Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der Verlustabzug im Verhältnis zum Verlustausgleich.

 

Normenkette

EStG § 2 Abs. 2, § 10/1/4, § 10d

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) hatte nach den vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen Feststellungen des Finanzgerichts in den Vorjahren folgende Einkünfte und Verluste:

-------------------------- 1940 -------- 1941 aus Gewerbe ------------ - 1.387 RM -- - 18.304 RM aus selbständiger Arbeit + 3.300 RM --------- 0 RM aus Kapitalvermögen --- + 11.271 RM ------ + 88 RM aus Vermietung -------- - 10.434 RM -- + 66.269 RM Einkünfte insgesamt: ---- 14.571 RM ---- 66.357 RM Verluste: --------------- 11.821 RM ---- 18.304 RM Aus dem Jahre 1939 war noch ein Verlustabzug von 70.517 RM vorhanden, der in den Jahren 1940 und 1941 zur Freistellung des Stpfl. von der Einkommensteuer geführt hat.

Streitig ist bei der Veranlagung 1942, ob bei der Berechnung des Einkommens in den Jahren 1940 und 1941 die Verluste aus Gewerbebetrieb und Vermietung zunächst mit den anderen Einkünften ausgeglichen und erst dann der vortragsfähige Verlust aus dem Jahre 1939 abzuziehen ist oder ob umgekehrt verfahren werden muß. Die steuerlich erhebliche Auswirkung der Streitfrage ergibt sich daraus, daß im ersten Fall für das Jahr 1942 ein Verlustabzug nicht in Betracht kommt, während er im zweiten Fall in Höhe der in den Jahren 1940 und 1941 entstandenen Gewerbeverluste noch möglich wäre.

Der Bf. Testamentsvollstrecker nach dem im Jahre 1945 verstorbenen Stpfl., und sein Bevollmächtigter sind der Auffassung, daß zunächst die nicht vortragsfähigen Verluste ausgeglichen werden müssen. Alsdann seien die vortragsfähigen Verluste der Vorjahre zu verrechnen. Erst an letzter Stelle komme der vortragsfähige Verlust des laufenden Jahres zum Ausgleich.

Die Vorinstanzen haben diese Rechtsauffassung abgelehnt. Das Finanzgericht führt hierzu folgendes aus: Entsprechend dem Zweck des Verlustvortrages habe der Reichsfinanzhof in dem Urteil VI A 1268/30 vom 8. August 1930 (Amtl. Sammlung Bd. 27 S. 107 = Reichssteuerblatt - RStBl. - 1930 S. 680) zugelassen, den Verlustvortrag vor dem Ausgleich positiver Einkünfte mit neuen Verlusten des gleichen Jahres vorzunehmen. Das Urteil könne jedoch zur Stützung der Auffassung der Vertreter des Stpfl. nicht herangezogen werden, da es zum Verlustvortrag nach § 15 Absatz 1 Ziffer 4 in Verbindung mit § 7 Absatz 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG - 1925 in der Fassung des Gesetzes vom 29. Juni 1929 (Reichsgesetzblatt - RGBl. - I S. 123) ergangen sei. Das im Streitfalle anzuwendende EStG 1939 weiche von dem früheren Recht zunächst dadurch ab, daß es den Verlustvortrag den Sonderausgaben (ß 10) zuzähle, während der Verlustvortrag des § 15 EStG 1925 eine besondere Ausgabenart darstelle. Schon darin liege ein wesentlicher Unterschied, der allerdings, für sich allein betrachtet, noch keine Lösung der Streitfrage bringe. Durch die Vorschrift des § 10 Absatz 1 EStG 1939, daß die Sonderausgaben von dem Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen seien, werde eine Reihenfolge nicht festgelegt. Gleichwohl sei der durch § 10 Absatz 1 EStG 1939 begründete Unterschied rechtserheblich. Er erhalte seine Bedeutung insbesondere durch den Zusammenhang mit § 2 Absatz 2 EStG 1939, einer Vorschrift, die erstmalig in das EStG 1934 aufgenommen worden ist.

§ 7 Absatz 3 EStG 1925 habe bestimmt, daß das Einkommen durch Zusammenrechnung und Ausgleich der bei der gesonderten Ermittlung gewonnenen Ergebnisse zu berechnen sei, und habe dabei für den so vorgeschriebenen Ausgleich die Ausgaben (ß 15), die bei keiner Einkunftsart abgesetzt werden könnten, den Verlusten aus einzelnen Einkunftsarten gleichgestellt. Nach dieser Vorschrift habe also die Einkommensberechnung nur aus der Zusammenrechnung der Einkünfte und dem Ausgleich mit negativen Ergebnissen, die sowohl Verluste wie Ausgaben sein konnten, bestanden. Das Gesetz habe keine Vorschrift über die Reihenfolge des Ausgleichs enthalten. Die Entscheidung vom 8. August 1930 habe daher den Ausgleich einzelner Ausgaben vor dem Ausgleich von Verlusten zulassen können.

Gegenüber § 7 EStG 1925 gebe § 2 Absatz 2 EStG 1939 eine klarere Begriffsbestimmung des steuerlich zu erfassenden Einkommens. Sachlich enthalte die Bestimmung im wesentlichen die übernahme des § 7 Absatz 3 des alten Gesetzes. Das Gesetz bringe jedoch darüber hinaus auch eine materielle änderung, die für die Lösung der Streitfrage von entscheidender Bedeutung sei.

Nach § 2 Absatz 2 EStG 1939 gelte als Einkommen der Gesamtbetrag der Einkünfte aus den im Absatz 3 a. a. O. bezeichneten Einkunftsarten nach Ausgleich mit Verlusten, die sich aus einzelnen Einkunftsarten ergeben, und nach Abzug der Sonderausgaben. Die Einkommensberechnung bestehe also im Gegensatz zu dem früheren Recht nunmehr aus drei Teilen:

aus der Zusammenrechnung der Einkünfte,

ihrem Ausgleich mit Verlusten aus einzelnen Einkunftsarten und

aus dem Abzug der Sonderausgaben. Das Gesetz enthalte somit eine Rechtsnorm, welche die Reihenfolge des Ausgleichs mit Verlusten und des Abzugs von Sonderausgaben vorschreibe. Der Ausgleich von Verlusten, die sich aus einzelnen Einkunftsarten ergeben, sei danach vor dem Abzug der Sonderausgaben einschließlich des Verlustvortrags vorzunehmen.

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) bestreitet die Rechtsauffassung der Vorinstanzen. Sie folgert aus der historischen Entwicklung und dem Sinn der Gesetzesvorschrift, daß ein einmal entstandener Verlust möglichst lange vorgetragen werden solle. Dieser Wille des Gesetzes sei durch die formale Stellung des Verlustausgleichs nicht erschüttert; denn der Verlustvortrag sei in neuerer Zeit sogar von zwei auf drei Jahre ausgedehnt worden. Wenn ein vortragsfähiger Verlust aus dem Vorjahre mit einem im nächsten Jahre entstandenen, an sich vortragsfähigen Verlust zusammentreffe, so müsse der Verlustvortrag aus dem Vorjahre zunächst von den positiven Einkünften abgesetzt werden. Soweit Verlustvorträge aus einem Vorjahre mit nicht vortragsfähigen Verlusten zusammentreffen, müsse der alte Verlustvortrag zuletzt verbucht werden. Entstehen in einem Jahre neue vortragsfähige Verluste und solche nicht vortragsfähiger Art und ist aus dem Vorjahre ein Verlustvortrag vorhanden, so müsse zunächst der nicht vortragsfähige Verlust dieses Jahres mit den positiven Einkünften des gleichen Jahres ausgeglichen werden. Falls dann noch positive Einkünfte vorhanden sein sollten, müsse zunächst der Verlustvortrag aus dem vorhergehenden Jahre zum Abzug gebracht werden und dann erst der neu entstandene Verlust.

Im Gegensatz zur Vorinstanz vertritt die Rb. die Auffassung, daß auch § 2 Absatz 2 EStG 1939 eine klare Reihenfolge der Vornahme des Verlustausgleichs und des Verlustabzugs nicht gebracht habe, da ein wesentlicher Unterschied zwischen § 7 Absatz 3 EStG 1925 und § 2 Absatz 2 EStG 1934 nicht bestehe. Es werde daher bestritten, daß eine änderung der bisherigen Praxis des Verlustabzugs durch die neue Fassung des § 2 EStG 1939 beabsichtigt gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Der Verlustvortrag wurde im Jahre 1929 als Ersatz für die Ablehnung der Forderung auf Berechnung des Einkommens nach dem dreijährigen Durchschnitt eingeführt (vgl. Urteil des RFHofs VI 433/40 vom 2. Juli 1941, RStBl. 1941 S. 658 = Steuer und Wirtschaft - StW - 1941 Nr. 377). Die Vorschrift sollte die besondere wirtschaftliche Lage des einzelnen Stpfl. durch Ausgleich von Verlustjahren mit Gewinnjahren berücksichtigen. Es sollte vermieden werden, daß ein Einkommen versteuert wird, das - auf einen längeren Zeitraum gesehen - gar nicht vorhanden ist, wenn nämlich jemand infolge schwankenden Einkommens im Ergebnis mehrerer Jahre weder gewonnen noch verloren hat, aber trotzdem Einkommen versteuern müßte.

Zweck und Bedeutung des Verlustabzugs (Verlustvortrags) liegen also darin, daß bis zur Höhe des in einem Steuerabschnitt entstandenen vortragsfähigen Verlustes die Einkünfte der beiden nächsten Steuerabschnitte steuerfrei sein sollen. Dadurch, daß der im Veranlagungszeitraum entstandene vortragsfähige Verlust auf die folgenden Veranlagungszeiträume fortwirkt, wird insoweit zugunsten des Verlustabzugs das zum steuerlichen Begriff des Einkommens notwendig gehörige Zeitelement aufgegeben.

Während die Aufnahme der Vorschrift in das EStG 1925 in der Fassung des Gesetzes vom 29. Juni 1929 einen Ersatz für die Veranlagung nach dem dreijährigen Durchschnitt bieten sollte, wurde ihre Wiedereinführung im Jahre 1938 mit der Beseitigung der Bewertungsfreiheit für kurzlebige Wirtschaftsgüter begründet (vgl. Amtl. Begründung, RStBl. 1938 S. 101). Die Beseitigung der Bewertungsfreiheit war jedoch nur das Motiv für die Wiedereinführung des Verlustvortrages. An dem Wesen des Verlustvortrags als einer die Besteuerung nach dem dreijährigen Durchschnitt ersetzenden und dieser gleichgearteten Vorschrift hat sich also nichts geändert.

Dieser Hinweis auf die rechtshistorische Entwicklung und das Wesen des Verlustabzugs (Verlustvortrags) ist für die Lösung der zu entscheidenden Frage von wesentlicher Bedeutung.

Das EStG 1925 in der Fassung des Gesetzes vom 29. Juni 1929 brachte den Verlustvortrag in der Aufzählung der Ausgaben (ß 15). Eine "Ausgabe" ist der Verlustvortrag fraglos nicht. Er ist somit im Rahmen der Aufzählung des § 15 a. a. O. ein Element sui generis, d. h. ein Fremdkörper. Das gleiche muß aber auch für seine Stellung im EStG 1939 (ß 10) gelten, denn eine Sonder- "ausgabe" stellt er ebenfalls nicht dar. Auch die Vorentscheidung muß zugeben, daß in der Aufzählung des Verlustabzugs (Vortrags) unter den Sonderausgaben eine Lösung des Problems nicht gefunden werden kann.

Wenn man - wie es das Finanzgericht tut - in dem Wortlaut des § 2 Absatz 2 EStG 1939 die Festlegung einer Reihenfolge sehen will, so kann nach der Auffassung des erkennenden Senats diese Reihenfolge nur insoweit gelten, als sie nicht der rechtshistorischen Entwicklung und Zweckbestimmung des Verlustabzugs widerspricht, der auch durch die Aufzählung unter den Sonderausgaben nicht seines besonderen Charakters entkleidet worden ist. Wie oben ausgeführt ist, gilt für die im Veranlagungszeitraum entstandenen vortragsfähigen Verluste nicht das sonst zum steuerlichen Begriff des Einkommens gehörige Zeitelement im Sinne einer Beschränkung auf Vorfälle innerhalb eines Veranlagungszeitraums. Sie sind vielmehr unter Durchbrechung dieses Prinzips zur Fortwirkung auf die nächsten Veranlagungszeiträume bestimmt. Sie tragen bereits latent den Charakter des Verlustabzugs in sich. Die vortragsfähigen Verluste von heute sind die Verlustabzüge von morgen. Wie Kennerknecht in seiner Abhandlung "Der Verlustvortrag" (S. 52) ausführt, ist der Verlustabzug im Grunde genommen ein Teil der Ermittlung des Ergebnisses bei einer einzelnen Einkommensart, die der Berechnung des Gesamteinkommens stets voranzugehen hat. Es wäre mit dem Grundgedanken des Verlustabzugs unvereinbar, wollte man die im Veranlagungszeitraum entstandenen vortragsfähigen Verluste unter Zurückstellung etwa aus früheren Jahren vorhandener vortragsfähiger Verluste zunächst am Verlustausgleich teilnehmen lassen und damit die Wirksamkeit der auf Fortwirkung in die kommenden Veranlagungszeiträume abgestellten Vorschrift beseitigen oder beeinträchtigen. Die vortragsfähigen Verluste des laufenden Jahres müssen sich zunächst im Zusammenhang mit den vortragsfähigen Verlusten der Vorjahre (Verlustabzüge) auswirken, und zwar entsprechend dem bereits vom Reichsfinanzhof aufgestellten Grundsatz, daß ältere Verluste zuerst zu berücksichtigen sind (vgl. Urteil des RFHofs I 246/41 vom 2. Dezember 1941, Slg. Bd. 51 S. 126). Das heißt: Die aus den Vorjahren stammenden Verlustabzüge müssen vor den im laufenden Veranlagungszeitraum entstandenen vortragsfähigen Verlusten mit den noch verbliebenen positiven Einkünften verrechnet werden.

Daß die nicht vortragsfähigen Verluste vorweg am Verlustausgleich teilnehmen, ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Gesetzesvorschrift, insbesondere aus der überlegung, daß ihre Anrechnungsfähigkeit nur in dem Veranlagungszeitraum besteht, in dem sie entstanden sind. Kommen sie in diesem Zeitraum nicht zum Zuge, so ist ihre gewinnmindernde Wirkung unwiederbringlich verloren, während im gleichen Zeitraum entstandene vortragsfähige Verluste noch in den folgenden Jahren zum Zuge kommen können.

Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Sache geht an das Finanzgericht zurück, damit dieses unter Zugrundelegung der vorstehenden Rechtsausführungen erneut entscheidet.

 

Fundstellen

BStBl III 1951, 21

BFHE 1952, 54

BFHE 55, 54

StRK, EStG:2 R 2

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