen. Dagegen hat das Finanzgericht den Abzug zugelassen. Es ist dabei von folgenden Erwägungen ausgegangen:

Durch die bezeichneten Abschnitte der Einkommensteuer-Richtlinien 1946 und der Einkommensteuer-Ergänzungsrichtlinien 1947 sei die Vergünstigung eingeräumt, die als Erhaltungsaufwand anzusehenden Aufwendungen auf einen Zeitraum bis zu fünf Jahren zu verteilen. Die Verwaltung sei zwar berechtigt, Vergünstigungen von vornherein zeitlich zu begrenzen oder zu erklären, daß sie in Zukunft entfallen sollen. Freiwillig gesetzte Zeitgrenzen müsse sie jedoch einhalten. Hiergegen habe sie durch Abschnitt 172 EStR II / 1948 und 1949 verstoßen, durch den ein Abzug der verteilten RM-Aufwendungen ab II / 1948 untersagt werde. Die einmal begonnene Verteilung auf fünf Jahre müßte zugelassen werden. Der Abschnitt 172 sei rechtsungültig. Der Bf. habe einen Rechtsanspruch auf Berücksichtigung des entsprechenden Anteils der Aufwendungen. Dieses einmal erworbene Anrecht könne nicht durch eine einseitige Erklärung der Verwaltung rückwirkend entzogen werden. Die Nichtanerkennung der im Vertrauen auf die Zusicherung der Verwaltung in Anspruch genommenen Vergünstigung in der DM-Zeit stelle einen Verstoß gegen den auch für das öffentliche Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben dar; er sei wie für den Steuerpflichtigen (Stpfl.) so auch für die Verwaltung verbindlich. Eine andere Betrachtungsweise würde dem Bf. ungerechtfertigte steuerliche Nachteile zufügen, da er des Abzugs der noch nicht abgesetzten Aufwendungen in Höhe von 5.903 RM verlustig gehe. Wenn auch im Abschnitt 172 im Billigkeitswege zugelassen sei, die restlichen Aufwendungen in I / 1948 abzuziehen, so stelle das gegenüber den Nachteilen keinen ausreichenden Ausgleich dar. Nach Treu und Glauben müsse deshalb die Berücksichtigung der noch nicht verbrauchten Aufwendungen auch in der DM-Zeit verlangt werden. Gegenüber diesem auch vom Schrifttum einmütig vertretenen Standpunkt könne dem Stpfl. nicht entgegengehalten werden, er habe angesichts der Währungsreform mit dem Ende der Vergünstigung rechnen müssen, weil darin ein Wegfall der Geschäftsgrundlage zu sehen sei. Bereits vor Erlaß der Richtlinien 1946 und 1947 sei von der Währungsreform gesprochen worden. Es wäre deshalb nicht zu verstehen, daß eine Verteilung auf fünf Jahre vorgesehen worden sei, da die Währungsreform eher früher als später zu erwarten gewesen sei. Damit solle jedoch nicht unterstellt werden, daß die Verwaltung von vornherein bewußt mit der Möglichkeit gerechnet hätte, im Zeitpunkte der Währungsreform von dem gegebenen Versprechen abzurücken.

Die RM-Aufwendungen seien im übrigen im Verhältnis 1 : 1 umzustellen, so daß der vom Bf. für II / 1948 zunächst im Verhältnis 10 : 1 geltend gemachten Betrag in voller Höhe zu berücksichtigen sei. Dementsprechend hat das Finanzgericht die Einspruchsentscheidungen abgeändert.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Finanzamtsvorstehers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Das Finanzgericht geht zutreffend davon aus, daß es die Grundsätze rechtsstaatlichen Denkens und das zwischen öffentlicher Verwaltung und Stpfl. bestehende Vertrauensverhältnis regelmäßig nicht zulassen, Zusicherungen, durch die dem einzelnen Stpfl. ein Rechtsanspruch gegeben wird, zurückzunehmen. Die Verwaltung kann die Inanspruchnahme von Vergünstigungen von vornherein dauernd oder für eine begrenzte Zeit zulassen. Bei im wesentlichen gleichbleibenden tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen wird die Verwaltung diesen Zustand nicht ändern und auch nicht ändern dürfen. Das verbietet der aus dem bürgerlichen Recht übernommene und das ganze öffentliche Recht beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben. Unter diesem Begriff wird man eine gewisse innere Haltung gegenüber dem anderen und das Vertrauen auf eine solche Haltung zu verstehen haben. Wie im bürgerlichen Recht die Vertragsparteien bei Vertragsabschluß und Vertragserfüllung ihre Verbundenheit untereinander mit den Grundsätzen des Rechts und der Ethik in Einklang bringen und halten sollen, so müssen auch im öffentlichen Recht die Rechtsbeziehungen zwischen öffentlicher Gewalt und den Staatsbürgern den Grundsätzen von Recht und Moral entsprechen. Die Begründung zum Steueranpassungsgesetz (Reichssteuerblatt - RStBl. - 1934 S. 1398) bestimmt daher wohl zutreffend Treu und Glauben dahin, daß Recht und Moral nicht in Widerstreit miteinander treten dürfen. Der Vorwurf eines Verstoßes gegen Treu und Glauben enthält deshalb regelmäßig auch den Vorwurf des Unmoralischen. Dabei ist es nicht erforderlich, daß ein Verschulden vorliegt; ohne daß ein solches gegeben ist, können die Grundsätze von Treu und Glauben verletzt sein. Wenn moralisch gegen ein Verhalten nichts einzuwenden ist, so wird auch von einer Verletzung von Treu und Glauben nicht gesprochen werden können. Die Fälle, in denen ein unsittliches Verhalten oder Vorgehen angenommen werden kann, werden deshalb nicht so häufig sein, wie es vielfach behauptet wird. Der Vorwurf, ein Verhalten verstoße gegen Treu und Glauben, sollte daher nur mit Zurückhaltung erhoben werden. Die Verhältnisse des einzelnen Falles werden besonders genau geprüft und die Interessenlagen der Beteiligten besonders sorgfältig abgewogen werden müssen; Verallgemeinerungen sind nicht am Platze.

Das Finanzgericht hat seine Entscheidung, Abschnitt 172 EStR II / 1948 und 1949, der die in der RM-Zeit nicht verbrauchten Aufwendungen für die DM-Zeit nicht mehr zuläßt, sei rechtsungültig, damit begründet, daß die Finanzverwaltung damit gegen Treu und Glauben handle, d. h. Recht und Moral verletze. Die Finanzverwaltung müsse sich an die von ihr selbst gesetzten Grenzen halten; sie könne Stpfln. die im Vertrauen auf die Einkommensteuer-Richtlinien 1946 und Einkommensteuer-Ergänzungsrichtlinien 1947 in Anspruch genommene Vergünstigung vor Ablauf der in den Anordnungen bestimmten Frist nicht nehmen, insbesondere nicht rückwirkend. Der Währungsreform hat es keine besondere Bedeutung beigemessen.

Die Ausführungen reichen jedoch nicht aus, um eine Verletzung von Treu und Glauben anzunehmen.

Von einer Prüfung der Frage, ob die behauptete Ungültigkeit nicht bereits aus anderen Vorschriften herzuleiten ist, hat die Vorentscheidung abgesehen. Das ist jedoch notwendig, da die Grundsätze von Treu und Glauben nur subsidiär gelten.

Das Schrifttum hält die in Abschnitt 172 getroffene Regelung im Hinblick auf § 96 der Reichsabgabenordnung (AO) rechtlich für bedenklich. Diese Bestimmung bildet zwar die rechtsstaatliche Garantie, daß einmal gewährte Vergünstigungen nicht willkürlich wieder genommen werden können, sie findet jedoch nur auf rechtsbegründende (konstitutive) Einzelverfügungen, die erst einen bestimmten Rechtszustand schaffen, Anwendung, nicht jedoch auf Verfügungen, in denen eine bereits nach den Steuergesetzen oder diesen gleich zu behandelnden Anordnungen ausgesprochene Vergünstigung festgestellt oder verneint wird. Darauf beruht es auch, daß § 96 AO auf Steuerbescheide keine Anwendung finden kann (Gutachten des Reichsfinanzhofs IV D 1/29 vom 15. Mai 1929, Slg. Bd. 25 S. 220, Mrozeks Kartei, AO § 76 Rechtsspr. 16). Wenn daher ein Sachverhalt vorliegt, auf den eine den Stpfl. begünstigende Vorschrift zutrifft, ohne daß es erst einer Anerkennung oder Genehmigung im Sinn des § 96 AO bedarf, so liegt keine rechtsbegründende, sondern eine rechtsbestätigende Verfügung vor, d. h. eine Rechtslage, auf die der Stpfl. einen im Rechtsmittelwege erzielbaren Anspruch hat. § 96 AO kann zwar als ein gesetzlicher Beleg (Beispiel) für den allgemeinen Gedanken der Unzulässigkeit willkürlicher Entziehung von rechtsbegründenden Vergünstigungen angesprochen werden, auf ihn kann jedoch nicht unmittelbar die Rechtsungültigkeit gesetzlicher oder ihnen gleichzusetzender Anordnungen gestützt werden. Deshalb kann mit § 96 AO die Rechtsunwirksamkeit des Abschnittes 172 EStR II / 1948 und 1949 nicht begründet werden.

Mangels anderer Rechtsgrundsätze ist das, wie es im Ergebnis auch das Finanzgericht zutreffend getan hat, nur möglich, wenn den Ausführungen der Vorentscheidung beizupflichten ist, d. h. wenn der der Verwaltung gemachte Vorwurf, gegen Treu und Glauben gehandelt zu haben, gerechtfertigt ist.

Vom Standpunkt des Stpfl. allein betrachtet, spricht vieles dafür. Die Finanzverwaltung hat zweifellos durch die Richtlinien 1946 und 1947 den Stpfln. das Recht eingeräumt, innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren die für die Schuttabräumung aufgewendeten Kosten anzusetzen. Es ist auch zuzugeben, daß der Bf. insgesamt gesehen steuerlich benachteiligt sein kann, da ihm diese Vergünstigung durch die Einkommensteuer-Richtlinien II / 1948 und 1949 nicht mehr gewährt wird. Die Vorentscheidung hat es aber an einer Untersuchung dahin fehlen lassen, ob nicht auch für den anderen Teil, die Finanzverwaltung, Umstände vorliegen, die ein Abgehen von der gegebenen Zusicherung berechtigt erscheinen lassen. Das war um so mehr notwendig, als grundsätzlich davon ausgegangen werden muß, daß die Verwaltung keine gegen Recht und Moral, d. h. mit dem Merkmal der Unsittlichkeit behaftete Anordnungen treffen wird.

Der Finanzverwaltung würde der Vorwurf, sich gegen Recht und Billigkeit vergangen zu haben, dann nicht erspart werden können, wenn sie die dem Bf. zuerkannte Vergünstigung ohne Ankündigung und ohne jeden Ausgleich genommen hätte. Das trifft jedoch nicht zu. Es muß zunächst, was sowohl das Schrifttum wie die Vorentscheidung übersehen, betont werden, daß die Vergünstigung bezüglich der Aufwendungen für Schuttabräumung usw. in der RM-Zeit und nur für die RM-Zeit getroffen sind. In den Einkommensteuer-Ergänzungsrichtlinien I / 1948 vom 8. März 1949 (StuZBl. 1949 S. 89) ist ferner in der Einführung ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Einkommensteuer-Richtlinien 1946 und Einkommensteuer-Ergänzungsrichtlinien 1947 letztmalig für die Veranlagung für den Steuerabschnitt I / 1948 gelten; damit ist zum Ausdruck gebracht, daß für die DM-Zeit eine neue Regelung in Aussicht stand, wenn auch noch nicht zu übersehen war, ob und in welcher Weise die bereits in der RM-Zeit in Anspruch genommenen Vergünstigungen geregelt werden würden; aus Abschnitt 25 der Einkommensteuer-Ergänzungsrichtlinien I / 1948 konnte jedoch auf Einschränkungen geschlossen werden. Nicht ausreichend gewürdigt wird aber, und zwar sowohl vom Schrifttum wie von der Vorentscheidung, der Eintritt der Währungsreform. Das Finanzgericht meint, es sei bereits 1946 und 1947 ständig von ihr gesprochen worden, sie sei eher früher als später zu erwarten gewesen; es sei deshalb nicht gerecht, wenn die Verwaltung unter diesen Umständen eine fünfjährige Frist gewähre, sie aber dann trotz angeblicher Voraussicht der Währungsumstellung nicht einhalte. Selbst wenn diese Betrachtung als richtig unterstellt wird, ist doch dabei unberücksichtigt gelassen, daß die angebliche Erwartung der Währungsumstellung allein nicht genügt, um daraus den Wegfall der Vergünstigung als unbillig erscheinen zu lassen. Entscheidend ist vielmehr, wann die Währungsumstellung gekommen, und wie sie durchgeführt worden ist. Der Verwaltung war 1946 und 1947 der Zeitpunkt der Währungsumstellung ebenso unbekannt wie den Stpfln. Er konnte bald kommen, er konnte sich aber auch noch lange Zeit hinziehen, da letzten Endes die Militärregierung das entscheidende Wort zu sprechen hatte. Vor allem war es aber 1946 und 1947 völlig ungewiß, in welcher Weise die Regelung stattfinden, insbesondere welches Umstellungsverhältnis zugrunde gelegt werden würde. Bei dieser Sachlage können im Hinblick auf die Grundsätze von Treu und Glauben für die Finanzverwaltung aus der bezüglich der hier streitigen Frage getroffenen Regelung allein keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden. Ist bereits insofern der Vorwurf unbilligen Verhaltens zumindest zweifelhaft, so erscheint es nicht bedenkenfrei, wenn der Währungsreform selbst in der Vorentscheidung keine nennenswerte Beachtung geschenkt wird. Durch diese ist eine völlige Umgestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse des öffentlichen und privaten Lebens eingetreten. Der größte Teil aller bestehenden Rechtsverhältnisse wurde auf eine neue Grundlage gestellt; das Steuerrecht wurde davon in besonderem Masse getroffen; mit dem Währungsstichtag begann praktisch steuerlich ein neues Leben. Den prägnantesten Ausdruck dafür gibt das D-Markbilanzgesetz. Die Wirkungen der Währungsreform hat die Finanzverwaltung ebenso zu spüren bekommen wie die Stpfln. Wenn daher die Grundsätze von Treu und Glauben den Maßstab dafür abgeben sollen und abgeben müssen, ob eine für die RM-Zeit getroffene Vorschrift auch für die DM-Zeit Geltung behalten soll, so kann nicht an der einschneidenden Bedeutung vorbeigegangen werden, die sie auch für die Maßnahme der Verwaltung ausüben mußte und ausgeübt hat. Die Grundsätze von Treu und Glauben können nicht einseitig vom Standpunkt des Stpfl. beurteilt werden, auch die Verwaltung kann beanspruchen, daß ihre Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des völligen Umsturzes der wirtschaftlichen Verhältnisse beurteilt werden. Wenn sie daher unter Beachtung des ihr anvertrauten öffentlichen Interesses zu der überzeugung gekommen ist, daß es bei der Abwägung der allgemeinen und Einzelinteressen nicht mehr vertretbar ist, die in der RM-Zeit und nur für die RM-Zeit gemachte Zusage für die DM-Zeit aufrechtzuerhalten, so wird man darin einen Ermessensmißbrauch, ein gegen Recht und Moral verstoßendes Verhalten nicht erblicken können. Selbst wenn man im Gegensatz zur Verwaltungslehre (siehe Peters, Lehrbuch des Verwaltungsrechts S. 163 ff.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts S. 135 ff.) der Auffassung ist, beim Widerstreit zwischen öffentlichen und privaten Interessen gebühre den öffentlichen Belangen kein Vorrang, so kann in der in Abschnitt 172 EStR II / 1948 und 1949 getroffenen Regelung kein Akt der Willkür gesehen werden. Die Bestimmung beruht auf sachlichen Motiven; es darf nicht übersehen werden, daß sich aus der Weitergeltung der Vergünstigung nachteilige Wirkungen für Volk und Staat ergeben würden, da in einer nicht geringen Zahl von Fällen Aufwendungen für die in Betracht kommenden Arbeiten unter Inanspruchnahme des Schwarzen und Grauen Marktes gemacht sind, deren volle Berücksichtigung in der DM-Zeit kaum als gerecht und billig empfunden werden kann. Der Grundsatz von Treu und Glauben hängt eng mit der Lehre von dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und der clausula rebus sic stantibus, deren Anwendung auch im öffentlichen Recht nicht ausgeschlossen ist (Staudinger, BGB Anm. zu § 242 BGB). Zwar genügt zu ihrer Anwendung weder eine änderung der gesetzlichen Grundlage oder der Rechtsprechung; wenn aber eine solche Erschütterung der wirtschaftlichen Grundlagen eingetreten ist, daß die privaten wie die öffentlichen Rechtsverhältnisse einen völlig anderen Inhalt bekommen haben, dann kann auch der Verwaltung nicht verwehrt werden, mit Rücksicht auf die gebotene Wahrung der Staatsnotwendigkeiten die gleichen Folgerungen zu ziehen, wie es die privaten Vertragspartner tun können. Daß der Währungsreform eine entsprechende Bedeutung zukommt, wurde bereits ausgeführt.

Eine objektive Beurteilung der angeführten Gesichtspunkte könnte zu der vertretbaren Auffassung führen, daß beim Abwägen der beiderseitigen Interessen das Ergebnis mit + - O zu werten sei, und daß es angesichts der gesicherten Lage der öffentlichen Verwaltung billig wäre, wenn bei einem solchen Ergebnis der Verwaltung das ungünstigere Ergebnis zur Last geschrieben würde, d. h. es würde die vom Finanzgericht getroffene Entscheidung zugrunde zu legen sein. Tatsächlich hat jedoch die Verwaltung mehr getan; zudem gibt das Gesetz dem Bf. noch eine weitere Möglichkeit, um die durch den Wegfall der in den Einkommensteuer-Richtlinien 1946 und 1947 gewährten Vergünstigung zur Zeit vorhandenen Nachteile zu mildern, unter Umständen sogar völlig auszugleichen. Zunächst hat die Verwaltung bestimmt, daß alle noch nicht verbrauchten Aufwendungen im Steuerabschnitt I / 1948 abgesetzt werden können, gegebenenfalls im Billigkeitswege erstattet werden. Wenn das auch, was zuzugeben ist, kein ausreichender Ersatz ist, so kann doch diese Regelung bei der Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben nicht unbeachtet bleiben. Bei der Bedeutung der hier in Streit befindlichen Frage gebietet eine unvoreingenommene Betrachtung, bei der Verteilung der Gewichte der beiden Waagschalen kein Gewicht auszuschließen. Eine Reihe von Stpfln., wie auch der Bf., werden von dieser Abzugs- oder Erstattungsmöglichkeit keinen Gebrauch machen können, weil entsprechende Einkünfte nicht vorhanden sind. Trotzdem nötigt eine Gesamtbeurteilung des Sachverhalts zu der Feststellung, daß die Verwaltung bestrebt war, die durch Abschnitt 172 EStR II / 1948 und 1949 herbeigeführten Nachteile auszugleichen, soweit das für die RM-Zeit möglich war. Auch wer den Weg, den Abschnitt 172 a. a. O. zeigt, nicht gehen will oder gehen kann, dem bleibt noch das gesetzlich zustehende Recht, im Rahmen der Absetzung für Abnutzung die Aufwendungen als Teil der Gesamtherstellungskosten während der Nutzungsdauer des neu geschaffenen Anlagegutes zu berücksichtigen. Es kann daher keine Rede davon sein, daß durch Abschnitt 172 EStR II / 1948 und 1949 dem Pflichtigen jede Möglichkeit genommen sei, die Aufwendungen einkommensmindernd geltend zu machen.

Angesichts dieses Ergebnisses ist in der durch Abschnitt 172 EStR II / 1948 und 1949 geschaffenen Rechtslage ein Verstoß gegen Treu und Glauben, ein mit Recht und Moral nicht übereinstimmendes Verhalten der Verwaltung nicht festzustellen. Es mag sein, daß nicht in allen Fällen, auch auf weite Sicht betrachtet, ein völliger Ausgleich erfolgt. Trotzdem kann aber angesichts der durch die Währungsreform eingetretenen Umstände der Verwaltung nicht der Vorwurf des unsittlichen Vorgehens gemacht werden. Bei den widerstreitenden Interessen hat sich die Verwaltung nicht begnügt, etwa mit dem Eintritt der Währungsumstellung einen endgültigen Strich zu ziehen, sie läßt vielmehr nicht nur den vollen Abzug der noch nicht verbrauchten RM-Aufwendungen in I / 1948 zu, sondern erkennt auch das Recht des Stpfl. an, im Rahmen der Absetzung für Abnutzung diese Aufwendungskosten als Teil der Herstellungskosten abzusetzen (s. Abschnitt 166 EStR II / 1948 und 1949).

Diesem Ergebnis kann nicht mit Erfolg mit dem Hinweis entgegengetreten werden, bei den Trümmerbeseitigungsaufwendungen handle es sich um Kosten, die der Staat als Kriegführender dem Stpfl. auferlegt und deshalb die Verpflichtung habe, die in der RM-Zeit gemachte Zusage voll zu verwirklichen. Diese Betrachtungsweise geht an der Tatsache vorbei, daß insgesamt gesehen der Stpfl. die Trümmerbeseitigungskosten absetzen darf, wenn auch nicht in der für die RM-Zeit vorgesehenen Art. Bei dem hier anzuwendenden Maßstab des Zumutbaren übernimmt in der gesetzlich möglichen Höhe der Fiskus die entstandenen Lasten des Pflichtigen.

Ebenso trifft es in der behaupteten Allgemeinheit nicht zu, daß der Stpfl. mit der Beseitigung des Schuttes eine Verpflichtung der Gemeinde erfülle. Nach dem für den Streitfall in Betracht kommenden Enttrümmerungsgesetz ist die Räumung der Trümmergrundstücke bis zur Herstellung der Bebauungsfähigkeit, die Verwertung und Fortschaffung der Schuttmassen eine Pflichtaufgabe der Gemeinde. Dadurch ist dieser jedoch nicht die Verpflichtung auferlegt, die Entschuttung selbst und auf eigene Kosten vorzunehmen. Nach § 7 des Gesetzes sind die Eigentümer einzelner Trümmergrundstücke verpflichtet, die Räumung mit eigenen Mitteln durchzuführen, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt, und die Gemeinde es anordnet. Hiernach sieht das Gesetz bereits eine Enttrümmerung durch die Eigentümer auf deren Kosten vor. Zu beachten ist auch § 8 des Gesetzes, der das Eigentum an den durch die Gemeinde beseitigten Trümmern den Kommunen zuspricht.

Mit besonderem Nachdruck wird im Schrifttum und auch in der Vorentscheidung hervorgehoben, die im Abschnitt 172 EStR II / 1948 und 1949 getroffene Regelung stelle eine unzulässige rückwirkende Anordnung dar, insbesondere stehe es mit Recht und Billigkeit nicht im Einklang, wenn erst 1950 bekanntgegeben werde, daß die in der RM-Zeit zugesagte Regelung mit der Währungsumstellung in Fortfall komme. Ganz abgesehen davon, daß bereits Anfang 1949, wie oben ausgeführt, auf die letztmalige Anwendung der Einkommensteuer-Richtlinien 1946 und 1947 hingewiesen worden ist, handelt es sich nicht um einen Fall der Rückwirkung, vielmehr nur um eine späte Bekanntgabe der Richtlinien. Die Richtlinien haben sich nie rückwirkende Kraft zugelegt, sie gelten vielmehr nur vom Währungsstichtag ab. Daß sie nicht so rechtzeitig, wie erwünscht, erlassen worden sind, lag in den besonderen gegebenen Verhältnissen. Nicht nur die Teilung des Jahres 1948 in zwei Steuerabschnitte und die änderung des Einkommensteuergesetzes 1949 machten eine wesentliche änderung der Veranlagungsrichtlinien notwendig, die Bearbeitung der durch die Währungsumstellung entstandenen Verhältnisse läßt es bei dem Umfang und der Schwierigkeit der zu lösenden Fragen verständlich erscheinen, wenn der Bundesminister der Finanzen die Richtlinien nicht vor oder kurz nach Beginn der Veranlagungszeiträume II / 1948 und 1949 herausgeben konnte. In jedem Falle reichen diese Umstände nicht aus, um daraus die Rechtsungültigkeit des Abschnittes 172 EStR II / 1948 und 1949 herzuleiten.

Das gleiche gilt für den Hinweis , daß die Aufrechterhaltung der Verteilung im Abschnitt 168 EStR II / 1948 und 1949 für eine Weitergeltung der in den Einkommensteuer-Richtlinien 1946 und 1947 getroffenen Regelung spreche. Hierbei wird der grundlegende Unterschied übersehen, daß es sich um Aufwendungen in DM handelt. Im übrigen läßt diese im Gegensatz zu den Betriebsgrundstücken nur noch für Mietwohngrundstücke für eine begrenzte Zeit getroffene Anordnung erkennen, zu welchen Maßnahmen sich die Verwaltung als Auswirkung der Währungsreform genötigt sah. Auch sie hat die durch die Währungsreform herbeigeführte scharfe Trennung zwischen RM- und DM-Zeit damit zum Ausdruck gebracht, wie das auch der Bundesfinanzhof in den Urteilen IV 243/50 vom 9. März 1951, Bundessteuerblatt (BStBl.) III S. 122 und I 81/51 vom 23. Oktober 1951, BStBl. III S. 224, betont hat. Im übrigen würde die Weitergeltung der Vergünstigung u. U. auch zu einer doppelten steuerlichen Berücksichtigung führen, da nach Abschnitt 166 EStR II/1948 und 1949 die als Herstellungsaufwand anzusehenden Kosten im Rahmen der Absetzung für Abnutzung zu berücksichtigen sind, sei es, daß die Aufwendungen bereits in dem fortgeschriebenen Einheitswert zum Zuge kommen, sei es, daß sie dem Einheitswert, wenn er nicht fortgeschrieben werden kann, zuzuschreiben sind.

Schließlich reichen auch wirtschaftliche Gründe allein, so beachtenswert sie sein mögen (siehe Steuer und Wirtschaft 1952 Sp. 17 ff.), nicht aus, um deshalb dem Abschnitt 172 EStR II/1948 und 1949 die Gültigkeit zu versagen.

Die Vorentscheidung war hiernach wegen unrichtiger Anwendung des bestehenden Rechts aufzuheben; auch die Einspruchsentscheidung kann nicht bestehen bleiben, da noch geprüft werden muß, in welchem Umfange die noch nicht verbrauchten Aufwendungen als Teil der Gesamtherstellungskosten als Absetzung für Abnutzung bei dem Gebäude zu berücksichtigen sind. Die Akten lassen nicht erkennen, wieviel von den 8.432 RM auf Reparaturen und Trümmerbeseitigung entfallen. Es ist auch nicht ersichtlich, ob es sich um ein völlig zerstörtes Gebäude oder um den Aufbau eines nur beschädigten Gebäudes handelt. Im ersteren Falle dienen die Kosten für die Beseitigung des Schuttes der Nutzbarmachung des Grund und Bodens und könnten nur bei einem Sinken des Bodenwertes (Teilwert) berücksichtigt werden. Betreffen die Aufwendungen, was anscheinend der Fall ist, ein beschädigtes Gebäude, bei dem auf der Grundlage noch vorhandener Teile die zerstörten wieder neu errichtet worden sind, dann handelt es sich um Herstellungskosten, deren Abzug im Rahmen der Absetzung für Abnutzung für das Gebäude zu berücksichtigen ist. Wenn in den Einkommensteuer-Richtlinien 1946, 1947 und I/1948 und auch im Abschnitt 168 EStR II/1948 und 1949 die Aufwendungen als Erhaltungsaufwand charakterisiert sind, so handelt es sich hier um eine im Billigkeitswege getroffene Maßnahme, die bei Nichtinanspruchnahme der Vergünstigung die nach den Vorschriften des Gesetzes zu beurteilende Frage unberührt läßt, ob Erhaltungs- oder Herstellungsaufwand vorliegt.

Der Bf. hat von den 8.432 RM in den Steuerabschnitten 1947 und I/1948 2.529 RM abgesetzt. Es bestehen keine Bedenken, wenn dieser Betrag in erster Linie für etwaige Reparaturaufwendungen angerechnet wird, so daß der gesamte Restbetrag von 5.903 RM als Herstellungsaufwand bei der Berechnung der Absetzung für Abnutzung angesetzt werden kann. Das Finanzamt, an das die Sache zurückverwiesen wird, hat den Sachverhalt entsprechend den vorstehenden Ausführungen aufzuklären und zu entscheiden, in welcher Höhe von den noch nicht verbrauchten Aufwendungen ein Teil als Absetzung für Abnutzung bei dem Gebäude in den hier in Betracht kommenden Steuerabschnitten zu berücksichtigen ist.

 

Fundstellen

BStBl III 1952, 85

BFHE 1953, 212

BFHE 56, 212

StRK, EStG:21 R 4

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