Leitsatz (amtlich)

ß 1 Abs. 1 der Verordnung über eine zusätzliche Abschöpfung bei der Einfuhr von Eiern und Geflügel vom 7. September 1962 ist mangels einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigung nicht gültig.

 

Normenkette

EWGVO-22/62 § 6

 

Streitjahr(e)

1963

 

Tatbestand

Die Klägerin ließ im Sommer 1963 bei verschiedenen Zollstellen Geflügelteile amerikanischen Ursprungs der Abschöpfungstarifstellen 02.02- B - II - a und 02.02 - B - II - b zum freien Verkehr abfertigen. Den Zollwertfeststellungen wurden dabei die in den vorgelegten Rechnungen enthaltenen Preise zugrunde gelegt. Da diese Zollwerte nicht unter den in Spalte 13 des Abschöpfungstarifs angegebenen Einschleusungspreisen lagen, wurde keine zusätzliche Abschöpfung nach der Verordnung über eine zusätzliche Abschöpfung bei der Einfuhr von Eiern und Geflügel vom 7. September 1962 (BZBl 1962 S. 814) erhoben.

Auf Grund späterer Ermittlungen kam die Zollverwaltung zu dem Ergebnis, daß die Rechnungspreise über den handelsüblichen Wettbewerbspreisen lagen und die Zollwerte zu hoch festgesetzt worden seien. Sie berichtigte daher die Zollwerte und ging dabei von den in den Hausveröffentlichungen der Lieferfirma bekanntgegebenen Preisen (Tagespreisen) aus. Die danach noch zu erhebenden Abschöpfungsbeträge von ... DM wurden mit Steuerbescheid vom 6. Juli 1964 festgesetzt. Demgemäß wurden die Gesamtabgaben unter Zurücknahme der früheren Steuerbescheide auf ... DM festgesetzt und unter Anrechnung zu erstattender Umsatzausgleichsteuer im Leistungsgebot die Zahlung von ... DM gefordert.

Auf die damalige Berufung der Klägerin setzte das Finanzgericht (FG), das die Erhebung der zusätzlichen Abschöpfung als rechtswidrig ansah, die Eingangsabgaben um den für zusätzliche Abschöpfung geforderten Betrag auf ... DM herab.

Mit seiner nunmehr als Revision anzusehenden Rechtsbeschwerde wandte sich das Hauptzollamt (HZA) gegen die Freistellung der Klägerin von der zusätzlichen Abschöpfung. Es macht folgendes geltend: In der Verordnung Nr. 22 des Rats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Geflügelfleisch vom 4. April 1962 (BZBl 1962 S. 638) und in der Verordnung Nr. 109 der Kommission über die Festsetzung des Zusatzbetrages nach Art. 7 der Verordnung Nr. 20 des Rats und nach Art. 6 der Verordnung Nr. 21 und 22 des Rats vom 27. Juli 1962 (BGBl 1962 II S. 1422) sei bestimmt, daß die Zusatzbeträge sowohl durch einen Mitgliedstaat als auch durch die Gemeinschaft festgesetzt werden könnten. Hinsichtlich der im Rahmen dieser Ermächtigung zu treffenden Maßnahmen seien der Bundesregierung keine Beschränkungen auferlegt. Das EWG-Recht habe somit der Erhebung der Zusatzabschöpfung in Form eines auf die speziellen Umstände jeder Einfuhr abgestellten Gleitsystems nicht entgegengestanden. Zwischen dem in Art. 6 Abs. 3 der Verordnung Nr. 22 genannten "Angebotspreis frei Grenze" und dem "Zollwert" in der Verordnung vom 7. September 1962 bestehe kein Widerspruch. Der Angebotspreis frei Grenze entspreche dem Zollwert, weil beide auf den gleichen Grundlagen (u. a. auf dem üblichen Marktpreis) aufbauten. Die Frage, ob der Rat nach dem EWG-Vertrag befugt gewesen sei, die Abschöpfungsregelung gegenüber dritten Ländern zu erlassen, sei zu bejahen.

Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Verordnung vom 7. September 1962 sei nach Art. 6 der Verordnung Nr. 22 des Rates der EWG nicht fundiert. Darauf komme es aber nicht an. Es sei evident, daß der Zollwert den Kriterien des Angebotspreises frei Grenze nicht entspreche, wie sie in der Verordnung Nr. 109 Definiert seien. Im Falle eines Preisnachlasses zeige sich der Unterschied zwischen Angebotspreis und Zollwert. Es werde überhaupt das Recht zur Erhebung einer Abschöpfung bestritten. Die Verwaltung bejahe zu Unrecht die Steuerhoheit der Gemeinschaft zum Erlaß von Abschöpfungsregelungen gegenüber Drittländern. Im übrigen aber sei, auch wenn die Verordnung vom 7. September 1962 gültig wäre, im Streitfall die Voraussetzung für die Erhebung zusätzlicher Abschöpfung nicht gegeben, da der Einschleusungspreis tatsächlich gezahlt worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die Erhebung zusätzlicher Abschöpfung beruht im Streitfall auf der vom Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erlassenen Verordnung über eine zusätzliche Abschöpfung bei der Einfuhr von Eiern und Geflügel vom 7. September 1962 (verkündet im Bundesanzeiger Nr. 172 am 11. September 1962, BZBl 1962 S. 814). Diese Verordnung hat zur Grundlage die in § 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Durchführung der Verordnungen Nr. 20 (Schweinefleisch), Nr. 21 (Eier) und Nr. 22 (Geflügelfleisch) des Rates der EWG sowie zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft vom 26. Juli 1962 (BGBl 1962 I S. 465) enthaltene Ermächtigung, im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 der Geflügelfleischverordnung Vorschriften zur Erhöhung der Abschöpfungssätze zu erlassen. Diese Vorschrift sowie die Verordnung Nr. 109 bestimmten, daß bei der Bemessung der zusätzlichen Abschöpfung von den "Angebotspreisen frei Grenze" auszugehen ist. Mit Recht ist die Vorinstanz zu dem Ergebnis gelangt, daß dieser Preis nach der näheren Begriffsbestimmung in der Verordnung Nr. 109 der EWG-Kommission nicht mit dem im Einzelfall ermittelten Zollwert identisch ist, von dessen Höhe nach der erwähnten Verordnung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 7. September 1962 die Erhebung einer zusätzlichen Abschöpfung abhängt. Der Zollwert im Sinne des § 29 Abs. 1 ZG ist nämlich zwar ein theoretisch genormter Preis, aber jedenfalls der Preis für die im Einzelfall eingeführte Ware in der ihr eigenen Beschaffenheit und Güte. Nach Art. 1 Abs. 1 b der Verordnung Nr. 109 ist aber der Angebotspreis frei Grenze im Sinne der Verordnung Nr. 22 der Preis für Erzeugnisse von handelsüblicher Qualität. Dieser Preis ist also nicht lediglich auf die Qualität gerade der eingeführten Ware abgestellt. Insofern trifft es zu, wenn die Klägerin ausführt, daß bei einem nachträglichen Preisnachlaß wegen minderer Qualität der eingeführten Ware der Zollwert ein geringerer ist als für eine Ware einwandfreier Beschaffenheit, während der Angebotspreis frei Grenze als Preis für Erzeugnisse handelsüblicher Qualität von einer minderen Qualität der Ware im Einzelfall nicht beeinflußt würde. Ferner sieht Art. 1 Abs. 2 a. a. O. eine Ermittlung des Angebotspreises unter Berücksichtigung a) des Preises, der in den Zollpapieren angegeben ist, die das eingeführte Erzeugnis begleiten, und b) der Preise, die bei Ausfuhren aus einem bestimmten dritten Land angewendet werden, vor. Während also nach § 31 Abs. 1 ZG der Rechnungspreis der eingeführten Ware unter bestimmten Voraussetzungen als Zollwert gilt, ist für den Angebotspreis frei Grenze der Rechnungspreis nur eine der Grundlagen, auf denen dieser Preis ermittelt wird; die zweite Grundlage sind Ausfuhrpreise in einem bestimmten dritten Land. Für die Feststellung dieser Ausfuhrpreise wiederum sind heranzuziehen a) die Marktpreise und die Ausfuhrpreise der dritten Länder, b) die Marktpreise der Mitgliedstaaten für Einfuhren aus dritten Ländern und c) die Preise auf den repräsentativen Märkten in dritten Ländern. Der Angebotspreis ist demnach nicht der sich aus den Umständen der Einzeleinfuhr ergebende (normale) Preis, sondern eine auf Grund verschiedener Unterlagen ermittelte, für eine Vielzahl von Fällen geltende Größe. Er ist demnach etwas anderes als der Zollwert.

Wenn Art. 2 der Verordnung Nr. 109 eine Festsetzung des Zusatzbetrages vorschreibt, wenn der Angebotspreis unter den Einschleusungspreis fällt, und eine neue Festsetzung vorsieht, wenn sich der Angebotspreis ändert, so geht auch daraus hervor, daß, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, bei der zusätzlichen Abschöpfung an einen für alle in Betracht kommenden Einfuhren einheitlichen Zusatzbetrag gedacht ist, den die Mitgliedstaaten der EWG gegebenenfalls für einen bestimmten Zeitraum festsetzen sollten, nicht dagegen an eine variable Abgabe, die im Einzelfall von den Zollstellen zu errechnen und festzusetzen ist. Daher ist die von der Verordnung vom 7. September 1962 vorgenommene Ersetzung des Angebotspreises als Maßstab für die Zusatzabschöpfung durch den Zollwert durch Art. 6 Abs. 3 der Verordnung Nr. 22 und durch die Verordnung Nr. 109, die nach dem Gesetz für den Umfang der darin erteilten Ermächtigung maßgebend sind, nicht gedeckt. Der Verordnung vom 7. September 1962 kann insoweit keine Gültigkeit zukommen. Da es somit an einer gültigen Bemessungsgrundlage für die zusätzliche Abschöpfung im Streitfall fehlt, ist deren Erhebung nicht gerechtfertigt.

Unter diesen Umständen kann es dahingestellt bleiben, ob die Einwendung der Klägerin, daß die Verordnung Nr. 22 des Rats der EWG und die Verordnung Nr. 109 der Kommission ihrerseits keine Rechtsgrundlage im EWG-Vertrag fänden und daher nicht in den Mitgliedstaaten geltendes Recht darstellen, zutrifft oder nicht. Denn, wie sich aus den obigen Gründen ergibt, scheidet, auch wenn man von der Gültigkeit dieser Verordnungen ausgeht, im Streitfall die Erhebung zusätzlicher Abschöpfung aus.

Die Entscheidung des Streitfalles hängt also von der Gültigkeit der Abschöpfungsregelung, wie sie durch Rat und Kommission der EWG getroffen sind, nicht ab. Daher kam eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 177 EWG-Vertrag nicht in Betracht.

Die Revision war nach alledem als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 425809

BFHE 1966, 744

BFHE 86, 744

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