Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozeßkostenhilfe; keine hinreichende Aussicht auf Erfolg der Rechtsverfolgung

 

Leitsatz (NV)

1. Zu den Erfolgsaussichten eines Antrags auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe.

2. Zum Begriff des groben Verschuldens i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 und zur Zurechnung des Verschuldens des Steuerberaters beim Steuerpflichtigen.

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2; FGO § 142; ZPO § 114

 

Tatbestand

Der Kläger, Antragsteller und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr als selbständiger Architekt tätig. In seiner Einkommensteuererklärung 1970, die beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) im Mai 1972 einging, hatte er u. a. Einnahmen aus selbständiger Arbeit in Höhe von 414 170,14 DM erklärt. Bei diesen Einnahmen handelte es sich ausschließlich um Honorare für Planungsarbeiten, die der Kläger im Auftrag der X GmbH & Co. KG ausgeführt hatte. Der nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte Gewinn aus selbständiger Arbeit belief sich auf 388 787 DM. Der Kläger beantragte, diesen Gewinn gemäß § 34 Abs. 3 EStG auf die Veranlagungszeiträume 1968 bis 1970 zu verteilen. Das FA lehnte diesen Antrag ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 12. Mai 1976 wurde rechtskräftig.

Im August 1977 beantragte der Kläger beim FA die Berichtigung des Einkommensteuerbescheids 1970 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Zur Begründung seines Antrags führte er aus, von den für das Jahr 1970 erklärten Einnahmen aus selbständiger Arbeit sei ihm ein Teilbetrag in Höhe von 350 000 DM weder im Jahre 1970 noch in den Folgejahren zugeflossen. Dies habe er erst jetzt bei der Durchsicht seiner von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Geschäftsunterlagen festgestellt. Das FA lehnte den Antrag mit Verfügung vom 16. November 1978 ab.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG vertritt wie das FA die Auffassung, daß die Voraussetzungen einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 nicht vorlägen, weil den Kläger ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden des fehlenden Zahlungseingangs träfe. Das FG führt des weiteren aus, daß auch der ehemalige Steuerberater grob fahrlässig gehandelt habe und daß der Kläger sich dessen Verschulden wie eigenes Verschulden zurechnen lassen müsse. Bei der Erstellung der Steuererklärung 1970 hätte der Steuerberater der Frage nachgehen müssen, ob der Betrag von insgesamt 350 000 DM dem Kläger auch tatsächlich im Jahre 1970 zugeflossen sei. Denn angesichts des Datums der Rechnungen (31. Dezember 1970) hätten sich Zweifel aufdrängen müssen, ob der Kläger tatsächlich noch im Jahre 1970 Zahlungen aufgrund dieser Rechnungen erhalten habe. In Anbetracht der Höhe der Rechnungsbeträge (250 000 DM und 100 000 DM) und der Einnahmen des Klägers in den Vorjahren hätte der Steuerberater die Angaben nicht ungeprüft übernehmen dürfen.

Mit Schriftsatz vom 23. Februar 1985 legte der Kläger gegen die Vorentscheidung Revision ein und stellte gleichzeitig den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zur Durchführung des Revisionsverfahrens. Die auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Vordruck abzugebende Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurde erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist am 16. April 1985 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingereicht. Der Kläger beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wird abgelehnt.

1. Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozeßkostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

a) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet nicht hinreichend Aussicht auf Erfolg.

Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen einer Berichtigung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 1970 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 nicht gegeben sind, da den Kläger ein grobes Verschulden daran trifft, daß der Nichtzufluß der strittigen Honorare in Höhe von 350 000 DM im Streitjahr erst nachträglich bekannt wurde. Grobes Verschulden i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 beinhaltet Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Grob fahrlässig handelt der Steuerpflichtige, wenn er bei Abgabe der Steuererklärung die ihm zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteile vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324, und vom 25. November 1983 VI R 8/82, BFHE 140, 18, BStBl II 1984, 256). Ob ein Beteiligter in diesem Sinne grob fahrlässig gehandelt hat, ist im wesentlichen Tatfrage. Die hierzu getroffenen Feststellungen des FG können - abgesehen von zulässigen und begründeten Verfahrensrügen - in der Revisionsinstanz nur darauf überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Verhältnisse hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen widerspricht (Urteile in BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324, und vom 28. Juni 1983 VIII R 37/81, BFHE 139, 8 BStBl II 1984, 2). Gemäß der seit dem Urteil in BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324 einhelligen BFH-Rechtsprechung (siehe zuletzt Urteile in BFHE 140, 18, BStBl II 1984, 256, und vom 5. November 1985 VIII R 258/82, nicht veröffentlicht) und der überwiegenden Meinung im Schrifttum (siehe z. B. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 173 AO 1977 Anm. 44c) ist dem Steuerpflichtigen ein Verschulden (in dem oben erläuterten Sinne) seines Steuerberaters als seines Vertreters zuzurechnen.

Es kann offenbleiben, ob dem Kläger selbst grobe Fahrlässigkeit anzulasten ist. Zumindest trifft dies für seinen ehemaligen Steuerberater zu: Die vom FG hierzu getroffenen Feststellungen sind für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, und auch seine rechtliche Würdigung hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung stand. Der Vortrag des Klägers beinhaltet, daß sein früherer Steuerberater bei Erstellung der Überschußrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG allein vom Rechnungsdatum ausgegangen ist, ohne den tatsächlichen Zufluß des Honorarbetrags zu überprüfen; hierauf kam es aber allein an. Ein derartiges Verhalten wäre grob fahrlässig gewesen. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, daß die Rechnungen vom 31. Dezember 1970 datierten; die in ihnen ausgewiesenen Beträge konnten nur berücksichtigt werden, wenn es sich um die Abrechnung schon empfangener Honorarbeträge handelte. Mit einem entschuldbaren Buchungsfehler könnte dieses Verhalten nicht verglichen werden. Der Kläger will möglicherweise vortragen, daß ihm das Honorar lediglich auf einem Konto gutgeschrieben worden sei und daß dann - entgegen auch der Auffassung des Steuerberaters - kein Zufluß i. S. von § 11 Abs. 1 EStG gesehen werden könne. Hierin liegt aber nur die abweichende Würdigung einer schon bekannten Tatsache, die nicht zu einer Berichtigung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 führen kann.

b) Bei dieser Sachlage braucht nicht geprüft zu werden, ob das Gesuch des Klägers auch wegen verspäteter Vorlage des gesetzlich vorgeschriebenen Vordrucks (§ 117 Abs. 3 und 4 ZPO) zurückzuweisen wäre.

2. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 142 FGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Sätze 4 und 5 ZPO, § 1 Abs. 1 Buchst. c, § 11 des Gerichtskostengesetzes).

 

Fundstellen

Haufe-Index 423378

BFH/NV 1986, 652

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