Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine zeitliche Obergrenze für die Fassung bzw. Änderung von Gewinnverteilungsbeschlüssen

 

Leitsatz (NV)

1. Im summarischen Verfahren der Aufhebung der Vollziehung ist davon auszugehen, daß handelsrechtlich Gewinnverteilungsbeschlüsse ohne zeitliche Obergrenze gefaßt bzw. geändert werden können.

2. Erfahren die Gesellschafter einer GmbH, daß die Handelsbilanzgewinne 1968, 1970, 1971 und 1974 zu niedrig ausgewiesen wurden, so bedeutet die am 31. Dezember 1980 für die genannten Geschäftsjahre beschlossene (höhere) Gewinnausschüttung keinen Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn die GmbH zuvor Selbstanzeige erstattete und geänderte Handelsbilanzen aufstellte.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3; KStG 1968 § 19 Abs. 3; GmbHG § 30 Abs. 1; VGFGEntlG Art. 3 § 4

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat durch Urteil vom 18. Mai 1988 die Klage der Klägerin, Revisionsklägerin und Antragstellerin (Klägerin) gegen den Beklagten, Revisionsbeklagten und Antragsgegner (Finanzamt - FA -) wegen Körperschaftsteuer 1968, 1970, 1971 und 1974 als unbegründet zurückgewiesen. Gegen das Urteil legte die Klägerin Revision ein, nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) der Nichtzulassungsbeschwerde entsprochen hatte. Die Revision ist unter dem Az. I R 38/89 anhängig. Über sie ist noch nicht entschieden.

Mit Schriftsatz vom 17. März 1989 beantragte die Klägerin beim BFH, die Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 1968, 1970, 1971 und 1974 vom 7. August 1981 in Höhe der streitigen Körperschaftsteuerbeträge auszusetzen, weil das FA einen entsprechenden Antrag mit Schreiben vom 5. August 1988 abgelehnt habe. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin ist eine GmbH, die für die Streitjahre 1968, 1970, 1971 und 1974 ursprünglich unzutreffende Körperschaftsteuererklärungen und Bilanzen eingereicht hatte. Sie wurde zunächst nach den unzutreffenden Erklärungen veranlagt. Mit Schreiben vom 10. Juni 1980 erstattete die Klägerin Selbstanzeige für die genannten Jahre. Dabei gab sie an, in allen Jahren die Warenbestände unvollständig angesetzt und dadurch die Handelsbilanzgewinne zu niedrig ermittelt zu haben. Das FA ermittelte die nicht erklärten Mehrgewinne in folgender Höhe:

1968 1970 1971 1974

DM DM DM DM

... ... ... ...

Die Klägerin erstellte für die Streitjahre neue Handelsbilanzen, in denen die vom FA ermittelten Mehrgewinne berücksichtigt wurden. Am 31. Dezember 1980 beschlossen die Gesellschafter der Klägerin, die aufgrund der geänderten Handelsbilanzen festgestellten Mehrgewinne auszuschütten.

In den geänderten Körperschaftsteuerbescheiden 1968, 1970, 1971 und 1974 vom 7. August 1981 lehnte das FA die Anwendung des § 19 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1968 ab. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Mit Schriftsatz vom 29. Juni 1989 hat die Klägerin ihren ursprünglichen Antrag modifiziert. Sie beantragt nunmehr, die Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 1968, 1970, 1971 und 1974 vom 7. August 1981 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Aussetzung der Vollziehung abzulehnen. Zu dem geänderten Antrag hat es keine Stellung genommen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung der mit der Revision angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide ist begründet. Ihm war deshalb stattzugeben. Es bestehen ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 3 i. V. m. § 69 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide insoweit, als das FA die Anwendung des § 19 Abs. 3 KStG 1968 ablehnte.

Der erkennende Senat hat in seinen Urteilen vom 5. Juni 1985 I R 276/82 (BFHE 144, 348, BStBl II 1986, 81) und I R 183/84 (BFHE 144, 353, BStBl II 1986, 84) in Modifizierung seiner früheren Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß handelsrechtlich Gewinnverteilungsbeschlüsse auch dann noch gefaßt bzw. geändert werden können, wenn seit dem Ende des Geschäftsjahres, für das ausgeschüttet werden soll, ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren verstrichen ist. In den genannten Urteilen ist eine zeitliche Obergrenze für die Fassung bzw. Änderung von Gewinnverteilungsbeschlüssen nicht genannt. Dies spricht im summarischen Verfahren der Aufhebung der Vollziehung dafür, daß eine zeitliche Obergrenze nicht besteht. Da § 19 Abs. 3 KStG 1968 an den Gewinnverteilungsbeschluß im gesellschaftsrechtlichen Sinne anknüpft, gilt dies auch für die Anwendung der genannten Vorschrift.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Gewinnverteilung am 31. Dezember 1980 willkürlich beschlossen worden sein könnte. Insbesondere steht den Beschlüssen § 30 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) nicht entgegen. Wenn die Gesellschafter aufgrund der geänderten Handelsbilanzen erstmalig von einem tatsächlich erzielten höheren Gewinn erfuhren, ist es ihr gutes Recht, über die Verteilung des höheren Gewinns zu beschließen. Dies gilt auch dann, wenn der höhere Gewinn für ein Geschäftsjahr festgestellt wird, das bereits längere Zeit zurückliegt.

Entgegen der Auffassung des FG bestehen - jedenfalls im summarischen Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO - keine Anhaltspunkte für einen Verstoß der Klägerin gegen Treu und Glauben. Die Gesellschafter der Klägerin beschlossen am 31. Dezember 1980 die Verteilung eines tatsächlich erzielten höheren Gewinns. Mit der Beschlußfassung verwandelte sich erst das allgemeine Bezugsrecht der Gesellschafter in ein selbständiges Gläubigerrecht. Der Anspruch auf Auszahlung eines (höheren) Gewinnanteils entstand damit erst zum 31. Dezember 1980. Er steht mit früherem Verhalten der Klägerin schon deshalb nicht in Widerspruch, weil diese zuvor Selbstanzeige erstattet und ihre Handelsbilanzen geändert hatte. Damit war es den Gesellschaftern unbenommen, ihre aufgrund der neuen Situation bekanntgewordenen Rechte wahrzunehmen. Die Tatsache, daß die Gewinnverteilungsbeschlüsse auf den Körperschaftsteuertarif der Streitjahre ,,zurückwirken", ergibt sich unmittelbar aus § 19 Abs. 3 KStG 1968 und kann der Klägerin nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben angelastet werden.

Auf der Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung sprechen deshalb - jedenfalls im summarischen Verfahren - Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin einen Rechtsanspruch auf Anwendung des § 19 Abs. 3 KStG 1968 hat. Deshalb war dem Antrag der Klägerin zu entsprechen. Da die Beteiligten sich zur Berechnung der Steuerbeträge nicht geäußert haben, bezüglich derer die Vollziehung aufzuheben ist, ist der Senat in entsprechender Anwendung des Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit verfahren (vgl. BFH-Beschluß vom 12. Oktober 1983 I S 2/81, BFHE 140, 1, BStBl II 1984, 212). Damit ist das FA verpflichtet, die Beträge zu errechnen und der Klägerin mitzuteilen, in welchem Umfang die Aufhebung der Vollziehung wirkt.

Mit Rücksicht auf die zugunsten der Klägerin sprechenden Erfolgsaussichten hat der Senat von der Festsetzung einer Sicherheitsleistung abgesehen, zumal das FA selbst in der Vergangenheit die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung verfügt hat (vgl. Verfügung vom 30. Juli 1982).

Es ist die Sache des FA, als Folge dieser Entscheidung auch die Aufhebung der Vollziehung der festgesetzten Ergänzungsabgabe zu verfügen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416770

BFH/NV 1990, 454

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