Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an Feststellungen des FG und an Verweisungen im Urteilstatbestand; zur Billigkeitserstattung von Währungsausgleichsbeträgen

 

Leitsatz (NV)

1. Ist die vom FG ausgesprochene Rechtsfolge nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt, so ist das ein materiell-rechtlicher Fehler, der vom BFH auch ohne ausdrückliche Rüge zu beachten ist.

2. Hat das FG im Tatbestand seines Urteils ,,wegen der Einzelheiten" auf einen Betriebsprüfungsbericht der Verwaltung Bezug genommen, so ist daraus nicht zu entnehmen, daß das FG sämtliche Feststellungen des Betriebsprüfers als eigene Feststellungen gewertet wissen will. Solche Verweisungen dürfen überdies nur ergänzenden Inhalt haben und dürfen entscheidungserhebliche Feststellungen im Urteil nicht ersetzen.

3. Nur die tatsächliche Möglichkeit einer Vorausfestsetzung der Währungsausgleichsbeträge steht einer Billigkeitserstattung nach der VO Nr. 1608/74 entgegen.

4. Ist es dem Antragsteller absolut unzumutbar, von einer Abwälzungsklausel in den Kaufverträgen mit seinen Abnehmern Gebrauch zu machen, so liegt eine Vermeidbarkeit der zusätzlichen Belastung i. S. des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1608/74 nicht vor. Es ist aber Sache des Antragstellers, darzulegen und nachzuweisen, daß ein solcher Fall gegeben ist.

 

Normenkette

FGO §§ 105, 118; EWGV 1608/74 Art. 2, 5a

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beantragte mit Schreiben vom Oktober 1978 einen Billigkeitserweis nach der Regelung der Verordnung (EWG) Nr. 1608/74 (VO Nr. 1608/74) der Kommission vom 26. Juni 1974 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 170/38) für in der Zeit vom 19. Oktober 1978 bis 28. Februar 1979 aufgrund von Altverträgen getätigte Einfuhren. Nach einer entsprechenden Betriebsprüfung lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) den Antrag unter Hinweis auf das Ergebnis der Betriebsprüfung ab. Zur Begründung führte er aus: Die Klägerin habe für einen Teil der Ausfuhren von der Möglichkeit der Vorausfestsetzung der Währungsausgleichsbeträge (WAB) keinen Gebrauch gemacht. Erzielte Kursvorteile hätten die Differenzbeträge verringert oder überstiegen. Die Klägerin habe die ihr rechtlich gegebene Möglichkeit zur Abwälzung der Differenzbeträge auf ihre Abnehmer nicht genutzt und somit die erforderliche und übliche Umsicht fehlen lassen. Auf den Ablehnungsbescheid des HZA vom November 1979 hat die Vorentscheidung Bezug genommen.

Auf die nach erfolgloser Beschwerde erhobene Klage hob das Finanzgericht (FG) den Bescheid des HZA vom November 1979 und die Beschwerdeentscheidung vom Juni 1980 auf.

Mit seiner Revision macht das HZA folgendes geltend:

Die VO Nr. 1608/74 sei eine Ermessensvorschrift, die die Mitgliedstaaten ermächtige, nicht jedoch verpflichte, auf die Erhebung des Differenzbetrages aus Billigkeitsgründen zu verzichten. Art. 2 VO Nr. 1608/74 enthalte die materiellen Rechtsregeln, in deren Rahmen allein ein Verzicht auf die Erhebung des Differenzbetrages ausgesprochen werden dürfe. Dieser Rahmen dürfe zwar nicht überschritten, dagegen jedoch unterschritten werden. Ihm, dem HZA, habe ein Ermessensspielraum zugestanden. Über die Dienstanweisung Oktober 1978 des Bundesministers der Finanzen - BMF - (Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung - VSF - M 0965) sei die Kommission nach Art. 5 VO Nr. 1608/74 unterrichtet worden; sie habe keine zusätzlichen Bestimmungen erlassen und damit bestätigt, daß die Dienstanweisung durch Art. 1 VO Nr. 1608/74 gedeckt sei.

Daß der Klägerin Kursgewinne entstanden seien, sei vom FG festgestellt worden. Diese Vorteile hätten im Zusammenhang mit den bei der Einfuhr erhobenen WAB gestanden. Die Billigkeitsregelung habe lediglich den Sinn, bei Altkontrakten Härten, die im Zusammenhang mit der Währungsmaßnahme stünden, zu beseitigen. Sie habe jedoch nicht den Zweck, Währungsvorteile, die im Vorfeld der Währungsmaßnahme entstanden seien, für den Beteiligten zu sichern. Nur wenn sich bei der Gegenüberstellung der belastenden mit den entlastenden Umständen per Saldo ein Nachteil ergebe, sei es gerechtfertigt, diesen Nachteil aus Billigkeitsgründen auszugleichen.

Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1608/74 müsse die Erhebung der erhöhten WAB zu einer übermäßigen, d. h. unzumutbaren Belastung geführt haben. Billigkeitserweise für Minimalbeträge, d. h. für einen Betrag bis zu 100 DM bei der Abwicklung eines Kaufvertrags, seien damit von vornherein ausgeschlossen. Außerdem sei zu beachten, daß die Belastung nicht mangels der für einen Kaufmann erforderlichen und üblichen Umsicht eingetreten sein dürfe. Habe der Einführer die Belastung vertraglich weitergeben können, so sei im Rahmen des zu berücksichtigenden Altvertrages keine Belastung bei den Beteiligten zurückgeblieben, die auszugleichen wäre. Unterlasse er die Weitergabe dennoch, so habe er das Risiko selbst zu tragen. Nach den Geschäftsbedingungen der Klägerin sei ihr eine Abwälzung der Differenzbeträge auf ihre Abnehmer rechtlich möglich gewesen. Ein Billigkeitserweis nach der VO Nr. 1608/74 setze voraus, daß die Klägerin alle ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten genutzt habe. Dies sei im Streitfall nicht geschehen.

Das FG habe Art. 5 a VO Nr. 1608/74 verletzt. Danach finde die VO Nr. 1608/74 keine Anwendung, wenn die Möglichkeit einer Vorausfestsetzung der WAB bestehe. Hierunter sei allein die rechtliche Möglichkeit zu verstehen, was durch Art. 10 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EWG) Nr. 926/80 (VO Nr. 926/80) der Kommission vom 15. April 1980 (ABlEG L 99/15) bestätigt werde. Für die Vorausfestsetzung von WAB sei im Streitfall die Verordnung (EWG) Nr. 243/78 (VO Nr. 243/78) der Kommission vom 1. Februar 1978 (ABlEG L 37/5) maßgebend gewesen. Nach Absatz 10 der Erwägungsgründe dieser Verordnung stelle Art. 5 a VO Nr. 1608/74 auf die ,,erforderliche und übliche Umsicht" des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1608/74 ab. Im Streitfall sei die rechtliche Möglichkeit der Vorausfestsetzung von WAB unbestritten gegeben gewesen, und zwar während des gesamten Zeitraums vom 19. Oktober 1978 bis zum 28. Februar 1979, für den die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) von der Ermächtigung des Art. 1 VO Nr. 1608/74 Gebrauch gemacht habe. Da die Klägerin die WAB jedoch nicht habe vorausfixieren lassen, sei die Anwendung der VO Nr. 1608/74 nicht zulässig. Die zeitliche Begrenzung der Vorausfestsetzung auf 30 Tage nach der Festsetzung mit der Folge, daß die vor der Währungsmaßnahme vom 16. Oktober 1978 geltenden WAB nur bis etwa zum 13. November 1978 hätten vorausfixiert werden können, ändere nichts an der vorstehend geschilderten Rechtslage. In Kenntnis der Sachlage über die Begrenzung der Vorausfixierung hätte sich die Klägerin vor etwaigen Nachteilen schützen können, wenn sie im Rahmen ihrer erforderlichen und üblichen Umsicht für eine entsprechende Gestaltung ihrer Einfuhrverträge Sorge getragen hätte.

Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision partiell als unzulässig zu verwerfen, im übrigen als unbegründet zurückzuweisen. Sie trägt vor:

Die Revision sei unzulässig, soweit das HZA die Verletzung von Bundesrecht rüge und hierfür in seiner Revisionsbegründung auf die Dienstanweisung Oktober 1978 abhebe. Diese Dienstanweisung habe nicht die rechtliche Qualität von Bundesrecht i. S. des § 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Revision sei im übrigen unbegründet. Aus dem Währungsausgleichssystem und aus Art. 1 VO Nr. 1608/74 habe sich keine Ermächtigung zur Ausübung schrankenlosen Ermessens ergeben. Art. 2 VO Nr. 1608/74 enthalte keine bloßen Rahmenvorgaben. Die Kommission habe die Dienstanweisung nicht indirekt gebilligt; sie hätte zu dieser Billigung auch kein Recht gehabt. Durch die VO Nr. 926/80 sei die Dienstanweisung nicht bestätigt worden; Rechtsakte der Gemeinschaft gälten grundsätzlich nicht rückwirkend. Die Dienstanweisung stimme sachlich mit der VO Nr. 1608/74 nicht überein.

Das FG habe nicht festgestellt, daß sie, die Klägerin, Kursvorteile gehabt habe. Unabhängig davon verbiete die VO Nr. 1608/74 eine Verrechnung evtl. Kursvorteile. Sie habe nur diejenigen Veränderungen der WAB erfassen wollen, die in einem kausalen Verhältnis zur Inzidenz der Währungsmaßnahme gestanden hätten. Ihre angeblichen Währungsvorteile stünden gerade nicht in einem Kausalverhältnis zur Aufwertung der DM; denn es handle sich um fiktiv berechnete Kursvorteile innerhalb der üblichen Schwankungsbreite der Währungen in der sog. Schlange.

Die Begrenzung der Erstattungsfähigkeit auf mindestens 100 DM sei nicht durch Art. 2 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1608/74 gedeckt. Im Gegensatz zu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b VO Nr. 926/80 habe die VO Nr. 1608/74 keine Minimalgrenze enthalten.

Das HZA habe mit der Revision die Anforderungen gerügt, die das FG an die kaufmännische Umsicht zur Abwälzung des Währungsausgleichsrisikos gestellt habe. Bei diesem Gesichtspunkt handle es sich jedoch um eine Sachverhaltswertungsfrage, die nicht revisibel sei. Das FG habe an seine frühere Rechtsprechung angeknüpft, wonach die Vermutung bestehe, daß ein Kaufmann alles ihm Mögliche versucht habe, ein Risiko auf seinen Vertragspartner abzuwälzen.

Das HZA sei der Ansicht, daß es bei der Möglichkeit i. S. des Art. 5 a VO Nr. 1608/74 nur auf eine abstrakte Möglichkeit einer Vorausfixierung ankomme, nicht dagegen auf eine rechtlich tatsächliche Möglichkeit. Dem stünden Wortlaut, Ratio, aber auch die Erwägungsgründe der VO Nr. 243/78 entgegen. Es müsse sich bei einer Vorausfestsetzung, die ausnahmsweise nicht zu einer Billigkeitsregelung führen solle, um eine reale Möglichkeit handeln. Im vorliegenden Fall habe sie, die Klägerin, eine Vorausfestsetzung nach der Verordnung (EWG) Nr. 571/78 (VO Nr. 571/78) der Kommission vom 21. März 1978 (ABlEG L 78/10) nur für 30 Tage vornehmen können, also unter Berücksichtigung des Kalenders Oktober/November 1978 und der seinerzeitigen Werktage bis maximal zum 13. November 1978. Streitig seien im Ausgangsverfahren insoweit jedoch Einfuhren ab dem 23. November 1978.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision des HZA ist entgegen der Auffassung der Klägerin in vollem Umfang zulässig. Das HZA hat zumindest auch die Verletzung der Vorschriften der VO Nr. 1608/74 gerügt, die zum Bundesrecht zählen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 118 Anm. 10, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Damit ist die Revision in vollem Umfang zulässig (vgl. auch § 118 Abs. 3 Satz 2 FGO). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine ,,partielle Unzulässigkeit" der Revision des HZA also auch dann nicht gegeben, wenn die Revisionsbegründung des HZA mit der Klägerin dahin zu werten wäre, daß das HZA mit ihr u. a. auch die Verletzung der Dienstanweisung des BMF als einer Rechtsnom rügen wollte.

2. Die Revision des HZA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die vom FG ausgesprochene Rechtsfolge ist nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt. Das ist ein materiell-rechtlicher Fehler, der auch ohne ausdrückliche Rüge zu berücksichtigen ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Januar 1987 I R 85/80, BFHE 150, 120, 124, BStBl II 1987, 616, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BFH; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 30. Januar 1979 VI ZR 154/78, BGHZ 73, 248; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 27).

Die Vorinstanz hat keine Feststellungen getroffen, die es ermöglichen zu entscheiden, ob die Voraussetzungen des Art. 2 VO Nr. 1608/74 erfüllt sind. Im ,,Tatbestand" seines Urteils hat das FG nur die Tatsache und den Inhalt des Erstattungsantrags der Klägerin, die Tatsache und den wesentlichen Inhalt der Ablehnung des Antrags durch das HZA sowie den wesentlichen Vortrag der Beteiligten im finanzgerichtlichen Verfahren festgestellt. Aus den ,,Entscheidungsgründen" der Vorentscheidung sind nur die Feststellungen zu entnehmen, daß das HZA die Differenzbeträge teilweise erstattet hat (S. 8; Widerspruch zum Tatbestand), die streitbefangenen Einfuhren ab dem 23. November 1978 abgewickelt worden sind (S. 11; nach dem Tatbestand der Vorentscheidung bezog sich der Antrag der Klägerin auf Einfuhren zwischen 19. Oktober 1978 und 28. Februar 1979) und die Weiterverkaufsverträge der Klägerin offenbar Abwälzungsklauseln enthielten; über deren Inhalt fehlen Angaben in der Vorentscheidung. Ferner fehlen Feststellungen zu Datum, Inhalt und Abwicklung der Altverträge und zur Frage, auf welchen Umständen die angeblichen Umrechnungsvorteile der Klägerin beruhten.

Das FG hat zwar im ,,Tatbestand" seines Urteils wegen der Einzelheiten der von der Verwaltung durchgeführten Betriebsprüfung auf den entsprechenden Bericht vom 9. Oktober 1979 verwiesen. Damit ist der Inhalt dieses Berichts in Bezug genommen worden. Daraus kann jedoch nicht entnommen werden, daß das FG sämtliche Feststellungen des Betriebsprüfers als eigene Feststellungen gewertet wissen wollte. Falls das FG dies aber doch hatte tun wollen, ist diese Bezugnahme unzulässig. Solche Verweisungen dürfen nur ergänzenden Inhalt haben und dürfen entscheidungserhebliche tatsächliche Feststellungen im Urteil selbst nicht ersetzen (vgl. BFH-Urteil vom 21. Januar 1981 I R 153/77, BFHE 133, 33, BStBl II 1981, 517, mit Hinweisen; Gräber/Ruban, a.a.O., § 105 Anm. 20, mit Hinweisen).

3. Im übrigen bemerkt der Senat zur Vorentscheidung folgendes:

a) Die Auffassung des FG zur Auslegung des Art. 5 a VO Nr. 1608/74 (i.d.F. von Art. 11 VO Nr. 243/78) teilt der erkennende Senat. Nach dieser Vorschrift ist ein Billigkeitserlaß nur dann ausgeschlossen, wenn der Antragsteller eine Vorausfestsetzung der vor der Erhöhung aufgrund der Währungsmaßnahme geltenden WAB für die in Frage kommenden Einfuhren tatsächlich hätte erlangen können.

Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1608/74 setzt eine Billigkeitsmaßnahme voraus, daß der Antragsteller die zusätzliche Belastung durch die Erhöhung der WAB auch bei aller erforderlichen und üblichen Umsicht nicht hätte vermeiden können. Das konnte er auch bei Bestehen der theoretischen Möglichkeit einer Vorausfestsetzung nicht tun, wenn für die Einfuhren, die Gegenstand seines Billigkeitsantrags sind, tatsächlich die Möglichkeit fehlte, die vor der Erhöhung geltenden WAB sich im voraus festsetzen zu lassen.

Nichts anderes besagt Art. 5 a VO Nr. 1608/74, der offensichtlich eine Ausführungsvorschrift zu Art. 2 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1608/74 ist. Das macht Absatz 10 der Erwägungsgründe der VO Nr. 243/78 deutlich. Danach soll ein Händler die Billigkeitsregelung der VO Nr. 1608/74 nicht in Anspruch nehmen können, falls er von einer möglichen Vorausfestsetzung der WAB nicht Gebrauch macht; ,,denn in diesem Fall hat er es versäumt, die ihm zu Gebot stehenden Sicherheitsvorkehrungen zu treffen". Ihm stehen aber auch dann solche Sicherheitsvorkehrungen gegen die zusätzliche Belastung durch die Erhöhung der WAB nicht zu Gebote, wenn für die in Frage stehenden Einfuhren eine Vorausfestsetzung nach den einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften im praktischen Ergebnis ausschied. In einem solchen Fall kann von einem Versäumnis des Antragstellers oder von einer Vermeidbarkeit der zusätzlichen Belastung im Hinblick auf die Vorausfestsetzung auch dann nicht die Rede sein, wenn das Gemeinschaftsrecht eine Vorausfestsetzung für Waren der eingeführten Beschaffenheit grundsätzlich vorsah.

Im vorliegenden Fall konnte die Klägerin nach Art. 2 VO Nr. 571/78 eine Vorausfestsetzung nur für 30 Tage erwirken. Sie hätte sich also die niedrigeren WAB äußerstenfalls noch bis Mitte November 1978 sichern können. Damit aber schied eine Vorausfestsetzung der niedrigeren WAB für die Einfuhren aus, die offenbar Gegenstand des angefochtenen Ablehnungsbescheides des HZA sind. Das sind nach den Feststellungen des FG auf S. 11 der Vorentscheidung Einfuhren ab dem 23. November 1978. Im Hinblick auf diese Einfuhren war die zusätzliche Belastung durch die Erhöhung der WAB für die Klägerin durch eine Vorausfestsetzung also nicht vermeidbar.

b) Zu Unrecht hat das FG den angefochtenen Bescheid auch mit der Begründung aufgehoben, die Versagung der Erstattung der Differenzbeträge entbehre bei zwei Einfuhren der Klägerin wegen der Bagatellgrenze von weniger als 100 DM der Rechtsgrundlage. Der Senat verweist insoweit auf sein Urteil vom 16. Juni 1987 VII R 133-135/84 (BFHE 150, 235, 239).

c) Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1608/74 können die Differenzbeträge nur erstattet werden, wenn der Antragsteller den Nachweis erbringt, daß die endgültige Erhebung der WAB für ihn zu einer übermäßigen zusätzlichen Belastung führen würde, die er auch bei aller erforderlichen und üblichen Umsicht nicht vermeiden konnte. Dies Voraussetzung hat das FG für gegeben erachtet und den Einwand des HZA zurückgewiesen, die Klägerin hätte in Anbetracht der entsprechenden Klauseln in den Weiterverkaufsverträgen von der Abwälzungsmöglichkeit der Differenzbeträge auf ihre Abnehmer Gebrauch machen sollen. Zur Begründung hat das FG darauf hingewiesen, ein Kaufmann tue bekanntlich ,,nichts umsonst", so daß davon ausgegangen werden könne, daß die Klägerin die Differenzbeträge auf ihre Abnehmer nicht habe abwälzen können; der Fleischmarkt sei ein Käufermarkt, in dem nur einige wenige Großabnehmer als Käufer auftreten könnten. Der Senat folgt dieser Auffassung nicht in vollem Umfang.

Das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1608/74 hat der Antragsteller jeweils nachzuweisen; ihn trifft auch die Feststellungslast (vgl. Senatsurteil vom 21. Oktober 1986 VII R 47/81, BFHE 148, 378). Mit Urteil vom 12. August 1986 VII R 45/84 (BFHE 147, 290) hat der Senat entschieden, daß die Erstattung von WAB nicht in Betracht komme, wenn der Antragsteller berechtigt sei, die Mehrbelastung auf seine Abnehmer abzuwälzen. Er hat in diesem Urteil ferner entschieden, daß der Antragsteller die von ihm zu fordernde übliche Umsicht nicht angewandt hat, wenn er nach Widerspruch seiner Abnehmer darauf verzichtet hat, von seinem Recht, von seinen Abnehmern die zusätzliche Belastung durch die Erhöhung der WAB ersetzt zu erlangen, Gebrauch zu machen (BFHE 147, 290, 295). Die Vorentscheidung entspricht nicht diesen Rechtsgrundsätzen. Unterstellt man, daß die Klägerin mit ihren Abnehmern im Inland in Kaufverträgen jeweils vereinbart hatte, daß diese u. a. die zusätzliche Belastung durch die Erhöhung der WAB zu übernehmen hätten - wie ausgeführt fehlen entsprechende Feststellungen in der Vorentscheidung -, so kann die mangelnde Vermeidbarkeit der zusätzlichen Belastung für die Klägerin nicht allein mit dem Argument belegt werden, die Klägerin hätte nach dem Grundsatz, ein Kaufmann tue nichts umsonst, die Differenzbeträge abgewälzt, wenn sie es hätte tun können. Diese Überlegung trifft schon deswegen nicht ohne weiteres zu, weil die Erlangung einer Billigkeitserstattung nach der VO Nr. 1608/74 für die Klägerin im Falle des Erfolgs sicherlich der einfachere Weg zur Entlastung war als die Inanspruchnahme aller ihrer Abnehmer.

Das bedeutet nicht, daß die rechtliche Möglichkeit der Klägerin, die zusätzliche Belastung auf ihre Abnehmer abzuwälzen, für sich allein schon ausreicht, die Voraussetzung des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1608/74 als nicht gegeben anzusehen. Ist es der Klägerin absolut unzumutbar, von einer Abwälzungsklausel in den Kaufverträgen mit ihren Abnehmern Gebrauch zu machen, so liegt eine Vermeidbarkeit der zusätzlichen Belastung i. S. des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1608/74 nicht vor. Es ist aber Sache der Klägerin, darzulegen und nachzuweisen, daß ein solcher Fall der Unzumutbarkeit vorliegt. Die summarische Argumentation des FG, der Fleischmarkt sei ein Käufermarkt und die Abwälzung sei vertraglich nicht durchzusetzen, es sei denn um den Preis des Verlustes des Kunden, genügt nicht, um das Bestehen einer solchen Unzumutbarkeit zu belegen. Das gilt um so mehr, als die Annahme des FG, eine Abwälzung sei vertraglich nicht durchzusetzen, offenbar mit den Tatsachen nicht übereinstimmt; nach den Ausführungen des Betriebsprüfers im Betriebsprüfungsbericht vom 9. Oktober 1979 enthielten die Weiterverkaufsverträge der Klägerin anscheinend durchaus Abwälzungsklauseln.

d) Für den Fall, daß die angeblichen Umrechnungsvorteile der Klägerin bei Bezahlung des Kaufpreises nach der Währungsmaßnahme auf Devisentermingeschäften beruhen, verweist der Senat auf seine Urteile vom 5. Juni 1985 VII R 159-160/84 (BFHE 144, 294) und in BFHE 150, 235.

 

Fundstellen

BFH/NV 1989, 65

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