Leitsatz (amtlich)

1. Ein Vorbescheid gilt auch dann im Sinne des § 90 Abs. 3 Satz 3 FGO als nicht ergangen, wenn ein Verfahrensbeteiligter, der innerhalb eines Monats nach Zustellung des Vorbescheids beantragt hatte, mündlich zu verhandeln, diesen Antrag nachträglich zurücknimmt.

2. Ergebnisabführungsverträge zwischen Schwestergesellschaften können der Kapitalzuführung dienen.

 

Normenkette

KVStG 1959 § 2 Nrn. 2, 4, § 4; FGO § 90 Abs. 3

 

Tatbestand

Die X-GmbH (im folgenden: GmbH) führte den im Jahre 1961 erzielten Gewinn aufgrund eines zwischen ihr und der Klägerin bestehenden Ergebnisabführungsvertrags an die Klägerin ab. Alleinige Gesellschafter der Klägerin und der GmbH waren zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Die Klägerin war zur Zeit der Gewinnabführung nicht an der GmbH beteiligt.

Das FA zog die Klägerin wegen der Gewinnabführung zur Gesellschaftsteuer heran (§ 2 Nr. 2 und § 4 KVStG).

Das FG hat - nach erfolglosem Einspruch - den Gesellschaftsteuerbescheid aufgehoben.

Auf die Revision der Beklagten hat der Senat am 21. Januar 1969 einen Vorbescheid erlassen; gegen den am 24. März 1969 zugestellten Vorbescheid beantragte der Beklagte am 24. April 1969 mündliche Verhandlung. Nachdem Termin zur Durchführung der mündlichen Verhandlung bestimmt war, nahm der Beklagte den Antrag zurück. Die Klägerin, der Gelegenheit gegeben wurde, dem Rücknahmeantrag zuzustimmen, äußerte sich hierzu nicht.

Hierauf wurde erneut Termin zur mündlichen Verhandlung angesetzt; den Parteien wurde mitgeteilt, in der mündlichen Verhandlung sei zu klären, welche Rechtswirkung die Rücknahme des gegen den Vorbescheid gerichteten Antrags, mündlich zu verhandeln, ausgelöst habe.

Der Beklagte meint, der Antrag auf mündliche Verhandlung könne nicht zurückgenommen werden; die Rücknahme des Antrags sei allenfalls mit Zustimmung der anderen Prozeßpartei zulässig. Er beantragte, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Rücknahme des gegen den Vorbescheid gerichteten Antrags auf mündliche Verhandlung durch den Beklagten habe zur Folge, daß der Vorbescheid als Urteil wirke. Ihrer Zustimmung zur Zurücknahme habe es nicht bedurft; vorsorglich erteile sie die Zustimmung. Hilfsweise beantragte die Klägerin, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Auf die Revision des Beklagten wird die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Der Vorbescheid des Senats gilt als nicht ergangen, weil der Beklagte rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt hat (§ 90 Abs. 3 FGO). Die nachträgliche Rücknahme dieses Antrags ändert daran nichts. Der Senat muß daher in der Sache selbst entscheiden.

I. Gemäß § 90 Abs. 3 Satz 3 FGO gilt der nach Abs. 3 Satz 1 dieser Vorschrift zulässige Vorbescheid als nicht ergangen, wenn einer der Verfahrensbeteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Bescheides mündliche Verhandlung beantragt hat. Der Beklagte hat den Antrag rechtzeitig gestellt. Die Rücknahme des Antrages durch den Beklagten bewirkt nicht, daß die an den Antrag geknüpfte Fiktion rückgängig gemacht wird. Dem Gesetz ist dies nicht zu entnehmen.

Es ist zuzugeben, daß diese Wirkung aus Gründen der Prozeßökonomie erwünscht sein mag (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. bis 3. Aufl., § 90 FGO, Rdnr. 4; Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., § 84 Anm. D 4 mit Nachweisen). Diese Gründe rechtfertigen es jedoch nicht, eine vom Gesetz an eine Prozeßhandlung geknüpfte Rechtsfolge ohne gesetzliche Grundlage als nicht eingetreten zu behandeln, weil derjenige, der durch eine Prozeßhandlung den Eintritt dieser Rechtsfolge herbeigeführt hat, nachträglich die ursprünglich begehrte mündliche Verhandlung nicht mehr erstrebt.

Das Gesetz fingiert, daß der Vorbescheid als nicht ergangen gilt, wenn der Antrag, mündlich zu verhandeln, rechtzeitig beim Gericht eingegangen ist. Diese Fiktion kann sich nur auf die rechtliche Existenz des Vorbescheides und die durch ihn ausgelösten Wirkungen beziehen; die Sachlage wird so angesehen, als ob der - tatsächlich erlassene und zugestellte - Vorbescheid nie vorhanden gewesen sei. Wird der Antrag nicht oder nicht rechtzeitig gestellt, wirkt der Vorbescheid als Urteil. In beiden Fällen ordnet das Gericht den Eintritt einer bestimmten Rechtsfolge an. Ist eine solche Folge aber kraft Gesetzes eingetreten, so kann sie nur durch das Gesetz wieder beseitigt werden. Der Eintritt der Rechtsfolge kann mangels einer entgegenstehenden gesetzlichen Regelung durch die Rücknahme des Antrages, mündlich zu verhandeln, ebensowenig ungeschehen gemacht werden wie die Tatsache, daß der Antrag gestellt worden ist. Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Aufl., § 84 Rdnr. 18, weisen in diesem Zusammenhang mit Recht auf die Wirkung der Anfechtung einer Willenserklärung (§ 142 Abs. 1 BGB) hin.

Der RFH hat es zwar im Urteil III 229/37 vom 14. Juli 1938 (RFH 44, 268, RStBl 1938, 867) zu § 294 Abs. 2 AO a. F. für zulässig gehalten, den gegen einen Vorbescheid gerichteten Antrag auf mündliche Verhandlung mit der Folge zurückzunehmen, daß der Vorbescheid zum Urteil wird (die Wirkung eines Urteils erlange). Da § 294 Abs. 2 Satz 2 AO a. F. im Gegensatz zu § 271 Abs. 2 Satz 4 AO a. F. und § 90 Abs. 3 Satz 3 FGO eine ausdrückliche Regelung über die Wirkungslosigkeit des Vorbescheids nach rechtzeitig gestelltem Antrag, mündlich zu verhandeln, nicht enthält, braucht sich der Senat mit dieser Rechtsauffassung nicht auseinanderzusetzen.

Für die Entscheidung ist es unerheblich, daß die Klägerin hilfsweise erklärt hat, sie stimme der Rücknahmeerklärung des Beklagten zu. Durch das Gesetz angeordnete Rechtsfolgen hinsichtlich der Existenz von Hoheitsakten unterliegen nicht der Parteidisposition.

II. Dem FG ist darin beizutreten, daß die Steuerpflicht auf § 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 4 KVStG 1959 nicht gestützt werden kann. Nach § 2 Nr. 2 KVStG 1959 unterliegen der Gesellschaftsteuer Leistungen, die von den Gesellschaftern einer inländischen Kapitalgesellschaft aufgrund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung bewirkt werden (gesetzliche Beispiele: weitere Einzahlungen, Nachschüsse, Zubußen). Zwischen der Klägerin und der GmbH besteht kein Gesellschaftsverhältnis in diesem Sinne.

Entgegen der Meinung des FA folgt aus § 4 KVStG 1959 nicht, daß eine Gewinnabführung eines Nichtgesellschafters eine Leistung ist, die aufgrund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung bewirkt wird. Nach § 4 KVStG 1959 wird die Steuerpflicht nicht dadurch ausgeschlossen, daß Leistungen (§ 2) nicht von Gesellschaftern bewirkt werden, sondern von Personenvereinigungen, an denen die Gesellschafter als Mitglieder oder Gesellschafter beteiligt sind. Gesellschafter der leistenden Gesellschaft (der GmbH) und der die Leistung empfangenden Gesellschaft (Klägerin) sind die M. GmbH mit jeweils 52 % der Anteile und die N. GmbH mit jeweils 48 % der Anteile. Nicht jede Leistung einer Personenvereinigung im Sinne des § 4 KVStG 1959 kann wie eine Gesellschafterleistung behandelt werden. Wie der den Gesetzesbegriff "Leistung" erläuternde Klammerzusatz "§ 2" ergibt, werden nur solche Leistungen erfaßt, die die übrigen Voraussetzungen des § 2 KVStG 1959 erfüllen. Die Leistung muß nach § 2 Nr. 2 KVStG 1959 der Steuerpflicht unterliegen, wenn sie von Gesellschaftern selbst ausgeführt würde. Gewinnabführungen rechnen nicht zu den Leistungen, die - im Sinne von § 2 Nr. 2 KVStG 1959 - als im Gesellschaftsverhältnis Gesellschafter zu seiner Gesellschaft begründet bewirkt werden.

Nach § 2 Nr. 4 KVStG 1959 sind bestimmte freiwillige Leistungen (kurz: Kapitalzuführungen) eines Gesellschafters an eine inländische Kapitalgesellschaft steuerpflichtig. Die Freiwilligkeit von Kapitalzuführungen wird nach ständiger Rechtsprechung nicht dadurch ausgeschlossen, daß eine Kapitalzuführung in Erfüllung eines Vertrages erfolgt. Voraussetzung ist, daß der zu erfüllende Vertrag freiwillig abgeschlossen wurde (vgl. Boruttau-Schadeck, Kapitalverkehrsteuer, 2. Aufl., Teil B zu § 2 Nrn. 3 und 4, Abschn. 12, S. 84, und die Hinweise auf Rechtsprechung und Literatur bei Egly, Gesellschaftsteuer-Kommentar, 2. Aufl., Teil II, Abschn. 26, S. 115). Daß der Gewinnabführungsvertrag nicht freiwillig abgeschlossen wurde, hat das FG nicht festgestellt. Die Vorentscheidung ist aus diesem Grunde aufzuheben.

Die Klägerin ist der Ansicht, daß von den steuerpflichtig gestellten Kapitalzuführungen im Sinne von § 2 Nr. 4 Buchst. a bis d KVStG 1959 nur geprüft werden müsse, ob die Gewinnabführung als Zuschuß im Sinne von § 2 Nr. 4 Buchst. a KVStG 1959 behandelt werden könne. Entgegen der Meinung der Klägerin beinhaltet der Begriff Zuschuß im Sinne des Kapitalverkehrsteuerrechts nicht, daß ein Zuschuß zur Förderung eines bestimmten Vorhabens oder zumindest mit einer Zweckbestimmung gegeben werden müsse. Jedenfalls sind Geldleistungen in der Form einer Gewinnabführung, auch wenn deren Verwendung dem kaufmännischen Ermessen des Empfängers überlassen bleibt, wie andere Zuschüsse zusätzliche Einnahmen, die zur Deckung von Betriebsausgaben oder für sonstige Zwecke verwandt werden, und damit diese Zwecke bezuschussen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die beherrschenden Gesellschafter die von ihnen beherrschten Gesellschaften aus Finanzierungsgründen veranlaßt haben, einen Ergebnisabführungsvertrag abzuschließen. Danach kann Steuerpflicht nach § 2 Nr. 4 KVStG 1959 nicht ohne weiteres verneint werden.

Ergebnisabführungsverträge können mit verschiedener Zweckbestimmung zwischen rechtlich oder wirtschaftlich miteinander verbundenen oder voneinander abhängigen Gesellschaften geschlossen werden. Es ist möglich, daß auch über einen Ergebnisabführungsvertrag Vermögenswerte durch Leistungen übertragen werden, die der Vorschrift des § 2 Nr. 4 KVStG 1959 unterfallen. Der Zweck eines Ergebnisabführungsvertrags kann aber auch auf den periodischen Ausgleich gegenseitiger Leistungen gerichtet sein, die sich aus den rechtlichen und wirtschaftlichen Verpflichtungen untereinander ergeben. Ergebnisabführungsverträge können zum Teil zu gesellschaftsteuerpflichtigen und zum Teil zu gesellschaftsteuerfreien Leistungen führen.

 

Fundstellen

BStBl II 1970, 330

BFHE 1970, 2

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