Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung bei Versäumung der Rechtsmittelfrist wegen Mittellosigkeit zur Beauftragung eines Prozeßbevollmächtigten; Erfordernis eines Vorverfahrens bei Klagen gegen Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte

 

Leitsatz (NV)

1. Ist ein Beteiligter wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage, rechtzeitig ein Rechtsmittel durch einen Prozeßbevollmächtigten einlegen zu lassen, so kann eine Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist in der Regel nur gewährt werden, wenn innerhalb der Rechtsmittelfrist ein ordnungsgemäßes Prozeßkostenhilfegesuch einschließlich der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht worden ist.

2. Eine Klage auf Eintragung einer günstigeren Steuerklasse auf der Lohnsteuerkarte ist nur nach einem vorherigen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren zulässig.

 

Normenkette

FGO §§ 44, 142 Abs. 1; ZPO §§ 114, 117 Abs. 2-4; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Kläger) erhob Klage vor dem Finanzgericht (FG). Aus den verworrenen Klageschriftsätzen, die sich auf eine Vielzahl von anderen bei der Finanzgerichtsbarkeit und bei anderen Gerichtszweigen anhängige Verfahren sowie auf Anträge und Eingaben an Verfassungsorgane und staatliche Stellen der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) beziehen, läßt sich entnehmen, daß er auf der Lohnsteuerkarte 1995 die Eintragung der Steuerklasse II/1 und die Erstattung ab 1991 zu viel einbehaltener Lohnsteuer wegen seiner Auffassung nach unrichtiger Eintragungen der Steuerklasse auf den Lohnsteuerkarten erreichen will. Den Grund für sein Begehren sieht der seit 1989 geschiedene Kläger offenbar darin, daß ihm und seinen beiden Kindern durch die Übertragung der elter lichen Sorge auf seine geschiedene Frau Unrecht geschehen sei.

Der Kläger stellte in dem Klageverfahren Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH). Das FG lehnte diesen Antrag mit Beschluß vom 11. Januar 1995 unter dem Aktenzeichen des Klageverfahrens ... ab, weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

Mit Beschluß vom gleichen Tage, ebenfalls unter dem Aktenzeichen des Klageverfahrens, gab das FG dem Kläger auf, für das Klageverfahren einen Bevollmächtigten zu bestellen. Diesen Beschluß begründete das FG damit, daß der Kläger nicht in der Lage sei, seine Interessen gehörig wahrzunehmen. Er verliere sich immer stärker in neben der Sache liegenden Ausführungen und Anträgen und entferne sich immer weiter von der Streitsache.

Auf diese Beschlüsse hin richtete der Kläger zwei von ihm persönlich unterzeichnete Schriftsätze vom 19. Januar 1995 an das FG. Diese Schriftsätze nennen als Betreff das Aktenzeichen des Klageverfahrens und sind mit "Beschwerde" überschrieben. Sie enthalten Vorwürfe gegen verschiedene Organe einschließlich gerichtlicher Instanzen der Bundesrepublik und des Landes ... sowie Bezugnahmen auf angeblich in anderen Gerichtszweigen laufende Gerichtsverfahren. Soweit sich die Ausführungen überhaupt auf das beim FG anhängige Klageverfahren beziehen, wird nur ungefähr deutlich, daß der Kläger sich gegen die seiner Ansicht nach unzutreffende Eintragung der Steuerklasse auf den Lohnsteuerkarten ab 1991 wehrt.

Das FG fragte daraufhin beim Kläger an, ob die Schreiben vom 19. Januar 1995 als förmliche Beschwerde aufzufassen seien und gegen welchen der beiden Beschlüsse sich die Beschwerde ggf. wende. Auf dieses Schreiben antwortete der Kläger mit Schreiben vom 29. Januar 1995, daß "die gesetzliche Beschwerde" eingelegt und diese Beschwerde nicht unvollkommen sei. Nach seinen Unterlagen seien zwei Formen der Beschwerde gegeben.

Das FG behandelte daraufhin die Schreiben vom 19. Januar 1995 als Beschwerden sowohl gegen die Versagung der PKH für das Klageverfahren als auch gegen die Anordnung zur Bestellung eines Bevollmächtigten. Es half den Beschwerden nicht ab.

Außer mit den beiden Schreiben an das FG vom 19. Januar 1995 hatte sich der Kläger mit Schreiben vom 23. Januar 1995 unmittelbar an den Bundesfinanzhof (BFH) gewandt. In diesem Schreiben ist nur von einer Beschwerde gegen einen Beschluß des FG zu dem Aktenzeichen des Klageverfahrens ... die Rede. Der BFH leitete dieses Schreiben dem FG zu. Das FG legte das Schreiben als Beschwerde gegen den Beschluß über die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten dem BFH wieder vor.

Mit Schreiben vom 9. Juli 1995 leitete der Kläger sodann das vorliegende Verfahren ein. Er erhob in diesem Schreiben Beschuldigungen gegen die Strafjustiz des Landes ... und des Bundes und führte aus, daß er wegen des Handelns dieser Justizorgane von der Sozialhilfe leben müsse, weil er keine "gesetzliche Steuerkarte" habe. Diesem Schreiben fügte er einen ausgefüllten Vordruck der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zum Antrag auf Bewilligung von PKH bei.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat wertet das Schreiben des Klägers vom 9. Juli 1995 als Antrag auf Gewährung von PKH. Dafür spricht schon die Beifügung des ausgefüllten Vordrucks der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Im Interesse des größtmöglichen Rechtsschutzes des Klägers geht der Senat dabei davon aus, daß der Kläger die Gewährung von PKH sowohl für ein Beschwerdeverfahren gegen die Versagung der PKH im Klageverfahren als auch für ein Beschwerdeverfahren gegen die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten erreichen will.

Der Senat hält es für zweckmäßig, die Anträge auf Gewährung von PKH für die beiden Beschwerdeverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden (§ 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Die Anträge auf PKH können jedoch keinen Erfolg haben.

Gemäß § 142 Abs. 1 FGO i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH erhalten, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Im Streitfall haben Beschwerden gegen die Versagung der PKH im Klageverfahren und gegen die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten für das Klageverfahren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

a) Es kann offenbleiben, ob der Kläger mit den beiden Schreiben an das FG vom 19. Januar 1995 tatsächlich bereits Beschwerden sowohl gegen die Versagung der PKH für das Klageverfahren als auch gegen die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten eingelegt hat oder ob nicht das Schreiben an den BFH vom 23. Januar 1995 dafür spricht, daß der Kläger nur eine Beschwerde an den BFH gegen die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten einlegen wollte. In jedem Fall sind die Beschwerde oder die Beschwerden unzulässig. Sie müssen daher kostenpflichtig als unzulässig verworfen werden, wenn sie nicht noch zurückgenommen werden.

Nach Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) muß sich vor dem BFH nämlich jeder Beteiligte -- ausgenommen juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden -- durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Das gilt auch für die Einlegung der Beschwerde (Art. 1 Nr. 1 Satz 2 BFHEntlG). Da der Antragsteller nicht zum Kreis der Personen gehört, die eine (zulässige) Beschwerde beim BFH einlegen können, sind seine Rechtsbehelfe unzulässig.

b) Die Beschwerden könnten nunmehr auch nicht mehr von einem vor dem BFH vertretungsbefugten Prozeßbevollmächtigten wiederholt und damit zu zulässigen Rechtsmitteln gemacht oder neu eingelegt werden. Nach § 129 Abs. 1 FGO ist eine Beschwerde innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung einzulegen. Da die Beschwerdefrist durch die Zustellung der Beschlüsse über die Versagung der PKH für das Klageverfahren und über die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten am 18. Januar 1995 in Lauf gesetzt worden ist, ist sie nunmehr längst abgelaufen.

Zwar kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht, wenn ein Beteiligter wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, das Rechtsmittel durch einen Bevollmächtigten i. S. des Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG einlegen zu lassen. In einem solchen Fall muß aber der Beteiligte alles in seinen Kräften Stehende und ihm Zumutbare getan haben, um seinerseits das der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels entgegenstehende Hindernis zu beheben. Er muß daher bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist ein ordnungsgemäßes Gesuch um PKH gestellt haben. Dazu gehört, daß der Antragsteller innerhalb dieser Frist das Gesuch um PKH und auch die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der vorgeschriebenen Form (§ 117 Abs. 2 bis 4 ZPO) eingereicht hat, sofern er nicht auch hieran wiederum ohne sein Verschulden gehindert war (BFH-Beschluß vom 11. Dezember 1985 I B 44/85, BFH/NV 1986, 557). Im Streitfall hat der Kläger innerhalb der Beschwerdefrist nur die von ihm als Beschwerden bezeichneten Schreiben an das FG und an den BFH gerichtet. Er hat in dieser Frist weder ein Gesuch um PKH für die Beschwerdeverfahren noch eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Der vorliegende Antrag auf Gewährung von PKH ist erst weit außerhalb der Beschwerdefrist gestellt worden, so daß dem Kläger keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist gewährt werden könnte.

c) Unabhängig davon, daß die Beschwerden gegen die Versagung der PKH im Klageverfahren und gegen die Anordnung der Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten schon aus den genannten formellen Gründen aussichtslos sind, hätten sie aber auch materiell-rechtlich (in der Sache) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg in der Sache wäre für eine Beschwerde gegen die Versagung der PKH im Klageverfahren nur gegeben, wenn das Klageverfahren selbst hinreichende Aussicht auf Erfolg hätte. Das ist aber nicht der Fall. Die vom Kläger begehrte Eintragung der Steuerklasse II/1 auf der Lohnsteuerkarte für 1995 läßt sich nicht unmittelbar im Klagewege durchsetzen. Wie das FG zu Recht ausgeführt hat, erfordert die Klage gegen eine Eintragung auf einer Lohnsteuerkarte oder gegen die Ablehnung einer Eintragung auf einer Lohnsteuerkarte gemäß § 44 FGO ein Vorverfahren über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf. An einem solchen Verfahren fehlt es hier.

Der Kläger kann auch nicht für die Jahre 1991 bis 1994 unmittelbar auf Erstattung der Lohnsteuer klagen, die wegen der nach seiner Auffassung unrichtigen Eintragungen auf den Lohnsteuerkarten für diese Jahre zu viel einbehalten worden ist. Nach Ablauf der Kalenderjahre hätten Lohnsteuererstattungen nur im Wege von Anträgen auf Einkommensteuerveranlagung (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes) geltend gemacht werden können.

Unabhängig von der Frage, ob dem Kläger überhaupt ein Anspruch auf die Eintragung der Steuerklasse II/1 zusteht oder zustand, ist daher jedenfalls der falsche Weg gewählt worden, um einen solchen etwaigen Anspruch durchzusetzen.

Auch für eine Beschwerde gegen die Anordnung der Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten bestände in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die kaum verständlichen Schriftsätze des Klägers an das FG und an den BFH, die sich möglicherweise u. a. gegen die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten richten, und die Schwierigkeit festzustellen, welche Prozeßhandlungen der Kläger wirklich vornehmen will, zeigen, daß die Anordnung des FG berechtigt ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421113

BFH/NV 1996, 496

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