Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung Gewerbesteuer Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Hühnerfarm als landwirtschaftlicher Betrieb.

Zur Anwendbarkeit von Ziff. 7 des Erlasses des Reichsministers der Finanzen S 3300 - 530 III vom 8. August 1935 (RStBl. 1935 S. 1074) im Einkommensteuerverfahren.

 

Normenkette

AO §§ 171, 217; GewStG § 2 Abs. 1 S. 2; EStG § 13 Abs. 1 Nr. 2, § 13/1/1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Hühnerfarm des Beschwerdeführers (Bf.) ein landwirtschaftlicher oder ein gewerblicher Betrieb ist.

Der Bf. betrieb in den streitigen Veranlagungszeiträumen II/1948 bis 1950 auf 4,48 ha Acker- und Wiesenland (davon 3,28 ha gepachtet) eine Hühnerfarm mit durchschnittlich etwa 600 Hühnern. Er hielt daneben einige Enten und Gänse, 1 Pony, 1 Kuh und 1 Schwein. Das Finanzamt hatte dem Bf. auf eine Eingabe mit Schreiben vom 12. Januar 1949 mitgeteilt, daß "auf Grund getätigter Feststellungen" der Betrieb als landwirtschaftlicher Betrieb anerkannt werde. Der vorläufige Gewerbesteuermeßbescheid für 1946 wurde aufgehoben; auch für 1947 und I/1948 blieb der Bf. gewerbesteuerfrei. Nach einer Betriebsprüfung im Juli 1951 vertrat das Finanzamt für die Zeit ab II/1948 die Auffassung, die Farm sei ein Gewerbebetrieb, weil das für die Hühnerhaltung erforderliche Futter überwiegend zugekauft werde. Die gewerblichen Gewinne wurden für II/1948 mit 3.267 DM und für 1949 mit 7.254 DM angesetzt. Für 1950 blieb der Gewerbeertrag unter 1.200 DM. Das Finanzamt nahm an, daß neben dem für die Hühnerhaltung benötigten Boden auf etwa 2 ha eine Landwirtschaft betrieben werde, deren Gewinn nach der VOL zu ermitteln sei.

Das Finanzgericht bestätigte die Auffassung des Finanzamts, daß die Farm ein Gewerbebetrieb sei und gab der Berufung nur in einigen - hier nicht interessierenden - Punkten statt. Es begründete seine Entscheidung wie folgt: Der Betrieb sei im ganzen ein Gewerbebetrieb; die Aufteilung in einen gewerblichen und einen landwirtschaftlichen Betrieb sei nicht möglich, weil der Zweck des ganzen Betriebs die Hühnerhaltung sei. Zur Landwirtschaft rechne der Betrieb aber nicht, weil für die Hühnerhaltung nicht überwiegend Erzeugnisse verwendet worden seien, die im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb erzeugt worden seien. Bei der Anwendung des § 13 Abs. 1 Ziff. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) komme es nicht auf die Menge des zugekauften Futters, sondern auf dessen Marktwert an. Der gesamte Wert der jährlich geernteten Feldfrüchte könne bei Anwendung der doppelten Umsatzsteuer-Richtsätze auf 2.570 DM geschätzt werden. Ein Teil der Ernte sei im eigenen Haushalt und für das andere Vieh verwertet worden; der Wert der anteiligen Ernte, die im Geflügelhof verwertet worden sei, sei mit 2.030 DM anzunehmen. Das tierische und pflanzliche Futter, das die Tiere beim Auslauf gefunden hätten, sei auf knapp 1.000 DM zu schätzen, so daß der Wert des eigenerzeugten Futters jährlich etwa 3.000 DM betrage. Der Zukauf von Futter habe in II/1948 und 1949 16.089 DM betragen. Bei einem Futterzukauf von 16.089 DM und einer Eigenerzeugung von 4.500 DM (für 1 1/2 Jahre) sei der Betrieb gemäß § 13 Abs. 1 Ziff. 2 EStG als Gewerbebetrieb zu behandeln. Der Einwand, daß vom zugekauften Futter etwa für 6.000 DM für das übrige Vieh verwertet worden sei, sei unglaubwürdig. Nach Ziff. 7 des Erlasses des Reichsministers der Finanzen vom 8. August 1935 S 330 - 530 III (Reichssteuerblatt - RStBl. - 1935 S. 1074) gelte der Futterbedarf zwar als gedeckt, wenn der Vergleichswert der gesamten landwirtschaftlichen Fläche (§ 38 des Bewertungsgesetzes - BewG -) mehr als das Dreifache der Hühnerzahl betrage. Diese Verwaltungsanweisung binde das Gericht nicht. Dem Urteil des Reichsfinanzhofs VI 132/41 vom 23. April 1941 (RStBl. 1941 S. 799), das sich auf den erwähnten Erlaß des Reichsministers der Finanzen gestützt habe, trete das Gericht nicht bei.

Der Bf. vertritt in der Rechtsbeschwerde (Rb.) weiterhin die Auffassung, die Farm sei ein landwirtschaftlicher Betrieb. Das Finanzamt verstoße gegen Treu und Glauben, wenn es sich nicht an den Bescheid vom 12. Januar 1949 halte. Hätte ihm das Finanzamt die änderung der Rechtsauffassung früher mitgeteilt, so hätte er sich durch Hinzupachten von Grundstücken oder Verminderung des Hühnerbestands darauf einstellen können. Im übrigen gelte der Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 8. August 1935 weiter. Er sei durch das Schreiben des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen vom 1. September 1952 L 1403 B - 1 - 97266 I an den Verband landwirtschaftlicher Geflügelzüchter Bayern e. V. bestätigt worden. Das Finanzamt habe den Wert des eigenerzeugten Futters zu niedrig angesetzt. In einem vorgelegten Gutachten des Verbands Landwirtschaftlicher Geflügelzüchter Bayern e. V. vom 10. März 1954 wird ausgeführt, der Geldwert des Weideertrags könne nicht beliebig geschätzt werden. Die Weide erfordere großen Aufwand. Sie biete den Tieren neben den reinen Nährstoffen viele unentbehrliche Stoffe und Reserven.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Der Einwand des Bf., das Finanzamt verstoße mit der änderung der Rechtsauffassung gegen Treu und Glauben, trifft nicht zu. Der Bescheid vom 12. Januar 1949 bezog sich nur auf den vorläufigen Gewerbesteuermeßbescheid für 1946. Er band weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Sinn das Finanzamt etwa allgemein für die Zukunft hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung. Das Finanzamt war nicht gehindert, für spätere Veranlagungszeiträume die Frage, ob der Betrieb des Bf. zur Landwirtschaft gehöre, wieder aufzurollen und konnte dabei auch zu einem anderen Ergebnis als im Bescheid vom 12. Januar 1949 kommen.

Nach § 13 Abs. 1 Ziff. 2 EStG sind Geflügelfarmen landwirtschaftliche Betriebe, wenn zur Tierzucht oder Tierhaltung überwiegend Erzeugnisse verwendet werden, die im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb gewonnen werden. überwiegt die Eigenerzeugung gegenüber dem Zukauf nicht, so ist der Betrieb gewerblich (§ 2 Abs. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG -). Bei dem Vergleich von Eigenerzeugung und Zukauf kann nicht die Menge der verwerteten Futtermittel entscheidend sein, weil diese Betrachtung zu mehr oder weniger zufälligen Ergebnissen führte. Auch der Nährwert ist kein geeigneter Vergleichsmaßstab, weil er objektiv kaum zu bestimmen ist. Ein brauchbarer Maßstab ist nur der Marktwert, zumal der Nährwert der Futtermittel deren Marktwert entscheidend beeinflußt. Beim Vergleich zwischen Eigenerzeugung und Zukauf muß aber die gesamte Eigenerzeugung berücksichtigt werden, vor allem auch das Futter, das die Tiere beim Auslauf finden. Die Bestimmung des Wertes der eigenerzeugten Futtermittel für eine im Rahmen der Landwirtschaft betriebene Hühnerfarm begegnet vielen Schwierigkeiten. Schon die Feststellung des Wertes der geernteten Früchte, die an die Tiere verfüttert werden, ist oft schwierig. Denn neben der Art und Menge der geernteten Früchte spielt auch eine Rolle, in welchem Umfang im einzelnen Betrieb die Erzeugung an die Hühner verfüttert worden ist. Die Verhältnisse können auch jahrweise nach Anbauart, Ernteertrag, Marktpreis und Verwendung verschieden sein. Noch schwieriger ist der Wert des Futters zu bestimmen, das die Tiere beim Auslauf finden. Es ist dabei nicht nur der Marktwert der einzelnen gefundenen Futterbestandteile zu berücksichtigen - eine Feststellung, die nur durch Schätzung möglich ist - sondern auch das Maß, in dem sie je nach der Art des Bodens, der den Hühnern zum Auslauf dient, vorkommen. Auch insoweit können die Verhältnisse jahrweise verschieden sein. Auf die besonderen Verhältnisse und Schwierigkeiten bei Hühnerfarmen ist im Urteil des Reichsfinanzhofs III A 10/36 vom 20. Februar 1936 (RStBl. 1936 S. 243) eingehend hingewiesen worden. Der Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 8. August 1935 hat auf Grund von Sachverständigen-Gutachten einen Richtsatz festgestellt, der bei der Einkommensteuer, der Umsatzsteuer und der Einheitsbewertung gleichmäßig angewendet werden sollte. Er geht davon aus, daß zur Deckung des gesamten Futterbedarfs für ein ausgewachsenes Huhm bei einem ha-Satz (§ 38 BewG) von 1.000 RM mindestens 60 qm landwirtschaftliche Fläche erforderlich seien. Bei einem ha-Satz von 2.000 RM würden mindestens 30 qm benötigt; dabei sei der Futterbedarf einer normalen Anzahl von Junghühnern und Küken mitberücksichtigt. Eine Hühnerfarm gelte schon dann als landwirtschaftlicher Betrieb, wenn mehr als die Hälfte der Futtermittel im eigenen Betrieb gewonnen werde. Das bedeute: Für ein Huhm müsse bei einem ha-Satz von 1.000 RM eine landwirtschaftliche Fläche von mehr als 30 qm vorhanden sein. Hieraus ergebe sich, daß eine Hühnerfarm dann als landwirtschaftlicher Betrieb gelte, wenn auf jedes ausgewachsene Huhm eine landwirtschaftliche Fläche entfalle, die einen Vergleichswert von mehr als 3 RM habe. Anders ausgedrückt: Der Vergleichswert der gesamten landwirtschaftlichen Fläche müsse mehr als das Dreifache der Anzahl der Hühner betragen. Bei dieser Berechnung sei kein Unterschied zu machen, ob die zum Betrieb gehörige Fläche landwirtschaftlich bestellt werde oder als Auslauf für die Hühner diene. Das Urteil des Reichsfinanzhofs VI 132/41 vom 23. April 1941 (RStBl. 1941 S. 799) hat den Erlaß des Reichsministers der Finanzen als geeignete Grundlage in einem dem vorliegenden ähnlichen Fall für die Besteuerung angewendet.

Die Finanzgerichte haben bei Anwendung des § 13 Abs. 1 Ziff. 2 EStG im Einzelfall festzustellen, ob der Marktwert der Eigenerzeugung den Marktwert des Zukaufs übersteigt. Es kann dabei aber im Interesse einer stetigen Besteuerungsmethode nicht nur auf ein Jahr abgestellt werden, sondern es muß geprüft werden, ob innerhalb eines mehrjährigen Zeitraums die Eigenerzeugung überwiegt. überwiegt in einem oder einigen Jahren nur aus besonderen Gründen der Zukauf, so bleibt der Betrieb trotzdem landwirtschaftlich. Ein buchmäßiger Nachweis ist naturgemäß kaum möglich. Das Verhältnis zwischen Eigenerzeugung und Zukauf muß deshalb gewöhnlich gemäß § 217 der Reichsabgabenordnung (AO) geschätzt werden. Im Schätzungsverfahren kann, wenn kein besserer Maßstab vorhanden ist, der Erlaß des Reichsministers der Finanzen, der auf Sachverständigen-Gutachten beruht, angewendet werden. Der Erlaß des Reichsministers der Finanzen ist eine Verwaltungsanweisung, die die Steuergerichte nicht bindet. Er begründet auch für die Steuerpflichtigen kein Recht, daß er zu ihren Gunsten angewendet wird (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 342/53 U vom 8. April 1954, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1954 III S. 188). Er ist vielmehr ein Richtsatz, dessen Anwendung in Grenzfällen das Verfahren vereinfachen und die gleichmäßige Behandlung gleichartiger Betriebe erleichtern kann. Es ist deshalb rechtlich unbedenklich, wenn die Finanzgerichte bei Fehlen einer besseren und zuverlässigeren Schätzungsmethode den Erlaß des Reichsministers der Finanzen anwenden, zumal offenbar die Finanzverwaltung daran festhält, wie sich aus der Stellungnahme des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen ergibt.

Die Vorentscheidung ist wegen mangelnder Sachaufklärung und möglicherweise dadurch veranlaßter rechtsirrtümlicher Anwendung des § 13 Abs. 1 Ziff. 2 EStG aufzuheben. Das Finanzgericht hat nur die Eigenerzeugung und den Zukauf für II/1948 und 1949 verglichen. Es hätte die Ermittlungen auf einen Zeitraum von mindestens drei bis vier Jahren ausdehnen müssen. Es hätte ferner den Marktwert der nach seiner Schätzung in den Hühnerhof gegebenen eigenen Feldfrüchte näher ermitteln sollen. Im Schätzungsverfahren darf der Bf. sich allerdings nicht auf allgemeine Behauptungen beschränken, sondern hat im Rahmen des Zumutbaren (§ 171 AO) dem Finanzgericht Tatsachen anzugeben, um eine Zutreffende Schätzung zu ermöglichen, z. B. über Art und Umfang der Ernte in dem zu prüfenden Zeitraum, über das Maß, in dem die Ernte im Hühnerhof verwertet worden ist, ferner ob und in welchem Umfang die Futtermittel für das übrige Vieh verwertet worden sind usw. Das Finanzgericht muß, wenn es in dieser Weise schätzt, erwägen, ob es nicht einen Sachverständigen zuzieht, der insbesondere auch über den Wert des gefundenen Futters unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Betriebs des Bf. Angaben machen kann. Das Finanzgericht kann bei der erneuten Entscheidung auch in Erwägung ziehen, ob es die Schätzung nicht auf den jährlichen durchschnittlichen Futterverbrauch (Marktwert) eines Huhnes aufbauen und ermitteln will, ob der Futterbedarf der durchschnittlichen Hühnerzahl überwiegend durch Zukauf gedeckt wurde. Auch über den durchschnittlichen Futterverbrauch je Huhn im Betrieb des Bf. wird zweckmäßig ein Sachverständiger gehört. Bei der Schätzung muß das Finanzgericht im Auge behalten, daß es zur Anwendung des § 13 Abs. 1 Ziff 2 EStG genügt, wenn mehr als die Hälfte des verbrauchten Futters im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb erzeugt worden ist. Glaubt das Finanzgericht die vorerwähnten Schätzungen nicht einigermaßen zuverlässig und ohne allzu große Schwierigkeiten durchführen zu können, so kann es in Erwägung ziehen, ob es nicht den Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 8. August 1935 als Schätzungsmaßstab anwenden soll.

Die nicht entscheidungsreife Sache wird an das Finanzgericht zurückverwiesen, das unter Berücksichtigung der vorstehenden rechtlichen Gesichtspunkte erneut über die Sache zu entscheiden hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407992

BStBl III 1954, 259

BFHE 1955, 129

BFHE 59, 129

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