Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung des Antrags auf Verzicht auf die Festsetzung von Aussetzungszinsen aus Billigkeitsgründen

 

Leitsatz (NV)

1. Das gesetzlich vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren gegen die Ablehnung des Antrags, auf Aussetzungszinsen aus Billigkeitsgründen gemäß § 237 Abs. 4 i. V. m. § 234 Abs. 2 AO zu verzichten, ist das Beschwerdeverfahren.

2. Eine nicht statthafte Einspruchsentscheidung erfüllt nicht die Voraussetzung, daß das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder teilweise erfolglos geblieben ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 234 Abs. 2, § 237 Abs. 4, § 349; FGO § 44 Abs. 1

 

Tatbestand

Das Klageverfahren gegen die Umsatzsteueränderungsbescheide 1965 bis 1967 mit einer Nachforderung von insgesamt . . . DM endete durch außergerichtliche Erledigung. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) brauchte nach der nochmaligen Änderung (§ 172 der Abgabenordnung - AO 1977 -) der bezeichneten Umsatzsteuerfestsetzungen nur noch . . . DM nachzuzahlen (jeweils . . . DM für 1965 und 1967 und . . . DM für 1966). Nach Unanfechtbarkeit dieser Steuerfestsetzungen setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) mit Bescheid vom 28. März 1984 für die bezeichneten Beträge Aussetzungszinsen (für den Zeitraum vom Beginn bis zum Ablauf der Aussetzung der Vollziehung, d. h. vom 28. Juni 1973 bis 21. März 1984) von insgesamt . . . DM fest, nachdem dem Kläger bis zur Erledigung des Rechtsbehelfsverfahrens Aussetzung der Vollziehung gewährt worden war.

Gegen den Zinsbescheid legte der Kläger Einspruch ein und beantragte hilfsweise, von der Erhebung von Zinsen aus Billigkeitsgründen gemäß § 237 Abs. 4 i. V. m. § 234 Abs. 2 AO 1977 abzusehen. Das FA setzte die Zinsen durch nach § 172 AO 1977 geänderten Bescheid vom 28. September 1984 auf . . . DM herab und wies im übrigen den Antrag des Klägers durch die Einspruchsentscheidung vom 5. Juli 1985 zurück.

Die dagegen erhobene Klage, mit der der Kläger Herabsetzung der Stundungszinsen auf . . . DM begehrte, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) änderte den Zinsbescheid antragsgemäß und legte zur Begründung dar, das FA habe ermessensfehlerhaft nicht auf Aussetzungszinsen gemäß § 237 Abs. 4 i. V. m. § 234 Abs. 2 AO 1977 für den Zeitraum verzichtet, für den die Voraussetzungen einer sog. technischen Stundung gegeben gewesen seien.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung sachlichen Rechts. Das FG habe zu Unrecht Grundsätze für den Verzicht auf Stundungszinsen auf das Verfahren über Aussetzungszinsen übertragen. Es beantragt sinngemäß, Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung.

Der Kläger ist der Revision nicht ausdrücklich entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet (§ 126 Abs. 3 Nummer 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung. Das FG hat in der Sache entschieden, ohne daß das Vorverfahren durch die dafür gesetzlich vorgesehene Beschwerdeentscheidung abgeschlossen war.

1. In Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, ist die Klage - vorbehaltlich der im Streitfall nicht gegebenen Voraussetzungen der §§ 45 und 46 FGO - nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist (§ 44 Abs. 1 FGO). Zur Sache darf das FG erst nach Durchführung des gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfsverfahrens (§§ 347 ff. AO 1977) entscheiden, was im Revisionsverfahren auch ohne besondere Rüge von Amts wegen zu prüfen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. November 1984 VI R 176/82, BFHE 143, 27, BStBl II 1985, 266).

Das gesetzlich vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren gegen die Ablehnung des Antrags, auf Aussetzungszinsen aus Billigkeitsgründen gemäß § 237 Abs. 4 i. V. m. § 234 Abs. 2 AO 1977 zu verzichten, ist das Beschwerdeverfahren (§ 349 Abs. 1 AO 1977). Bei der Entscheidung über den Antrag des Steuerpflichtigen, auf Zinsen ganz oder zum Teil zu verzichten, weil ihre Erhebung nach Lage des Falles unbillig wäre (§ 237 Abs. 4 i. V. m. § 234 Abs. 2 AO 1977), handelt es sich um eine nach der AO 1977 (vgl. auch Art. 97 § 15 Abs. 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung 1977 - EGAO 1977 -) zu beurteilende Billigkeitsmaßnahme (vgl. BFH-Urteil vom 20. November 1987 VI R 140/84, BFHE 152, 310, BStBl II 1988, 402). Die Ablehnung ist selbständig anfechtbar, auch wenn sie mit dem Verwaltungsakt über die Zinsfestsetzung äußerlich verbunden worden ist. Dagegen ist als Rechtsbehelf die Beschwerde gegeben, über die die Oberfinanzdirektion (OFD) gemäß § 349 Abs. 1 i. V. m. § 368 AO 1977 entscheidet. Über die von dem Kläger mit seinem Rechtsbehelf gegen den Zinsbescheid zugleich eingelegte Beschwerde ist jedoch bisher von der OFD nicht entschieden worden. Die vorliegende Einspruchsentscheidung vermag diesen Mangel nicht zu heilen (vgl. dazu BFH in BFHE 152, 310, BStBl II 1988, 402).

2. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgehend das Einspruchsverfahren als das gemäß § 44 Abs. 1 FGO maßgebende Vorverfahren angesehen hat, ist seine Entscheidung aufzuheben. Auch die Einspruchsentscheidung war aufzuheben, da sie unter den gegebenen Umständen nicht hätte ergehen dürfen (vgl. auch BFH-Urteil vom 19. Oktober 1990 III R 28/88, NV). Das FA wird nunmehr die Beschwerde der OFD zur Entscheidung vorzulegen haben, falls es der Beschwerde nicht selbst abhilft (§ 368 AO 1977).

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 155

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge