Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Kettengeschäften ist die grunderwerbsteuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung dem nach § 9 Abs. 3 GrEStDV Berechtigten zu erteilen, wenn für den konkreten Erwerbsvorgang die Grunderwerbsteuer (einschließlich des Zuschlags) entrichtet, sichergestellt oder gestundet worden ist oder wenn Steuerfreiheit gegeben ist; das gilt auch dann, wenn die für Vorerwerbe fälligen Steuern noch nicht bezahlt worden sind.

 

Normenkette

AO § 189d/3; GrEStDV § 9 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Bg. hat durch notariell beurkundeten Vertrag vom 9. September 1954 ein im Lande Niedersachsen gelegenes Grundstück an die Kaufleute X. und Y. je zur Hälfte verkauft. Das Finanzamt hat durch Steuerbescheid vom 3. Januar 1955, der am gleichen Tage abgesandt worden ist, von den Erwerbern Grunderwerbsteuer in Höhe von 1.470 DM angefordert. Der Versuch des Finanzamts, bei dem Kaufmann X. die Steuer beizutreiben, schloß am 13. Mai 1955 mit einer fruchtlosen Pfändung ergebnislos ab. Daraufhin übersandte das Finanzamt am 28. Juni 1955 dem Miterwerber Y. eine Abschrift des Steuerbescheides vom 3. Januar 1955. Dieser legte gegen die Steuerfestsetzung am 19. Juli 1955 Einspruch ein, der jedoch erfolglos geblieben ist. Am 20. März 1956 endete auch bei diesem Erwerber das Beitreibungsverfahren mit einer fruchtlosen Pfändung. Das Finanzamt wandte sich nunmehr gemäß § 15 Ziff. 1 GrEStG unter übersendung einer Zweitschrift des Steuerbescheides durch Verfügung vom 16. Juni 1956 an den Bg. als Veräußerer mit der Aufforderung, die Steuerschuld zu zahlen.

Zwischenzeitlich hatten die Erwerber, die noch nicht als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen worden waren, durch notariellen Vertrag vom 3. Mai 1955 ihre Rechte aus dem Grundstückskaufvertrag vom 9. September 1954 an Frau Z. abgetreten. Nachdem diese dem Finanzamt gemäß § 4 des niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaus von der Grunderwerbsteuer vom 2. Juli 1952 (Niedersächsisches GVBl 1952 S. 53, BStBl 1952 II S. 74) erklärt hatte, daß sie auf dem Grundstück innerhalb von fünf Jahren ein Wohngebäude nach den Richtlinien des sozialen Wohnungsbaus errichten werde, stellte das Finanzamt den Grunderwerb zunächst gemäß § 1 Ziff. 1 des oben erwähnten niedersächsischen Gesetzes vom 2. Juli 1952 steuerfrei. Es übersandte dem Notar am 13. Juli 1955 eine Unbedenklichkeitsbescheinigung gemäß § 189 d Abs. 1 AO in Verbindung mit § 9 GrEStDV.

Gegen die oben erwähnte Inanspruchnahme als Gesamtschuldner legte der Bg. erfolglos Einspruch ein. Auf seine Berufung stellte ihn das Finanzgericht von der Steuer frei. Die Vorinstanz lehnte zwar die Ansicht des Bg. ab, die notariellen Verträge vom 9. September 1954 und 3. Mai 1955 seien wirtschaftlich als ein Kaufvertrag anzusehen und es sei bei der Steuerfestsetzung davon auszugehen, daß das Grundstück unmittelbar von dem Bg. auf Frau Z. übergegangen sei. Das Finanzgericht sah jedoch die Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung an Frau Z. als fehlerhaft an, weil nach seiner Ansicht bei einem Kettengeschäft die Unbedenklichkeitsbescheinigung erst dann erteilt werden dürfe, wenn - sofern nicht im einzelnen Steuerfreiheit gegeben sei - die Steuer für alle die Kette bildenden Erwerbsvorgänge entrichtet oder sichergestellt oder zumindest der Bg. als Gesamtschuldner in Anspruch genommen worden sei. Dieser hätte dann noch Maßnahmen ergreifen können, seine Regreßansprüche gegen den Erwerber zu sichern. Durch das fehlerhafte Verhalten des Finanzamts habe der Bg. diese Ansprüche nicht mehr durchsetzen können; nach Treu und Glauben entfalle damit die Steuerpflicht in voller Höhe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts hat Erfolg.

Nach § 189 d Abs. 1 AO darf der Erwerber eines Grundstücks erst dann in das Grundbuch eingetragen werden, wenn eine Bescheinigung des Finanzamts vorgelegt wird, daß der Eintragung steuerliche Bedenken nicht entgegenstehen. Nach Abs. 3 der Vorschrift hat das Finanzamt die Bescheinigung zu erteilen, wenn die Grunderwerbsteuer (einschließlich des Zuschlags) entrichtet, sichergestellt oder gestundet worden ist oder wenn Steuerfreiheit gegeben ist. Es darf die Bescheinigung auch in anderen Fällen erteilen, wenn nach seinem Ermessen die Steuerforderung nicht gefährdet ist.

Der Vorsteher des Finanzamts weist mit Recht darauf hin, daß die Anweisung des Gesetzes an das Finanzamt, unter welchen Voraussetzungen es eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zu erteilen hat, eindeutig ist. Hiernach hat das Finanzamt unter anderem die Bescheinigung zu erteilen, wenn Steuerfreiheit gegeben ist. Wie der Gebrauch der Einzahl in § 189 d Abs. 3 ("die Grunderwerbsteuer"), zeigt, stellt es die Vorschrift allein auf den Erwerbsvorgang ab, für den eine Grunderwerbsteuer festzusetzen oder Steuerfreiheit zu gewähren ist. Hätte der Gesetzgeber bei sogenannten Kettengeschäften den Steuereingang auch für die vorangegangenen Erwerbsvorgänge sichern sollen, hätte er dies zum Ausdruck bringen müssen. Die an Gesetz und Recht gebundenen Gerichte (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) sind nicht befugt, aus dem Zweck einer Vorschrift Folgerungen zum Nachteil eines Steuerpflichtigen zu ziehen, die sich mit dem Wortlaut des Gesetzes auch bei weiter Auslegung nicht mehr vereinbaren lassen. Der in der Literatur vertretenen gegenteiligen Ansicht (vgl. z. B. Boruttau-Klein, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 6. Auflage 1960, D V Tz. 36) kann nicht gefolgt werden. Ein Grundstückserwerber, der seinen steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen ist, hat einen Anspruch darauf, daß das Finanzamt ihn nicht deshalb am Eigentumserwerb hindert, weil Vorerwerber ihre Pflichten nicht erfüllt haben. Da für einen Grundstückserwerber, der z. B. beabsichtigt, Kredite für den Aufbau eines Gebäudes aufzunehmen, der Zeitpunkt der Eintragung in das Grundbuch von entscheidender wirtschaftlicher Bedeutung sein kann, haben die Finanzämter, wenn die steuerlichen Belange des einzelnen Erwerbsvorganges gewahrt sind, die Unbedenklichkeitsbescheinigung stets unverzüglich auszustellen. Die Finanzämter werden daher durch Verwaltungsanweisungen zu Recht auf beschleunigte Bearbeitung bei der Ausstellung von Unbedenklichkeitsbescheinigungen hingewiesen (vgl. z. B. Verfügung der Oberfinanzdirektion Hannover S 4545 - 309 - StH 302 und S. 4545 - 387 - StO 331 vom 22. Februar 1957, Grunderwerbsteuer-Kartei, § 9 GrEStDV, Karte 3). Bei dieser Rechtslage ist das Finanzamt auch nicht in der Lage, wie das Finanzgericht dies fordert, vor Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung zunächst alle Schuldner aus früheren Erwerbsvorgängen in Anspruch zu nehmen. Auch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ist das Finanzamt nicht verpflichtet, bei steuerlicher Gesamtschuldnerschaft einen Schuldner, der im Innenverhältnis die Steuer nicht zu tragen hat, gegen die Auswirkungen einer etwaigen Vertragsverletzung seines Vertragspartners zu sichern.

Die Vorentscheidung, die von anderen Grundsätzen ausging, war hiernach aufzuheben und die Berufung des Bg. gegen die Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410461

BStBl III 1962, 314

BFHE 1963, 126

BFHE 75, 126

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